"Klappe, die Zweite!" gestartet : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

"Wie denke ich Vielfalt?" Auf dem ersten bundesweiten Netzwerktreffen des Themenateliers "Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen. Klappe, die Zweite!", das am 22. und 23. Februar 2008 in Berlin stattfand, wurden Grundlagen für die Vernetzung der Schulen und außerschulischen Partner gelegt. 14 Schulen aus fünf Ländern machten sich auf den Weg, um die Vielfalt ihrer künstlerischen Projekte vorzustellen und sie in ein gemeinsames Gesamtkunstwerk münden zu lassen. Das Neue schlägt seine Funken gerade dort, wo man es am wenigsten erwartet.

"Klappe auf!" hieß es für 14 Schulen (Grund-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien) aus den Ländern Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie ihre außerschulischen Partner. Auf dem ersten bundesweiten Netzwerktreffen, das am 22. und 23. Februar 2008 in Berlin-Prenzlauer Berg stattfand, kam es auch darauf an, Schnittstellen theoretisch und praktisch zu erschließen. Rund 120 Lehrkräfte, regionale Prozessbegleiter, Medienpädagogen, Wissenschaftler sowie Schülerinnen und Schüler bildeten den Teilnehmerkreis des bundesweiten Netzwerktreffens.

Klappe, die Zweite!

Neben den vor Ort durchgeführten Kooperationsprojekten ist es ein Ziel des Themenateliers, einen gemeinsamen Film herzustellen, der die Einzelprojekte der 14 Schulen aus fünf Ländern zusammenführt: "Es ist euer gemeinsames Projekt, das eure Arbeit auf Bundesebene spiegelt", erläuterte Linda Barutzki, die zusammen mit Ephraim Broschkowski die künstlerische Gesamtleitung für diesen Film wahrnimmt. Die gesamte Projektleitung liegt übrigens bei Thomas Busch von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Er sorgt dafür, dass im Themenatelier "Klappe, die Zweite!" neben der pädagogischen Qualität ästhetische Leitbilder, personelle und organisatorische Aspekte, Prozessqualität, Qualifizierung und Wirkung und Transfer gewährleistet werden.

14 Schulen und ihre außerschulischen Partner aus den Flächenländern Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt nehmen an dem Themenatelier "Klappe, die Zweite!" teil. 

Jedes Bundesland verfügt über regionale Prozessbegleiter vor Ort. Sie stellten sich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor: Christian Kammler (Hessen), Eike Schulze (Mecklenburg-Vorpommern), Heinz Grünberg (Niedersachsen), Harriet Völker (Sachsen-Anhalt) und Ulrike Kohlmeier (Nordrhein-Westfalen).

Ihre Aufgabe besteht ferner darin, mit den regionalen Serviceagenturen "Ganztägig lernen" zusammenzuarbeiten, um so den Zusammenhang von "Klappe, die Zweite" mit dem Begleitprogramm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen." herzustellen. Die Schnittstellen der Vielfalt, an denen die Film- und Medienprojekte in den fünf Ländern arbeiten, sind beinahe so zahlreich wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst. Dazu eine Länderübersicht:

Hessen: "Unser Leben ist bunt": Diesem Motto folgt in Marburg eine Kooperation zwischen der Theodor-Heuss-Schule und der ABRAXAS Medienwerkstatt. Mit Porträts und Interviews erschließen die Erich-Kästner-Schule Baunatal und der Offene Kanal Kassel das Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in einer Dokumentation. In Frankfurt am Main geht eine Filmwerkstatt zwischen der Friedrich-Stoltze-Hauptschule und dem Künstler Michel Klöfkorn an den Start, die Filmproduktionen über kulturelle Vielfalt anregen soll.

Mecklenburg-Vorpommern: Die "künstlerische und kulturelle Vielfalt in unserer Lebenswelt" möchte die Integrierte Gesamtschule Grünthal mit dem Tanzchoreografen Stefan Hahn von Performdance e.V. erschließen. Eine Einführung der Schülerinnen und Schüler in Tanz wird durch zwei Kurzfilme begleitet, die die kulturellen Begegnungen in Stralsund dokumentieren.

