Dreharbeiten in einem offenen Haus : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

"Zeit für mehr" heißt der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Film, der Lust auf Ganztagsschulen machen soll. Die Probleme, die gelöst werden müssen, wenn sich Schulen auf dem Weg zur Ganztagsschule machen, werden dabei nicht verschwiegen. Ein Quartett junger Filmemacher aus Berlin reist seit Jahresbeginn kreuz und quer durch die Republik, um vor Ort die Entwicklung an Ganztagsschulen zu dokumentieren. Die Redaktion traf das Filmteam bei den Dreharbeiten an der Otto-Hahn-Realschule im rheinland-pfälzischen Bitburg.

Eine Drehung von Kameramann Mako Antonissen, eine Vase ist im Weg - und Wasser ergießt sich über 40 frisch geschriebene Zeugnisse. Kein Filmemacher ist vor solchen Pannen gefeilt, aber das Quartett von mmpro.film- und medienproduktion, das am 21. und 22. Juni 2006 in der Otto-Hahn-Realschule dreht, bleibt ganz gelassen: Der kleine Unfall ist nicht mehr als eine nette Anekdote, insgesamt laufen die Dreharbeiten zu "Zeit für mehr" reibungslos und ganz nach Plan.

Im Herbst letzten Jahres hatten die Regisseure Mark Poepping und Roman Schikorsky, Kameramann Antonissen und Tontechniker Ronny Kretschmer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Auftrag erhalten, den Dokumentarfilm "Zeit für mehr" zu produzieren. Er soll die Entwicklung von Ganztagsschulen in ganz Deutschland dokumentieren, die sich in verschiedenen Stadien befinden, und soll Lust auf diese Schulform wecken, ohne die Probleme und Herausforderungen zu verschweigen. Seit Jahresbeginn ist das Team aus Berlin kreuz und quer durch die Republik unterwegs: Von Sachsen bis zum Saarland, von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. "23.000 Kilometer haben wir bisher zurückgelegt", berichtet Poepping, "und bis zum Drehschluss werden noch viele dazukommen."

Dynamik darstellen

Acht ganz unterschiedliche Ganztagsschulen aller Schulformen hat das mmpro-Team für seine Dokumentation ausgesucht: Von einer Hauptschule im so genannten sozialen Brennpunkt bis zum Gymnasium. Der Zeitplan ist dicht gedrängt - am Tag nach dem Bitburg-Dreh geht es direkt an einer Grundschule im Saarland weiter -, und auch an der Otto-Hahn-Realschule gibt es keine Verschnaufpause, als es darum geht, Schüler und Lehrer durch ihren Schultag zu begleiten.

"Unser Film soll die Möglichkeiten aufzeigen, die sich an Ganztagsschulen auftun, die Dynamik, die sich hier entwickelt", beschreibt Schikorsky die Zielsetzung. "Wir hoffen, den Anstoß zu einer wirklich breiten gesellschaftlichen Debatte über Ganztagsschulen zu geben, und möchten mit unserem Film auch möglichst viele Eltern erreichen, die dann fragen: ,Warum gibt es für mein Kind nicht auch solche tollen Angebote wie an den Schulen im Film?'." Neben einer DVD-Auswertung soll "Zeit für mehr", der im Oktober in einer 90-Minuten-Fassung vorliegen wird, daher auch im Kino und im Fernsehen laufen. Dazu sind bereits rund 60 Stunden Material gedreht worden, am Ende werden es wohl 90 Stunden sein.

Der Drehort: Die Otto-Hahn-Realschule in Bitburg

Die Otto-Hahn-Realschule wurde ausgewählt, "weil uns das Engagement aller Beteiligten am Schulleben besonders beeindruckt", erklärt Poepping. Insbesondere der Schulleiter habe einen großen Anteil an der Ganztagsschulentwicklung seiner Schule. Als Klammern des Films dienen die verschiedenen Protagonisten der Schulen - Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Schulleiter und Eltern und natürlich Schülerinnen und Schüler. Rektor Johannes Roß-Klein vertritt die Otto-Hahn-Realschule, und das Team könnte sich keinen besseren Gesprächspartner wünschen. Der Schulleiter versprüht genau die Dynamik, von der Schikorsky hofft, dass sie sich im Film insgesamt widerspiegelt.

