Waldschulhelden in der Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Videobotschaften der Waldschule Hatten verraten vor allem eines: Humor und Leidenschaft. Die teilgebundene Ganztagsschule mit modernem digitalen Unterricht versteht sich als Schule der Menschlichkeit.

Schulleiterin Müller
Schulleiterin mit viel Humor: Silke Müller © Waldschule Hatten

„Verlässlichkeit, Erfolg, Humor“ ist das Motto der Waldschule Hatten im niedersächsischen Sandkrug bei Oldenburg. Wer das Büro von Schulleiterin Silke Müller betritt, bekommt schon eine Ahnung, dass das mit dem Humor nicht nur behauptet ist. Hinter ihrem Schreibtisch prangt das Poster zu der deutschen Filmkomödie „Frau Müller muss weg!“, die in einer Schule spielt. Der Sönke-Wortmann-Streifen kam just heraus, als Silke Müller 2015 gerade die Schulleitung der Waldschule übernahm. Selbstironisch hängte sie das Poster auf – und das Poster und sie sind sechs Jahre später immer noch da. Und wie!

„Humor ist mein Grundnahrungsmittel“, sagt Silke Müller. Und Humor zieht sich durch den gesamten Schulalltag, wie auch die Schulhomepage demonstriert. Videos zeigen nicht nur einen einsamen Bayern-München-Fan unter lauter Werder Bremen-Anhängern, sondern leiten auch seit einem Jahr durch die Corona-Krise. So, wenn die Schulleitungskollegen Hauke Behrens und Tobias Kläner „Monopoly – die Corona Edition“ spielen („Begib dich direkt in Quarantäne, ziehe nicht über Los“). In gedruckter Form macht der Comic „Die Waldschulhelden und die goldenen Hygiene-Regeln“ augenzwinkernd die jüngeren Schülerinnen und Schüler mit dem Verhalten in der Pandemie vertraut: „Echte Helden tragen Maske“.

„Wir waren genervt vom Bürokratismus, in einer Zeit, die Menschlichkeit braucht“, begründet die Schulleiterin die Humoroffensive. „Wir sind ein begeisterungsfähiges, junges Team, und Humor gehört für uns einfach dazu. Und wenn wir was machen, dann richtig.“ Wichtig sei allen, dass sie gute wie schlechte Nachrichten den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern persönlich übermitteln und nicht nur in einem kühlen Text – und das gehe am besten per Videobotschaft.

„Käseglocke von der Schule heben“

Zum Schulleitungsteam, das in den Videobotschaften auch oft zu sehen ist, gehören die stellvertretende Schulleiterin Sarah Schellman, Konrektor Tobias Kläner und der didaktische Leiter Hauke Behrens. Außerdem koordinieren Judith Exner die Bildungsprojekte und „Digiqueen“ Christina Wewer die digitale Bildung der Waldschule. Schulsozialpädagogin Tanja Reiher hat „gefühlt 20 Ohren und 100 Herzen“ für die Schülerinnen und Schüler. Und natürlich gehören auch Schulsekretärin Anne Schrader, Schulassistentin Gitta Schrader und die Männer „für alle Fälle“ Jürgen Dallmann und Matthias Schmidt, die beiden Hausmeister, dazu.

Gruppe WirfürSchule
Menschliches Miteinander hat Priorität. © Waldschule Hatten

Der entscheidende Begriff ist „Menschlichkeit“. Die Schulleiterin weiß: „Die Digitalisierung hat das menschliche Miteinander verändert.“ Mit Sorge sieht sie eine gewisse Verrohung in Sprache und Bild, die via Smartphone direkt an die Kinder und Jugendlichen gelange. Das sei ein „Angriff auf unsere Gesellschaft“. Sie befürchtet, „dass wir gerade fahrlässig mit unserer Demokratie umgehen“.

Wie lautet die Antwort der Waldschule Hatten mit ihren 843 Schülerinnen und Schülern und 92 Mitarbeitenden auf diese Herausforderung? „Wir müssen uns fragen: Was müssen die Schülerinnen und Schüler können, welche Kompetenzen müssen sie erlernen? Wie können sie zum Beispiel Nachrichten verifizieren? Dazu muss die Käseglocke von der Schule runter, wir müssen die Gesellschaft anders einbinden.“

Ein „Einfallstor“, die Gesellschaft in die Schule zu bringen, ist das neue Unterrichtsfach „Leben lernen“. Für das hat Ina Janhsen, Präsidentin des Niedersächsischen LandFrauenverbands Weser-Ems e.V., die Schirmherrschaft übernommen. Das Fach „Leben lernen“ findet seitdem mit zwei Wochenstunden in den Jahrgängen 5 bis 10 statt. Die Schulleiterin sieht darin „das Handwerkszeug, das man für ein erfülltes Leben benötigt“. „Das wollen wir unseren Schülerinnen und Schülern in sechs Schwerpunkten als Proviant für die Zukunft vermitteln.“

