Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hamburg: Ganztagsschule als Chance für Schulentwicklung : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Die Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hamburg ist seit 2005 in der Agentur für Schulbegleitung im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung angesiedelt. Hier sind viel Wissen und Expertise für die Ganztagsschulen vorhanden. Aber die Agentur stellt auch Ansprüche an die Schulen, die sich beraten lassen wollen: Die Ganztagsschule soll als Chance begriffen werden, Schulentwicklung und Qualitätsentwicklung voranzutreiben.
Der erste Blick in das Büro der Agentur für Schulbegleitung im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg macht klar: Hier arbeitet ein Team. Locker im Raum verteilte Schreibtische lassen keine Hierarchie erkennen, die Anrede über die Tische hinweg signalisieren den kleinstmöglichen Dienstweg ebenso wie eine lockere Arbeitsatmosphäre.
Dass die Deutsche Kinder und Jugendstiftung und die Schulbehörde in Gestalt des damaligen Ganztagsschulreferenten Ulrich Rother sich im September 2005 entschieden, die Aufgaben der Serviceagentur "Ganztägig lernen" in der Hansestadt hier anzusiedeln, war nur folgerichtig. Als Agentur für Schulbegleitung bestanden seit 1996 ohnehin bereits zahlreiche Kontakte zu den Schulen, Behörden und Institutionen. So war es auch keine Schwierigkeit, den Ganztagsschulen das neue Beratungsangebot zu kommunizieren - die Kanäle waren vorhanden.
Ansprechpartner der Servieagentur wurde Björn Steffen. Der Lehrer für das Lehramt an der Grund- und Mittelstufe war an seiner damaligen Schule, die sich zur Ganztagsschule wandelte, Leiter der Arbeitsgruppe Ganztagsschule und verfügte damit bereits über den nötigen "Stallgeruch" und Kenntnisse. Steffen erinnert sich, dass damals eine Frage bezüglich der Qualifikation für diese Aufgabe auch lautete: "Hast Du Lust zu reisen?" Der Ansprechpartner für Ganztagsschulen sollte nicht nur hinter seinem Schreibtisch sitzen, sondern den direkten Kontakt zu den Schulen suchen und im Rahmen des Begleitprogramms "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" auch den Austausch über die Stadtgrenzen hinaus mit den anderen Serviceagenturen pflegen.
"Wir haben das Floß gebaut, während wir darauf fuhren"
Eine Stelle wurde im ersten Kooperationsvertrag für die Serviceagentur eingeräumt, wobei diese nicht mit der Person Steffens deckungsgleich war: "Ich habe diese Position zum Schwerpunkt meiner Arbeit gemacht, hatte aber auch noch andere Aufgaben am Landesinstitut zu erledigen. So arbeitete immer das ganze Team mit."
Blick in das Büro der Agentur für Schulbegleitung
Das Team besteht heute aus Angela Kling, der Leiterin der Agentur für Schulbegleitung, Philipp Scholz, Eckhard Spethmann, Dagmar Agsten und Uschi Usemann. Inzwischen stehen für die Serviceagenturarbeit 2,5 Stellen zur Verfügung. Zusammen mit zwei Verwaltungskräften nehmen diese in ihrem Großraumbüro die Anfragen entgegen. "Ich bin froh, in diesen Strukturen zu arbeiten", meint Björn Steffen. "Säße ich irgendwo abgekoppelt als Einzelkämpfer und bekäme aus Berlin von der DKJS die Anweisung, zum Beispiel etwas zum Thema Qualitätsentwicklung des Unterrichts zu machen, wüsste ich vielleicht gar nicht, wie ich daran gehen sollte. So aber kann ich hier aus einem bereits vorhandenen reichen Fundus an Wissen und Expertise schöpfen."
Direkt nach der Auftaktveranstaltung der Serviceagentur am 18. Januar 2006 gab es viel zu tun, denn nach der Pensionierung von Ulrich Rother wurde dessen Stelle als Ganztagsschulreferent der Schulbehörde nicht neu besetzt, sodass viele Aufgaben und Anfragen aus diesem seinem Bereich in der Serviceagentur landeten. Gleichzeitig musste der Vertrag über die Serviceagentur in den Alltag übersetzt werden, es gab viel zu planen und zu klären. "Wir haben das Floß gebaut, während wir darauf fuhren", erklärt der Serviceagenturmitarbeiter.