Aussiedlerfamilien aus Russland und deutsche Jugendliche stehen im Mittelpunkt der Zusammenarbeit zwischen der Regionalen Schule "Prof. Dr. Friedrich Heincke" in Hagenow und dem Schweriner Künstler Mirko Schütze. Ein gemeinsames Filmprojekt soll die Annäherung dokumentieren. Den Spuren des Malers Caspar David Friedrich folgen die Regionale Schule "Martin Andersen Nexö am Ryck" und die Jugendkunstschule Greifswald. Die Schülerinnen und Schüler inszenieren Szenen aus dem Leben des Malers und geben parallel dazu Einblick in die Lebenswelt von Schülern aus Serbien und dem Kosovo.

Niedersachsen: Die gemeinsame Produktion eines Films über Migration und die Teilhabe durch kulturelle Bildung in Hannover sowie in den Stadtteilen steht im Vordergrund der Zusammenarbeit zwischen der Hauptschule Badenstedt und TV Plus GmbH. In Osnabrück soll zwischen der Käthe-Kollwitz-Schule und der Werk-Statt Medienhaus Osnabrück e.V. ein "interkulturelles Wörterbuch" im Internet erstellt werden.

Künstlerische Einlage durch Kinder der Gotzkowsky-Grundschule Berlin-Moabit: "Die phantastische Eisenbahnreise" 

Sachsen-Anhalt: Tanzen als Vehikel für jung und alt: die Ganztagsschule "Gottfried Ephraim Lessing", die Tanzschule Müller und der Offene Kanal Salzwedel möchten mit Schülerinnen und Schülern der fünften und sechsten Klasse nicht nur die Eltern in das Tanzprojekt einbinden, sondern auch das Mehrgenerationenhaus.

Die Themen Kultur und Sport verstehen die Sekundarschule Friedrichstadt und der Offene Kanal Lutherstadt Wittenberg als Meilensteine bzw. Motoren der Integration. Filmische Reportagen dokumentieren die Bindekraft, die Kultur und Sport für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie aus sozial schwachen Familien entfalten. In Dessau kooperiert die Sekundarschule "An der Stadtmauer" mit einem Museum um das Multikulturellen Zentrum der Stadt zum Thema multikultureller Garten und Auenlandschaft als typische Landschaftsform der Region.

Nordrhein-Westfalen: In Düsseldorf erschließen sich zwölf Schülerinnen und Schüler der Städtischen Freiherr-vom-Stein-Realschule in Zusammenarbeit mit dem Künstlerduo Evelyn Arndt und Ertan Erdogan kulturelle Instanzen und Highlights ihrer Stadt. Sie besuchen das Düsseldorfer Theater oder nehmen an einem Filmworkshop teil. Sie fertigen fotografische und filmische Porträts an und reflektieren über kulturelle Identität.

Geschlechterrollen und Liebesbeziehungen stehen im Fokus der Kooperation zwischen dem Ganztagsgymnasium Johannes Rau und dem Medienprojekt Wuppertal. Jugendliche klären andere Jugendliche in einer Videoprojektreihe über ihr kulturelles Selbstverständnis auf und bauen dadurch Brücken zur Jugendlichen verschiedener Kulturen.

 

Die Ergebnisse aus den Themengruppen und Workshops werden zentral gesammelt und dokumentiert. Schülergruppen improvisierten Szenen zum Thema Inklusion und Exklusion.

Kunst als Wundermittel der Integration: Das Beispiel der Roma in Köln

Die Gebundene Ganztagsschule Spoerkelhof wagt mit dem WDR-Journalisten Nils Neubert etwas Besonderes: Kinder aus Romafamilien sowie aus deutschen und türkischen Familien sollen gemeinsam einen Film drehen, der Roma und Nicht-Roma miteinander verbindet. Der Hintergrund: die Stadtverwaltung siedelte vor Jahren Romafamilien aus Yugoslawien in Köln-Merkenich an. Dies führte bei den Einwohnern zu einer großen Beunruhigung, die viele Konflikte zur Folge hatte. Daraufhin begannen der Verein "Kindernöte e. V." und Nils Neubert, mit den Kindern an Filmprojekten zu arbeiten.

"Die Erfahrungen, die ich während meiner Arbeit für den Verein Kindernöte e.V. in Merkenich mit den Roma-Kindern gesammelt habe, haben mich dazu bewogen, diesen Filmkurs in Merkenich anzubieten. Ich glaube an die integrative Kraft des Films als ein Medium, an dem alle gemeinsam arbeiten müssen." Nils Neubert wird durch die Schulleiterin nachhaltig unterstützt. "Ich lasse den Kindern die Freiheit, ihre Geschichten zu finden", so der Journalist weiter. Erst sollen sie mit kleinen Geschichten die Grundlagen und die Technik einüben und dann wird es Ernst. Denn die Projektgruppe muss bis Juni 2008 einen ersten Film herstellen.

