"Alles, was wir für die Bildungslandschaft tun, muss auf den Bedarf vor Ort zugeschnitten sein : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Koblenz hat mit Prof. Joachim Hofmann-Göttig seit dem 1. Mai 2010 einen neuen Oberbürgermeister, der fast zwei Jahrzehnte lang Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Bildungsministerium war. Wie sieht der Aus- und Aufbau der Ganztagsschulen von "oben" bzw. von "unten" aus? Welche Handlungsspielräume hat ein Oberbürgermeister angesichts klammer Kassen beim Aufbau einer lokalen Bildungslandschaft?

Online-Redaktion: Prof. Hofmann-Göttig, Sie sind kürzlich Oberbürgermeister der Stadt Koblenz geworden. Wie stellt sich das Thema Ganztagsschule aus Sicht der Kommunen dar?

Prof. Dr. Hofmann-Göttig: Ich meine, die Landesregierung tat gut daran, den Kommunen die Ganztagsschule nicht zu verordnen, sondern auf freiwilliger Basis anzubieten. Rheinland-Pfalz ist überwiegend ländlich und katholisch geprägt. Deshalb gab es am Anfang Widerstände gegen Ganztagsschulen. Da die Landesregierung den Kommunen die Ganztagsschulen als Angebot unterbreitet hatte, konnte die Entscheidung zugunsten der Ganztagsschule unabhängig von der politischen Farbe der jeweiligen Kommunalverantwortlichen getroffen werden. Es kam zu einem Wettbewerb ohne jede parteipolitische Polarisierung. Jede Kommune wollte mit dabei sein.

Wir freuen uns in Koblenz darüber, dass wir diese Möglichkeiten in Anspruch nehmen können und ganz vorne mitmachen. Man muss allerdings darauf aufmerksam machen, dass Ganztagsschulen auch aus kommunaler Sicht nicht zum Nulltarif zu haben sind. Wir als Schulträger müssen uns darüber ferner im Klaren sein, dass Ganztagsschule nur vernünftig funktioniert, wenn die Mittagsbetreuung gesichert ist.

Das heißt, es werden Räumlichkeiten benötigt, in denen die Speisen aufbereitet und eingenommen werden können. Darüber hinaus brauchen Ganztagsschulen zusätzliche Räume für individuelle Betreuung und Kleingruppenarbeit. Schon aus diesem Grund ist auch die weitere Durchsetzung der Ganztagsschule nicht mit einem Federstrich zu erreichen, sondern setzt einen mehrjährigen Prozess voraus.

Online-Redaktion: Welchem Weg folgt die Stadt Koblenz mit ihren räumlichen Konzepten?

Hofmann-Göttig: Wir folgen im Augenblick eher einem pragmatischen Weg, allerdings bin ich nicht abgeneigt, die Nutzer in die Planung mit einzubeziehen. Wir haben das in Koblenz allerdings bislang noch nicht praktiziert, aber nichts spricht dagegen, das in Zukunft zu erwägen.

Online-Redaktion: Wie sieht der Ausbau von Ganztagsschulen in Koblenz zahlenmäßig aus?

Hofmann-Göttig: Wir haben 12 Ganztagsschulen von insgesamt 45 allgemein bildenden Schulen. Das ist schon ganz ordentlich. Aber damit befinden sich die Ganztagsschulen nach wie vor in der Minderheit. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die Ganztagsschulen überwiegen.

Online-Redaktion: Was macht Ihr Selbstverständnis als Oberbürgermeister aus?

Hofmann-Göttig: Ein Bürgermeister sollte nah an den Bürgerinnen und Bürgern sein. Er sollte versuchen, die Sicht der Bürgerinnen und Bürger zu berücksichtigen und seine Entscheidungen bürgernah zu treffen. Die Ganztagsschule lässt sich sehr gut begründen, zum Beispiel wegen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und, weil sie bessere Möglichkeiten für die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern bietet. Sie hilft auch, einen erweiterten Bildungsbegriff zu realisieren. Ich meine damit, dass sowohl der musisch-kreative als auch der sportliche Bereich in Ganztagsschulen ein stärkeres Gewicht bekommen kann.

Online-Redaktion: Warum ist die kulturelle Bildung so wichtig?

Hofmann-Göttig: Der musisch-kreative Bereich hat einen deutlichen Anteil daran, dass Leistungsmotivation entsteht. Die Schüler merken, welche Kreativität in ihnen steckt, wobei es zweitrangig ist, ob man den Schwerpunkt auf die Musik oder die bildende Kunst legt. Entscheidend ist, dass sie etwas gestalten, und ein Gefühl für die eigene Leistungsfähigkeit entwickeln.

Online-Redaktion: Sie haben selbst noch die Halbtagsschule besucht. Wieso befürworten Sie jetzt engagiert die Ganztagsschule?

