E-Learning hilft : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf
Moden sind kurzlebig, doch wirkliche Innovationen überdauern. Nach einer illusionären Boomzeit kehrt E-Learning zurück in die Zukunft. E-Learning schafft Schnittstellen zwischen Schule und Hochschule und fördert die didaktischen Kompetenzen von Schülern und Lehramtsstudenten. Nicht zuletzt hilft es, Unterrichtsausfälle zu überbrücken. Doch in Deutschland sollten neue Organisationskonzepte und bessere Rahmenbedingungen entwickelt werden.
Allein das Wort verheißt Zukunft und Modernisierung an Schulen: E-Learning. Statt Schulbuch und Klassenheften gibt es Laptops für die Schülerinnen und Schüler - als Grundausstattung. Fünftklässler rennen nach der Schule nicht mehr auf den Bolzplatz, sondern sie bereiten im Bus den Unterricht nach. Playstations, Handy- und Computerspiele - alles Schnee von gestern, denn es gibt ja die interaktiven Lernprogramme.
Doch die Realität sieht anders aus: "Ernüchterung hat sich breit gemacht, weil die Prognosen nicht eingetreten sind", sagt Uwe Kohnle. Gerade im Hinblick auf die Schulen besteht noch großes Potenzial. "Die Möglichkeiten der Interaktivität oder der Evaluation werden nicht genügend ausgeschöpft", ergänzt der Geschäftsführer von lernmodule.net.
Die Gründe für den ausbleibenden Boom von E-Learning an Ganztagsschulen sind tieferer Natur. In Deutschland fehlen Uwe Kohnle zufolge trotz der "rasanten Weiterentwicklung" flächendeckende Anreize, wie sie zum Beispiel in Österreich üblich sind. So gibt es in Österreich einen Etat für Lernmedien, der pro Schülerin und Schüler in der gymnasialen Oberstufe für Internet-Ergänzungen zu Schulbüchern sogar um sieben Euro aufgestockt wurde. Außerdem ist der Aufwand für die Lehrerinnen und Lehrer, geeignete Lernprogramme zu verwenden, in Österreich wesentlich geringer, weil es eine zentrale Bibliothek mit Verschlagwortung der Programme, ein einfaches Berechtigungsmanagement und einheitliche Standards gibt. Engagierte Lehrende, die selbst Lernmaterialien entwickeln, erhalten zudem Vergütungen, und es wird ihnen Rechtsschutz gewährt. Bis zum Schuljahr 2006/07 soll so ein beträchtlicher Teil des Unterrichtsgeschehens mit elektronisch aufbereiteten Lernmaterialien abgedeckt werden.
Für deutsche Verhältnisse, wo laut Kohnle gemessen an dem systematischen Vorgehen in Österreich noch "Wildwuchs" herrscht, liegen solche Entwicklungen in weiter Ferne. Doch der Bund versucht gegenzusteuern. Mit DigiO, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, können zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Lehrerinnen und Lehrer geschult werden, zugleich können diese 25 Prozent ihrer Unterrichtszeit über das System abwickeln. "Hier stimmt das Anreizsystem", sagt Uwe Kohnle.
Stolpersteine und Hindernisse
An den Ganztagsschulen vor Ort ist der Wille groß, mit E-Learning den herkömmlichen Unterricht zu ergänzen, wie das Beispiel der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck illustriert. "E-Learning ist ein wichtiger Bereich. Wir versuchen deshalb, mehr daraus zu machen", berichtet Schulleiter Harald Lehmann. Kaum zwei Jahre ist es her, da gab es in der ganzen Schule nur zwei Computer für das Sekretariat. Das war vor Lehmanns Zeit. Doch nun hat die Schule zwei Computerräume und ein dritter ist in Planung. Mit dieser Infrastruktur kann eine Schule es wagen, auch E-Learning in das Ganztagsangebot aufzunehmen.
