Rhönschule: Ganztags in Wohlfühlatmosphäre : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Raus aus der „Tropfsteinhöhle“, rein in ein lichtdurchflutetes, nach pädagogischen Überlegungen gestaltetes Schulgebäude. Die Rhönschule Gersfeld macht mit dem Slogan „Miteinander leben – miteinander lernen“ ernst.

Mein „Navi“ ist an diesem Vormittag überfordert. Auf der Suche nach der Kooperativen Gesamtschule mit Ganztagsangebot und Gymnasialzweig, der Rhönschule im hessischen Gersfeld, entscheidet es sich, mich mehrfach im Kreis zu führen. Ein freundlicher Einwohner empfiehlt, mit dem Bus zum Schulzentrum, dem noch die Anne-Frank-Schule und die Otto-Lilienthal Grundschule angehören, zu fahren. Er „warnt“ allerdings mit dem Hinweis, dass ich ein paar Schritte bergauf laufen müsse, der Haltepunkt liege ein Stückchen unterhalb der „tollen neuen Schule“. Schmunzelnd fügt er hinzu: „Da kommen die Kinder schon vor der Klausur ins Schwitzen.“

Nun, als so anstrengend erweist sich der Anstieg nicht, doch in der Tat wurde die Schule über mehrere Ebenen „in den Hang gebaut“. Eine außergewöhnliche Lage, die dem Gebäude bis vor wenigen Jahren beinahe dauerhafte Finsternis bescherte. „Alles war dunkel, fast schon ein wenig erdrückend“, erinnert sich Schulleiter Marco Schumacher. Und heute? Wir betreten ein lichtdurchflutetes, großzügiges und farblich ansprechend gestaltetes Schulhaus.

„Miteinander leben – miteinander lernen“

Die Räumlichkeiten strahlen auf den ersten Blick die Wohlfühlatmosphäre aus, die als ein Markenzeichen der Rhönschule gilt. Sie ermöglicht, was das Leitbild verspricht: „Miteinander leben – miteinander lernen“ in einer Schule, die Lebens- und Lernraum darstellt. Sehen und spüren das die Schülerinnen und Schüler auch? „Ich fühle mich hier unheimlich wohl, weil alles so freundlich ist und die Klassenzimmer immer so hell sind. Ich find`s cool“, strahlt eine junge Schülerin.

Hell, modern und einladend: Veranstaltungsraum und Aula
Hell, modern und einladend: Veranstaltungsraum und Aula © Rhönschule Gersfeld

Vor wenigen Jahren war das noch anders. Dann aber entschied sich der Landkreis Fulda, der äußeren Renovierung die innere Sanierung folgen zu lassen. Doch die Pläne, die zunächst auf dem Tisch lagen, lösten bei Marco Schumacher und seinem Team wenig Begeisterung aus. Sie hätten den Erhalt der alten Architektur, nur „mit gesünderen Materialien“ bedeutet. „Lasst uns die Chance nutzen, entsprechend den Erfordernissen unseres pädagogischen Konzeptes zu bauen“, lautete die Resonanz aus der Rhönschule. Eine Schule mit einer zentralen Mitte und der Möglichkeit, jederzeit binnendifferenziert arbeiten zu können.

Bundesweit Schulbauten erkundet

Der „Einspruch“ führte zu der Bereitschaft des Landkreises, sich gemeinsam mit Vertretern von Schule und Schulamt bundesweit Schulbauten anzuschauen, die bereits eine Abkehr vom Unterricht in „klassischen“ Räumen ermöglichen. Den daraufhin angestoßenen Planungsprozess begleitete Sascha Buurman, Ingenieur, Architekt und als ehemaliger Internatsleiter Pädagoge in einer Person. „Er hat uns an wichtigen Stellen die richtigen Impulse gegeben“, lobt der Schulleiter.

Die Schule wurde etappenweise umgebaut, Wände in Serie herausgerissen. Bis auf einen Trakt, der in Kürze in Angriff genommen wird, sind so große Flächen mit einem Zentrum entstanden. So wie die „Schulstraße“. Einst ein dunkler Eingangsbereich öffnet sich nun eine Fläche für Sitzgelegenheiten, eine große Bühne und eine angrenzende, von allen drei beieinanderliegenden Schulen genutzte Mensa. Ein Gesamtpaket, das als Veranstaltungsraum und Aula genutzt wird. Hell, freundlich und einladend.

