Gut angelegt für die Zukunft : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Mit dem 6. Ganztagsschulkongress, der am 11. und 12. Dezember 2009 in Berlin stattfand, ist zugleich auch das Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) feierlich beendet worden. Rund 7.200 Schulen haben in den vergangenen sechs Jahren von den vier Milliarden Euro des Bundes für bauliche Maßnahmen profitiert. Nach der Auf- und Ausbauphase geht es nun um die Verstetigung der Qualität - entsprechend lautete das Kongressthema "Raum für mehr - Qualität an Ganztagsschulen".

"Gut angelegt" heißt die Broschüre, die am Stand des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Berliner Congress Centrum (bcc) verteilt wurde. Viele der rund 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die am 11. und 12. Dezember 2009 nach Berlin gekommen waren, um im bcc am 6. Ganztagsschulkongress des BMBF, der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) teilzunehmen, nutzten die Gelegenheit, einen Blick in die Broschüre zu werfen. "Sie findet großen Anklang", erklärte Solveigh Krause vom BMBF. "Jeder schaut gern, was anderswo passiert ist und welche Erfahrungen gemacht wurden."

Auf rund 60 Seiten präsentiert die Broschüre in Text und Bild 17 Ganztagsschulen aus allen Bundesländern, an denen im Zuge der IZBB-Investitionen besonders interessante und schöne Neu-, Um- und Anbauten, Sanierungen, Umgestaltungen des Außengeländes oder Anschaffungen getätigt worden sind.  Die Baumaßnahmen entstanden im Sinne der in den Schulen verfolgten Pädagogik und befruchteten diese wiederum. Und sie stehen stellvertretend für die rund 7.200 Ganztagsschulen mit ihren 16.000 Baustellen in ganz Deutschland, die seit 2003 dadurch ebenfalls eine Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Vorstellungen von ganztägigem Lernen erhalten haben.

Mit Jahresende läuft das Investitionsprogramm aus, und der 6. Ganztagsschulkongress bot den Rahmen der feierlichen Beendigung. Vor der offiziellen Eröffnung des Kongresses überzeugten sich Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan, DKJS-Schirmherrin Eva-Luise Köhler und Henry Tesch, der KMK-Vorsitzende, bei einem Besuch der IZBB-Ausstellung von den guten Ergebnissen, die auch durch dieses Programm erzeugt worden sind. "Durch das Investitionsprogramm 'Zukunft Bildung und Betreuung' ist viel in Bewegung gekommen", erklärte die Ministerin in ihrer Eröffnungsrede. "Die Investitionen in Beton haben den Sinn für den so genannten dritten Pädagogen, den Raum, geschärft."

Bildungsarmut in der Wohlstandsgesellschaft überwinden

Wie geht es nach dem Abschluss des Programms auf dem Gebiet der Ganztagsschulförderung weiter? Annette Schavan versicherte: "Wir schließen das Programm nicht ab. Bauvorhaben können durch das Konjunkturprogramm durchgeführt werden. In allen 16 Bundesländern gewährleisten wir durch die Fortsetzung der Arbeit der Serviceagenturen eine Begleitung der Ganztagsschulen bis 2014." Zudem wolle man gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Ausgaben für Bildung und Forschung auf zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes steigern. Bis 2015 wolle der Bund mit einem Plus von zwölf Milliarden deutlich mehr investieren als bislang.

Der deutsch-belgische Jugendchor "Scala"

Das Jahr 2010 bezeichnete die Ministerin als ein entscheidendes, um eine Bilanz der Ganztagsschulbewegung zu ziehen: "Ich bin sehr gespannt auf die Veröffentlichung der dritten und letzten Erhebungsergebnisse der 'Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen' (StEG)", erklärte Annette Schavan. Hier werde sich zeigen, welchen Einfluss die veränderten Zeit-, Raum- und Kooperationsstrukturen in Ganztagsschulen auf die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und außerschulischen Partner genommen habe.

Für die Zukunft wünschte sich die Bundesbildungsministerin, dass Studentinnen und Studenten in der Lehrerbildung auch in Ganztagsschulen hospitierten, denn "besser als jede Theorie ist das Schnuppern in die Praxis". Der Lehrer der Zukunft werde auch immer Schulentwicklung leisten. Das entscheidend Thema der Bildungspolitik der kommenden Jahre sei jedoch die Verringerung der Risikogruppen: "Wir müssen die Bildungsarmut in einer Wohlstandsgesellschaft überwinden," so die Ministerin.

