"Jedes Kind und jeder Jugendliche soll seine Begabungen entfalten" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Am 22. und 23. September 2006 haben rund 1.300 Praktiker und Theoretiker aus dem 3. bundesweiten Ganztagsschulkongress eine Stätte der Begegnung und einen Marktplatz der Kooperationen gemacht. Das Motto des diesjährigen Kongresses, den das BMBF und die KMK in Kooperation mit der DKJS veranstalteten, lautete schließlich auch: "Partner machen Schule. Bildung gemeinsam gestalten".
Begeistert schwenkt Ilona Matheis einen Flyer, den sie vom Stand des Arbeiter Samariter Bundes Bremen mitgenommen hat: "Man denkt, schon alle Kooperationsvereinbarungen in den Ländern zu kennen, und entdeckt dann doch noch etwas Neues", sagt die Mitarbeiterin des Sozialpädagogischen Instituts (SPI). In Bremen gestaltet der ASB an neun Schulen das Ganztagsangebot mit - durch Präventionsarbeit, Abbau sozialer Benachteiligungen und Angebote der sozialen Gruppenarbeit.
Immer wieder neue Möglichkeiten und Kooperationspartner vor Augen zu führen, neue Kontakte knüpfen zu lassen - dies war das Anliegen des 3. Ganztagsschulkongresses des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Kultusministerkonferenz (KMK) in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Unter dem Motto "Partner machen Schule. Bildung gemeinsam gestalten" stand das Thema Kooperation bei etwa 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 22. und 23. September 2006 im berliner congress center (bcc) am Alexanderplatz ganz oben auf der Agenda.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan informierte sich bei einem Rundgang im Foyer an den Ausstellerständen
Wäre dies organisatorisch möglich, wäre der Teilnehmerkreis noch weitaus größer gewesen. "Die Nachfrage war fünfmal so hoch", betonte Eva Luise Köhler, die Vorsitzende der DKJS, in ihrer Eröffnungsrede. "Dies und Ihr Erscheinen hier belegen das immense Interesse daran, das Fortkommen der Kinder positiv zu beeinflussen." Für das Wohl der Kinder seien Kooperationen von Ganztagsschulen und außerschulischen Partnern von großer Bedeutung, wenn sie einhergingen mit Kontinuität, Loyalität, Selbstbestimmung und Vertrauen.
Eva Luise Köhler: "Wir müssen den Kindern etwas zutrauen"
"Kooperationen sind kein Selbstzweck", erklärte Eva Luise Köhler. Kontinuität sei wichtig, damit die Schülerinnen und Schüler Vertrauen fassen könnten und Orientierung bekämen. Loyalität sei wichtig, weil man gemeinsame Werte auch nur durch eine gemeinsame Haltung vermitteln könne. Selbstverantwortung sei wichtig, weil erst sie das autonome Arbeiten in Teams ermögliche, was für das zukünftige Berufsleben entscheidend werde. "Das heißt auch, dass wir unseren Kindern etwas zutrauen. Und nur wenn wir Partnern vertrauen, können sie sich ganz entfalten." Auch Gesellschaft und Staat müssten den Schulen vertrauen. "Ich habe dieses Vertrauen, wenn ich sehe, wie viele Ganztagsschulen sich entwickeln und wie dort gearbeitet wird", erklärte die Gattin des Bundespräsidenten, die selbst Lehrerin ist.
Gelöste Stimmung und gespannte Erwartung vor Kongresseröffnung: Annette Schavan, Eva Luise Köhler und Ute Erdsiek-Rave (v.l.)
Exemplarisch stellte Eva Luise Köhler die Grundschule Missen aus Brandenburg heraus, die im Mai 2006 mit ihrer "Schulanfängerwerkstatt" den zweiten Platz beim DKJS-Wettbewerb "Zeigt her eure Schule" errungen hatte. Die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonal und Vorschulpädagogen, die durch gemeinsames Beobachten frühzeitig Förderbedarf bei ihren Schülerinnen und Schülern diagnostizieren und anmelden, sei beispielhaft. "Durch diese Zusammenarbeit schaffen die Schule und ihre Partner Bildungsräume, die herausfordern und die Kinder und Jugendlichen begleiten", so die DKJS-Vorsitzende. Die Lust an der Verschiedenheit, die durch ganz unterschiedliche Professionen und Personen in der Schule genährt werde, spiele dabei auch eine große Rolle: "Die Kinder genießen es auch mal, auf Menschen zu treffen, die aus anderem Holz geschnitzt sind", so Eva Luise Köhler.
Bildung sei ein Thema der gesamten Gesellschaft. Die DKJS-Vorsitzende wünschte sich durch diese noch mehr Unterstützung von Ganztagsschulen. "In diesen Schulen können die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Lerntempo finden, sie werden verpflegt, individuell gefördert und gut betreut", lobte sie. An das Plenum gerichtet bat Eva Luise Köhler: "Erzählen Sie und stellen Sie Fragen!"