Die Schwerpunkte dieses außergewöhnlichen Fachunterrichts sind „Der Waldschul-Knigge“ (Umgangsformen), „Sinnvoll verbrachte Zeit“, „Ordnung ist das halbe Leben“, „Körper und Gesundheit“, „Allgemeinbildung“ und „Der digitale Rucksack“. Für diese sechs Module hat das Kollegium der Waldschule ein Curriculum entwickelt, konkretisiert für jede Klassenstufe. Die Klassenlehrerinnen und -lehrer unterrichten das Fach, das nicht benotet wird. Am Ende des Jahres erhalten die Kinder und Jugendlichen ein Zertifikat.

„Waldschulhelden“ im Einsatz

Die engagierte Mitarbeit bewirkt auch ein positives Arbeits- und Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler, ist die Schulleiterin überzeugt. „Leben lernen ist dabei selbst ein lernendes Fach. Wir sind dankbar für Anregungen, die wir von Schülerinnen und Schülern, aber auch von Eltern und Betrieben erhalten haben, was gelernt werden soll.“ Die Jugendlichen interessiere immer besonders die Zeit nach der Schule: mit Themen wie Ernährung und Kochen, Mietverträge oder Wohnungssuche.

Waldschulhelden
Die #Waldschulhelden helfen, wo sie können. © Waldschule Hatten

Ebenfalls in die Lebenswelt wirken die „Waldschulhelden“: Jede Schülerin und jeder Schüler, die oder der etwas für Mitmenschen tun möchte, kann etwas tun. Ihre Projekte und Geschichten dokumentieren die Schülerinnen und Schüler dann mit Filmen, Fotos und Texten „öffentlich“ auf der #Waldschulhelden-Seite der Schulhomepage. So erledigte beispielsweise Felicitas einen Einkauf, Tilko brachte einem Senioren bestellte Brote aus der Bäckerei. Eric wurde von seiner Mutter „nominiert“, denn er kümmerte sich um das digitale Lernen seines kleinen Bruders. Marian wiederum erklärte seine Mutter, die in der Pflege arbeitet, zur Heldin – und wurde selbst Waldschulheld, weil er ihr bei der Gartenarbeit half. Auch Engagement im Natur- und Umweltschutz gehört dazu.

„Der Schwerpunkt liegt hier auf sozialem Lernen“, erläutert Silke Müller. „Manche möchten aber auch gar keine offiziellen Helden sein. Die haben einfach das Herz auf dem rechten Fleck.“ Der Veröffentlichung der „Heldentaten“ müssen zudem die Eltern zustimmen. Waldschulhelden können sogar Schülerinnen und Schüler anderer Schulen werden, sie sind dann „Heldenfreunde der Waldschule“.

Ganztag ohne Pausengong

Die Stunden für das Fach „Leben lernen“ kommen aus den Klassenleiterstunden und aus dem Ganztagskontingent. Die Waldschule ist eine teilgebundene Ganztagsschule. „Wir haben lange über die Ganztagsschule diskutiert“, erinnert sich die Schulleiterin. „Wir wollten den Tag anders rhythmisieren und deshalb von der offenen in die gebundene Form wechseln. Aber fünf Tage waren uns zu viel, weil es hier auch viele Schülerinnen und Schüler gibt, die in Vereinen aktiv sind.“

Jetzt gibt es bis Klasse 8 drei lange Tage bis 15.15 Uhr: am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Der Schultag der Oberschule ist durchweg in Doppelstunden organisiert. Der Pausengong ist schon lange deaktiviert – Lehrkräfte wie Schülerinnen und Schüler können sich flexibel die Zeit nehmen, die sie gerade brauchen.

Huhn
© Waldschule Hatten

Im Ganztag können die Schülerinnen und Schüler viele Kreativkurse wählen, wie Holzatelier, Designwerkstatt oder „Wandmalerei“. Es gibt die AG „Hauswirtschaft“ und viele sportliche Angebote, zum Beispiel „Fit for Fun“, Schwimmen, Leichtathletik und natürlich Fußball. Kooperationspartner sind Sportvereine wie die TSG Hatten-Sandkrug, die Musikschule des Landkreises, die Volkshochschule Oldenburg, die Malteser und Einzelpersonen. Letztere sind Silke Müller zufolge „wichtig für die Persönlichkeitsbildung, wenn zum Beispiel Seniorinnen und Senioren aus ihrem Leben erzählen oder die Schüler ihnen umgekehrt Computerunterricht geben“.