Abstrakte Qualität durch das IZBB in die Praxis umgesetzt

An diese Aussage knüpfte auch Henry Tesch in seinem Grußwort an: "Wir haben keine homogene Gesellschaft. Mit Bildung aber können wir die Brüche mindern. Dabei muss es um jeden einzelnen Schüler und seine ganze Persönlichkeit gehen." Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen solle daher so weiter gemacht werden, damit jedes Kind und jeder Jugendliche in den Genuss einer Ganztagsschule kommen könne. Dabei sei die Qualitätsentwicklung sehr wichtig, daher "bin ich auch dankbar für die wertvolle Unterstützung durch die Serviceagenturen": An dieser Zusammenarbeit gelte es festzuhalten, sie sei ein hohes Gut, so der Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern.

Kongresseröffnung durch die Tanzgruppe "Wilde Zeiten" aus Mainz

Als Grundlage guter Bildungspolitik sah Eva Luise Köhler in ihrem Grußwort eine "Kultur der Anerkennung". Und so gelte es, in den Medien, Elternhäusern und in der Zivilgesellschaft der Arbeit in den Schulen durch Lehrerinnen und Lehrer mehr öffentliche Anerkennung zu Teil werden zu lassen. "Ich danke Ihnen für Ihr Engagement! Ihre Arbeit ist zentral für die Zukunft des Landes", ging die DKJS-Schirmherrin mit guten Beispiel voran. Sie dankte auch den Unterstützungssystemen wie dem IZBB und dessen Begleitprogramm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen". Die IZBB-Ausstellung und Wettbewerbe wie "Zeigt her Eure Schule" zeigten, wie sich der abstrakte Qualitätsbegriff in der Praxis ausgestalte. "Guten Ganztagsschulen ist meiner Beobachtung gemein, dass sie sich genau überlegen, wofür sie ihre Zeit nutzen", meinte Eva Luise Köhler.

Eine Schule wie die Laborschule Bielefeld, die seit 35 Jahren als Ganztagsschule arbeitet, nutzt die Zeit für einen vollkommen rhythmisierten Tagesablauf. Ulrich Bosse, der Primarstufenleiter, stellte seine Schule, an der er seit 1982 tätig ist, in einem Vortrag im Kuppelsaal des bcc dem Auditorium vor.

"Je jünger die Kinder, desto kleiner die Gruppen"

Die Schülerinnen und Schüler der dreizügigen Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen können in einer gleitenden Morgenzeit ab 8.00 Uhr in die Schule kommen. Nach einer Versammlung der Kinder und Jugendlichen zur Einstimmung auf den Tag beginnt um 8.45 Uhr die erste Lernphase des Tages. Von 10.30 bis 11.00 Uhr folgt eine Pause mit Gelegenheit zum Spielen. Von 11.00 bis 12.30 Uhr folgt die zweite Lernzeit. Die Kinder lernen dabei jahrgangsübergreifend. Die Mittagszeit mit dem Mittagessen, Ausruhen und Spielen dauert dann von 12.30 bis 13.30 Uhr, "wobei wir überlegen, diese noch um eine halbe Stunde zu verlängern", wie Bosse berichtete. Der dritte Lernblock umfasst die Zeit von 13.30 bis 15.00 Uhr. Der Schultag endet mit einem halbstündigen Ausklang.

Ulrich Bosse

Auch mit dem Raum geht die Schule, welche die Jahrgänge 0 bis 10 umfasst, ungewöhnlich um: Es gibt überhaupt keine Klassenzimmer - die Schülerschaft lernt in einem großen, mehrstöckigen Raum, der unter anderem durch Bücherregale abgeteilt ist: Die Assoziation ist die einer Universitätsbibliothek. "Der offene Klassenraum schafft Transparenz, aber es gibt auch Nischen, die für Geborgenheit sorgen", erklärte der Pädagoge.

Die Schülerinnen und Schüler erhalten viel Gelegenheit zur Selbsterfahrung: In der Bibliothek können sie jederzeit lesen, auf dem Bauspielplatz spielen, im Schulzoo die Tiere versorgen oder in der Kreativwerkstatt werkeln. Die Schuldruckerei, die Labore, der Schulgarten und der Wald sind weitere Lern- und Erfahrungsorte. "Die Kinder erhalten so viel Belehrung wie nötig und machen so viel Erfahrungen wie möglich", formulierte Bosse das Credo der Schule. Dabei gelte: "Je jünger die Kinder, desto ganzheitlicher der Unterricht."

