Gebundender Ganztag: „Alles unter einem Dach“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Der Landkreis Ludwigslust-Parchim kann sich freuen: Das Gymnasiale Schulzentrum „Fritz Reuter“ in Dömitz ist „Umweltschule in Europa“ und „Botschafterschule für das Europäische Parlament“. Und hat dazu noch alle Bildungsgänge „unter einem Dach“.
Der erste Eindruck ist entscheidend, er prägt sich ein und vermittelt etwas. Beispielsweise etwas davon, welche Werte und Regeln gelten. Höflichkeit und Offenheit gehören hier offensichtlich dazu. In den wenigen Minuten, die sich das Gespräch mit Schulleiterin Evelyn Timmermann und dem didaktischen Leiter des Gymnasialen Schulzentrums „Fritz Reuter“ in Dömitz Dr. Marcel Warmt aus gutem Grund verzögert, geht keine Schülerin, kein Schüler vorbei, ohne aufzuschauen und ein freundliches „Hallo“ zu sagen. Eine Jugendliche erkundigt sich: „Suchen Sie etwas? Kann ich helfen?“ Mein Hinweis, dass ich zum Gespräch mit der Schulleitung verabredet bin, entlockt ihr ein Schmunzeln: „Das kann vielleicht noch etwas dauern. Wir haben hohen Besuch. Die Bildungsministerin ist da.“

Tatsächlich begibt sich Simone Oldenburg, seit gut einem Jahr Ministerin für Bildung und Kindertagesförderung von Mecklenburg-Vorpommern, aktuell auf Tour durch Schulen des Landes. Sie will aus erster Hand erfahren, was gut läuft und was optimiert werden kann. Über das Gespräch mit den Lehrkräften des Schulzentrums mit gebundenem Ganztag wurde Stillschweigen vereinbart. Doch soviel verrät Oldenburg gegenüber www.ganztagsschulen.org dann doch: „Es handelt sich um eine besondere Schule, da sie alle Bildungsgänge vereint. Sie erleichtert den Schülerinnen und Schülern die Übergänge. Hier an dieser Schule werden Schnittstellen behoben. Sie bietet einen Erfahrungsschatz für andere Schulen, wie Reibungsverluste an den Übergängen vermieden werden."
Alle Bildungsgänge „unter einem Dach“
Das Lob dürfte Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, aber auch Eltern freuen. Für das Schulzentrum ist es eine Bestätigung ihres Konzeptes „Alles unter einem Dach“, denn es umfasst die Bildungsgänge Grundschule, Orientierungsstufe, Förderbereich, Regionale Schule, Produktives Lernen und Gymnasium. Darüber hinaus ist das Schulzentrum im Bereich der Regionalen Schule, also der Klassenstufen 5 bis 10, eine gebundene Ganztagsschule, im Bereich der Förderschule, die derzeit 25 Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“ in den Klassenstufen 5 bis 9 besuchen, und des Gymnasiums eine offene Ganztagsschule und im Bereich der Grundschule eine „volle Halbtagsschule“, das heißt, eine Grundschule mit festen Öffnungszeiten, die in Dömitz täglich mit einer Betreuung ab 6.40 Uhr beginnt. Anschließend steht den Grundschulkindern der Hort zur Verfügung.
Der inklusive Gedanke prägt den Schulalltag. „Im Fachunterricht differenzieren wir nach Schulform. Doch bei den Ganztagsangeboten mischen sich alle, manches nach Altersstufen, vieles aber auch jahrgangsübergreifend“, erläutert Marcel Warmt, der als didaktischer Leiter dieser im Kern wie eine Kooperative Gesamtschule agierenden Schule auch für den Ganztag verantwortlich zeichnet. Schulleiterin Evelyn Timmermann schaut in die Runde und sagt: „Warum soll das im Ganztag nicht so sein? Schließlich mischen sich die Kinder und Jugendlichen im Ort doch auch.“ Für die Lehrkräfte greift der inklusive Gedanke schon am ersten Unterrichtstag. „Wer hier arbeiten möchte, muss bereit sein, Unterricht an allen weiterführenden Schulformen zu geben“, betont sie.