Normalerweise finden die Ganztagsangebote klassen- oder gar jahrgangsübergreifend statt – derzeit allerdings nur im Klassenverband. Der didaktische Leiter Hauke Behrens kümmert sich um die Koordination. Während die jüngeren Schülerinnen und Schüler am Nachmittag eher „ihre Freiheit brauchen“, liegen für die höheren Jahrgänge einige Unterrichtsstunden am Nachmittag. „Das Zweifeln im Kollegium war zunächst groß, aber dann hat sich schnell gezeigt, dass Fachunterricht nach der Mittagspause auch gut funktioniert“, berichtet die Schulleiterin.

Das große Schulgelände lädt zur Mittagszeit zu Bewegung und Spiel ein. Dafür sind meist Übungsleiter von Sportvereinen im Einsatz sowie die Schulsozialarbeiter. „Für manche Kinder kann eine Stunde auch sehr lang sein“, haben die Lehrkräfte erfahren müssen. Ältere Schülerinnen und Schüler haben noch zusätzliche Angebote: Sie können sich zum Beispiel als Schulsanitäter engagieren – mit Schulsekretärin Anne Schrader, die bei den Maltesern Mitglied ist. Oder sie können als Vorsitzende oder als „Kids for Kids“-Tutoren die Videokonferenzen für die Mitschülerinnen und Mitschüler organisieren.

Auf das digitale Leben vorbereiten

iPad Klasse
Schule mit Laptop-Klassen © Waldschule Hatten

Neben der teilgebundenen Ganztagsschule war die Einführung der Oberschule „ein Meilenstein“ der Schulentwicklung. Von Klasse 5 bis 7 arbeitet die Waldschule seitdem integrativ, erst ab Klasse 8 geht es in den Haupt- und in den Realschulzweig. Inklusionsschüler sitzen statt in separaten Gruppen jetzt in den Klassen, die für Silke Müller „ein Abbild der Gesellschaft“ sind. „Etwa drei bis vier Schülerinnen und Schüler pro Klasse brauchen nochmal eine besondere Unterstützung.“ Ab der 9. Klasse wird dann die Unterstützung in der Berufsorientierung sehr wichtig. „Wir nehmen uns Zeit für die Schülerinnen und Schüler“, betont die Schulleiterin.

Bereits 2009 hat die Schule Laptop-Klassen eingeführt. Inzwischen gibt es ab Klasse 7 elternfinanzierte Tablets in allen Klassen, ebenso Beamer in allen Tabletklassen und einen mobilen Beamer-Wagen. WLAN ist im gesamten Gebäude vorhanden, bereits 2016 hat die Gemeinde Hatten für einen Glasfaseranschluss gesorgt. Sieben Lehrerinnen und Lehrer bilden das „Digi-Büro“, die digitale Steuergruppe. Sie ist der Motor der Digitalisierung und Ansprechpartner für alle Kolleginnen und Kollegen. Das „Digi-Büro“ hat zudem fachbezogene Mediencurricula entwickelt.

„Digitales Arbeiten heißt bei uns insbesondere, auf ein Leben in einer Kultur, die von Digitalität geprägt ist, vorzubereiten“, betont die Schulleiterin. 2017 erreichte die Waldschule den 2. Platz im Wettbewerb „schule digital.niedersachsen“ des Niedersächsischen Kultusministeriums. Auf Schulschließungen war die Schule durch den Schulserver IServ, der in Niedersachsen entwickelt wurde und inzwischen in mehreren Bundesländern verbreitet ist, gut vorbereitet.

Transparenz nach allen Seiten

Silke Müller sieht ihre Aufgabe als Schulleiterin darin, bestmögliche Arbeitsmöglichkeiten für alle zu schaffen. „Delegieren heißt Vertrauen schenken. Ich muss wissen, wie der Sachstand ist, aber die Lehrerteams leiten sich selbst.“

Kollegium Waldschule Hatten
Das Kollegium: „Verlässlichkeit, Erfolg, Humor“ © Waldschule Hatten

Ständig evaluiert das Kollegium verschiedene Punkte der Schulentwicklung. Dazu gehören regelmäßige Umfragen bei den Schülerinnen und Schülern. „Die Antworten auf unsere Frage, was die Schülerinnen und Schüler belastet, zu lesen, war teilweise hart“, gesteht die Schulleiterin. Umso wichtiger sei Transparenz nach allen Seiten: „Jeder soll verstehen, was wir tun und warum wir es tun. Jeder soll reinschnuppern können, was hier los ist.“

Aktuell finden alle zwei Wochen digitale Elternabende statt – mit sensationeller Beteiligung im Vergleich zu den Präsenzveranstaltungen. Drei Viertel der Eltern nehmen teil, und wer nicht dabei ist, kann sich die Abende später ansehen – sie werden aufgezeichnet.

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