"Der richtige Zeitpunkt ist immer jetzt" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Wie können Ganztagsschulen mehr leisten? Die Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hamburg sieht einen Weg in der Vernetzung der Ganztagsschulen in der Hansestadt. Mit der Fachtagung "Ganztagsschule - leistet mehr" am 7. Juni 2007 gab sie der Kommunikation der Schulen untereinander einen Anschub.

Björn Steffen, Leiter der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hamburg, ist niemand, der leisetreterisch für seine Ideen und Überzeugungen auftritt. Da war es nur konsequent, dass die von der Serviceagentur in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung am 7. Juni 2007 organisierte Fachtagung den offensiven Titel "Ganztagsschule leistet mehr" trug. Noch liegen ja zum Beispiel kaum empirische Untersuchungen zum Zusammenhang von Ganztagsschule und Leistungssteigerungen bei Schülerinnen und Schülern vor. Legt man allerdings den Elan zu Grunde, den die rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Hamburger Ganztagsschulen an den Tag legten, war man bereits versucht, dieser These zuzustimmen.

"In Ganztagsschulen ist mehr Zeit und Raum, Talente zu fördern, Demokratie zu lernen und soziales Lernen zu fördern", begrüßte Norbert Rosenboom, Amtsleiter Bildung der Behörde für Bildung und Sport, das Plenum in der Turnhalle. Zwar seien noch nicht alle Bürger von der Ganztagsschulidee überzeugt, aber die Zeiten, in denen die Mehrheit dagegen gewesen sei, lägen lange zurück. "Die Ganztagsschulen sollten so selbstverständlich werden, dass überhaupt niemand mehr fragen müsste, ob eine Schule Ganztagsschule ist", wünschte sich Rosenboom. Auf dem Weg dahin sollten sich die Pädagogen nicht entmutigen lassen und "keine Fehlervermeidungsstrategie fahren".

Ähnlich argumentierte auch Andreas Müller, Direktor des Instituts Beatenberg, in seinem Impulsreferat: "Der richtige Augenblick ist immer jetzt." Das Institut Beatenberg ist eine Privatschule im Berner Oberland, in der die Förderung des eigenständigen Lernens im Zentrum steht. Individuelle Betreuung mittels Coaching und aktive Freizeitgestaltung sind ebenfalls wichtige Programmpunkte. Die Schule ist auch durch die von ihr entwickelten Kompetenzraster überregional bekannt geworden, mit denen Schülerinnen und Schüler ihren Leistungsstand selbst einschätzen lernen. "Junge Menschen müssen das Lernen lernen", erklärte Müller. "Dieses Lernen muss anschlussfähig ans Leben sein, was wiederum Wissen, Fähigkeiten und Haltungen voraussetzt. Das muss in einer Schule gelebt werden, und mehr Zeit schafft dazu wesentlich bessere Voraussetzungen."

"Dauerbaustelle Lernen"

Ganztagsschulen müssten ihre zusätzliche Zeit nutzen, um mit der Vielfalt der Schülerschaft umzugehen, denn die früher oft homogeneren Sozialisationsbedingungen seien heute nicht mehr gegeben. "Man muss versuchen, auf die einzelnen Schüler einzugehen, denn wenn sie unter- oder überfordert werden, verweigern sie sich. Und langfristig sind Über- oder Unterforderung krankmachende Zustände", so Müller. Ganztagsschulen müssten zweitens mit der Medienlawie umzugehen helfen: In der heutigen Informationsflut brauche es Handwerkszeug, um sich zurecht zu finden.

Die Gastgeber: Björn Steffen (l.), Leiter der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Hamburg, und Norbert Rosenboom von der Behörde für Bildung und Sport

Ganztagsschulen müssten drittens mit Erziehung umgehen. "Unter den zehn Kompetenzen, die Firmen heutzutage von ihren Bewerbern erwarten, ist nur noch eine, die sich auf Fachwissen bezieht", berichtete der Direktor. "Ansonsten erwartet man von Bewerbern zum Beispiel, dass sie imstande sind, selber zu lernen, Verantwortung zu übernehmen, im Team zu arbeiten, mehrere Lösungen zu finden, Engagement zu zeigen und kommunikationsstark zu sein. Auf Schulen kommt da viel zu, und Ganztagsschulen haben hier die besseren Karten." Und schließlich müssten Ganztagsschulen mit Bewegung umgehen. "Schulen müssen sich diesen vier Trends stellen, um erfolgreiches Lernen zu initiieren. Es geht aber nur mit anderen Formen und Räumen, um diesem Nachhaltigkeit zu verschaffen", so Müller.

