Ganztagsschulen vor dem Start: Was bringt Beratung? : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Fast täglich steigt die Zahl der neuen Ganztagsschulen. Doch sollten die Ganztagsschulen nicht sich selbst überlassen bleiben. Sie brauchen eine kontinuierliche Begleitung und - im besten Fall - eine kompetente Beratung, um nicht später unter Anfängerfehlern, unnötigen Reibungsverlusten und handwerklichen Fehlern zu leiden. 

Jedem Anfang wohnt der Zauber des Neuen inne. Wenn Schulen sich auf den Weg zu einer Ganztagseinrichtung machen, werden sie  - im Handumdrehen - mit Betriebswirtschaft, mit Organisationstechniken, ja sogar mit Politik konfrontiert. Was tun, wenn eine neue Zeitrechnung als Ganztagsschule begonnen hat und sich die Probleme häufen? Früher oder später folgt - das lehrt das Leben - auf den Zauber die Ernüchterung.

Davorka Bukovcan kennt die Aufbruchstimmung, aber auch die Anlaufprobleme der neuen Ganztagsschulen: "Der Beratungsbedarf ist groß, aber ob die Verantwortlichen dies auch erkennen, ist eine andere Frage." Bukovcan berät seit August 2003 freiberuflich Ganztagsschulen und sie arbeitet hauptamtlich in der Schulsozialarbeit.

Die richtige Orchestrierung des Personals, eine stimmige Architektur und Infrastruktur, aber auch eine wohl durchdachte Finanzplanung, all das sind wichtige Voraussetzungen zum Gelingen einer Ganztagsschule.

"Dann kommen die Schläge erst im Nachhinein"

Eine strukturierte und systematische Vorgehensweise bei der Planung und Umsetzung einer Ganztagsschule kann vor späteren Enttäuschungen schützen. Denn die Konsequenzen eines übereilten Vorgehens lassen selten auf sich warten: "Dann kommen die Schläge erst im Nachhinein", warnt Bukovcan. Nicht selten gibt es den Fall, dass Schulleiter die Umwandlung ihrer Schule befürworten und dabei auf Widerstand im Lehrerkollegium stoßen. Was heißt es also für eine Schulleitung, wenn sie sich entschließt, Ganztagsschule zu werden?

Auch Jürgen Eimer, Vorsitzender des Osterather Betreuungsvereins, sieht die Vielzahl an Problemen, die auf Schulen zukommen können, wenn sie Ganztagschulen werden wollen. In Meerbusch sollen in Kürze sechs neue Ganztagsgrundschulen entstehen: "Beratungsbedarf ist richtig und wichtig", sagt Eimer, aber man müsse die externe Beratung auch bezahlen wollen. Da die Stadtverwaltung eine möglichst günstige Umsetzung anstrebt, könne er sich nicht vorstellen, dass eine Beratung von außen gefragt sei. Doch die Zeit rennt: Die Eltern müssen sich bis zum 9. März entscheiden, ob sie ihre Kinder auf die Ganztagsgrundschule schicken oder nicht. Für manche hängt sogar der Arbeitsplatz an einer klaren Lösung für die Betreuung ihrer Schulkinder: "Für sie wird es eine existentielle Frage", sagt Eimer. Am 31. August schließen in Meerbusch die Horte ihre Pforten. Bis dahin gibt es drängende Fragen der Eltern: Müssen unsere Kinder bis 16 Uhr in der Schule bleiben oder können sie die Schule vorzeitig verlassen? Wie sieht das räumliche Angebot aus?

Davorka Bukovcan hat für Schulen am Wendepunkt zur Ganztagseinrichtung ein Beratungsinstrumentarium entwickelt. Zuerst kommt die Bedarfsanalyse und eine Auslotung der verbindlichen Interessenslagen. Im Rahmen eines solchen Klärungs- und Planungsprozesses werden Pro und Contra geklärt, die Zielsetzung definiert und danach die ersten Termine vereinbart. Wichtig in dieser Phase: die Einbeziehung von Kindern und Eltern und die gemeinsame Planung der pädagogischen Angebote.

Harte Verhandlungen um Geld, Personal und Räume

Der nächste Schritt besteht für Bukovcan in der Beratung und Begleitung von Lehrerkollegien, außerschulischen Mitarbeitern, Eltern und Politikern. Häufig ist ein Teil des Lehrerkollegiums für die Ganztagsschule und der andere dagegen. Dann müsse Bukovcan zufolge die Frage gestellt werden: "Was bedeutet es, nicht Ganztagsschule zu werden, und welche Vorteile verschaffen sich dadurch die anderen Schulen in der Gemeinde?" Von Relevanz sei es außerdem zu klären, welche Rahmenbedingungen der Erlass in den jeweiligen Ländern hinsichtlich der Gruppengröße biete und wie viele Räume den Kindern zur Verfügung stünden: Die Ganztagsangebote dürfen laut Bukovcan "auf keinen Fall in den Unterrichtsräumen stattfinden", damit die Kinder ihre eigene Welt außerhalb des Unterrichts aufbauen können.