"Wir werden mehr wahrgenommen"

Zweimal bereits hatte Roß-Klein als Lehrer den Antrag in der Schulkonferenz eingebracht, Ganztagsschule zu werden. "Beim ersten Mal waren alle dagegen, beim zweiten Mal gab es einen Stimmengleichstand." Nachdem er zum Schulleiter berufen worden war, nahm er einen dritten Anlauf - nicht ohne diesmal im Vorfeld intensiv für sein Vorhaben zu werben. Es lohnte sich: Ohne Gegenstimme beschloss die Schulkonferenz, zum Schuljahr 2005/2006 Ganztagsschule zu werden. "Hier sind alle Kolleginnen und Kollegen dafür, alle ziehen mit", beschreibt Roß-Klein die Stimmung an der Schule. "Wäre das nicht so, würde ich mir das auch nicht antun - denn seien wir ehrlich: In der Etablierungsphase, in der wir gerade stecken, ist das verdammt viel Arbeit. Ich zum Beispiel komme hier unter zwölf Stunden kaum aus dem Haus."

An der Otto-Hahn-Realschule lernen rund 600 Schülerinnen und Schüler, davon besuchen 82 den Ganztag in Angebotsform. "Für das kommende Schuljahr haben wir bereits 23 weitere Anmeldungen", berichtet der Rektor. Ein Indikator, mit der Ganztagsschule die richtige Strategie zu verfolgen, sind neben den Besuchen anderer Schulen, die sich Anschauung verschaffen wollen, die steigenden Anmeldezahlen insgesamt - "gegen den Trend an anderen Schulen in unserem Bezirk", so Roß-Klein.

Aber das Wesentliche ist für den Pädagogen, dass es gelungen ist, die Schule zu öffnen: "Wir werden in unserer Kommune und in der Presse viel mehr wahrgenommen als früher. Die Schule hat ihre Türen jetzt wirklich nach außen geöffnet. Wir erhalten Spenden von Institutionen und Vereinen, die einfach begeistert sind, was sich bei uns tut."

Das Filmteam (v.l.) mit den Regisseuren Mark Poepping und Roman Schikorsky, Tontechniker Ronny Kretschmer und Kameramann Mako Antonissen

Nach dem Unterricht, der wie bisher von 7.55 bis 13.00 Uhr stattfindet, schließen sich von Montags bis Donnerstags Mittagspause mit Mittagessen in der Mensa und die Hausaufgabenbetreuung an. Von 15.00 bis 16.00 Uhr folgen dann die Angebote unter dem Motto: "Für Kopf, Herz und Hand". Schulleiter Roß-Klein betont, dass es sich um schulische Angebote und keinen Freizeitausgleich handelt: "Das Lernen steht im Vordergrund." Was den Spaß und die Selbsterfahrung ja nicht ausschließe - im Gegenteil.

Keine Zurückhaltung wegen der Kamera

Poepping, Schikorsky, Antonissen und Kretschmer ziehen mit ihrem Equipment durch die Schule, um gerade diesen Aspekt einzufangen. Mit der Kamera begleiten sie einen vietnamesischen Schüler und ein deutsches Mädchen getrennt durch den Schultag. "Das Mädchen ist ein Naturtalent", schwärmt Schikorsky, "wir haben sie in der Mensa während des Mittagessens angesprochen, damit sie etwas über die Ganztagsschule erzählt - und sie hat geredet wie ein Wasserfall. Bald diskutierten sie und ihre Freundinnen am Tisch weiter, während wir nur noch die Kamera draufhalten mussten. Perfekt!" Später filmt das Team die Schülerin in der Töpfer-AG bei den verschiedenen Arbeitsschritten.