Viele Anfragen von Anfang an
Denn während man das Instrumentarium aus der Arbeit der Agentur für Schulberatung - das Beantworten von Einzelanfragen, das Bilden von Netzwerken, das Vermitteln von Referenten und Fortbildungen - noch auf die Kompatibilität mit dem Vertrag mit der DKJS abklopfte, kamen bereits die Anfragen aus den Ganztagsschulen mit ihren ganz konkreten Problemen vor Ort, aus Verbänden, aus Vereinen, aus der Jugendhilfe und aus der Behörde.
Björn Steffen, Ansprechpartner der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hamburg
"Wir haben das Feld sondiert", beschreibt Angela Kling diese Phase. "Das Stichwort hieß ja 'Ganztägig lernen' - die Bildung in Ganztagsschulen betraf mehr als nur die Ganztagsschulen selbst. Wir schrieben also nicht nur die Ganztagsschulen, sondern auch die uns bekannten 70 externen Anbieter an, die sich mit unterschiedlichen Themen in den Schulen engagieren. Es war wichtig, dass auch sie über unsere neuen Aufgaben und Möglichkeiten informiert waren. Derweil kamen die Anfragen. Und es wurden immer mehr."
Die Ganztagsschulentwicklung in Hamburg verlief rasant, quantitativ wie qualitativ. 2005 wurden 35 Schulen in Ganztagsschulen umgewandelt. Dort waren zwar Konzepte vorhanden, aber nach einem halben oder einem Jahr hatten diese Schulen bei der Umsetzung dieses Konzepts mit Problemen zu kämpfen und suchten die Unterstützung der Agentur. Zugleich kamen die Hilferufe aus einigen der ganztägig arbeitenden G8-Gymnasien, an denen massive Konflikte zwischen Kollegien und Schulleitung entstanden, weil mit der Tagesverlängerung keine Unterrichtsentwicklung einhergegangen war.
Prozesse benötigen Zeit
"'Wir schaffen das gar nicht mehr! Es muss sich etwas ändern', klagten uns Lehrerinnen und Lehrer", erinnert sich Angela Kling. Diese Schulen habe man kontinuierlich über einen längeren Zeitraum darin unterstützt, über neue Lehr- und Lernformen, über Rhythmisierung und ein neues Leitbild nachzudenken. "Diese Prozesse benötigen Zeit", zeigt sich sie sich überzeugt. "In den vergangenen Jahren ist viel angestoßen worden, und inzwischen gibt es sehr erfolgreich arbeitende Ganztagsschulen hier in Hamburg."
Die Themen Leitbild und Ganztagsschule gehören für Björn Steffen unbedingt zusammen: "Eine Schule, die Ganztagsschule werden will, muss sämtliche Aspekte in den Bezug zur Ganztagsschule stellen. Wenn einer Schule noch nicht klar ist, dass ganztägiges Lernen die ganze Schule betrifft, unterstützen wir sie in den sicher noch ausstehenden Auseinandersetzungen und Klärungsprozessen." Die Ganztagsschule dürfe nicht als Appendix missverstanden werden. Man unterstütze die Schulen aber gerne, wenn sie die zusätzlichen Ressourcen für eine umfassende Schulentwicklung nutzten.
Eine weitere Bedingung für die Unterstützungsleistung durch die Serviceagentur ist, dass die Anfrage durch die Schulleitung erfolgt. "Wir gehen davon aus, dass die Leitung mit ihrer Anfrage ein Signal in ihre Schule gibt", erläutert Angela Kling. Ist ein Anliegen im Vorgespräch spezifiziert worden, schickt die Serviceagentur Referenten in die Schulen, um mit dem Kollegium zu arbeiten. "Die Arbeit an der inneren Haltung zu den Kindern und am beruflichen Selbstverständnis ist ein zentraler Punkt", meint die Agenturleiterin. Zwar höben oft alle Lehrerinnen und Lehrer die Hand beim Antrag, Ganztagsschule zu werden. Werde dann aber deutlich, dass dies mit einer Anwesenheit in der Schule bis 16 Uhr und einem Arbeitsplatz in der Schule verbunden sei, begönnen die Widerstände.
