Von Intensivkursen und Textaufgabenknackern...

Von Intensivkursen und Textaufgabenknackern...

Die Verbesserung der durchgängigen Sprachbildung in der Ganztagsschule sowie die Förderung der interkulturellen Schulentwicklung haben sich vier Schulen in Mecklenburg-Vorpommern zum Ziel ihrer Netzwerkarbeit gesetzt. Unterstützt werden sie vom Verein "Diên Hông - Gemeinsam unter einem Dach e.V.". Gemeinsam werden Konzepte zum "sprachsensiblen Unterricht" entwickelt. Schülerinnen und Schüler mit unzureichenden Deutschkenntnissen werden in Intensivkursen für den Regelunterricht fit gemacht.

Wer mit Mirko Murk spricht, muss genau hinschauen, welchen "Hut" der Pädagoge gerade aufhat. Einerseits ist er der Moderator des Netzwerks "Ganztagsschule der Vielfalt", andererseits ist er der Koordinator für das Projekt "Deutsch als Zweitsprache" (DaZ) im Schulamtsbereich Rostock. Zwei unterschiedliche Dinge, und doch sind sie untrennbar miteinander verbunden. Schließlich geht es in beiden Fällen darum, die Sprachbildung zu ermöglichen, und es geht darum, Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund vor ihrer Teilnahme am regulären Unterricht das Erlernen der deutschen Sprache zu erleichtern.

Schülerin (Bild: thinkstock)

Letzteres geschieht in Intensivkursen, die die jungen Menschen je nach Lernfortschritt ein bis zwei Jahre besuchen können. Sie alle landen bei ihrer Ankunft in Rostock praktisch automatisch bei Mirko Murk. Kommen ihre Eltern mit ihnen zur Schule ihrer Wahl, schickt die dortige Schulleitung sie erst einmal zum Sprachfeststellungstest ins Schulamt. Hier empfängt sie der DaZ-Koordinator, spricht mit ihnen und ermittelt den Kenntnisstand in der deutschen Sprache. Je nach Niveaustufe rät er zu einem Intensivkurs, der an zwei der vier Netzwerkschulen, dem Schulcampus Evershagen und der Krusensternschule Rostock, angeboten wird.

Die Kurse umfassen 20 Stunden Deutsch pro Woche. Daneben stehen für die Schülerinnen und Schüler, die überwiegend aus Russland, Afghanistan, Vietnam, Bulgarien und der Türkei stammen, weniger sprachlastige Fächer wie Sport, Musik, Kunst, Weltkunde und Informatik auf dem Stundenplan. Die Kurse sind "äußerst heterogen" besetzt, wie Mirko Murk berichtet. 11- bis 19-Jährige lernen hier zusammen. Der enorme Altersunterschied erfordert höchste Binnendifferenzierung. Mehr Kurse, aufgeteilt nach Alterstufen, sind aus personellen und finanziellen Gründen nicht möglich.

Wie der Name schon verrät, setzt man bei DaZ, in Anlehnung an praktische wie wissenschaftliche Erfahrungen des Bund-Länder-Programms FörMig (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, 2004 bis 2009) zum Verhältnis von Mutter- und Zweitspracherwerb, bewusst auf die Mehrsprachigkeit. Zuhause können die Schülerinnen und Schüler bedenkenlos weiter ihre Muttersprache pflegen. "Kennen Sie einen Deutschen, der im Ausland mit einen Landsmann nicht Deutsch spricht?" fragt Mirko Murk. Doch als Zweitsprache sollen die Kinder und Jugendlichen Deutsch lernen. Gerne würden die Netzwerkschulen noch stärker als bisher möglich auch die Muttersprachen fördern. "Doch dazu fehlt uns das entsprechende Personal", weiß Murk.

Das Sprachkonzept aber ist von Erfolg gekrönt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Intensivkurse fällt es später deutlich leichter, dem Regelunterricht zu folgen. Martina Scherf vertritt die Krusensternschule im Netzwerk. Sie hat festgestellt: "Nach erfolgreicher Teilnahme am Deutsch-Intensivkurs haben die Schülerinnen und Schüler viel mehr Mut, zu fragen, wenn sie etwas fachlich nicht verstanden haben. Und sie gehen viel selbstverständlicher auf deutsche Klassenkameraden zu."

