Serviceagentur Niedersachsen: Als Team in die Fläche : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Als flächenmäßig größtes Land im Begleitprogramm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" erfordert Niedersachsen eine andere Struktur der Beratungsleistung als ein Stadtstaat. Die Serviceagentur "Ganztägig lernen" Niedersachsen stellt sich seit 2005 mit einer Dezentralisierung auf vier Standorte und eine intensive Netzwerkarbeit auf diese Situation ein und leistet eine wichtige Unterstützung der rasant gewachsenen Ganztagsschullandschaft in allen Teilen des Landes.
Das Telefon klingelt in Thomas Nachtweys Büro in der AKADEMIE Schule & Wirtschaft im Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft in Osnabrück. Der Leiter der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Niedersachsen führt ein Gespräch mit der Leiterin der Landjugend Hannover. Es geht um die Vereinbarung eines Beratungstermins. Nach Beendigung des Telefonats ist Nachtwey zufrieden und auch ein wenig stolz: "Die Dame sagte, dass sie den Namen Serviceagentur ideal findet - das ist ein schönes Kompliment für unsere Arbeit."
Denn für Thomas Nachtwey und sein Team ist es das passendste Lob, das sie sich nur wünschen können: "Für uns steht der Service im Vordergrund; wir arbeiten absolut nachfrageorientiert an den Bedürfnissen derjenigen, die sich an uns wenden", so der Agenturleiter.
Als primus inter pares leitet Nachtwey, der früher als Gymnasiallehrer gearbeitet hat, seit 2006 die Serviceagentur. Er koordiniert die Arbeit seiner drei Kolleginnen und Kollegen, kümmert sich um die Verwaltung und ist Ansprechpartner für Schulen und andere Interessierte in den Regionen Osnabrück, Emsland, Grafschaft Bentheim und Oldenburg - ein großes Gebiet. Kein Wunder, dass Nachtwey von seinem Auto als "zweitem Zuhause" spricht. Nicht alles lässt sich am Telefon regeln - die Präsenz vor Ort ist wichtig und fordert ihren Tribut.
"Spinnen im Netz"
Die Region Braunschweig wird von der Erziehungswissenschaftlerin Birgit Bleiel abgedeckt. Für den Raum Göttingen ist Susanne Hartwig-Siemon die Ansprechpartnerin. Torsten Daseking, Sozialwissenschaftler und Trainer der Erwachsenbildung und Schulleiterqualifizierung, ist für die Regionen Hannover und Lüneburg zuständig. "Wir sind ein Team, das gleichberechtigt arbeitet", betont Thomas Nachtwey, "und verstehen uns als Spinnen im Netz, bei denen alle Fäden zusammenlaufen und die mit großem Erfolg Vermittlungs- und Beratungsdienste leisten." Sicherlich sei auch die Tatsache nicht von Nachteil, dass alle Teammitglieder selbst Kinder haben und daher wüssten, "wo in Schulen der Schuh drückt".
Der dezentrale Aufbau der Serviceagentur ist durch die Größe Niedersachsens geboten: Dem flächenmäßig bisher größten Land im Begleitprogramm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" - Bayern nimmt erst ab kommendem Jahr an dem Programm teil - hätte eine Serviceagentur mit einem Mitarbeiter an einem festen Standort, wie dies in einem Stadtstaat denkbar ist, kaum gerecht werden können. Ein Grund, weshalb die AKADEMIE Schule und Wirtschaft 2005/2006 den Zuschlag für die Ansiedelung der Serviceagentur durch das Niedersächsische Kultusministerium und durch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) als Trägerin des Begleitprogramms erhielt, war deshalb ihre bereits vorhandene Verankerung in den Regionen.
Die AKADEMIE ist 2004 unter diesen Namen nach einigen Vorläuferorganisationen unter dem Dach des Bildungswerks der Niedersächsischen Wirtschaft gegründet worden. Das Bildungswerk ist eine 40 Jahre alte Qualifizierungseinrichtung der niedersächsischen Unternehmen mit heute rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an etwa 100 Standorten. Die AKADEMIE selbst beschäftigt etwa 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist im Schulmanagement, der Schulberatung und der Schulleiterbegleitfortbildung tätig. "Das Kultusministerium wollte diese Qualität eines externen Partners nutzen", erinnert sich Nachtwey an die Gründungszeit der Serviceagentur.
In der Fläche präventiv arbeiten
Natürlich ist die Berufsorientierung ein Bereich, in welchem die Serviceagentur mit diesem Hintergrund besonders gut beratend tätig sein kann. Aber die Akademie und damit auch die Serviceagentur leisten auch einen Beitrag zum Niko-Programm (Niedersächsisches Kooperations- und Bildungsprojekt), das lokale Projekte fördert, um die Entwicklungsmöglichkeiten von besonders gefährdeten jungen Menschen in sozialen Brennpunkten zu verbessern. Dies geschieht durch Bildungs- und Gesundheitsförderung, Unterstützung von Erziehungspartnerschaften und gesellschaftliche Integration. Dabei sollen Schule, Jugendhilfe und Familien zusammen arbeiten. Die sozialpädagogischen Fachkräfte der AKADEMIE betreuen und entwickeln zwei Projekte im Landkreis Osnabrück.