Wo ist eure Schnittstelle?

Wo ist eure Schnittstelle? Auf diese Frage müssen die Schülerinnen und Schüler eine künstlerische Antwort vor Ort geben. Sie bekommen aber jede Unterstützung durch die Prozessbegleiter sowie die bundesweiten Netzwerktreffen. Professionelle Künstlerinnen und Künstler sowie Filmschaffende wie die deutsche Koreanerin, Sun-Ju Choi, geben interessante Anregungen. Choi, Mitgründerin von Kanak-TV, war als Gast zum ersten Netzwerktreffen eingeladen worden. Sie gab auf die Nachfrage von Carsten Cybulla, Lehrer an der Städtischen Freiherr-vom-Stein-Realschule, interessante Tipps. "Wie bringe ich Ohnmacht in einem Bild unter?" Oder: Was wollen wir überhaupt, und was ist das Neue, zu dem mit unseren filmischen Mitteln beitragen können?"

 

Sun-Ju Choi: Kanak-TV als migrantische Selbstermächtigung.

Es kommt nämlich auf die Perspektive jedes einzelnen Schülers an. Dazu Linda Barutzki, von der künstlerischen Gesamtleitung des Projektes: "Es geht nicht nur um Migration oder um kulturelle Bildung, es geht uns generell um Gedanken, Ideen und Filme zu einer Gesellschaft, die sich als heterogen begreift und akzeptiert."

Wege aus dem Ghetto

Die Frage nach der Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft bemisst sich nicht alleine an der ethnischen Herkunft, wie der achtminütige Film "Weißes Ghetto" zeigte. In einem wohlhabenden und homogenen Stadtteil Kölns drehte das Filmteam von Kanak-TV den Spieß einfach um: "Was würden Sie vorschlagen, damit sich die Deutschen in die Kölner Gesellschaft integrieren?" Ferner fragten die Reporter einheimische Bewohner danach, wie sie sich in die Gesellschaft integrieren. "Ghettoisierung findet überall statt, es gibt ja auch soziale Ghettos", erläuterte Sun-Ju Choi.

Kanak-TV knüpft an die Bürgerrechtsbewegung in den USA an, die negativ konnotierte Begriffe positiv besetzte. Es komme nur darauf an, wer das von welchem gesellschaftlichen Ort aus unternehme: "Deutschland hat eine lange Einwanderungsgeschichte, dennoch gibt es bei vielen Themen blinde Flecken." Menschen mit Migrationshintergrund wecken Vorbehalte nach dem Muster: Die wollen mir etwas wegnehmen.

Darf Kunst provozieren?

Der Kurzfilm "Weißes Ghetto" löste eine kontroverse Diskussion über die Mittel der Kunst aus: Darf sie provozieren,oder soll sie vornehmlich die positiven Seiten gelingender Inklusion darstellen? Während die Künstlerinnen und Künstler sich für die Freiheit der Kunst stark machten, erinnerten Lehrkräfte und Pädagogen daran, dass sich die Schulen mit den Filmen nach außen positiv darstellen möchten. Für sie ist die Mitarbeit im Themenatelier Teil der schulischen Öffentlichkeitsarbeit. Diese Kontroverse zwischen Künstlern und Schule zeigte, dass sich ohne Reibungen auch keine Funken entzünden.

Untersuchungen belegen, dass es auch an Schulen regelmäßig zu Ausgrenzung kommt. Juliane Siegert von der Universität Halle in Sachsen-Anhalt führte dazu aus: "Institutionen benachteiligen Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer Behinderung, ihrer Klasse, der ethnischen Herkunft oder der sexuellen Orientierung. Schulen inklusiv gestalten zu wollen, kann Menschen mit dem schmerzlichen Prozess konfrontieren, sich eigenen diskriminierenden Haltungen und Praktiken stellen zu müssen."

 

Jennifer und Huada von der Städtischen Freiherr-vom-Stein-Realschule in Düsseldorf.