Allerdings ist der Markt der elektronischen Lernmodule auch ziemlich unübersichtlich: "Ich weiß noch zu wenig darüber", gibt Lehmann offen zu. Bei der Fülle billiger und im Unterricht noch nicht überprüfter Produkte kann einem schwindelig werden. Immer schickere Programme locken die Schulen. Doch "die geringen Kosten für die Entwicklung gehen deutlich zu Lasten der Qualität", warnt Uwe Kohnle. Nach Kohnle müsste die Evaluation und die Didaktik der Lernmodule stärker berücksichtigt werden. Momentan stimme das Aufwand-Nutzen-Verhältnis nicht. Dabei trägt die Evaluation des Nutzerverhaltens maßgeblich zur Qualität bei.
Jäger und Ackerbauern
Dabei ist E-Learning für die Schülerinnen und Schüler geradezu prädestiniert. "Die Instrumente und Programme, die der Multimediaverbund bietet, können wirkungsvoll dazu beitragen, das heute geforderte sehr hohe Qualifikations- und Kompetenzniveau zu erreichen. Methoden oder Medien bleiben aber immer nur Hilfsmittel, die in ein inhaltliches Konzept eingeordnet werden müssen", schreibt Winfried Schlaffke im Jahrbuch Ganztagsschule 2005. Viele Schülerinnen und Schüler schwimmen sich im Medium Computer frei und erleben darin eine große Befriedigung, denn auf diesem Terrain übertreffen sie häufig die eigenen Lehrer. "Schüler gehen an das Medium heran wie Jäger und Sammler. Lehrer wie Ackerbauer und Viehzüchter", zitiert Kohnle einen Oberstudiendirektor.
Doch entgegen landläufiger Meinungen braucht es zur professionellen Anwendung von E-Learning viel didaktischen Sachverstand. "Man muss als Lehrer sehr viel mehr mitdenken, und in der Regel ist der Aufwand hoch", sagt Kohnle, der selber lange Jahre als Lehrer gearbeitet hat. Ein Beispiel ist für Kohnle die sehr gute Luther CD-Rom. Trotz aller Interaktivität müssten die Schülerinnen und Schüler erst einmal einen Zugang zu den spezifischen Bildwelten im Mittelalter vermittelt bekommen.
So gibt es ein doppeltes Problem. Wie finden Lehrerinnen und Lehrer, die vor der Computerrevolution ausgebildet worden sind, einen Zugang zum E-Learning? Und wie können die teils hoch ausgeprägten Medienkompetenzen der heutigen Schülergeneration in der Ganztagsschule sinnvoll genutzt werden?
Modernisierung an den Schulen
In der Lehreraus- und fortbildung kann umgesteuert werden. "E-Learning hat noch nicht um sich gegriffen", erklärt Dr. Veronika Strittmatter-Haubold vom Institut für Weiterbildung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Denn nicht nur an den Schulen, auch an den Hochschulen bräuchte man eine angemessene Unterstützung für Technik und Software. An der Pädagogischen Hochschule Heidelberg wurde deshalb eine Arbeitsgemeinschaft aus drei wissenschaftlichen Mitarbeitern ins Leben gerufen, die junge Studierende in die Lehre mit E-Learning einführt.
Denn außer pädagogischen und psychologischen Themen werden laut Strittmatter-Haubold immer öfter EDV-Themen und E-Learning nachgefragt. So wird es im kommenden Sommersemester einen neuen E-Learning-Kurs geben. "Wir wollen die Modernisierung an den Schulen", erklärt sie. "Es geht darum, fächerübergreifendes, vernetztes Lernen zu lehren."
E-Learning lernen
Holger Meeh ackert zu diesem Thema an der Basis. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Weiterbildung der pädagogischen Hochschule Heidelberg lehrt E-Learning in der Lehrerausbildung. "Arbeit mit Multimedia ist Teil unserer Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern", sagt Meeh. In seiner Arbeitsgemeinschaft lernen die Studierenden, wie sie Medien fachdidaktisch analysieren, in den Unterricht integrieren und eigene E-Learning-Bausteine entwickeln. "E-Learning lädt zum projektorientierten Arbeiten ein", meint der Dozent. Meeh ist angetan von der "motivierenden Atmosphäre" in seiner AG.
