Über die Kunst, eine Brücke zu bauen : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Kooperieren kann eine Kunst sein, doch eigentlich findet Kooperation immer statt. Der zweite Teil der Vorschau auf den 3. Ganztagsschulkongress beleuchtet den großen Stellenwert, den die Kooperation zwischen Schule und außerschulischen Partnern auf dem weiten Feld der Kultur einnimmt, aber auch beim Brückenbauen zwischen den Generationen.

Es bedarf vieler Hände, um nur eine Brücke zu bauen: die planende Hand des Architekten, den Sachverstand der Statiker, die Logistik der Bauunternehmungen, die ausführende Hand der Facharbeiter. Kurz: Es braucht ein multiprofessionelles Team, um ein einziges Projekt entstehen zu lassen.

Ein Kooperationsprojekt im Gewand der Kultur sticht schon am Vormittag des ersten Kongresstages hervor. Eine Tanzvorführung zum Thema "Klangkörper - Körperklang, die für ein paar Minuten Entspannung sorgt zwischen der Begrüßungsrede von Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr. Annette Schavan und der Podiumsdiskussion im Forum "Partner machen Schule".

Rund 1.200 frisch angereiste Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden bereits am Vormittag auf das Leitthema des 3. Ganztagsschulkongresses in Berlin eingestimmt. Sie erleben dort hautnah, wie Theoretiker und Praktiker in einer Diskussionsrunde ihr Erfahrungswissen darüber austauschen, unter welchen Bedingungen zwei fremde Welten zueinander finden. Also, wie Schule und außerschulische Partner das Fremdsein in Vertrauen verwandeln.

Ein multiprofessionelles Team bringt viele Perspektiven und viele Hände zusammen.


Ein Gespräch mit dem Anderen

Kooperation hat stets mit der Bereitschaft zu tun, Neuland zu betreten, mit dem Mut, Grenzen zu überschreiten: "Es geht dabei um das Gespräch mit einem ,Fremden', einem ,Anderen', der sich jenseits der institutionellen Grenze befindet. Hier beginnt im eigentlichen Sinn das interkulturelle Lernen. Interkulturelles Lernen als dialogisches Lernen bedeutet das ständige Arbeiten an dieser Grenze", meint Dr. Christian Alix vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung im November 2005 in einem Interview mit www.ganztagsschulen.org.

Lernen im Geist der Dialogbereitschaft ist eine Schlüsselkompetenz, die im ersten Forum des Kongresses am Beispiel wegweisender Projekte veranschaulicht werden soll: Vorgestellt werden das Filmprojekt "Alt trifft Jung" der Grundschule Hillesheim in Rheinland-Pfalz und das Kooperationsprojekt "Streicherklassen - musische Bildung für alle Kinder" der Christoph Martin Wieland Grundschule aus Thüringen.

Dass drei Staatssekretäre an diesem Forum teilnehmen, verdeutlicht die herausragende Rolle, die die Länder dem Konzept der Schulkooperationen entgegenbringen. Michael Ebling vom Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend des Landes Rheinland-Pfalz, Kjell Eberhardt vom Thüringer Kultusministerium und der nordrhein-westfälische Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff werden das Thema Schulkooperationen unter dem Gesichtspunkt der regionalen Rahmenbedingungen in Augenschein nehmen.

Alle Beteiligten des Forums erfahren ja zuvor den ästhetischen Genuss der Tanzperformance "Klangkörper" als "Körperklang", die im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen einem Gymnasium aus Bremerhaven und einer professionellen Tänzerin entstanden ist. Im Anschluss daran, fällt der amtierenden Schulleiterin Erika Carius von der Grundschule "Christoph Martin Wieland" mit Jenaplanprofil die Aufgabe zu, die Architektur einer Kooperation zu erläutern, die mit der Musik auch die Lernkultur an der Schule bereichert .

Durch die Einrichtung von Streicherklassen habe sich die "Schulstruktur gewandelt" und einer "breiten musischen Bildung" in der Schule Platz gemacht. Zur Untermalung des Abenteuers Musik an Ganztagsschulen zitiert Carius den Komponisten Hector Berlioz: "Die Musik allein wirkt gleichzeitig auf die Fantasie, auf das Gemüt, auf das Herz und die Sinne." Die Kinder  lieben das Klassenmusizieren. Es ist eine große Freude zu erleben, mit welcher Begeisterung sich Sechsjährige dem gemeinsamen Musizieren widmen. Neben der musikalischen Bildung  wie Gehörschulung. Entwicklung der Feinmotorik und der Koordinationsentwicklung leisten die Streicherklassen einen enormen Beitrag zur Entwicklung sozialer Kompetenz. Auf den Punkt gebracht besteht der pädagogische Ansatz der "Streicherklassen" darin: "Musik lernen, durch Musik machen", so Carius.