Inklusion durch Ganztagsschulen

In England, das ähnliche Probleme kennt, setzte sich ein Team aus Lehrkräften, Eltern, der Schulleitung, Vertretern von Behinderten und Forschern zusammen, um einen Kriterienkatalog, eine sogenannten "Index for Inclusion" zu erstellen. Dieser hilft den Schulen dabei, ein Leitbild zu entwickeln, das die Inklusion nicht mehr dem Zufall überlässt, also Starke und Schwache, Integrierte und Nichtintegrierte gleichermaßen in die Pflicht nimmt.
 
So wurde eine Schulentwicklung initiiert, die alle Beteiligten, die Lehrkräfte, Hausmeister, die Schülerinnen und Schülern und sogar die Putzfrauen in eine inklusive Schulkultur einbindet: "Bei Inklusion geht es darum, alle Barrieren in Bildung und Erziehung für alle Schülerinnen und Schüler auf ein Minimum zu reduzieren." Fest etabliert hat sich das Instrument laut Siegert bereits im Behindertenbereich.

In Schule und Unterricht ist von einer inklusiven Lernkultur erst dann die Rede, wenn sie die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler respektiert und ihr einen institutionellen Rahmen gibt: Gemeinsam finden alle heraus, welche Ressourcen bei den Schülerinnen und Schüler, Eltern, Kollegen und örtlichen Gemeinden vorhanden sind - und welche materiellen Ressourcen zudem noch mobilisiert werden können, um aktives Lernen und die Teilhabe für alle zu fördern.

Der Filmemacher Ertan Erdogan und die Lehrer Carsten Cybulla sowie Norbert Krebs von der Städtischen Freiherr-vom-Stein-Realschule diskutieren über die Freiheit der Kunst im Rahmen der Ganztagsschule .

Zahlreiche Schnittstellen zwischen Kunst und Schule

Die Herausforderung, an der Schnittstelle zwischen Schule und Kultur zu arbeiten, besteht darin, coole Mädchen und Jungen für die antike Tragödie Antigone oder den Ikarus-Mythos zu begeistern. Genau damit hat das Berliner JugendKunst und Kulturzentrum "Schlesische 27" langjährige und intensive Erfahrungen gemacht, die der Künstler Ulrich Hardt im Rahmen des "Diskotheaters Metropolis" auf dem ersten bundesweiten Netzwerktreffen vorstellte.

Vielfältig gemischte Schülergruppen werden in der "Schlesischen 27" von professionellen Künstlern angeleitet, biographische Bezüge zur Kunst herzustellen. Der Erfolg des "Diskotheaters Metropolis" hängt damit zusammen, dass es an zahlreichen Schnittstellen arbeitet, die mit den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen zu tun haben.

Antigone in Schlesien, Ikarus am Gollenberg

Die Jugendlichen ab 15 Jahren unternahmen Theaterreisen nach Polen oder Bosnien. In Gesprächen mit schlesischen Bergleuten erfuhren sie, dass tote Bergkumpel unbedingt geborgen werden und begraben werden müssen. Antigone riskierte ihr Leben, um ihren getöteten Bruder zu bestatten.
Dem Ikarus-Mythos konnten die Jugendlichen erst dann einen tieferen Sinn abgewinnen, als sie die Stätte von Otto Lilienthals tödlichem Flugversuch am Gollenberg (Brandenburg) rund 100 km von Berlin selbst in Augenschein nahmen.

 

Der Künstler Ulrich Hardt. Berlin ist eine Stadt vieler Schnittstellen zwischen Moderne und Vergangenheit.

Im Zuge weiterer Theaterreisen nach Polen oder Bosnien entdeckte die multiethnische Theatergruppe gleich mehrere Daedalus- und Ikarus-Figuren in abgelegenen Dörfern. Einmal bot sich sogar die Gelegenheit, gemeinsam mit Roma-Jugendlichen bestimmte Theaterszenen einzustudieren, die Ulrich Hardt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern  als fotografische Schnittstellen präsentierte. Für das "Diskotheater Metropolis" ist die Welt ein unbegrenzter Theaterraum. Die Aufführungen finden dementsprechend an ausgefallenen Orten wie beispielsweise in Schwimmbädern statt: "Es geht darum, allen Beteiligten die Furcht vor Inklusion zu nehmen", erläuterte Hardt. Und darum, "an Schnittstellen Neues Hervorzubringen."



Das Medium Film als Kunstform und das Themenatelier "Klappe, die Zweite!" haben eines gemeinsam: Hier wie dort kommt es auf die Schnittstellen an. Diese entscheiden nämlich über den Rhythmus und sogar über die Qualität eines Gesamtwerkes.

 

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