Eltern und Ganztag: "Das Familienklima profitiert" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Treffen Ganztagsschulen die Erwartungen und Bedürfnisse von Eltern? Dr. Christine Steiner und Bettina Arnoldt vom Deutschen Jugendinstitut München im Gespräch.

Online-Redaktion: Sie haben beide in der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“ auch zum Verhältnis von Familien und Ganztagsschulen geforscht. Welche Bedarfe stehen bei Familien an vorderster Stelle, was ist den Eltern wichtig bei der Ausgestaltung des Ganztags?

Christine Steiner: Die in unserer Studie befragten Eltern hatten die Möglichkeit, Gründe für ihre Entscheidung für oder gegen eine Ganztagsteilnahme ihres Kindes einzuschätzen. So lässt sich ermitteln, ob für Eltern bei der Anmeldung stärker Betreuung oder Förderung im Vordergrund stehen. Für Eltern von Drittklässlern steht die verlässliche Betreuung an vorderster Stelle, gefolgt von dem Wunsch, dass ihr Kind besseren Kontakt zu Gleichaltrigen findet. An dritter Stelle finden sich dann zusätzliche interessante Angebote, die sie sich von der Ganztagsschule erhoffen, aber auch eine Unterstützung ihrer Kinder bei den Hausaufgaben.

Mutter holt Kinder von der Schule ab
© Britta Hüning

Im Prinzip werden damit drei verschiedene Aspekte angesprochen: Betreuung, soziale Einbindung und individuelle Interessensförderung, die in einem relativ ausgewogenem Verhältnis zueinander stehen. Dass Kinder durch die Ganztagsteilnahme bessere Schulleistungen erzielen könnten, spielt für die Eltern nur eine untergeordnete Rolle.

In der Sekundarstufe rückt der Betreuungsbedarf erwartungsgemäß in den Hintergrund. Aber auch die soziale Einbindung hat für Eltern nicht mehr die Bedeutung wie in der Grundschule. Stattdessen werden bessere individuelle Förderung, zusätzliche interessante Angebote und die Förderung von Selbstständigkeit als wichtigste Anliegen genannt. Verbesserte Schulleistungen durch die Ganztagsangebote wünschen Eltern vor allem zu Beginn und am Ende der Sekundarstufe I.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielen Kosten des Ganztags bei Familien. Können sie selektiv wirken?

Bettina Arnoldt: Im Rahmen des regelmäßig von StEG durchgeführten „Systemmonitoring Ganztagsschule“ werden Schulleitungen aller Schulformen aus dem gesamten Bundesgebiet nach den an ihrer Schule zu zahlenden Gebühren und Beiträgen gefragt. Die jüngste Befragung zeigte, dass in über der Hälfte der Grundschulen neben den Kosten für das Mittagessen auch eine Teilnahmegebühr erhoben wird. In den weiterführenden Schulen war das in weniger als 10 Prozent der Schulen der Fall.

Ohne Zweifel spielen die Kosten für den Ganztag gerade bei einkommensschwachen Familien bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme eine Rolle. Das zeigte sich beispielsweise in einer Untersuchung des Forschungsverbundes des DJI und der TU Dortmund zwischen 2005 und 2007 in Primarschulen Nordrhein-Westfalens. Zwar waren die Kosten nicht der Hauptgrund für die Nichtteilnahme des Kindes, sie wurden jedoch vor allem von sozial weniger privilegierten Eltern genannt.

Online-Redaktion: Bringen die Ganztagsschulen den Eltern und Familien Entlastung? Oder schränken sie das Familienleben ein?

Steiner: Entlastung können Eltern in vielerlei Hinsicht erfahren. Für die Grundschule ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein wichtiges Thema. Hier zeigt sich insgesamt, dass ein Großteil der Eltern zufrieden mit den verlängerten Öffnungszeiten ist. Grundschulen bieten überwiegend an fünf Tagen ein ganztägiges Angebot an, dass auch von vielen Familien an fünf Tagen genutzt wird. Dennoch gibt es große regionale Unterschiede. StEG konnte zeigen, dass es vor allem die Grundschulen in ostdeutschen Flächenländern und Berlin sind, die in enger Kooperation mit den Horten umfangreiche und ausreichende Öffnungszeiten gewährleisten können.

Nach und nach bieten zwar immer mehr Länder die Möglichkeit an, zusätzlich Früh- und Spätbetreuungen buchen zu können. Allerdings ist dies einerseits mit höheren Kosten und andererseits mit einem höheren organisatorischen Aufwand verbunden. Parallele Angebotsstrukturen von Ganztagsschule, Mittagsbetreuung, Hort, Früh- und Spätbetreuungen, die in manchen Ländern damit begründet werden, dass jeder für sich ein passgenaues Angebot finden kann, machen das Feld für Eltern jedoch auch unübersichtlich. Darüber hinaus ist die Versorgung mit Ferienangeboten sehr unterschiedlich ausgebaut. Auch hier melden Eltern nach wie vor Bedarfe an.

Auf das Familienleben beziehungsweise Familienklima ist kein negativer Einfluss der Teilnahme an Ganztagsangeboten festzustellen. Vor allem das Ausmaß gemeinsamer Familienaktivitäten unterscheidet sich nicht zwischen beiden Gruppen. Das Familienklima profitiert sogar in leichtem Umfang von einer regelmäßigen Teilnahme an Ganztagsangeboten. Eine Erklärung hierfür ist, dass spannungsgeladene Themen wie die Erledigung von Hausaufgaben in die Schule verlagert werden und die verbleibende Familienzeit bewusster verbracht wird.