Die Rolle der Architektur oder wie 70 Instrumente einen Raum suchen

Die Idee zu den "Streicherklassen" wurde zunächst von einer Studentin im Rahmen eines Graduiertenstudiums entwickelt. Daraufhin wurde das Kooperationsprojekt im Jahre 2002 auf Initiative des Landesmusikrates ins Leben gerufen - also "von außen". Der Landesmusikrat Prof. E. Lange und der damalige Kultusminister Dr. Michael Krapp hätten dem Kooperationsprojekt im Jahr 2003 eine realisierbare Form gegeben. Die Musikschule "Ottmar Gerster" und  die Grundschule "C.M. Wieland" starteten in die thüringenweit, erste Kooperation zwischen einer Musikschule und einer Grundschule.Seit Herbst 2004 werden die "Streicherklassen" aus Mitteln des Ganztagsschulprogrammes gefördert. Es wurden 70 Streicherinstrumente angeschafft, und diese "70 Instrumente brauchen einen Raum", unterstreicht die Schulleiterin.

Die Musikinstrumente werden in der Jena-Plan-Schule Weimar aber nicht in den Nachmittag abgeschoben, sondern das Erlernen der Instrumente findet "in gebundener Umgebung am Vormittag statt", fügt Carius hinzu. Nun hat die Schule im ersten und zweiten Jahrgang zwei Streicherklassen mit je 25 Kindern. Ab der dritten Klasse sind die Kinder dann soweit, dass sie in einem Orchester spielen dürfen.

Architektur kann Pädagogik befördern

Die Begeisterung bei den Kindern, die an den "Streicherklassen" teilnehmen, ist riesig. Voller Elan und Neugierde suchen sie sich ihr Instrument schon in der ersten Klasse aus. In den Montagskreisen setzen sich 280 Kinder - das gehört zum Ritual der Jena-Plan-Schulen - zusammen, und Freitags zum Abschluss der Woche können sie ihre Lernfortschritte in der Gemeinschaft zur Probe stellen.

Erika Carius liegen Fragen zur Architektur besonders am Herzen: Ihr Interesse gilt auf dem 3. Ganztagsschulkongress in Berlin vornehmlich diesem Schwerpunkt: "Wir haben eine wunderbar sanierte Schule", so die Rektorin. Sie interessiere sich in Berlin für die Möglichkeiten, wie Räume in Kooperation mit Architekten, Pädagogen, den Kindern und den Eltern zusammen ausgestaltet werden können.

Eine Botschaft bringt sie auch mit nach Berlin: "Musikprojekte wie die Streicherklassen sollten Normalität werden.""In Bochum", ergänzt Carius, "hat jedes Grundschulkind die Möglichkeit ein Instrument zu erlernen: ein Traum!"

Nordrhein-Westfalen als Pionierland der Kulturförderung

In Nordrhein-Westfalen wird die Kunst, Grenzen zu überschreiten, im Augenblick groß geschrieben. Dies verdeutlichte jüngst die Veranstaltung "Schule und Kultur - kommunale Vernetzung von kultureller Bildung und Ganztagsschule", die am 7. September 2006 in Essen stattfand und vom Städtenetzwerk NRW sowie von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung veranstaltet wurde.

Raimund Bartella vom Deutschen Städtetag, Eva Krings von der Staatskanzlei NRW, Andreas Liebold als Moderator, Thomas Busch von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, Dr. Norbert Reichel vom Ministerium für Schule und Weiterbildung (v.l.n.r.) auf der Veranstaltung "Schule und Kultur" in der Zeche Carl, Essen.


Dass es vieler Hände bedarf, um Brücken zu bauen, unterstreicht auch das NRW Landesprogramm "Kultur und Schule", das die Kultur mit einem Sonderprogramm unterstützt. Zunächst werden1, 2 Mio. Euro im Jahr 2006 an Kooperationsprojekte an den Schulen in Nordrhein-Westfalen verteilt und in einer zweiten Phase dann 4,2 Mio. Euro zur Förderung der Kultur.



Im NRW-Programm ist zu lesen: "Das NRW Landesprogramm ,Kultur und Schule' wendet sich mit der Ausschreibung von Projekten an Künstlerinnen und Künstler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kulturinstituten und Einrichtungen der künstlerisch-kulturellen Bildung. Sie sind aufgefordert, komplementäre Elemente zum schulischen Lernen zu entwickeln und umzusetzen."



