Zenneck-Schule: „Sie hatten Recht mit dem Ganztag“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Mit der „Ganztagesschule soft“ hat das Kollegium der Zenneck-Grundschule Ruppertshofen im Ostalbkreis erst die Eltern überzeugt und dann unterdurchschnittliche in überdurchschnittliche Schülerleistungen verwandelt.

Luftbild der Schule, Schüler bilden ein "Z" auf dem Schulhof
Namensgeber der Schule ist der Physiker Prof. Jonathan Zenneck © Zenneckschule

Nachdem Timo Cudazzo vor fünf Jahren seine Stelle als Schulleiter an der Zenneck-Grundschule Ruppertshofen angetreten hatte, begab er sich „ins Archiv“. Der Pädagoge wollte sich kundig machen über die Geschichte der kleinen Grundschule am Fuß der Schwäbischen Alb. Dabei musste er feststellen, dass seine neue Schule bei den VERA-Vergleichsarbeiten weit unter dem baden-württembergischen Landesschnitt abgeschnitten hatte.

„Da musste was passieren“, erinnert sich Timo Cudazzo. Und als „absoluter Fan der Ganztagesschule“ mit einem beruflichen Hintergrund an Auslandsschulen wusste der Schulleiter auch, was: „Ich wollte die Unterrichtsqualität steigern, aber vor allem mit Hilfe der Ganztagesschule mehr Zeiten für das Üben und Vertiefen in den Schulalltag einbauen“, berichtet er.

Sein kleines Kollegium – zusammen mit ihm arbeiten sechs Lehrerinnen und Lehrer an der Zenneck-Grundschule – hatte er schnell an seiner Seite. Aber „bei den Eltern war noch viel Überzeugungsarbeit nötig“, erzählt der Schulleiter. „Hier auf dem Land war die Tradition der Halbtagsschule fest verwurzelt.“ Teilweise standen manche Eltern dem Ganztag sehr kritisch gegenüber, und die Überzeugung habe viel Kraft gekostet.

Eltern lieben abgeschaffte Hausaufgaben

Das Team der Grundschule kam den Eltern entgegen, mit einer „Ganztagesschule soft“, wie Timo Cudazzo sie bezeichnet. An vier Wochentagen dauert der Schultag nun statt bis 11.45 Uhr bis 14.30 Uhr. Nach einer Mittagspause mit der Möglichkeit des Mittagessens folgt eine 45-minütige Lernzeit. Anschließend wählen die Kinder noch eins der einstündigen AG-Angebote. „Für uns Pädagogen sind die Lernzeiten das Herzstück des Ganztages“, fasst der Schulleiter die Intentionen des Kollegiums zusammen. „Aber für unsere Schülerinnen und Schüler sind es die Angebote.“

Schülerinnen und Schüler in einer Ganztags-AG
„Ich wollte Leben in die Schule bringen.“ © Zenneckschule

Trotz aller Diskussionen – als es zum Schuljahr 2017/2018 losging, meldeten von damals 65 Eltern etwa 60 ihre Kinder für den Ganztag an. Ein Vertrauensvorschuss, den die Schule nicht enttäuschen sollte. „Nach zwei Jahren sind jeweils zwei Elternpaare, die der Einführung der Ganztagsschule sehr skeptisch gegenüberstanden und dann dennoch ihre Kinder angemeldet hatten, zu mir gekommen und haben gesagt: 'Herr Cudazzo, wir haben unsere Meinung geändert. Sie hatten Recht mit dem Ganztag.'“

Cudazzo bezieht die Eltern ein. Monatlich gibt er einen Elternbrief mit Informationen über neue Vorhaben heraus. Auch nach zwei Jahren sind mit 60 Schülerinnen und Schülern beinahe 100 Prozent der aktuell 63 Kinder der Schule für den Ganztag angemeldet. „Die Schülerinnen und Schüler fühlen sich wohl. Sie mögen die längeren Pausen und besuchen gerne die AGs. Und die Eltern lieben fast noch mehr als ihre Kinder die nun beinahe gänzlich abgeschafften Hausaufgaben“, freut sich Timo Cudazzo.