Online-Redaktion: Inwieweit tragen Ganztagsschulen zur Entschärfung des Themas Hausaufgaben bei?

Arnoldt: Von denjenigen Schülerinnen und Schülern, die die Hausaufgabenbetreuung in Anspruch nehmen, sind rund die Hälfte der Grundschüler und gut zwei Drittel der Sek. I-Schüler der Meinung, dass ihnen die Hausaufgabenbetreuung hilft. Gleichzeitig nehmen rund 40 Prozent der Fünft- bis Neuntklässler einen Teil der Hausaufgaben immer wieder mit nach Hause, weil die Zeit in der Hausaufgabenbetreuung nicht ausreicht.

Britta Hüning
© Britta Hüning

Unabhängig von der Schulstufe sind zwar 70 Prozent der Eltern voll und ganz beziehungsweise eher zufrieden mit der Beaufsichtigung der Hausaufgaben; mit der gezielten Hilfe während der Betreuungszeiten jedoch nur 60 Prozent. Im Vergleich zu anderen Aspekten des Ganztags, die Eltern bewertet haben, schneidet die Hausaufgabenbetreuung nicht gut ab. Dennoch nimmt rund die Hälfte der Eltern eine Entlastung bei der Unterstützung des Kindes bei den Hausaufgaben wahr.

Online-Redaktion: Sind Eltern mit der Ausgestaltung des Ganztags zufrieden?

Steiner: Es zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Zufriedenheit mit den organisatorischen und pädagogischen Aspekten der Ganztagsschule: Während die Eltern mit den organisatorischen Aspekten wie beispielsweise den Öffnungszeiten oder dem Angebotsspektrum recht zufrieden sind, sehen sie die individuelle Förderung, die ihre Kinder in Ganztagsangeboten erfahren, deutlich kritischer. Hinter den (Un-)Zufriedenheiten dürften im Einzelnen unterschiedliche Gründe stecken. So sind ostdeutsche Eltern oder Eltern von Gesamtschülern vielleicht auch deshalb zufriedener, weil der Ganztag für sie selbstverständlicher ist. Wir werden genau solchen Problemen und Fragestellungen in unserem neuen Projekt „StEG-Bildungsorte“ detailliert nachgehen.

Online-Redaktion: Wie stark engagieren sich Eltern an Ganztagsschulen?

Arnoldt: An Ganztagsschulen gibt es Möglichkeiten des Engagements, die über die herkömmlichen Beteiligungsmöglichkeiten hinausgehen. Eltern können selbst Ganztagsangebote durchführen, sie können bei der Mittags- oder Hausaufgabenbetreuung mitwirken oder in organisatorisch-technischen Angelegenheiten des Ganztagsbetriebs zum Beispiel beim Kochen unterstützen.

Dieses ganztagsspezifische Engagement ist nicht stark verbreitet, insgesamt sind es rund 6 Prozent der Eltern, die mindestens eine der genannten Möglichkeiten wahrnehmen. Anders als bei den herkömmlichen Beteiligungsoptionen sind zugewanderte Eltern im ganztagsspezifischen Bereich engagierter: mehr als doppelt so viel zugewanderte beteiligen sich an den aufgezählten Elementen des Ganztagsbetriebs als nicht zugewanderte Eltern.

Online-Redaktion: Was möchten Sie mit Ihrer Teilstudie StEG-Bildungsorte herausfinden?

Steiner: Für StEG-Bildungsorte sprach die Tatsache, dass einerseits in Umfragen der überwiegende Teil der Eltern angibt, dass sie es gerne sehen würden, wenn ihr Kind eine Ganztagsschule besucht. Andererseits nutzen trotz des anhaltenden Ausbaus nur rund ein Drittel aller Schüler tatsächlich Ganztagsangebote. Deswegen wollen wir die Entscheidungsfindung in den Familien für oder gegen den Ganztag noch einmal genauer zu untersuchen. Uns interessiert, welche Erwartungen Eltern und Kinder mit spezifischen Bildungs- und Betreuungsformen verbinden oder warum sie sich für oder gegen ganztägige Angebote entscheiden. Offen ist daher aber auch, welche Konsequenzen aus diesen Entscheidungen insbesondere für die individuelle Förderung der Schüler resultieren.

Lehrerinnen mit Schülerinnen und Schülern
© Britta Hüning

Wir werden angelehnt an das Design der StEG-Längsschnittstudie der ersten Förderphase Schulkinder in unterschiedlichen Bildungs- und Betreuungssettings sowie ihre Eltern befragen, zu ihren Einschätzungen, Erwartungen und Entscheidungen im Hinblick auf die außerunterrichtliche Bildung ihrer Kinder. Wir greifen dafür auf die Stichprobe und den Datenbestand des am DJI angesiedelten AID:A-Surveys zurück. Dabei werden mit Prof. Ivo Züchner und Nicole Mink von der Philipps-Universität Marburg zusammenarbeiten.

Zur Person:



Bettina Arnoldt ist seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) am Deutschen Jugendinstitut München. Nach dem Studium der Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München im dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München geförderten Projekt „QualitätsSicherung in Schule und Unterricht“ (QuaSSU).



Dr. Christine Steiner ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) am Deutschen Jugendinstitut München. Nach dem Studium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin war sie von 1997 bis 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialforschung Halle und promovierte 2004 an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg in Soziologie mit der Arbeit „Bildungsentscheidungen als sozialer Prozess. Eine Analyse in ostdeutschen Familien“.

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