Bessere Deutschkenntnisse erleichtern den Schülern auch die Integration in die Angebote der Ganztagsschule. Zumal sie auch am Nachmittag Sprachförderung durch Studierende der Universität Rostock erhalten, die hier Praktika im Rahmen ihrer Ausbildung ableisten.

Die große Mehrzahl der Eltern, deren Kindern die Teilnahme an einem Intensivkurs empfohlen wird, freut sich über diese Unterstützung und Vorbereitung auf den späteren Schulalltag. Doch es gibt auch Ausnahmen. "Wir erleben auch Eltern, die erstens glauben, ihr Kind benötige keine Sprachförderung, und zweitens Sorge vor einem Zeitverlust haben", berichtet Murk. Da könne man tatsächlich nichts machen. "Wenn diese Eltern eine Schule finden, die ihr Kind aufnimmt, haben wir keine Handhabe - schließlich haben wir die Schulwahlfreiheit", sagt der DaZ-Koordinator."

Die Motivation des Netzwerks "Ganztagsschule der Vielfalt", dem neben der Krusensternschule, der Gesamtschule Stavenhagen und der Migrantenselbstorganisation "Diên Hông - Gemeinsam unter einem Dach e.V." noch der Schulcampus Rostock-Evershagen und die Regionale Schule "Ernst Moritz-Arndt" in Greifswald angehören, geht jedoch über die Vermittlung von Deutschkenntnissen hinaus. Gemeinsam erarbeitet man zurzeit Arbeitsblätter und Textaufgaben für den Mathematikunterricht in der 5. Klasse, die "alle leichter verstehen". Weniger Fachsprache lautet die Devise. Dazu werden so genannte "Textaufgabenknacker" entwickelt. Ende 2012 sollen die Arbeitshefte vorliegen.

Einig sind sich die am Netzwerk Beteiligten über den großen Nutzen ihrer Kooperation. Gerald Tuschner vom Schulcampus Rostock-Evershagen bringt es auf den Punkt: "Ohne Netzwerk wären wir in einer Sackgasse und jeder einzelne von uns müsste grübeln, wie er als Lehrer den Deutschunterricht mit Migranten gestaltet. Das Netzwerk hat uns zudem die Bedeutung von durchgängiger Sprachbildung klar gemacht." Sein Kollege von der Gesamtschule Stavenhagen, Lutz Trautmann, ergänzt: "Wir profitieren von den Erfahrungen der anderen. Und manchmal ist es einfach nur gut zu hören, dass der andere vor den gleichen Herausforderungen steht."  Hervorzuheben ist nach Überzeugung der Netzwerker die Unterstützung durch die Fachberatungsstelle  Mecklenburg-Vorpommern "DaZ in der Schule" mit der Leiterin Dr. Margit Maronde-Heyl, die mit ihrem fachlichen Können zur sehr guten Netzwerkarbeit beitrage.

Martina Scherf spricht ihren Kollegen aus der Seele, wenn sie einräumt, dass vor der erfolgreichen Netzwerkarbeit das Ende des Konkurrenzdenkens unter Schulen stehen musste. "Das ist uns gelungen. Alle Schulen zeigen durchaus ihre unterschiedlichen Profile auf, doch eine Einordnung in gute oder weniger gute Schule gibt es nicht mehr", sagt sie. Gerald Tuschner ist überzeugt: "Der Kampf um Schüler ist vorbei. Die Überlegung steht im Mittelpunkt, welche Schule die richtige für ein Kind ist." Auch deshalb sind sie dem Ganztagsschulprogramm des Bundes und der Unterstützung der Serviceagentur des Landes Mecklenburg-Vorpommern dankbar. "Ohne beides wären wir nicht so weit", gestanden die Netzwerkvertreter bei ihrem Jahrestreffen in Güstrow. 

Kategorien: Service

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