Das gilt inzwischen auch für alle Klassenzimmer. Sie liegen an den Außenseiten. Tageslicht strahlt ins Innere. Wo das wie etwa an der Hangseite nicht möglich ist, regierte die Kreativität und ließ beispielsweise einen Raum für ein Schwarzlichttheater entstehen. Auch das Lehrerzimmer ist lichtdurchflutet. Dort treffen wir die Musik-, Deutsch- und Mathematiklehrerin Regina Bleuel. Als sie 1994 an die Rhönschule kam, wähnte sie sich „in einer Tropfsteinhöhle.“ Düster sei es gewesen. „Jetzt weiß ich, wie wichtig das Tageslicht für die Arbeitsatmosphäre ist. Mein Geist kann durchatmen“, berichtet sie.

Dass die Teamräume der einzelnen Jahrgangsstufen innen liegen und damit ohne Fenster auskommen müssen, findet sie zwar schade, doch der Nutzen überwiegt. Hier befindet sich das Zentrum der Lehrkräfte eines Jahrgangs, hier tauschen sie sich aus, hier finden sie Materialien und wichtige Informationen der anderen Lehrkräfte. Dieser Treffpunkt verkürzt Wege – auch der Kommunikation. Um dieses Zentrum herum befinden sich Klassenräume, die wiederum gemeinsam mit einer angegliederten Differenzierungsfläche sowie Aufenthalts- und Ruhebereichen den Jahrgangscluster bilden. Schülerinnen und Schüler, die außerhalb des Klassenraums eigenständig arbeiten, kann die Lehrkraft von innen im Blick behalten. Türen mit Fenstern ermöglichen die freie Sicht.

Unterrichtsmethoden im Gleichgewicht

Damit kann täglich umgesetzt werden, was im Pädagogischen Konzept zur Vorbereitung der Innensanierung so formuliert wurde: „Moderner Unterricht beinhaltet wechselnde Phasen von Informieren, Experimentieren, Konzentrieren, Präsentieren, Kommunizieren, Erholen. Dem selbst organisierten Lernen ist genügend Raum zu geben. Eine erfolgreiche Inklusion stellt auch bauliche Anforderungen (nicht nur Barrierefreiheit). Überdies muss das Mobiliar eine flexible Unterrichtsgestaltung unterstützen.“ Alle Klassenzimmer sind gleich ausgestattet, ermöglichen den Einsatz neuer Medien, aber auch der „guten alten Tafel“.

Schülerinnen und Schüler finden bei Betrieben hohe Akzeptanz.
Schülerinnen und Schüler finden bei Betrieben hohe Akzeptanz. © Rhönschule Gersfeld

Was das selbst organisierte Lernen anbetrifft, warnt Marco Schumacher indes zu einem guten Gleichgewicht: „Man darf das meines Erachtens auch nicht übertreiben. Es gibt Schülerinnen und Schüler, die eine klare Linie und Vorgabe benötigen und wünschen. Darauf zu achten, ist Bestandteil differenzierter und individueller Unterstützung.“ Zum Konzept der Rhönschule zählt daher auch, dass in den Jahrgangsstufen fünf und sechs die Hauptfächer „auf Leiste“ liegen. Sprich Mathematik und Englisch stehen in allen Klassen zur gleichen Zeit auf dem Stundenplan.

Das ermöglicht eine Durchmischung der Arbeitsgruppen – in Raum 5 Addieren, in Raum 6 Multiplizieren… Der Vorteil liegt auf der Hand: Jede und jeder übt, wo Bedarf besteht. Für Lernstärkere hält die Schule Zusatzmaterial parat. Ein Bonusangebot stellt das Pädagogische Ganztagskonzept montags, mittwochs und donnerstags bis 15.30 Uhr dar. Rund 80 Prozent der 459 Schülerinnen und Schüler nutzen es.

Ausbau des Ganztagsprogramms

Die zahlreichen Arbeitsgemeinschaften, die von Lehrkräften und einigen Externen angeboten werden, zielen auf die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen, sei es in Chor und Schulorchester, sei es im Sport mit den AGs „M-Bike“, „Inliner“ oder den „Rhönis“, wie sich die Rhönrad-AG nennt. Sei es in den AGs „Lego-Roboter“, „Präsentationstechniken“ oder in der Theater-AG, die mit dem Schlosstheater Fulda kooperiert. Seit 2018 gibt es die „Smartagents“ in Kooperation mit der Firma Filmreflex: Schülerinnen und Schüler höherer Jahrgangsstufen werden nach einer Qualifizierung selbst Ansprechpartner bei Problemen in der digitalen Welt.