Projektvorschläge sollen über die Kommunen in Verbindung mit den jeweiligen Schulen eingereicht werden. Ganztagsschulen erfahren über das Förderprogramm eine besondere Unterstützung. Projekte an offenen Ganztagsschulen in NRW werden mit 1.200 Euro aus Mitteln des Landes gefördert und Projekte an den anderen Schulformen mit 2.000 Euro. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verpflichten sich zur Fortbildung durch ihre Teilnahme an vier jeweils eintägigen Seminaren.



Mit diesem Geld sollen - laut Eva Krings von der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei - mit Beginn des Schuljahres 2006/ 2007 ganze 707 Projekte mit rund 600 Künstlerinnen und Künstlern gefördert werden, die mit Schulen im ganzen Land kooperieren. Davon finden 454 dieser Projekte in offenen Ganztagsschulen in NRW statt.



Raimund Bartella vom Deutschen Städtetag beurteilte dieses Programm "uneingeschränkt positiv", es müsse aber verstetigt werden. Die kulturellen Angebote bekämen dadurch den "Charakter eines öffentlichen Schulangebotes": "Möglicherweise erleben wir hier einen Paradigmenwechsel", wenn die Schulen sukzessive ganztägig würden.

"Das ist richtige Handwerksarbeit"

Der Kulturexperte Dr. Wolfgang Zacharias sah in dem Programm zunächst einen "Schnellschuss", doch dann habe er erkannt, dass Kulturstaatsekretär Grosse-Brockhoff damit zugleich eine "riesige Chance" eröffne: "Das Projekt wird bundesweit ausstrahlen", so Zacharias.

Nur müssen die vielen Hände in NRW noch zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenzufinden: "Das ist richtige Handwerksarbeit, da fällt nichts vom Himmel", mahnt Zacharias. Die Komplexität, die in der Sache selber stecke, gehe über den Dienstalltag weit hinaus, schließlich müsse die formelle Bildung mit der informellen partnerschaftlich zusammenfinden - im Dialog, im gemeinsamen Lernprozess.

Winfried Kneip von der Yehudi-Menuhin-Stiftung Deutschland stellt das Projekt MUS-E in einem Workshop in der Zeche Carl, in Essen, vor.

"MUS-E" heißt der illustre Name für ein europaweit angelegtes Projekt der Yehudi-Menuhin-Stiftung Deutschland, das auf der Veranstaltung in Essen ebenfalls auf großes Interesse stieß. Dabei arbeiten Künstlerinnen und Künstler an den Schulen mit Kindern aus benachteiligten Stadtteilen an der Entfaltung ihrer Persönlichkeit.



Oder das Programm "Künstler schaffen Schulkultur - Ein Qualifizierungsprogramm für Künstler an Ganztagsschulen", das ebenfalls von der Yehudi-Menuhin-Stiftung angeboten wird, und mit dem gegenwärtig rund 400 Schulen gefördert werden - aus Mitteln übrigens, die Nordrhein-Westfalen der Stiftung zugute kommen ließ. Es qualifiziert Künstlerinnen und Künstler für die Schule. "Die Arbeit der Künstler wirkt ansteckend, weil sie begeistert", erläuterte Winfried Kneip, Geschäftsführer der Yehudi-Menuhin-Stiftung das pädagogische Konzept. Denn das, was die Künstlerinnen und Künstler mit den Kindern bewirkten, "ist selbst eine Kunst".

Brücken zwischen Jung und Alt

Ein jahrhundertealtes Projekt ist die Kunst, zwischen den Generationen Brücken zu bauen. Auf dieses Thema bezog sich jüngst auch der NRW-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff in einer Rede. Demnach sollte das Thema "Jugendarbeit in der Kultur" mit der "Seniorenarbeit in der Kultur" oder der Arbeit für und mit ,Üfus', der über 50jährigen also und mit dem Ehrenamt in der Kultur" stärker verbunden werden.

Wenn auf dem Podium in Berlin das bereits erwähnte Filmprojekt der Grundschule Hillesheim in Rheinland-Pfalz vorgestellt wird, gibt es also die Gelegenheit zum Austausch zwischen den Ländern und den Professionen und somit viele Anlässe zum Brückenbauen. Das Projekt in Hillesheim, das den dritten Platz beim 2. Bundeswettbewerb "Zeigt her eure Schule" gewann, ist das Werk von 16 Kindern, die sich mit den Bewohnerinnen und Bewohnern eines Altenstifts trafen und gemeinsam einen Film drehten.

Die Idee zu diesem generationenübergreifenden Videoprojekt hatten, wen wundert es, die Kinder selbst: Kinder, die ihren Nachmittag sowohl in der Videogruppe eines Medienpädagogen als auch in einer Arbeitsgruppe "Alt trifft Jung" einer Lehrerin verbrachten, und die den Einfall hatten, beide Projekte zu kombinieren. Das macht neugierig und Lust auf die Kunst, die Grenzen zu überschreiten.

 

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