VERA-Ergebnisse zum Vorzeigen

Für den Schulleiter, der sich von der Ganztagesschule auch eine Verbesserung der Unterrichtsqualität erhofft hat, gibt es nun noch einen Grund zur Freude: die Tatsache, dass nach nur zwei Jahren die Leistungen der Schülerinnen und Schüler bei der letzten VERA-Vergleichsarbeit über dem Landesschnitt lagen. Das führt er auch auf die Lernzeiten zurück. Das Üben im Klassenverband, meistens von einer Lehrkraft begleitet, hat sich als Erfolgsrezept erwiesen.

„Die Lernzeiten mit dem Üben der Schlüsselqualifikationen Lesen, Rechnen und Schreiben sind das Salz in der Suppe. Es herrscht in diesen 45 Minuten eine knisternde Lernatmosphäre, wenn die Kinder individuell an ihren Aufgaben arbeiten, und es funktioniert perfekt. Ich sehe auch, dass unsere Schülerinnen und Schüler selbstständiger geworden sind“, meint der Schulleiter. Für ihn sind „die Lernzeiten eine Fortführung des Lernens im Unterricht, es ist explizit eine Zeit, um schwächere Kinder zu fördern. Da ist der Einfluss, den die Schule nehmen kann, enorm, und am Vormittag kommt das oft zu kurz.“ Die VERA-Ergebnisse zeige er den Eltern jetzt voller Stolz.

Aufführung der Zirkus-AG
Donnerstag gibt es Akrobatik und Jonglieren in der Zirkus-AG © Zenneckschule

Schulleitung und Kollegium haben offenkundig von Beginn an die richtigen Entscheidungen getroffen, denn groß nachjustieren oder ändern mussten sie in den vergangenen zwei Jahren nichts. „Die Räumlichkeiten zu klären, hat noch am meisten Arbeit gemacht. Ansonsten waren wir selbst überrascht, wie reibungslos alles lief“, bilanziert der Schulleiter.

„Expertenkinder“ unterstützen jüngere Mitschüler

Jetzt aber wird Anfang kommenden Jahres eine Weiterentwicklung der Lernzeiten folgen. Für die 3. und 4. Klassen soll es dann die Wahl zwischen einem Stillarbeitszimmer und einem Teamzimmer geben. Im Teamzimmer werden dann „Expertenkinder“ aus dem 4. Jahrgang ihre jüngeren Mitschülerinnen und -schüler unterstützen, Unterrichtsinhalte zu wiederholen und zu vertiefen. Für Timo Cudazzo ein „weiterer Schritt in die Selbstständigkeit“ und eine folgerichtige Weiterentwicklung: „Der Stoff bleibt am besten hängen, wenn man ihn selbst noch einmal erklären muss.“ Er ist gespannt, wie das Teamzimmer von den Kindern angenommen wird.

Und noch ein weiteres Ziel hat Timo Cudazzo mit dem Ganztag erreicht: „Ich wollte Leben in die Schule bringen. Es war doch absurd, dass das Gebäude jeden Tag ab 12 Uhr leer stand.“ Die Gemeinde Ruppertshofen mit ihren rund 2.000 Einwohnern liege, so der Schulleiter, einigermaßen „weit vom Schuss“. Die AG-Angebote ermöglichen den Schülerinnen und Schüler jetzt zahlreiche Aktivitäten, zu denen sie ansonsten keinen Zugang finden würden.

„Computer Kids“ und „Walderoberer“

Schülerinnen und Schüler der Fit4future-AG auf dem Schulhof
Sport mit der Fit4future-Tonnen-AG © Zenneckschule

Das reichhaltige und altersgemischte AG-Angebot ist für die Lage der Schule mehr als beachtlich. Es verdankt sich dem „tollen engagierten Kollegium“ der Grundschule und nicht zuletzt dem gut vernetzten Schulleiter selbst, der in vielen Vereinen Mitglied ist.