Einer der Bildungsgänge ist das „Produktive Lernen“ in den Jahrgangsstufen 7 bis 9: „Hier begleiten wir Schülerinnen und Schüler, die mit den herkömmlichen Schulstrukturen nicht klarkommen.“ Einige würden wohl die Schule ohne Abschluss verlassen. Hier nicht. Die Jugendlichen sind nur an zwei Tagen pro Woche in der Schule, und an den anderen drei Tagen werden sie in den in örtlichen Betrieben ausgebildet. Das erklärte Ziel lautet, die Berufsreife, also den Abschluss der 9. Klasse zu erzielen. Sie wird erreicht. Immer wieder erreichen einige auch die Mittlere Reife, also den Schulabschluss der Klasse 10 und bestehen die Prüfung mit erstaunlich guten Noten. Sie entwickeln sich so gut, dass viele direkt nach der Schule eine Lehrstelle finden.
Eine schuleigene Verfassung
Die Schule, die voll Freude auf die Fertigstellung des Neubaus wartet, löst sich Stück für Stück von einer Gebäudetrennung nach Schulformen. Es entstehen einzelne Lernhäuser, nach Inhalten und unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Schulform. Beim Blick auf das wachsende neue Gebäude strahlt Evelyn Timmermann: „Wir können nur dankbar dafür sein, dass der Landkreis Ludwigslust-Parchim als Schulträger unsere Wünsche ernstnimmt, immer an Kommunikation mit uns interessiert ist und auch unsere pädagogischen Überlegungen in die räumlichen Planungen einfließen lässt.“
Das ist wohl auch ein Ergebnis der von der Schule geleisteten Arbeit. 650 Schülerinnen und Schüler besuchen das Schulzentrum, darunter auch Kinder und Jugendliche aus den benachbarten Landkreisen Lüneburg in Niedersachsen und Prignitz in Brandenburg. Sie alle unterliegen der schuleigenen Verfassung, die in gedruckter Form die Verantwortung der Lehrkräfte (u.a. „Jeder Lehrer sollte die angestrebten Erziehungsziele den Schülern vorleben und sich seiner Vorbildrolle bewusst sein“), der Schülerinnen und Schüler (u.a. „Wir lernen selbstständig, ausdauernd, konzentriert und zielstrebig, übernehmen aber auch in der Gruppe Verantwortung“) sowie der Eltern (u.a. „Wir nehmen uns Zeit für unsere Kinder und fördern ihre Selbstständigkeit, ihr Selbstbewusstsein und die Befähigung zum Erwachsenwerden“) bündelt. Auch die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel und allgemeine Umgangsformen sind in der Schulverfassung verankert.
„Umweltschule in Europa“

Zu den erklärten Werten zählen am Schulzentrum in Dömitz Nachhaltigkeit und Demokratie. Dabei ist Dr. Marcel Warmt überzeugt: „Beides hängt zusammen.“ Die kürzlich ausgezeichnete „Umweltschule in Europa/ Internationale Nachhaltigkeitsschule“ und Modellschule im Projekt „Schulen der Zukunft“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern stellt Themen der Bildung für nachhaltige Entwicklung ins Zentrum des Unterrichts, aber auch der Ganztagsangebote. Dabei soll es in Zukunft bewusst noch „demokratischer“ zugehen. Nicht die Lehrkräfte geben dann alle Lernthemen vor. „Wir fragen die Schülerinnen und Schüler, was sie umtreibt“, garantiert das Schulleitungsteam.
Die Frage des Energieverbrauchs rückt vor dem Hintergrund des Klimawandels und in der derzeitigen politischen Weltlage besonders in den Fokus. Verbunden mit der Frage: „Was können wir tun?“ Damit möchte die Schule dem weitverbreiteten Argument, man könne selbst ja nichts tun, das werde irgendwo „oben“ entschieden, entgegenwirken. Konkret beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe, zumeist bestehend aus jungen Schülerinnen und Schülern, unter Begleitung dermMathematiklehrerin und Kursleiterin Elgin Tiedemann, aktuell damit, welche energiesparenden Konzepte fürs Aufladen der Tablets wirken könnten.
Eine von der Gruppe initiierte Umfrage soll die Bereitschaft testen, wie viele Schülerinnen und Schüler bereit sind, monatlich fünf Euro für die Anschaffung von solargespeisten Aufladestationen auszugeben. Die Schülervertretung hat sich bereits zu Wort gemeldet: Wenn es dazu kommen soll, müssen Lösungen für finanziell schlechter Gestellte entwickelt werden. Ein Spendenlauf wäre eine Möglichkeit. Apropos Schülermitsprache. Wahlen zum Klassenrat, zur Klassensprecherin und zum Klassensprecher sowie für den Schülerrat der Schule fördern demokratisches Verständnis. Spielregeln wie der Wahlkampf werden eingeübt, es wird vermittelt, warum es sinnvoll ist, dass die Person, die bei einer Wahl auf Platz zwei landete, nicht automatisch den Wahlsieger vertritt.
Eine Botschafterschule
Schon ab Klasse 8 formulieren die Schülerinnen und Schüler ihre Ideen zu den Themen, derer sich die Schülervertretung annehmen soll. Zu den wichtigen Aufgaben des Schülerrates zählt die Mitbestimmung über die Angebote des Ganztags, den das Schulzentrum durchweg selbst, meist durch Initiativen der Lehrkräfte oder auch externer Kooperationspartner organisiert.

Zu den demokratischen Highlights zählt, dass das Schulzentrum „Fritz Reuter“ als einzige Schule in Mecklenburg-Vorpommern den Namen „Botschafterschule für das Europäische Parlament“ trägt. Das schlägt sich in den Arbeitsgemeinschaften und einem entsprechenden Wahlpflichtfach nieder, beschert den beteiligten Schülerinnen und Schülern eine Reise zur regelmäßigen Botschafterkonferenz des Netzwerks Nord in Hamburg, ist aber auch mit Verpflichtungen verbunden: Die Kinder und Jugendlichen vermitteln dann innerhalb der Schule Wissenswertes über das Europäische Parlament und seine Aufgaben, beschäftigen sich durchaus auch kritisch mit der Europapolitik, organisieren einen Projekttag und zeichnen für einen wachsenden Instagram-Auftritt zum Thema verantwortlich.
Angesichts dieses Ziels, das Demokratieverständnis der Schülerinnen und Schüler so intensiv zu fördern, überrascht nicht, dass das Kollegium den Gedankenaustausch mit der Bildungsministerin zu schätzen weiß: „Gut, dass der Blick der Basis, unsere Ideen, Hoffnungen und eben auch kritischen Anmerkungen gehört werden“, resümiert Schulleiterin Evelyn Timmermann.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Schulporträts
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