Im Berner Oberland ist man auf der "Dauerbaustelle Lernen" bereits erfolgreich auf diesem Weg. In Hamburg hilft die Serviceagentur den bestehenden und werdenden Ganztagsschulen dabei, ihre Vorstellungen eines anderen Lehrens und Lernens umzusetzen. Im laufenden Schuljahr hat die Agentur dazu 50 Projekte an Schulen durchgeführt. Agenturleiter Björn Steffen erläuterte: "Am 1. August 2007 wird es 81 Ganztagsschulen in Hamburg geben. Hinzu kommen noch die Gymnasien, die aufgrund der Schulzeitverkürzung ganztägige Angebote unterbreiten. Um diese Schulen zu unterstützen, veranstalten wir diese zweite Fachtagung zum Thema Ganztagsschule. Wir wollen ihnen heute bei der Umsetzung ihrer Ideen helfen und Kooperationen mit anderen Ganztagsschulen anstiften."

Nicht auf alle Kollegen warten

Um Kooperationen zu stiften, muss man erstmal ins Gespräch kommen. Nach dem Impulsvortrag von Andreas Müller gab es gleich Gelegenheit, sich in Gruppen von acht Teilnehmerinnen und Teilnehmern auszutauschen. Die Lehrerin einer Grund-, Haupt- und Realschule berichtete von Diskussionen in ihrer Schule über den Vergleich der Halb- und Ganztagsklassen im 5. Jahrgang und untermauerte die Ausführungen von Andreas Müller: "Zwar ist meine Ganztagsklasse noch nicht so weit im Stoff - das macht aber nichts: Dafür sind sie in den sozialen Stärken und in der Selbstständigkeit wesentlich weiter."

Nach dem Impulsreferat von Andreas Müller...

Schnell trat in einer Runde mit Lehrerinnen und Lehrern sowie Schulleitungen verschiedener Schulformen ein Thema in den Vordergrund, das der Lehrer einer Grundschule so auf den Punkt brachte: "Wie überzeuge ich Kollegen, deren Berufsverständnis und Unterrichtsroutinen von der Halbtagsschule geprägt sind, von der Ganztagsschule?" Zumal wenn Ganztagsschule bedeute, dass man pädagogische Gestaltungsräume nutzen müsse. Der Konrektor einer Grund-, Haupt- und Realschule konnte die mangelnde Aufgeschlossenheit mancher Lehrerinnen und Lehrer für neue Lehr- und Lernformen nachvollziehen: "Manche haben Angst, neue Methoden würden dazu führen, dass ihnen der Laden völlig entgleitet."

In manchen Kollegien sei es schwierig, es gebe Widerstände und sogar Tränen, "es ist unglaublich", wusste der Schulleiter einer Haupt- und Realschule zu berichten. Heiner Ullrich, stellvertretender Schulleiter der Förderschule Willi-Kraft-Schule, riet dazu, "mit denen anzufangen, die da sind." Stephan Giese von der Förderschule Carsten Rehder Straße ergänzte: "Man sollte die Lehrerinnen und Lehrer stärken, die selbstverantwortliches Lernen im Unterricht anwenden wollen. Denn diese Lernformen fruchten und die Schüler helfen sich gegenseitig." An einer Grund-, Haupt- und Realschule versuchte man laut Aussage einer Lehrerin, "ein Feuer zu entfachen und es dann wachsen zu lassen". Man könne aber nicht auf alle Kolleginnen und Kollegen warten, denn "dann kommt der richtige Zeitpunkt nie".