Ute Erdsiek-Rave: "Der Funke springt von Schule zu Schule über"
Anja Durdel von der DKJS hoffte, dass die Konstruktion des Kongresses mit den zahlreichen Foren, Workshops und "Kooperation konkret", der Beratungs- und Unterstützungsreihe von Partnern für Schulen, genau diesen von der Gattin des Bundespräsidenten geäußerten Bitten entgegen kommen würde: "Gegenüber den ersten beiden Kongressen haben wir Wert darauf gelegt, noch mehr Praxiskompatibilität zu erreichen. In jedem Workshop sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Probleme schildern und dann ganz konkreten Rat durch die Experten erhalten."
Das entsprechende Motto "Bildung gemeinsam gestalten" griff Ute Erdsiek-Rave, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, in ihrer Rede auf. Auch auf föderaler Ebene sei mit dem Ausbau der Ganztagsschulen und dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) eine Kooperation zum Wohl der Kinder gelungen. "Die Ganztagsschulen sind so erfolgreich, weil gemeinsam gehandelt wurde. Durch das IZBB wurde überall der Anstoß für eine Verlängerung der Schule in den Nachmittag gegeben, in jeder Hinsicht Reserven mobilisiert und innere Veränderungen angestoßen", führte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin aus. Man wolle mit der Ganztagsschule keine Paukschule, sondern eine Schule, die umfassende Bildungskompetenz ermögliche, die leistungsorientiert sei und dennoch die gesamte Persönlichkeit bilde. Der Funke dazu springe von Schule zu Schule über.
Musikalisches Entree durch die Bigband der Musterschule Frankfurt am Main (l.) und "Klangkörper - Körperklang", ein Kooperationsprojekt der Immanuel-Kant-Schule Bremerhaven und der Tänzerin Claudia Hanfgarn
Dennoch blieben laut der KMK-Präsidentin Herausforderungen: "Wie begeistere ich gerade Kinder aus bildungsfernen Familien, offene Angebote in den Ganztagsschulen wahrzunehmen? Ausbaufähig ist auch die Kooperation mit Eltern - besonders Vätern - und der Wirtschaft, dort gerade mit der IT-Branche. Wünschenswert wäre auch eine stärkere Zusammenarbeit der Ganztagsschulen mit ihren eigenen Schülerinnen und Schülern - das Konzept muss ja schließlich von den Kindern und Jugendlichen akzeptiert werden, sonst bringt es nichts."
Schließlich wagte Ute Erdsiek-Rave einen Blick in die ferne Zukunft: "Wir müssen schon jetzt diskutieren, wie es nach dem Auslaufen des IZBB-Programms 2009 weiter gehen soll. Wir werden eine gewaltige Kraftanstrengung brauchen, damit die ganze bis dahin geleistete Arbeit nicht einfach wegbricht."
Dr. Annette Schavan: "Innovatives entsteht da, wo sich Partner zusammen tun"
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, spannte in ihrer Rede "Zukunftschancen durch Bildung" den Bogen weiter und bezog sich dabei auf die bildungspolitische Grundsatzrede "Bildung für alle", die Bundespräsident Horst Köhler einen Tag zuvor gehalten hatte: "Die Wertschätzung, die der Bundespräsident damit für dieses Thema offenbart hat, und die Leidenschaft, mit der er dies vortrug, sind ein gutes Signal für die Bildung in Deutschland. Auch dieser Kongress macht deutlich, dass viel in Bewegung geraten ist." Für die Bildung habe niemand eine Alleinzuständigkeit, die gesamte Gesellschaft müsse sich beteiligen. "Die Kinder müssen spüren, dass sie gebraucht werden", machte die Ministerin deutlich.
Sie freue sich darüber, dass Schulen Partner fänden und damit das Zeichen geben, gemeinsam gute Schulen schaffen zu wollen. "Wie in anderen Lebensbereichen gilt auch hier: Innovatives entsteht da, wo sich verschiedene Partner zusammen tun. Gemeinsam müssen wir das Bildungssystem so weiter entwickeln, dass jedes Kind und jeder Jugendliche seine Begabungen voll entfalten kann." Schule sei mehr als die Aneinanderreihung von Schulstunden, sie sei ein Teil der Lebenswelt der Kinder. "Die Menschen stärken, die Sachen klären", dies sei Aufgabe der Schule, zitierte die Bundesbildungsministerin den Pädagogen Hartmut von Hentig. Durch Musik, Tanz, Theater, Literatur und Bewegung entdeckten Kinder sich und ihre Möglichkeiten. "Dafür braucht Schule Partner", betonte Annette Schavan.
Pädagogen seien Kulturschaffende und gute Lehrer die "Helden des Alltags". Die Gesellschaft könne auf der einen Seite nicht die Bildungsreform wollen, aber das Personal gering schätzen. Mit Geduld schafften alle gemeinsam die notwendigen Veränderungen, die "jede Schule zu einer kleinen Zukunftswerkstatt" werden lasse.