Laborschule Bielefeld: Lern- und Erfahrungsraum für alle Kinder

Je jünger die Schülerinnen und Schüler sind, desto kleiner sind auch die Lerngruppen - ein Gegensatz zu anderen Regelschulen, in denen oftmals bis zu 30 Primaner in einer Klassenverband lernen, während Oberstufenkurse manchmal aus lediglich rund zehn Jugendlichen bestehen. Was die Laborschule ebenfalls unterscheidet: Sie ist eine Schule ohne Notengebung, Sitzenbleiben und Schulabgänge. "Wir verstehen uns als Lebens- und Erfahrungsraum für alle Kinder", führte Ulrich Bosse aus.

Die Laborschule befragt ihre Abgänger nach drei Jahren nach ihren Erfahrungen. Lassen sich Unterschiede zu Absolventen anderer Schulen ausmachen Lautet eine Frage aus dem interessierten Forum. "Unsere Schülerinnen und Schüler sind fachlich schwächer in Mathematik", räumt Bosse ein, "sie sind aber schneller in der Lage, sich Wissen selbstständig anzueignen."

Jürgen Oelkers

Warum ist die Laborschule nach 35 Jahren ein Leuchtturm in der Bildungslandschaft der Republik und hat nicht viele Nachahmungen gefunden, lautete eine weitere Nachfrage. "Deutsche Schulen sind vergleichsweise billig - wenn Sie eine Schule ausgestattet wie die Laborschule möchten, müssten sie doppelt so viel ausgeben wie bisher", erklärte Prof. Dr. Jürgen Oelkers vom Pädagogischen Institut in Zürich.

"Intelligentes Nutzen von Lernzeiten bringt mehr als jedes Leitbild"

Der Professor für Allgemeine Pädagogik kritisierte in seinem Vortrag, dass die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland mit zu vielen Aufgaben überfordert würden, für die sie nicht ausgebildet seien, während beispielsweise in Finnland und Schweden die Schulen keine reinen Unterrichtsschulen seien, sondern auch sozialpädagogische und freizeitpädagogische Angebote von entsprechend ausgebildeten Fachkräften unterbreitet würden. "Meiner Ansicht nach kann man die Schulen hierzulande nur unterstützen, wenn man sie öffnet und sie kommunalisiert", zog Oelkers ein Fazit aus den internationalen Erfahrungen."

Auch für Evaluationen brach der Wissenschaftler eine Lanze: "Nachweislich ist der Blick von außen eine  unmittelbar erfolgreiche Unterstützungsmaßnahme." Neben mehr Autonomie für die einzelnen Schulen seien Schulleitungen mit klaren Kompetenzen, eine aktive Rolle für die Schülerinnen und Schüler und eine Umgestaltung der Lehrerausbildung mit einer größeren Betonung des Pädagogisch-Praktischen neben dem Fachlich-Theoretischen nötige Reformmaßnahmen, um die Schulen zukunftsfähiger zu machen.

"Die Ganztagsschule mit ihrem Mehr an Zeit bietet auch ein Mehr an Möglichkeiten. Wenn man Lernzeiten intelligent nutzt und Zeitmargen flexibel einrichtet, dann verändert das Schule mehr als jegliches Leitbild", meinte Oelkers. In der Schweiz habe man gerade erfolgreich Lernsemester an Schulen eingeführt: An Stelle der wöchentlichen Anzahl von Lektionen für jedes der Fächer erhielten die Schülerinnen und Schüler einen Semesterauftrag mit Aufgaben und Lernzielen, die selbstständig und in Gruppen erarbeitet wurden. "Die Schüler sind dabei von den Lehrpersonen im Rahmen wöchentlicher Sprechstunden oder im persönlichen Kontakt auch per e-mail begleitet worden", erläuterte der Wissenschaftler.

"Kinder bleiben auch deshalb in der Schule zurück, weil die für sie von der Schule gesteckten Ziele gar nicht erreichbar sind", erläuterte Jürgen Oelkers. In einem Lernsemester könnten die Jungen und Mädchen nach ihrem eigenen Tempo arbeiten - "das ist eine Plattform, bei der Heterogenität unmittelbar und wirksam bearbeitet werden kann. Gerade schwächeren Schülern hilft dies."

 

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