Gute Lehrer müssen auch gute Lernende sein

Um eine Ganztagsschule pädagogisch weiterzuentwickeln, sei es notwendig, dass die Lehrerschaft in Jahrgangsteams arbeite, sich gegenseitig unterstütze und austausche, war sich die Gruppe einig. Lehrerinnen und Lehrer müssten sich weiterbilden, um neue Unterrichtsformen praktizieren zu können. "Ein guter Lehrer muss auch ein guter Lernender sein", formulierte ein Teilnehmer. Klar setzte sich der Wunsch nach einer Präsenzarbeitszeit durch. Das Alltagsgeschäft lasse bei den bestehenden Zeitfenstern kaum Möglichkeiten für grundsätzliche Veränderungen. Wer mehr Zeit in der Schule verbringe, werde zudem notwendige Veränderungen eher erkennen und mittragen. "Auch eine Struktur kann Druck machen. Wer vier Stunden im Block unterrichtet, kann das nicht mehr wie früher machen", meinte Jan Rambke, Schulleiter der Grund-, Haupt- und Realschule Schule am Eichtalpark. Dazu müssten die Lehrerinnen und Lehrer aber auch mit ausreichenden Arbeitsbedingungen ausgestattet werden.

 

...steckten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Köpfe zusammen

Dass oftmals Veränderungen nur dann erfolgten, wenn der Druck auf eine Schule zu groß geworden sei, bedauerte man in dieser Runde, doch Prozesse in Schulen seien nun mal sehr zäh. Ganztagsschulen könnten aber nur mehr leisten, wenn das Kollegium von der Schulleitung mitgenommen und einbezogen werde, so Kay Stöck von der Haupt- und Realschule Stübenhofer Weg. Was für die Schülerinnen und Schüler gilt - "Niemand lernt etwas, das für ihn keine Bedeutung hat. Wir müssen den Dingen Bedeutung geben", so Stephan Giese - gelte auch für Lehrerinnen und Lehrer. Sie müssen den Sinn von Veränderungen erkennen, verstehen, warum sich ihre Schulen von "Lehranstalten" in Lernorte wandeln und warum dies eine neue Arbeitsweise erfordere. Schulen sollten deshalb ein gemeinsames Leitbild finden und neue Verbindlichkeiten schaffen.

Kontinuierlicher Austausch verabredet

Aus diesen Grundsatzdiskussionen entwickelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Nachmittag spezielle, sie selbst und ihre Schulen konkret betreffende Fragen. Diese wurden in zwei Workshop-Runden mittels der Open-Space-Methode diskutiert und dokumentiert. Das thematische Spektrum der rund 20 Workshops reichte von Fragen der Lehrerausbildung oder des Bewegungskonzeptes über Hausaufgaben, Schülerpartizipation bis zu handfesten Fragen wie "Wie komme ich an zusätzliche Gelder für meine Ganztagsschule?"

Einige Arbeitsgruppen nutzten am Nachmittag das schöne Wetter aus und tagten im Hof des Landesinstituts für Lehrerfortbildung und Schulentwicklung

In allen Gruppen entwickelte sich dank der gemeinsamen Interessenlage schnell eine lebhafte Diskussion, und viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, gleich weitere Treffen und einen kontinuierlichen Austausch zu verabreden. So nutzte ein Workshop zur "Vernetzung von schulischen und außerschulischen Pädagogen" die Zusammenkunft gleich, um Erwartungen für ein erstes gemeinsames Treffen zu klären. Dann wollen Lehrerinnen und Lehrer aus unterschiedlichen Hamburger Schulen gegenseitig voneinander lernen, wie Schulen Organisatorisches regeln, Angebot und Nachfrage bei den nachmittäglichen Neigungskursen steuern, Honorarkräfte engagieren und entlohnen.

Fragen gab und gibt es reichlich, einige Antworten konnten schon am 7. Juni auf der gut organisierten Veranstaltung gegeben werden. Als Einstieg in die kontinuierliche Kommunikation zwischen den Ganztagsschulen erfüllte die Tagung ihren Zweck. Um diesen Prozess zu flankieren, plant Björn Steffen, ein Netzwerk von Besuchsschulen aufzubauen, damit alle Ganztagsschulen vor Ort voneinander lernen können. Dass die Fachtagung einen solchen Anklang fand, demonstrierte, dass der richtige Zeitpunkt tatsächlich jetzt ist.

 

Kategorien: Service

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