Europa: Begeisterung für Bildung : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Mit Jahresbeginn hat die Bundesrepublik die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Eine gute Gelegenheit, Europa auch wieder mehr ins Bewusstsein von Schülerinnen und Schülern zu rufen. "Wir müssen besonders den jungen Menschen Europa und die EU-Politik näher bringen. Das macht man am besten, indem man in die Schulen geht", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrem Kabinett. Also schwärmten 23 Minister und Staatssekretäre am 22. Januar 2007 zum EU-Projekttag in deutsche Schulen aus. Bundesministerin Dr. Annette Schavan besuchte das Hans und Sophie Scholl-Gymnasium in Ulm.
In Raum 107 des altehrwürdigen, 1911 erbauten Schulgebäudes des Hans und Sophie Scholl-Gymnasiums, das Sophie Scholl von 1932 bis 1940 besucht hat, präsentiert sich die industrielle Gegenwart und die mögliche berufliche Zukunft: Vertreter des europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmens EADS schildern Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten zur Ausbildung, beispielsweise zum Kommunikationstechniker. Ein Auszubildender berichtet über einen Auslandsaufhalt im Rahmen seiner Ausbildung in Kapstadt: "Es war toll, eine andere Kultur kennen zu lernen." Unter den Zuhörerinnen und Zuhörern: Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
Europa geflaggt: Das Hans und Sophie Scholl-Gymnasium in Ulm am 22. Januar 2007
Die Ministerin ist an diesem 22. Januar 2007 im Rahmen des EU-Projekttags zu Gast in der Ulmer Schule. An diesem Tag sind alle deutschen Schulen eingeladen, anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft über Europa zu diskutieren und Projekte rund um den Kontinent zu veranstalten. Das Hans und Sophie Scholl-Gymnasium nutzt den Tag zu einem "Europajahrmarkt", der im ganzen Gebäude stattfindet. Rund 40 Präsentationen und Projekte haben die Schülerinnen und Schüler auf die Beine gestellt. Das reicht von "Europa skurril: Skurrilitäten aus dem europäischen Verordnungswesen" über das ganz handfeste "Kochen in Europa: Zubereitung europäischer Gerichte" bis zur "Bewegung Junges Europa", die von Elftklässlern gegründet wurde und sich für besseren Fremdsprachenunterricht und mehr Austauschprogramme in Europa engagiert.
Plausch und Autogramme: Annette Schavan beim Rundgang durch die Schule
Über 940 Schülerinnen und Schüler und rund 60 Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern und weitere Gäste bewegen sich durch das Gymnasium: Zimmerbelegung, Gruppeneinteilung und Leiten der Besucherströme - eine logistische Mammutaufgabe. Doch die Schule schultert diesen EU-Projekttag scheinbar problemlos. Man ist bereits in Übung. "Im Dezember 2005 haben wir einen Projekttag zum Thema Menschenrechte organisiert, zu dem wir unter anderem Fachleute von der UNICEF eingeladen haben", berichtet Schulleiterin Brigitte Böhm. "Auf diesen Erfahrungen konnten wir mit den Vorbereitungen des heutigen Tages aufbauen."
Gute Stimmung bei den "Schollis"
Die Professionalität und die gute Stimmung am Gymnasium zeigen sich bereits bei der Auftaktveranstaltung im Alten Theater der Schule: Das eigens für diesen Anlass komponierte Europatagslied "Europaens unite" der Schülerband "Funeral Service", die Europahymne "Ode an die Freude" durch einen Eltern-Schüler-Lehrer-Chor und europäische Tänze der Schülerinnen einer elften Klasse werden im übervollen Saal begeistert aufgenommen. Auf der anderen Seite können die Rednerinnen und Redner - darunter die Europabeauftragte der Stadt Ulm und die Bundesministerin für Bildung und Forschung - sprechen, ohne dass selbst bei den Schülerinnen und Schüler der Unterstufe Unruhe aufkäme.
Tanz und Chor auf der Bühne des Alten Theaters
Die positive Stimmung und das Zusammengehörigkeitsgefühl der "Schollis", wie sie sich selbst bezeichnen, sind das Pfund, mit dem die Schule wuchern kann - und das dazu führt, dass immer mehr Geschwisterkinder eingeschult werden. Ein sicherlich gutes Zeichen. "Das hat in den letzten Jahren auffällig zugenommen", erklärt Joachim Gnahm, der stellvertretende Schulleiter. Den guten Ruf der Schule bestätigt eine Mutter. Auch sie hat mehrere Kinder am Hans und Sophie Scholl-Gymnasium, auch weil sie der bilinguale Zug ansprach, den die Schule anbietet. Hier werden die Kinder und Jugendlichen in einem naturwissenschaftlichen Zweig in englischer Sprache unterrichtet.