Hofmann-Göttig: Das ist durch meine Arbeit entstanden. Ich habe dieses Thema von Anfang als Bildungsstaatssekretär an der Seite der Ministerin Doris Ahnen begleitet. Für mich war vom ersten Augenblick an klar, dass die Ganztagsschulen eine gute Sache sind. Wichtig ist nur, dass man die Ressourcen und die finanziellen Mittel dafür bereitstellen kann. Wenn das gelingt, sind die Ganztagsschulen ein gutes Modell. Ich habe unendlich viele Veranstaltungen im Land begleitet und mich den Diskussionen gestellt. Insofern kenne ich die Argumente der Gegner, die aber gut zu widerlegen sind.

Online-Redaktion: Wieso ist der Ausbau bzw. die qualitative Gestaltung von Ganztagsschulen in Koblenz für Sie wichtig?

Hofmann-Göttig: Ich bin davon überzeugt, dass das didaktische Konzept in Rheinland-Pfalz tragfähig ist. Wichtig ist vor allem, dass man die Ganztagsschulen nicht nur als Ingroupveranstaltung mit traditionell ausgebildeten Lehrkräften macht, sondern auch externe Partner beteiligt. Das ist ein wichtiges Element der rheinland-pfälzischen Ganztagsschulkonzeption.

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Ich empfehle aber auch, den jungen Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern von Anfang an klarzumachen, dass sie ihren Beruf voraussichtlich nicht mehr unter den Bedingungen der Halbtagsschule ausüben werden können. Ich selbst bin ja als Professor in der Lehrerausbildung tätig und unterrichte angehende Sozialkunde-Lehrer. Vor diesem Hintergrund halte ich es für wichtig, dass man diesen Studierenden verdeutlicht, dass die Schule sich ändert und der Lehrerberuf ein ganz normaler Vollzeitberuf wird, auch, was die Frage des Arbeitsortes anbelangt.

Online-Redaktion: Ist die Ganztagsschule im Rat der Stadt konsensual?

Hofmann-Göttig: Wir haben keine ideologische Debatte mehr über den Sinn von Ganztagsschule. Aber es stellen sich sehr wohl Raum- und Ressourcenfragen. Es kann jederzeit passieren, dass es im Stadtrat aufgrund von Kostenfragen eine Mehrheit gegen einen bestimmten Standort gibt.

Online-Redaktion: Man hat den Eindruck, dass Koblenz besonders gute Voraussetzungen für eine lokale Bildungslandschaft hat? Warum?

Hofmann-Göttig: Wir sind mit 107.000 Einwohnern groß genug, um verschiedene Angebote in unserer Stadt zu unterbreiten. Gleichzeitig sind wir klein genug, um ein funktionierendes Netzwerk aufzubauen. Für mich ist die Netzwerkbildung wichtig: Ich möchte, dass alle am Bildungsprozess Beteiligten sich beim Aufbau der Bildungslandschaft einbringen, beispielsweise auch die Musikschule, die Volkshochschule, Sportinternate usw. Ich möchte, dass Bildungsnetzwerke entstehen, die Synergieeffekte erzeugen.

Online-Redaktion: Beabsichtigen Sie in diesem Zusammenhang, ein Bildungsbüro oder ähnliche Steuerungsinstrumente zu finanzieren?

Hofmann-Göttig: Nein. Erstens, weil ich das Geld dafür nicht habe. Zweitens, weil ich die hierfür erforderliche rechtliche Genehmigung dafür nicht erhalten würde. Denn wenn eine Stadt einen überschuldeten Haushalt hat, kann sie keine zusätzlichen freiwilligen Leistungen mehr anbieten. Alles, was wir tun, muss auf die Stadt Koblenz eigens zugeschnitten werden. Dafür sind unsere Voraussetzungen in Koblenz ungewöhnlich gut. Wir haben ja nicht nur diese 45 Schulen, sondern viele andere Bildungseinrichtungen wie die Fachhochschule und die Universität, die sich in starkem Maße der Lehrerbildung verschrieben hat. Es sollte also möglich sein, unter der Nutzung dieser Infrastruktur die lokale Bildungslandschaft zustande zu bringen, ohne deswegen neue Stellen zu schaffen.

Online-Redaktion: Wie bewerten Sie den Beitrag des Bundes zum Ausbau der Ganztagsschulen?

Hofmann-Göttig: Die Bundesregierung hat mit dem Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung und dem Konjunkturprogramm II einen starken Anstoß dazu gegeben, dass wir in der Raumdebatte weiterkommen. Mit diesen Programmen konnten viele Schulraumsanierungen realisiert werden.

Online-Redaktion: Wie sieht Ihre Vision für die nächsten Jahre aus?

Hofmann-Göttig: Wer politische Verantwortung trägt, sollte erkennen, dass Bildung unsere Zukunft ist. Deswegen sind Investitionen in die Bildung unabdingbar. Ich hoffe, dass es mir als Kämmerer gelingt, keinen Widerspruch aufkommen zu lassen zwischen dieser klaren Erkenntnis von dem, was nötig ist und dem, was ich an Handlungsspielraum mit den vorhandenen Mitteln habe. Wir brauchen eine gerechte Verteilung der Steuern, damit die Kommunen freie Hand haben, perspektivisch nach vorne zu gehen.

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