Haus voller Aufgaben - Teil 2 : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Lernorganisation, Kooperation Schule-Jugendhilfe, Gestaltung der Mittagspause und Räume lauteten die Themen der Tagung der Werkstatt 1 "Organisation und Entwicklung von Ganztagsschule" am 9. und 10. Juni 2005 in Dortmund. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernten dabei gelungene Ganztagsschulbeispiele kennen und konnten am Ende zwölf Gelingensbedingungen aufstellen.

Vor 40 Jahren hat Gertraud Greiling die Wartburgschule in Münster als teilgebundene Ganztagsgrundschule mit aufgebaut. "Damals hatte man mit mehr Widerstand als heute zu kämpfen", erzählte die Lehrerin, die seit fünf Jahren im Ruhestand ist, in der Diskurswerkstatt "Lernorganisation". Ihre Schule werde heute viel besucht, aber "wir haben auch erst lernen müssen und Zeit gebraucht". Sie betonte, dass man erst dann von einer Ganztagsschule sprechen könne, wenn sich der Unterricht und das Lernen veränderten: "Kinder sind verschieden, und jedes Kind lernt anders."

Dem müsse man durch einen individualisierten Unterricht Rechnung tragen: Individuelle Wochenarbeitspläne, Lerntagebücher, Partnerdiktate, das Schreiben von Geschichten im zweiwöchigen Rhythmus wären dabei Instrumente. "Gerade in Ganztagsschulen ist es wichtig, die Kinder in die Verantwortung einzubeziehen", erklärte die Lehrerin. Das umfasse auch Übungen, welche die Schülerinnen und Schüler sogar selbst korrigierten. "Die Kinder sind strenger als Lehrer", hat Gertraud Greiling beobachtet. Statt Klassenarbeiten gibt es in der Wartburgschule so genannte Expertenarbeiten zu bestimmten Themen, die sich über mehrere Wochen hinziehen, an deren Ende ein Ergebnis stehen muss.

Gertraud Greiling

Neben der Individualisierung seien das Lernen in der Gemeinschaft und die Rhythmisierung des Tages wichtig. In der Wartburgschule gliedert sich der Tag in die Wochenplanarbeit, den Klassenrat, das Frühstück, die Projektarbeit, das Mittagessen, "Was ihr wollt" - ungebundene Freizeit - und die Arbeitsgemeinschaften. Die Schule gibt keinen Stundenplan, sondern nur einen Wochenarbeitsplan vor. Auch Klassen wurden aufgelöst, stattdessen ist die Schule in Arbeitszonen aufgeteilt. "Bei jahrgangsübergreifenden Gruppen spart man ein Vierteljahr, weil sich die Kinder so vieles selbst beibringen", meinte die Lehrerin. Wichtig sei für die Kinder indes eine Konstanz der Bezugspersonen. "Die Kolleginnen reißen sich darum, in den Ganztagsbereich zu kommen", berichtete Gertraud Greiling: "Die Teamarbeit ist beliebt, und man lernt die Kinder einfach ganz anders kennen."

"Kümmerer" in den Stadtbezirken

Man müsse sich aber darüber im Klaren sein, dass Schule "nie fertig sein kann. Man darf nicht stehen bleiben, sondern muss immer weiterschauen", so der Rat der erfahrenen Ganztagsschulexpertin, mit dem sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihrer Diskurswerkstatt in den Feierabend entließ.

Auch am zweiten Tag der Werkstatttagung waren die Themen breitgefächert. Im Workshop "Kooperation Schule-Jugendhilfe" berichtete Klaus Flesch vom Familien Projekt Dortmund über den Weg, den die Stadt bei der Verzahnung dieser beiden Bereiche gegangen ist. Entscheidend ist hierbei die Etablierung so genannter Regiestellen, die Flesch als "Kümmerer" bezeichnete.

Klaus Flesch

Eine sowieso fällige Umstrukturierung des Sozialamtes habe man genutzt, um Sozialarbeiter und Sozialpädagogen zu Fallmanagern, den "Kümmerern", auszubilden, die eine Verknüpfung von Schule und Jugendhilfe herstellen. Die Fallmanager helfen in jedem Stadtbezirk bei den Antrags- und Bewilligungsverfahren, unterstützen die Schulen bei der Suche nach Trägern sowie bei der Vermittlung von Kooperationspartnern und helfen bei der Umsetzung von Ferienprogrammen. Darüber hinaus organisieren sie Elterninformationsveranstaltungen, betreiben Öffentlichkeitsarbeit und bilden als Ansprechpartner der Bezirksvertretungen ein Bindeglied zur Politik.

Vom additiven zum kooperativen Modell

Das vielbeschworene Konzept der "gleichen Augenhöhe" von Schule und Jugendhilfe bestehe im gemeinsamen Entwickeln der Ganztagskonzepte. "Die Entwicklung geht deutlich über unsere Erwartungen hinaus", so Klaus Flesch, "es gibt einen konkreten Austausch und feste Vereinbarungen zwischen Vor- und Nachmittag." Zusätzlich fänden alle paar Monate Ganztagsschulforen mit Schulen, Trägern und Fachkräften statt. "Wir versuchen, Austauschebenen zu organisieren, damit jeder etwas mitnimmt", erklärte der Diplompädagoge. So würden neue Ganztagsschulen mit bereits bestehenden zusammengebracht.

Gegen den Einwand, dieses additive Ganztagsmodell organisiere am Nachmittag nur Betreuung, wehrte sich Flesch: "In diesem Modell liegen Chancen, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Die Jugendhilfe beginnt gerade erst, sich neu aufzustellen." Eine Brücke zwischen diesen beiden Positionen baute ein Teilnehmer des Workshops, als er ausführte: "Trotz meiner Skepsis gegenüber dem additiven Modell - wenn sich ein additives zu einem kooperativen Modell entwickelt wie in ihrer Stadt, könnte das eine weitere Alternative zu den gebundenen Modellen werden."