Schulgarten, Aquarium und Imkerei oder die AGs „Haus+Garten“ und „Kleine Köche“ zielen noch einmal besonders auf die Bildung für nachhaltige Entwicklung. Alle AGs bieten Einblicke in die grundlegenden Fähigkeiten wissenschaftlichen Arbeitens und fördern Talente. Mit ihrem Schulskilanglaufzentrum ist die Rhönschule außerdem Profilschule im Landesprogramm „Talentsuche – Talentförderung“ des Hessischen Kultusministeriums und des Landessportbundes Hessen. Die Stadt Gersfeld hat sogar eine Skirollerbahn gebaut.

Obwohl das Angebot sich mehr als sehen lassen kann, sagt Schumacher: „Unser Ganztagsprogramm wird in den kommenden Jahren sukzessive auf- und ausgebaut.“ Er ist sich mit Kunstlehrerin Britta Blenk einig, dass der gebundene Ganztag mit all seinen Vorzügen, wie etwa einer engen Verzahnung von Unterricht und Angeboten, das Optimum wäre. Doch er weiß auch: „Wir respektieren den Elternwillen und nicht alle möchten, dass ihr Kind so lange in der Schule weilt.“

Alle Ganztagsangebote zielen auf individuelle Förderung.
Alle Ganztagsangebote zielen auf individuelle Förderung. © Rhönschule Gersfeld

Künftige Fachkräfte: „Aus den Händen gerissen“

Sehr im Interesse aller Schülerinnen und Schüler wie der Eltern sind dagegen die Kooperationen mit den benachbarten Schulen. Gemeinsame Feste und pädagogische Tage, aber auch schulübergreifende AGs und gemeinsam genutzte Räume wie die Holzwerkstatt haben das Schulzentrum geeint. Auf ebenso breite Zustimmung stößt, dass die Rhönschule Leistung und Disziplin wie selbstverständlich einfordert und fördert.

Im „ZiSCH-Projekt“ – Zeitung in der Schule – der Fuldaer Zeitung erhalten die Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen, unterstützt vom Staatlichen Schulamt und der RhönEnergie Fulda, die Gelegenheit, die Zeitung zu erkunden, nicht nur die gedruckte Ausgabe, sondern auch das E-Paper. Sie analysieren Texte und das Layout, sprechen darüber hinaus über den eigenen Medienkonsum. Eine 10. Klasse hat sogar eine Umfrage unter den Schülerinnen und Schülern zu verschiedenen Lesetypen durchgeführt. Ergebnis: Immer weniger Jugendliche greifen zu Büchern und Zeitungen. 

Schülerinnen und Schüler finden bei Betrieben hohe Akzeptanz.
Schülerinnen und Schüler finden bei Betrieben hohe Akzeptanz. © Rhönschule Gersfeld

Der Ruf der Schülerinnen und Schüler ist gut. 90 Prozent jener, die eine Ausbildung anstreben, haben laut Schumacher eine Lehrstelle sicher, wenn sie ihren Abschluss in ihren Händen halten: „Die Jugendlichen werden uns aus den Händen gerissen“, freut sich Schumacher, der in seinem Engagement nicht allein ist, sondern auf sein Schulleitungsteam mit Heiko Renker, Maraike Marschall, Gabriele Bethmann und Andreas Krämer und den großen Teamgedanken aller an der Rhönschule Tätigen bauen kann. Vielleicht stoßen die Schülerinnen und Schüler bei den Betrieben auf so hohe Akzeptanz, weil neben der hier obligatorischen, breit aufgestellten Berufsorientierung noch das Netzwerk „Haupt- und Realschule“, das fit für die Ausbildung macht, geknüpft wurde.

Auf freiwilliger Basis können sich die achten Klassen des Hauptschul-Bildungsgangs und die neunten Jahrgänge des Realschulzweigs wertvolles Wissen aneignen. Firmen und Kammern haben sich zusammengeschlossen, bieten nachmittags das Training von Bewerbungsschreiben und -gesprächen, Betriebsbesuche und vor allem Praktika an. Ergänzt wird das Paket durch die Festigung von Basiswissen, angefangen von der Prozentrechnung bis hin zur Rechtschreibung. Schumacher nennt es: „Unser Zusatzbonbon.“ Eines, das Schülerinnen und Schülern, aber auch ihren potentiellen späteren Ausbildern, offensichtlich schmeckt.

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