Pioniergeist muss in Strukturen überführt werden
Das Bindeglied zwischen den Eröffnungsansprachen und der Arbeit in den Foren und Workshops bildeten Podiumsgespräche rund um das Thema "Partner machen Schule". Prof. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts München, verriet erste Tendenzen der Ergebnisse der vom Deutschen Jugendinstitut (DJI), dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und dem Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) durchgeführten "Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen - StEG". Bei dieser Studie evaluierten die Forschungsinstitute die Entwicklung an Ganztagsschulen durch die Befragung von rund 30.000 am Schulleben Beteiligten - Schüler, Lehrer, Eltern und Kooperationspartner. "Die Welt der Kooperationen ist bunt und vielfältig", resümierte der Wissenschaftler. "Doch häufig hängt noch zu viel an einzelnen Personen wie der Schulleitung. Der Pioniergeist muss mittelfristig in Strukturen überführt werden, damit diese Kooperationen auf Dauer stehen."
Moderatorin Inka Schneider im Gespräch mit DJI-Direktor Thomas Rauschenbach (l.) und Kjell Eberhardt, Staatssekretär im Thüringer Kultusministerium
Dem kann Heike de Clerk nur zustimmen. Ihre Tagesschule Wiesenthau im Landkreis Forchheim in Bayern steht genau vor dieser Herausforderung: "Viele unserer Ganztagsangebote werden noch ehrenamtlich von Eltern angeboten. Doch wir können nicht immer auf dieses Engagement zählen und suchen jetzt nach Wegen, wie man verlässliche Angebote durch außerschulische Partner sicher stellen kann." Auch deshalb sei sie zu diesem Kongress gekommen.
Einen Tipp hatte Thomas Rauschenbach nach den vielfältigen Beobachtungen an Ganztagsschulen noch: "Die Zufriedenheit mit der Kooperation ist größer, wenn die außerschulischen Partner aktiv auch am Vormittagsschulleben beteiligt werden. Ansonsten ist es oft mehr ein Neben-, denn ein Miteinander."
Mut zum "Weniger ist mehr"
Welche Möglichkeiten der Kooperation möglich sind, demonstrierten die erfolgreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des bundesweiten Wettbewerbs "Zeigt her eure Schule", die sich auf dem Podium vorstellten. Das Engagement von Eltern und des Fördervereins der Christoph-Martin-Wieland-Grundschule in Weimar führte zu dem Projekt "Streicherklassen - musische Bildung für alle". Innerhalb von vier Jahren gelang es, ein Angebot zu etablieren, dass den Unterricht eines Streichinstruments ab der 1. Klasse ermöglicht. Neben dem Musikunterricht gibt es zusätzlich zwei Wochenstunden für die Arbeit in Kleingruppen. Schulleiterin Erika Carius berichtete: "Es dauert einige Jahre, bis ein solches Projekt so weit ist. Aber wenn man erst mal angefangen hat, wird es immer besser."
Inka Schneider interviewt die Schülerinnen Romy und Charlotte sowie Schulleiterin Erika Carius über das "Streicherklassen"-Projekt an ihrer Christoph-Wieland-Grundschule in Weimar
Auch die Kommunen waren vor Ort: Clemens Lindemann, Landrat des Saarpfalz-Kreises, lobte seine Gesamtschule Bexbach für ihren integrativen und präventiven Ansatz, der auch wirtschaftlich vernünftig sei. "Unsere Schule soll auch Nachbarschaftsschule sein. Wir wollen, dass die Kinder Wurzeln schlagen, aber ihnen auch Flügel wachsen, die sie über die Grenzen hinaus tragen", so der Landrat über die Siegerschule des diesjährigen "Zeigt her eure Schule"-Wettbewerbs. Wobei Grenzen ganz wörtlich gemeint ist: Die Gesamtschule unterhält in ihrem eigenen kleinen "Weimarer Dreieck" Beziehungen ins direkt benachbarte Frankreich und nach Polen. Die Schule kann ihre Projekte dabei ganz autonom planen und durchführen, da ihr der Kreis ein eigenes Schulbudget zur Verfügung stellt.
Schließlich stellte sich auch die Grundschule Hillesheim aus Rheinland-Pfalz vor. Die Schülerinnen und Schüler der AG "Video-Fuzzys" besuchen regelmäßig das Seniorenheim Katharinenstift und interviewen die Bewohner. Schulleiter Christian Linden riet dazu, den Kindern nicht zu viele AG-Angebote zur Auswahl zu stellen: "Wir haben am Anfang super spannende und lebendige Angebote gemacht - es kamen Imker, Architekten und viele andere in unsere Schule. Aber insgesamt war das zu viel, den Kindern ging ihre Mitte verloren. Sie brauchen ständige und verlässliche Ansprechpartner." Linden riet daher zu einem "Weniger ist mehr".
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