"Die Wirtschaft ist gut beraten, in die Schulsozialarbeit und die Berufsorientierung an den Schulen zu investieren und präventiv zu arbeiten", sieht Thomas Nachtwey die Unternehmen in der Verantwortung. Als Schnittstelle zwischen den Schulen und der Wirtschaft stellen AKADEMIE wie Serviceagentur hier die Kontakte her, um entsprechende Projekte in den Schulen zu verwirklichen. Da Thomas Nachtwey auch in der Jugendarbeit tätig war, ist ihm dies auch ein persönliches Anliegen. Neben der Berufsorientierung und der Gesundheitsbildung sind kulturelle Bildung und die Prävention gegen Medienverwahrlosung weitere Arbeitsschwerpunkte der Serviceagentur.
Als die Serviceagentur 2005 startete, gab es rund 460 Ganztagsschulen in Niedersachsen. Die genehmigte Vollzeitstelle war lediglich ein "Tropfen auf dem heißen Stein", wie sich Nachtwey erinnert. "Wir wollten in der Fläche präsent sein, also teilten wir die Stelle auf die damals vier Kolleginnen und Kollegen und mich auf." Gesetzt waren neben Nachtwey die vier Bildungsreferentinnen und -referenten der AKADEMIE in den Regionen, die ohnehin schon in den Schulen präsent und bekannt waren.
Ganztagsschulthema wurde überlagert
Bedingt durch das knappe Zeitbudget erledigten die fünf Serviceagenturmitarbeiterinnen und -mitarbeiter viele Anfragen telefonisch und per e-mail, und Außentermine mussten möglichst so gelegt sein, dass sie sich mit anderen Terminen verknüpfen ließen und nicht zu viel Zeit für die Anfahrten verloren ging. Ohne Überstunden war und ist das Engagement und das laut Nachtwey "hohe Investment, das wir betrieben haben", gar nicht leistbar. Doch klagen möchte der Serviceagenturleiter nicht: "Mir macht die Arbeit absolut Spaß, es ist eine der schönsten Tätigkeiten, die ich mir vorstellen kann. Man kann Freiräume nutzen, gestaltend tätig sein und einen kleinen Beitrag zur Schulentwicklung leisten."
Doch mit "fünf Leuten auf einer Stelle funktionierte es nicht", wie sich Thomas Nachtwey erinnert. Auch auf Wunsch der DKJS wurde daraufhin eine Umstrukturierung vorgenommen und die Stelle auf 60 Wochenstunden erhöht. Nachtwey übernahm zusätzlich die Beratungstätigkeit in einer Region, so dass inzwischen das oben erwähnte Quartett die Arbeit erledigt. Inzwischen ist die Zahl der Ganztagsschulen allerdings auf 665 hochgeschnellt, und im kommenden Schuljahr 2009/2010 werden 220 weitere dazu kommen.
Das Team der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Niedersachsen (v.l.n.r.): Thomas Nachtwey, Susanne Hartwig-Siemon, Torsten Daseking und Birgit Bleiel
Aber auch hinsichtlich ihres Angebots musste die Agentur Veränderungen vornehmen, denn zu Beginn der Tätigkeit fand sie mit ihren Fortbildungsangeboten wenig Resonanz. "Die Einführung der Ganztagsschulen fiel zeitlich zusammen mit der Einführung der Eigenverantwortlichen Schulen und den Schulinspektionen", berichtet Thomas Nachtwey. "Das Thema Ganztagsschule wurde von den beiden anderen überlagert."
Fachtagungen und Gesprächskreise
Von themenspezifischen Fortbildungen ging die Serviceagentur auf Fachtagungen mit einem breiteren Themenangebot über - ein Schritt, der sich im Laufe des Jahres 2007 bezahlt machte, als nach verhaltenem Beginn Tagungen von bis zu 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht wurden. Im Jahr 2007 nahmen etwa 250 Schulen mit rund 800 Lehrkräften an den Veranstaltungen teil. Seitdem hat die Serviceagentur rund 30 Fachtagungen organisiert und mit ihren Angeboten - also auch den Netzwerken - inzwischen 50 Prozent aller Ganztagsschulen erreicht. Die vier Regionen setzen dabei auch ihre eigenen Schwerpunkte: Birgit Bleiel konzentriert sich mit ihren Angeboten beispielsweise eher auf den Primarbereich, während Torsten Daseking den Haupt- und Realschulbereich fokussiert.