Erst gibt es Besprechungen, dann Arbeitspläne, Konzeptentwürfe und zu guter Letzt werden die Entwürfe realisiert. "Wir machen kleinere Häppchen, kleinschrittig und überschaubar", so Meeh. Diese Lernsequenzen sollen später in den Unterricht sinnvoll und zusammenhängend eingebaut werden. Der Übungsraum ist laut Meeh immer gut besucht: "Da wurde unglaublich viel Zeit investiert." Der Grund: Schon kleine Lernsequenzen sind sehr arbeitsaufwendig.
Lernmodule entwickeln und testen
In der Arbeitsgemeinschaft können die Studierenden ihre didaktischen Kompetenzen weiter entwickeln, denn "jeder Planungsfehler fällt sofort auf". Das Beste aber: Aus Lehramtsstudenten werden eventuell Autoren, die ihre Produkte irgendwann im eigenen Unterricht anwenden könnten.
So entstehen bereits in Lehrveranstaltungen Lernmodule, die aber häufig nicht über die Verlage verbreitet werden können, weil diese große Projekte bevorzugen. Dennoch geht der erfolgversprechende Weg Meeh zufolge hin zu den kleinen Lernsequenzen. Die Zusammenarbeit mit lernmodule.net soll hier neue Distributionswege eröffnen.
Das geeignetste Mittel gegen Enttäuschungen mit E-Learning an den Schulen vor Ort ist es, die Lernmodule vorher zu testen. "Der Lernpsychologe Joachim Hackler hat die beste Lernsoftware entwickelt, die es in Deutschland gibt", sagt Wolfgang Vogelsaenger von der IGS Göttingen. Hackler arbeite jeden Tag mit vier bis fünf lerngestörten Kindern. "Wenn die es hinkriegen, mit E-Learning zu arbeiten, dann eignet es sich für andere Schülerinnen und Schüler erst recht", so der Schulleiter.
Hilfsmittel zur Individualisierung
E-Learning gehört an der IGS Göttingen mittlerweile zum Alltag, doch dafür brauchte die Schule auch einige Jahre Vorlauf. Nun ist E-Learning ein weiteres Hilfsmittel für Individualisierung. Die Lernsoftware sollte aber auf folgende Kriterien hin geprüft werden: Freundliche Rückmeldung, individueller Lernweg, Grafik und Qualität.
Was an der IGS Göttingen eine Tugend war, ist nun eine Tugend in der Not geworden. Denn durch die starke Kürzung der Lehrerstunden und den Wegfall der "Feuerwehrlehrerverträge" speziell an den Gesamtschulen in Niedersachsen können die Lernprogramme die Lehrerinnen und Lehrer spürbar entlasten. Überhaupt könnte E-Learning für alle Ganztagsschulen von großer Bedeutung werden, die künftig unter Lehrermangel zu leiden haben. Ein Teil des Unterrichtsausfall könnte immerhin aufgefangen werden.
E-Learning genießt bei Eltern und Schülern ohnehin eine hohe Akzeptanz. Das wundert kaum, haben die Computer an der IGS Göttingen bereits etliche Engpässe im Unterricht ausgleichen können. E-Learning ist aber mehr als nur ein Notnagel: Zwei hochbegabte Schüler der IGS Göttingen haben beispielsweise das Qualitätshandbuch für ein niedersächsisches Ministerium programmiert und außerdem ist die Schulabbrecherquote überdurchschnittlich gering. Für die Zukunft kann sich Wolfgang Vogelsaenger sogar vorstellen, dass er die Schülerinnen und Schüler von zu Hause aus betreut. Damit würde die Modernisierung von Ganztagsschule durch E-Learning manches Problem in der Zukunft zumindest mildern helfen.
Kategorien: Service
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