Annette Schavan (l.) im Interview über Europa
Während ihres rund zweistündigen Besuches kam Annette Schavan mit zahlreichen Schülerinnen und Schülern aller Jahrgangsstufen ins Gespräch und konnte sich von der Vielfalt der dargebotenen Projekte und Aktionen überzeugen. Die Ministerin ließ sich von der "Bewegung Junges Europa", von der sie ausdrücklich eingeladen worden war, über deren Ziele eines europaweiten Jugendnetzwerkes und eines verbindlichen Austauschprogramms innerhalb Europas unterrichten. Sie schaute den Schülerinnen und Schülern beim Kochen zu und informierte sich über europäische Ausbildungsperspektiven bei der EADS (European Aeronautic Defence and Space Company), einem Kooperationspartner der Schule. Auf eine Frage seitens der Jugendlichen gab die langjährige Kultusministerin von Baden-Württemberg auch schon mal den Tipp: "Ruft den Regierungsschuldirektor an und bestellt einen schönen Gruß von mir!"
Europäische Vorbereitungen in der Bibliothek
Bei allem Spaß, den dieser Tag auch bringen sollte, betonte die Bundesministerin auch die Dimension von Bildung und Ausbildung sowie von Wissenschaft und Technik als "dem Schlüssel Europas". In ihrem Grußwort führte Annette Schavan aus: "Wissenschaft und Fortschritt sind der Quell für langfristigen Fortschritt und Wohlstand, und Europa ist der Kontinent, der Begeisterung für Bildung vermittelt." Bei allem Nörgeln über EU-Richtlinien dürfe man nicht vergessen, dass die Europäische Gemeinschaft seit 60 Jahren Frieden auf dem Alten Kontinent garantiere und den Jugendlichen ungeahnte Chancen in Bildung und Ausbildung ermögliche. "Ich ermutige Sie, möglichst auch im europäischen Ausland zu studieren oder Teile der Ausbildung zu absolvieren, denn Praxis ersetzt alle Theorie", riet die Ministerin.
Wie wahr diese Worte sein können, bestätigte der Ministerin zum Abschluss ihres Besuches eine Schülerin bei einem Gedankenaustausch über Europa in der Bibliothek. "Ich war für eine Woche zum Austausch in Rumänien - und diese Woche brachte mir mehr als ein Jahr Frankreich: Die Straßenkinder und die unfassbare Armut zu sehen, hat mir die Unterschiede in Europa krass vor Augen geführt." Die Schülerinnen und Schüler äußerten den Wunsch nach mehr Austauschprogrammen mit den östlichen Nachbarn, um "Erfahrungen in Ländern zu machen, die man nicht so gut kennt", wie ein Vertreter der "Bewegung Junges Europa" betonte. Das Hans und Sophie Scholl-Gymnasium unterhält bereits Kontakte mit dem italienischen Florenz, dem französischen Seynod, dem polnischen Krakau, dem rumänischen Sibiu und New York in den USA.
Annette Schavan beim Gedankenaustausch in der Bibliothek
Der Gedankenaustausch war nicht ganz grundlos in die Bibliothek gelegt worden. Zum Einen bot sich der Raum für ein Rundtischgespräch an, zum Anderen waren hier rund 300.000 Euro aus dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) in den Ausbau eines alten Keller- und Lagerraums zu einer hellen und freundlichen Bibliothek mit über 7.000 Büchern und einem Computerraum geflossen. Bei den Vorbereitungen zum EU-Projekttag zeigte sich, wie gut diese Einrichtung angenommen wird. "Jeden Tag sind hier mehrere Gruppen gewesen, die etwas über Europa nachgelesen oder im Internet geforscht haben", erzählte eine Mutter, die gerade die Bibliothek beaufsichtigt. Zusammen mit etwa zehn anderen Müttern und Vätern sorgt sie mit ehrenamtlichen Engagement dafür, dass die Bibliothek von 9 bis 14 Uhr öffnen kann. Annette Schavan bedankte sich bei ihr für diesen Einsatz.
"De facto - Ganztagsschule"
Mit weiteren Mitteln aus dem IZBB-Programm wurde die Cafeteria gebaut. Durch den längeren Schultag nach der Einführung des G8, das bereits bis zur 7. Klasse hochgewachsen ist, benötigten die Schülerinnen und Schüler Mittagsversorgung und Aufenthaltsraum. "Die Kinder wussten vorher doch gar nicht, wo sie sich lassen sollten", meint Lehrerin Monika Schoenbach. "Vorher gab es einfach keine Räume." Joachim Gnahm ergänzt: "An drei Tagen haben die Kinder bis 17 Uhr Unterricht. Wir sind de facto Ganztagsschule".