Und so können sich die Schülerinnen und Schüler jeweils am Schuljahresbeginn für AGs an drei Wochentagen entscheiden – sportliche wie Kinderleichtathletik, Fußball („Tricksen und dribbeln wie Christiano Ronaldo“) oder Turnen „auf den Spuren von Fabian Hambüchen“, Zirkusakrobatik und Hip-Hop. Oder musikalische und künstlerische AGs wie Flöten, Theater-AG oder die „Werkstatt Kunst und Werken“ („Entdecke den Künstler in dir!“).

Auch Technik und Forschung sind vertreten: bei den „Computer Kids“ („Als Profi programmierst du deine erste, eigene App“), den „Lego- und Technik-Kids“, den „Kleinen Forschern“ („Du hast dich noch nie mit der Antwort 'das ist halt so' zufrieden gegeben?“) oder den „Walderoberern und Wiesenforschern“ („Wie alt werden eigentlich Bäume?“). Mit Spiele-Werkstatt („Mal entscheidet das Glück, mal deine Geschicklichkeit, mal deine Strategie und mal deine schnelle Reaktion!“), „Natur-pur-Schulgarten-AG“ („Pflanzen, säen, hacken, gießen, ernten und genießen!“), den „Miniköchen“ oder einfach „Wohlfühlen, entspannen, meditieren, chillen“ ist wirklich für jeden etwas dabei.

Für die Sport-AGs und die Fit4future-Tonnen-AG, die auf der gleichnamigen Präventionsinitiative für Bewegung und Ernährung basiert, hat die Schule extra eine Sporthalle bei einem benachbarten Verein angemietet. „Die Impulse, die von außen in unsere Schule kommen, sind wichtig. Vereinstrainer, Musikschullehrkräfte oder FSJler sprechen die Kinder ganz anders an. Und auch die Schüler gehen anders mit ihnen um“, hat Timo Cudazzo beobachtet.

„... weil die Kinder länger in der Schule sind“

Gruppenfoto der Fußball-AG
© Zenneckschule

Die Ernte aus der Schulgarten-AG wie Radieschen und Kohlrabi finden die Kinder nicht selten als Schulessen wieder. Wenn Kräuter und Gemüse geerntet werden und dann eine Kürbissuppe „aus eigenem Anbau“ auf den Tisch kommt, schmeckt es den Schülerinnen und Schülern viel besser. Die Zenneck-Grundschule hat eine eigene Köchin angestellt, nachdem die Anlieferung durch Caterer das Schulteam nicht überzeugen konnte. Derzeit müssen die Kinder noch einen längeren Fußweg zur Mensa des Gemeindehauses zurücklegen und in zwei Schichten essen. Das soll sich im kommendem Schuljahr ändern: Direkt gegenüber der Schule, auf der anderen Straßenseite dreht sich schon der Baukran für einen neuen Kindergarten mit integrierter Mensa.

Mit dem Ganztag hat sich im Übrigen auch, so der Schulleiter, das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler verbessert, und zwar „drastisch“, wie Timo Cudazzo meint. Am Anfang hätten sich, ob bei Tischmanieren oder beim freien Spielen, immer einmal Konflikte ergeben. Die Schule hat mit einem Konzept zur Verbesserung der Sozialkompetenz reagiert. So gibt es zwei sogenannte Sozialtrainingstage im Übergang von der zweiten zur dritten Klasse. Bei Verstößen berät der Klassenrat – nicht über Strafen, sondern über „Wiedergutmachung“.

Schulleiter Cudazzo findet das „sehr wichtig, weil die Kinder länger in der Schule sind und sie natürlich noch nie mit so vielen Kindern zusammen gegessen haben“. Jetzt kann er resümieren: „Die Konflikte gehen nahe null.“ Das gilt auch für den Ganztag insgesamt, der sich in Ruppertshofen etabliert hat. „Eine Rolle rückwärts wird es nicht geben“, ist der Schulleiter überzeugt.

 

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