Schulen müssen klären, warum sie Ganztagsschule werden wollen
Durch das neue Führungskräfteauswahlverfahren für Hamburger Schulleitungen kämen gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen ans Ruder der Ganztagsschulen, die den Gedanken der ganzheitlichen Schulentwicklung verinnerlicht haben - "worin wir sie auch ausdrücklich unterstützen", wie Björn Steffen meint. Und man unterstützt manche Schulen auch bereits in der Phase vor der Antragstellung, in der geklärt wird, aus welcher Motivation heraus die Schule Ganztagsschule werden will - und ob überhaupt alle Beteiligten es wirklich möchten. "Es geht der Antragstellung immer ein Diskussionsprozess voraus", zeigt sich Angela Kling überzeugt, "es gibt keine Schnellschüsse." Manche Schulen hätten sich nach ausführlicher Diskussion auch durchaus schon gegen die Einführung entschieden.
Angela Kling, Leiterin der Agentur für Schulbegleitung
Zu Beginn unterstützte man die Ganztagsschulen noch mit vielen Einzelangeboten: Referenten kamen für je drei Stunden zu Themen wie "Farbgestaltung" oder "Umgestaltung des Nachmittags" oder für einen Fortbildungstag zum Thema "Einrichten von Arbeitsgemeinschaften" in die Schulen. "Das war alles relativ unverbunden und hat uns nicht befriedigt", erinnert sich Angela Kling. "Die Entwicklungen an den Schulen wurden immer komplexer, und manche Lehrerinnen und Lehrer wussten nicht mal - pointiert gesagt - dass ihre Schule überhaupt Ganztagsschule ist." Das führte zum Umdenken in der Serviceagentur: Weg von den punktuellen Angeboten hin zu einem umfassenderen Arbeiten mit den Schulen.
Die Entwicklung zur Ganztagsschule birgt Angela Kling zufolge ein "enormes Konfliktpotenzial". Kommen dann Anfragen zur Konfliktmoderation aus den Schulen, sendet die Serviceagentur Mediatoren in die Schulen, um diese Probleme zu lösen, die laut der Leiterin der Agentur für Schulbegleitung nur folgerichtig sind: "Es müssen sich Haltungen verändern, es kommt Bewegung in die Schulen - das ist einfach ein problematischer Prozess. Und dafür benötigen die Schulen Unterstützung."
Ein großer Teil der Anfragen aus den Ganztagsschulen betrifft das Thema Rhythmisierung. "Eine typische Anfrage einer Schulleitung lautet da zum Beispiel: ,Sollen wir nach der 4. oder 5. Stunde die Mittagspause legen?' Ein Teil des Kollegiums meint das, ein anderer Teil jenes, und die Eltern haben wiederum ganz andere Vorstellungen", berichtet Steffen. "Wir laden dann ein, eine solche Frage als Ausgangspunkt für die Überlegung zu nutzen, welche Rhythmisierung zu dieser Schule passt. Dazu muss die Schule klären, weshalb sie überhaupt Ganztagsschule sein will. Bei der Klärung dieser Fragen kann eine externe Begleitung sinnvoll sein. Aber letztlich beantworten nicht wir diese Fragen, sondern die Betroffenen selber."
Die Konsequenz, welche die Serviceagentur bei ihrer Arbeit mit den Schulen an den Tag legt, geht einher mit dem Rückzug der offenen Form der Ganztagsschulen in der Hansestadt - "aus sich heraus", wie Angela Kling betont. "In den Schulen wird erkannt, dass man eine richtige Ganztagsschule nur in gebundener Form realisieren kann und ist unzufrieden mit der Additum-Lösung." In dieser Frage sei man froh, dass die Schulbehörde ebenfalls die gebundenen Ganztagsschulen präferiere.
Netzwerk der Ganztagsschulkoordinatoren gegründet
Die individuelle Förderung ist ein weiterer Aspekt, der laut Björn Steffen "reichlich" aus den Ganztagsschulen nachgefragt wird. Wie können Ganztagsschulen den Nachmittag nutzen, um Schülerinnen und Schüler noch besser zu unterstützen? Förderkurse, Hausaufgabenbetreuung und Sprachförderung sind Elemente, um hier anzusetzen. "Die Ganztagsschulen merken, dass sie die Zeit und die Räume haben, den Schulalltag zu entzerren und stärker auf das einzelne Kind einzugehen", erläutert Angela Kling.