Aber noch immer ist die Situation räumlich angespannt. Die einst für zweieinhalb Züge gebaute Schule fasst heute bis zu vier Züge. Buchstäblich jeder Kellerraum und das Dachgeschoss werden als Klassenzimmer genutzt, auch wenn sie oft viel zu klein sind. "Bei uns könnte man wunderbar ,Die Feuerzangenbowle' verfilmen, aber für einen gebundenen Ganztagsbetrieb mit rund 1.000 Beschäftigten ist das Gebäude schlicht zu klein", erklärt Konrektor Gnahm. Unmut besteht im Kollegium auch deshalb, weil die eigenen Arbeitsbedingungen dem Ganztagsunterricht nicht entsprechen: "80 Kolleginnen und Kollegen teilen sich zwei Lehrerzimmer, jeder sitzt an einer Tischecke mit ein paar Quadratzentimetern Fläche", so Monika Schoenbach. Die Arbeitsmaterialien stapeln sich fast so hoch, wie der Arbeitsplatz breit ist. Lehrerarbeitsplätze sind das nicht.
Annette Schavan mit einem Vater in der Bibliothek
Doch der Wunsch nach mehr Fläche für die Schülerinnen und Schüler und nach Lehrerarbeitsplätzen verhallt in der Gemeinde Ulm bislang noch ungehört. Schulleiterin Böhm wurde auch schon gefragt: "Darf es auch noch ein Whirlpool sein?" Die Stimmung zwischen Schule und Kommune ist derzeit nicht die Beste, bestätigt Johannes Gnahm, ein sachlicher Austausch wünschenswert. "Lehrer sind keine faulen Säcke, sie brauchen angemessene Arbeitsplätze." Die Sanitätsliege steht bei ihm im Rektorzimmer hinter einem Schrank, weil es keinen eigenen Sanitätsraum gebe.
Mehr Raum für guten Unterricht
Dabei wäre mehr Platz auch aus unterrichtsorganisatorischen Gründen wünschenswert. Mathematiklehrerin Renate Altaner, die auch für die Raumverteilung zuständig ist, erklärt, dass dann verstärkt Projektunterricht, freies Lernen und selbstständige Gruppen- und Einzelarbeit möglich würden. Zwar lehrt das laut Gnahm "junge und aufgeschlossene" Kollegium bereits mit verschiedenen Lehrmethoden abseits des klassischen Frontalunterrichts und setzt verstärkt auf Projekte, was auch die Aufnahme als "mitarbeitende UNESCO-Projektschule" bewirkt hat. Aber die beengte Raumsituation setzt allem Grenzen. Das Hoffen der Kommune auf ab 2012 sinkende Schülerzahlen ist der Schule mit ihrer steigenden Nachfrage kein Trost. Zumal die Kommune in den nächsten Jahren - ganz im europäischen Trend - sogar mehr Schülerinnen und Schüler für das Gymnasium gewinnen möchte.
Acht Stühle an einem Tisch: Lehrerarbeitsplatz am Hans und Sophie Scholl-Gymnasium in Ulm
Wären die räumlichen Gegebenheiten besser, könnte man auch ernsthafter über eine Ausweitung des Ganztagsbetriebes nachdenken, der noch stärker die individuelle Förderung unterstützt. "Wir haben im Kollegium bereits darüber diskutiert", offenbart der stellvertretende Schulleiter. "Die Meinungen sind gemischt. Gäbe es bessere Arbeitsbedingungen, könnten sich das viele Kolleginnen und Kollegen wesentlich besser vorstellen." Auch die Eltern, denen in der derzeitigen Situation bislang mehr an einem komprimierten Vormittag und möglichst kurzen Nachmittag gelegen sei, wären dann vermutlich leichter zu überzeugen. "Um den Vormittag durch Pausen zu rhythmisieren, braucht es nun mal Rückzugsräume. Wir stoßen hier an unsere Grenzen", so Gnahm. Einstweilen versucht man eine gewisse Rhythmisierung durch die Fächeranordnung, um dem Biorhythmus der Kinder und Jugendlichen entgegen zu kommen.
Ein Ulmer Gymnasium arbeitet bereits mit einem gebundenen Ganztagszug. Das Hans und Sophie Scholl-Gymnasium muss sich bislang noch vorwiegend mit dem hohen Engagement von Schulleitung, Lehrern, Schülern und Eltern behelfen. Für das Jahresende ist schon das nächste große Projekt geplant: Drei Tage widmet sich die ganze Schule dann dem Thema Wasser.
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