Personal und Verpflegung

In dieser Phase sollte bei der Antragsstellung und Konzeptionsentwicklung verbindlich geklärt werden, welche außerschulischen Partner ins Boot geholt werden und wie die Zusammenarbeit mit den Externen vertraglich geregelt wird. Die Schulleitung muss Bukovcan zufolge klar darüber informiert werden, welche Rechte, aber auch Pflichten sie als Auftragsgeber hat und sie sollte erkennen, welche Belastungen auf alle Verantwortlichen zukommen.

Zu den weiteren Rahmenbedingungen, die geklärt werden müssen, gehört außerdem die Frage, ob die Schule einem rhythmisierten oder einem additivem Takt folgt, wie die Anmeldeverfahren aussehen und vor allem, wie die Verpflegung organisiert werden soll. Dabei müssen Speisepläne erstellt werden, die eine gesunde und zugleich preiswerte Ernährung der Kinder sichern.

"Oberstes Prinzip: Die Kinder sollen sich wohlfühlen"

Auf der nächsten Stufe der Umsetzung warten handfeste betriebswirtschaftliche und personaltechnische Probleme: "Hier gibt es häufig harte Verhandlungen um das Geld, da bestimmte Standards zu berücksichtigen sind", sagt Bukovcan. Auch viele Personalangelegenheiten sind Neuland für die Schulleitungen, denn Personalplanung bedeutet im Detail nicht nur die Verwaltung von Dienstsplänen, sondern auch Anfordern von Tätigkeits- oder Arbeitszeitnachweisen: "Wenn am Anfang nicht die Rahmenbedingungen, die Rollen und Aufgaben geklärt wurden, sind viele Probleme vorprogrammiert", sagt Bukovcan.

Kinder bauen ihre eigene Welt

Natürlich spielen auch die Multiplikatoren und die Öffentlichkeitsarbeit eine Rolle: das fängt schon im Vorfeld damit an, dass die Voraussetzungen und Bedingungen für eine Förderung  in den Kommunen bekannt gemacht werden müssen, und endet mit einem nachhaltigen Qualitätsmanagement und der Einladung zu Pressekonferenzen. Bei alledem bleibt für Bukovcan stets zu berücksichtigen: "Oberstes Prinzip für die Ganztagsschulen: Die Kinder sollen sich wohlfühlen."

Die wichtigsten Knackpunkte der Beratungsarbeit aus Sicht von Bukovcan sind: die Klärung der Raumverhältnisse und Personalangelegenheiten; der Aufbau von Kooperationen und die Verständigung mit außerschulischen Partnern; die Regelung von Hausmeisterangelegenheiten und Reinigung sowie die Bereitstellung der Verpflegung.

Ein Startvorteil: Die Tradition der Ganztagsbetreuung

Ein anderes Beispiel: Dem Beginn an der Ganztagsgrundschule Richardstraße mit rund 150 Kindern wohnen der Zauber und die Leichtigkeit des Anfangs noch inne: "Der Schulleiter ist strukturiert an die Arbeit gegangen", und der Rest ergab sich aus der Kultur der Ganztagsbetreuung gewissermaßen von selbst. Aus einer lokalen Tradition der Ganztagsbetreuung hat sich das Angebot entwickelt. "Die Einrichtung einer Ganztagsgrundschule war hier von Anfang an eine willkommene Maßnahme". Ein Sportverein und eine Musikschule haben schon länger Angebote für das Nachmittagsangebot der Schule gemacht. Nun sind sie feste Kooperationspartner für die Ganztagsgrundschule.

Beraten heißt auch Überzeugen

Nicht alle Schulen besitzen das erforderliche Umfeld und die Tradition für eine Ganztagsbetreuung. Diese Schulen wären gut beraten, sich beraten zu lassen, ob nun extern oder durch eigene, erfahrene Praktiker. Wichtig ist dabei, dass sie die Bereitschaft aufbringen, sich auf eine Beratung einzulassen. "Sie müssen daran glauben, dass der Weg zur Ganztagsschule auch der richtige ist", so Bukovcan. Die entschlossene Praktikerin aus Düsseldorf ist davon überzeugt, dass die Ganztagsschulen sich flächendeckend durchsetzen werden: "Wir erziehen für die Zukunft."

Ganztagsschulen, die sich gut beraten und von einem stimmigen pädagogischen Konzept überzeugen lassen, haben einen nicht zu unterschätzenden Startvorteil. Doch ist es mit einer einmaligen Beratung nicht getan. Wichtig ist die fortlaufende Begleitung aller Praktiker und der am Schulleben beteiligten Personen. Leben und Lernen in Ganztagsschulen ist immer auch von Konflikten und von den Besonderheiten jeder Kommune und Region geprägt. Deshalb sollte eine gute Beratung lokal angesiedelt sein: "Kompetente Beratung sollten sich die Ganztagsschulen wenn möglich vor Ort suchen", so das Fazit von Davorka Bukovcan.

 

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