"Ganze Tage gemeinsam leben und lernen" lautet das Motto der Sonnenblumenschule in Berlin-Köpenick. Schulleiter Roland Hagelstange erläuterte in seiner Diskurswerkstatt "Mittagspause", wie seine Grundschule die Pause gestalte, sodass sie den Schülerinnen und Schülern Entspannung und Anregung biete. "Je besser die Pausen, desto intensiver der Unterricht", erklärte der Schulleiter. Kinder bräuchten Bewegung, Spielmöglichkeiten, Rückzugsräume und die Möglichkeit, einander zu begegnen. "In den Pausen passieren Sachen, die wir sonst mühsam unterrichten müssten", berichtete Hagelstange über den Effekt des außerunterrichtlichen Lernens.

Heimatgefühle für die Schule entwickeln

Die Mittagspause in der Sonnenblumenschule dauert über eine Stunde. Von 11.45 bis 12.50 Uhr stehen den Schülerinnen und Schülern verschiedenste Möglichkeiten offen. "Eine längere Mittagspause ist nur dann sinnvoll, wenn sie durch ein breites Angebot von Arbeitsgemeinschaften, Lernhilfen und offenen Angeboten ausgefüllt ist, bei dem sich die Kinder frei entscheiden können", befindet Hagelstange. Seine Schülerinnen und Schüler können Fußball, Schach oder Karten spielen, in der Bibliothek lesen, Hausaufgaben machen, im PC-Raum am Computer arbeiten oder spielen, Musik hören und selbst musizieren. Ein Schulgarten und ein Kleinzoo wollen gepflegt und umsorgt werden. "Die Kinder übernehmen hier Verantwortung und schaffen Werte. Wegen der Tiere bleiben sie sogar gerne mal länger in der Schule", so Hagelstange. Wichtig seien auch offene Räume, denn durch das freie Bewegen auf dem Schulgelände entwickelten die Schülerinnen und Schüler schneller eine Art Heimatgefühl.

Versinnbildlichung der Bedürfnisse und Aktivitäten in der Mittagspause der Sonnenblumenschule

Für ein gutes Gefühl in der Schule sind angemessene Räumlichkeiten eine Voraussetzung. In der Diskurswerkstatt "Räume" stellten Jochen Arlt und Holger Heitmann von der IGS Flensburg ihr Schulgelände, das zehn Jahre im Bau war, vor und gaben auch ganz praktische Tips: "Wer einen Neubau plant, sollte sich schon mal Gedanken machen, wo die Bagger langfahren müssen."



Jochen Arlt

In der IGS Flensburg verfügt jede Stufe über ein eigenes Jahrgangshaus mit Lehrerzimmer und Gemeinschaftsraum. "In den Jahrgangslehrerzimmern herrscht ein optimaler Austausch, offene Türen und Hospitieren bei Kollegen sind normal", erzählte Arlt. Jeder Jahrgang regele seine Sitzordnung selbst. Die Außenanlage wurde entsprechend den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler mit in den Hang integrierten Spielgeräten umgestaltet.

Zwölf Gelingensbedingungen für Ganztagsschulen

Das Essen wird in festen Gruppen und zu festen Zeiten in der Aula eingenommen. Hier sorgen Stellwände dafür, dass für jede Klasse eigene Nischen entstehen. Gegessen wird in Schichten: Erst essen die Fünft-, dann die Sechst-, zuletzt gemeinsam die Sieben- und Achtklässler. "Die Aula muss so zentral liegen, dass sie von allen Jahrgängen schnell erreichbar ist", führte Arlt aus, "und die Freizeitmöglichkeiten müssen nah am Essensbereich liegen." Anderen Schulen riet der Schulleiter: "Klassenräume können gar nicht groß genug sein. Bei der Verpflegung braucht man ein vielfältiges Angebot, und die Mensa sollte ruhig die Ausstrahlung eines Restaurants besitzen. Wichtig ist auch ein hinreichendes Angebot an Fachräumen und Ruhebereiche."

Zum Abschluss der Veranstaltung fanden sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wieder im Plenum ein. Katrin Höhmann fasste die in den Workshops und Diskurswerkstätten zusammengetragenen Gelingensbedingungen zusammen:

1. Organisationsstruktur vereinfachen
2. Lernen zur Sache der ganzen Schule machen
3. Strukturiert und konsequent individualisieren
4. Den selbstständigen Lerner ins Zentrum rücken
5. Selbstverständliche und zuverlässige Kooperationsstrukturen
6. Schule zum Umfeld öffnen
7. Zuständige Gelenkstellen schaffen
8. Traditionelles - wie Hausaufgaben - überdenken
9. Mitarbeiter qualifizieren
10. Ein gemeinsames Konzept entwickeln
11. Qualität sichern
12. Partizipation von Schülern sicherstellen

Karin Höhmann fasst vor dem Abschlussplenum die Ergebnisse zusammen

Mit diesen zwölf Gelingensbedingungen und dem an den zwei Tagen Gehörten konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wohlgemut aufmachen, die guten Anregungen in ihre Schulen zu tragen, während sich Heinz Günter Holtappels bereits Gedanken machte, was der Gegenstand der nächsten Werkstatttagung am Institut für Schulentwicklung sein könnte.



Lesen Sie hier den ersten Teil unserer Reportage über die Tagung der Werkstatt 1 in Dortmund.

 

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