Enorm beschäftigt die Serviceagentur derzeit der Qualifizierungsaspekt an den Ganztagsschulen: Welche Kompetenzen benötigen das Personal und die pädagogischen Partner, um gemeinsam den Unterricht auf die gestellten Ziele zu konzipieren? "Hier stehen wir noch am Anfang", räumt Angela Kling ein, "aber für uns ist diese Qualifizierung das Herz der Entwicklung." Die Serviceagentur unterstützt die Ganztagsschulen mit Materialien wie dem Schulportfolio, in denen Hinweise zur Planung einer systematischen Fortbildung gegeben werden.
Auf einem anderen Feld - "der mittleren Managementebene", wie Björn Steffen es nennt - ist die Serviceagentur schon weiter. Die Tagung "Ganztagsschule leistet mehr" der Serviceagentur am 7. Juni 2007 sah die Geburtsstunde des Netzwerks der Ganztagsschulkoordinatoren. Der Lehrer einer Hamburger Gesamtschule brachte dort als Thema ein, eine feste Austauschmöglichkeit der Koordinatoren zu etablieren, um sich gegenseitig schulübergreifend zu unterstützen. Das betraf Fragestellungen wie Honorarkräfteeinsatz, Pausengestaltung, Rhythmisierung und auch die eigene Rollendefinition.
"Zu diesen Themen hat das Netzwerk gearbeitet und arbeitet immer noch", zeigt sich Björn Steffen begeistert. "Inzwischen besteht es aus 16 Mitgliedern aus 16 Ganztagsschulen aller Schulformen, die sich regelmäßig treffen und diskutieren. Wir unterstützen diesen Kreis unter anderem in der Beschreibung ihres Arbeitsplatzes, damit sie schulintern ihre Rollen stärken können."
"Schulen sind froh, ihr Wissen weiterzugeben"
Als Serviceagentur erhebe man nicht den Anspruch, alles zu wissen und beispielsweise Fragen zur Raumgestaltung abschließend zu beantworten. "Aber wir sind ohne großen Aufwand in der Lage, drei bis fünf Schulen benennen zu können, von denen wir wissen, dass dort Leute tätig sind, die wissen, wie man einen guten Raum gestaltet und auch bereit sind, dieses Wissen zu teilen. In der Regel sind solche Schulen sogar dankbar und froh, ihr Wissen weitergeben zu können", erklärt Björn Steffen, der seine Agentur hier in der Rolle eines Vernetzenden sieht.
Sendet die Agentur Referentinnen und Referenten dann zu bestimmten Themen in die Schule, überprüft man im Anschluss mit Hilfe eines Feedback-Systems, ob die Schulen mit der Fortbildung zufrieden gewesen und die formulierten Ziele erreicht worden sind. Angela Kling meint dazu: "Das ist für uns ein ganz wichtiger Schritt gewesen - nicht nur um zu sehen, was funktioniert und was nicht, sondern auch, weil es die Schulen noch mal enger an uns gebunden hat. Es macht deutlich, dass es nicht um Einzelmaßnahmen geht, sondern um einen Prozess, der manchmal über zwei bis drei Jahre dauern kann."
Im Jahr 2008 legte die Serviceagentur den Schwerpunkt auf die Verbesserung der Beteiligung von Eltern mit Migrationshintergrund und startete die Reihe "Mit uns. Für mehr.". Auf vier Veranstaltungen konnten sich aus Afghanistan, aus Russland und der Türkei stammende Eltern über die Mitwirkungsmöglichkeiten an Schulen informieren und austauschen.
Die Arbeit wird der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hamburg nicht ausgehen. In den kommenden drei Jahren werden 50 weitere Ganztagsschulen eingerichtet. Auch die in Hamburg stattfindende Schulreform und die Mitarbeit in bundesländerübergreifenden Netzwerken im Rahmen des Begleitprogramms "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" wie dem Thematischen Netzwerk "Schulentwicklung" beansprucht die Serviceagentur. Dennoch wünschen sich Angela Kling, Björn Steffen und ihre Kolleginnen und Kollegen noch die Puste, ein weiteres Stück über den Tellerrand blicken zu können: "Es wäre schön, wenn wir uns auch im Ausland umsehen könnten und dort unter anderem gute Beispiele für Vernetzung wahrnehmen könnten."
Kategorien: Service
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