Zuvor waren die Filmemacher im benachbarten Schwimmbad, wo Roß-Klein Leseförderung der besonderen Art für die Schülerinnen und Schüler arrangiert hatte: Während des Rückenschwimmens lasen die Kinder Texte von laminierten Blättern ab. Danach ging es ins Lehrerzimmer, in dem von den beteiligten Kolleginnen und Kollegen eine Bilanz zur Hausaufgabenbetreuung gezogen werden sollte. Während sich die beiden Regisseure aus dem Raum zurückziehen, kreisen Antonissen und Kretschmer mit der Kamera und dem Aufnahmegerät ständig um den Tisch. Wer vermutete, die Pädagogen würden sich der Kamerapräsenz wegen zurückhalten, sieht seine Bedenken bald zerstreut. Ein strahlender Rektor kommt aus der Sitzung: "In 31 Jahren als Lehrer habe ich noch nicht an einer solchen Sitzung teilgenommen. Das war so offen und ehrlich, unglaublich!"

Für das Filmteam ein Glücksfall, zumal sie es auch schon anders erlebt haben. "Bei der Konferenz an einer anderen Schule machte fast niemand den Mund auf", berichtet Tonmann Kretschmer. Insgesamt ist man aber begeistert, wie viel Unterstützung das Team von den Schulen erfährt: "Für uns wird alles in Bewegung gesetzt und möglich gemacht", freut sich Regisseur Poepping. Bisher habe es lediglich an einer Schule ein Problem gegeben, an der eine Lehrerin keine Kamera in ihrer Klasse zulassen wollte. Solche Schwierigkeiten sind an der Otto-Hahn-Realschule nicht zu erwarten. "Die Jungs machen das einfach klasse", schwärmt Roß-Klein.

Betonfriedhof wird zum Erlebnisschulhof

Auffällig ist, dass das Team seine Aufnahmen in den Kasten bekommt, ohne Aufhebens zu machen. Die Schüler um den kleinen Vietnamesen, die zu dem in der Nähe liegenden Golfplatz aufgebrochen sind, um mit einem Golflehrer Bälle abzuschlagen, lassen sich von der Präsenz der Filmemacher jedenfalls nicht groß beeindrucken. Vielleicht auch, weil sie alte Bekannte sind: Bereits im Februar ist das Team zum ersten Mal an der Otto-Hahn-Realschule gewesen, um unter anderem die Umgestaltung des "Betonfriedhofs" zu einem Erlebnisschulhof mit Basketball-Korb, Balancebalken und Sitzgelegenheiten zu dokumentieren. Der nach der Schülerplanung in der Architektur-AG umgebaute Platz ist inzwischen fertig gestellt und versinnbildlicht den Veränderungswillen der Schulgemeinschaft und die Möglichkeiten einer Ganztagsschule.

 

Dreharbeiten auf dem Golfplatz. Rechts: Regisseur Mark Poepping bekommt auch Lust, den Schläger zu schwingen

Neben der Töpfer-, Golf- und der Architektur-AG können die Realschülerinnen und -schüler nachmittags noch unter anderem aus Angeboten wie Lese/Rechtschreibförderung, Astronomie, Wirtschaftsenglisch, Schach, Rockband, Berufswahl, Tanzen, Schulorchester, Konzentrationsförderung, PC-Schreibkurs, Reiten, Eishockey und Gitarre wählen. Die Mehrzahl der Angebote wird von Lehrerinnen und Lehrern unterbreitet. Das Deutsche Rote Kreuz bietet eine Sanitätsdienst-AG und einen Schnupperkurs Krankenpflege und Babysitter-Ausbildung an. Die Kreismusikschule engagiert sich mit Swinging Voices und Grooving Percussion.

Wie ist es gelungen, die Kreismusikschule einzubinden? Bei vielen Ganztagsschulen scheitert die Zusammenarbeit doch an den Finanzen. Johannes Roß-Klein schmunzelt: "Ich habe der Musikschule im Gegenzug unsere Räume zur Verfügung gestellt, in denen sie proben können."

Ein wirklich offenes Haus. Auch das "Zeit für mehr"-Quartett wusste dies zu schätzen.

 

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