"Wir klären die Bedürfnisse der Schulen ab und richten danach unsere Angebote aus", schildert Thomas Nachtwey das Erfolgsrezept. "Wir halten engen Kontakt zu den Schulen. Ich denke, dass zum Beispiel kein Schulleiter im Landkreis Osnabrück mich nicht kennt. Jeder hatte schon einmal etwas mit der Serviceagentur zu tun." Auf Anfragen hin helfe man, wo man selbst könne, vermittele aber auch Experten: "Dabei genieße ich es auch, länderübergreifend aus dem Experten-Pool der Serviceagenturen und der Werkstätten im Begleitprogramm schöpfen zu können. Und die Schulen schätzen die von uns eingebrachte Expertise." Besonders die Diplom-Psychologin Oggi Enderlein aus der Werkstatt "Schule wird Lebenswelt" habe die Pädagoginnen und Pädagogen mit ihren Veranstaltungen begeistert und werde immer wieder nachgefragt.
Die Netzwerkarbeit der Serviceagentur findet in der Organisation von Gesprächskreisen ihren Niederschlag. 25 bis 30 Schulleitungen und Lehrkräfte nehmen an diesen jeweils in einer Ganztagsschule stattfindenden, regelmäßigen Treffen teil: Hier stellt sich die Gastgeberschule vor, und es wird ein etwa zweistündiger Vortrag zu einem bestimmten Thema gehalten. Aus diesen Veranstaltungen ergeben sich Anfragen zu speziellen Themen wie Teamentwicklung, die Entwicklung eines Schulprofils oder Schulentwicklung einer Ganztagsschule allgemein. Der größte aktuelle Beratungsbedarf niedersächsischer Ganztagsschulen besteht laut Nachtwey bei den Themen Rhythmisierung und Individuelle Förderung. Zu diesen besonders nachgefragten Themen verfasst die Serviceagentur digitale Schriften, die auf der Internet-Seite abrufbar sind.
Neue Dynamik und Bewusstseinswandel
"Zu Beginn unserer Arbeit standen organisatorische Fragen im Vordergrund, jetzt geht es eher um inhaltliche Aspekte", beschreibt der Leiter der Serviceagentur die Veränderung im Laufe der letzten drei Jahre. Auch die Kooperation mit der Jugendarbeit gewinne an Bedeutung. "Ein Schulträger überlegt derzeit, sein Jugendzentrum zu schließen und direkt an der Schule neu zu bauen", gibt Nachtwey ein Beispiel für die Dynamik in diesen Prozessen. Auch dass ein Vater, der in die Gegend Holzminden ziehen möchte, neulich anfragte, ob es dort eine Ganztagsschule gebe, zeige, dass Ganztagsschulen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch im gesellschaftlichen Bewusstsein an Bedeutung zugenommen hätten.
Thomas Nachtwey hält die Wahlmöglichkeit zwischen offenen und gebundenen Ganztagsschulen für sinnvoll. Helmut Temming, der ehemalige Ganztagsschulreferent im Kultusministerium, habe mit seiner Einschätzung, dass eine Ganztagsschullandschaft "nicht par ordre de mufti verordnet werden kann", Recht gehabt: "So etwas muss hochwachsen. Es ist gut, wie es sich in Niedersachsen entwickelt hat und dass die Ganztagsschulen heute mit vielen Kooperationspartnern zusammen arbeiten, um die Lebenswelt in die Schulen zu holen - wenn es auch auf dem Land manchmal schwierig ist, verlässliche Partner zu finden."
Intensiver Austausch und gegenseitige Wertschätzung
Stünden der Serviceagentur noch mehr Zeit und Arbeitskräfte zur Verfügung, dann würde Thomas Nachtwey gerne eine intensivere Begleitung und Beratung einzelner Schulen leisten, sich noch mehr um das Feld Unterrichtsentwicklung kümmern und der Vernetzung von Ganztagsschulen und Jugendarbeit einen stärkeren Schub verleihen. "Wir versuchen das alles schon, können aber nur auf Anfrage tätig werden. Wir haben nicht die Kapazitäten, konzeptionell zu arbeiten und von uns aus Angebote zu machen."
Durch die Evaluation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Veranstaltungen bleibe man in Kontakt mit den Bedürfnissen der Ganztagsschulen und könne sich auch flexibel auf neue Trends und Themen orientieren. Zudem steht die Agentur in einem intensiven Austausch mit Frank Hämke, dem zuständigen Referenten im Kultusministerium, der alle zwei bis drei Monate auch auf den internen Besprechungen der Serviceagentur anwesend ist.
"Die gegenseitige Wertschätzung ist wichtig", findet Thomas Nachtwey im Bezug auf die Kooperation von Ganztagsschulen und außerschulischen Partnern. Aber auch bezüglich der Arbeit seines Teams freut er sich, die Zufriedenheit der Schulen zu spüren, wenn sie die Angebote und Einladungen der Serviceagentur erneut wahrnehmen.
Kategorien: Service
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