Grundschule Roter Hahn: Ganztags aufs Leben vorbereiten : Datum:

Für Eltern, die ihr Kind nicht nur im Klassenzimmer sehen möchten, ist die Grundschule Roter Hahn in Lübeck eine gute Wahl. So häufig als möglich geht es hier zum Lernen auf den nahe gelegenen Bauspielplatz

Wortwolke Roter Hahn
© Schule Roter Hahn

Schafe grasen vor der Tür des großflächigen Schulgebäudes, das die „Heimat“ für 250 Schülerinnen und Schüler darstellt. Tierisch geht es auch beim Namen dieser Offenen Ganztagsgrundschule in Lübeck zu. Wir befinden uns im Stadtteil Kücknitz und dort in der Grundschule Roter Hahn. Man kennt die Schule, man könnte, um im Bild der Tiere zu bleiben, sagen, sie ist bekannt wie ein „bunter Hund“. Gründe dafür finden sich leicht und zahlreiche. Und einige davon sind sicher auch die Ursache dafür, dass über dieser von einer Regionalschule „übrig“ gebliebenen Grundschule eben nicht mehr das Damoklesschwert der Schließung schwebt, wie es vor knapp einem Jahrzehnt der Fall war.

„Wir mussten uns komplett neu sortieren und orientieren“, erinnert sich Schulleiterin Nicole Völschow. Bis 2013 blieben der Schule jene Schülerinnen und Schüler erhalten, denen nach der vierten Klasse noch nicht der Wechsel zum Gymnasium empfohlen werden konnte. Den Begriff „Restschule“, schätzt die Schulleiterin nicht, doch genau diese Rolle drohte dem Roten Hahn. Schließlich befand er sich in Konkurrenz mit vier weiteren Grundschulen. „Es gab nur einen Ausweg. Wir mussten gute Bildungsangebote entwickeln, kreativ denken und Ressourcen bündeln“, schildert sie die Ausgangslage.

Bilingual: „Unsere beste Idee“

Man entschied sich, fortan einen bilingualen Englisch-Unterricht ab der 1. Klasse anzubieten. „Unsere beste Idee“, urteilt Völschow knapp zehn Jahre später. Dieses Profil sowie jene für Sport und Kunst lassen auch viele Eltern an diesem Standort im traditionell als Arbeiterviertel geltenden Stadtteil festhalten, die sonst wohl nach Alternativen Ausschau gehalten hätten. Rund ein Drittel der Grundschülerinnen und -schüler wachsen bilingual auf. „Das macht total viel Spaß“, versichert uns eine Achtjährige, bevor sie sich zum Toben auf das weitläufige Außengelände verabschiedet.

Sie weiß vermutlich noch nicht einzuschätzen, welche Türen ihr der frühe Spracherwerb, der im A2-Cambridge-Zertifikat mündet, eines Tages möglicherweise öffnet. Ihre Eltern aber. Möglich wird der qualitätsvolle Unterricht auch durch sieben Muttersprachlerinnen, die vom Träger des Ganztags, der Vorwerker Diakonie, eingestellt und finanziert werden. Nicole Völschow: „Wir haben mit unserem bilingualen Konzept eine Vorreiterrolle für Grundschulen in Schleswig-Holstein eingenommen.“

Das hat sich herumgesprochen in diesem „gallischen Dorf“, wie es die Schulleiterin gerne nennt. Der gebührenpflichtige Straßentunnel stellt für manche „Dorfbewohner“ eine kaum überwindbare Hürde für ihren Zugang zu Bildung, Kunst und Sport in Lübeck dar. Doch das lässt die Kücknitzer nicht ruhen. Nach dem Motto „Wir sind Kücknitz“ hat man die Ärmel hochgekrempelt und die Stadtteilrunde MoZ (Miteinander ohne Zoff) etabliert. Dem monatlich tagenden Gremium gehören unter anderem Vereine, die Kirche, die Familienbildungsstätte, Kinderärzte, die Polizei und selbstverständlich auch die Grundschule Roter Hahn an. Gemeinsam wird erörtert, wie der Stadtteil gestärkt, welchen Beitrag jeder einzelne dazu leisten kann.

„Baui“ – das schönste Klassenzimmer

Eine Einrichtung, die ohne Wenn und Aber extrem viel dazu beiträgt ist der Geschichtserlebnisraum Roter Hahn. Der gemeinnützige Verein ist seit 1999 für die Hansestadt im Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig. Sich selbst beschreibt der Verein mit den Worten: „Kostenlos, freiwillig, inklusiv, viel Platz für Spielen und Werkeln, Feuer und Stockbrot machen, historisches Handwerk erproben, eigene Fähigkeiten entdecken, Bogenschießen, historische Gebäude bauen, alte Haus- und Nutztiere erleben, Rat und Begleitung auf dem Lebensweg finden.“

Für die Schülerinnen und Schüler ist „Baui“, wie der Bauspielplatz liebevoll heißt, ein zweites Klassenzimmer. Vielleicht das Schönste. Diplom-Sozialpädagoge Frank Thomas ist klar: „Wichtig ist uns, den Kindern Freiheiten zu ermöglichen“. Seit rund zwölf Jahren kooperieren „Baui“ und Roter Hahn. Die Grundschule nennt sich selbst auch Bauspielplatzschule. Jede Klasse ist mindestens einmal pro Halbjahr zu einem festgelegten Thema auf dem Bauspielplatz. Besonders häufig finden die 135 Kinder des Offenen Ganztags den Weg zum „Baui“: Sie sind jeden Dienstag, Donnerstag und Freitag dort. „Das sind die schönsten Nachmittage“, gesteht Thomas.

Kinder mit besonderen Förderbedarfen und der „Inselklasse“ haben die Möglichkeit, zusätzliche Programme und spezielle Angebote zu nutzen wie therapeutisches Reiten. Die Schule ist stolz auf diese Sondereinrichtung „Lerngruppe Erziehungshilfe“ (LEH) mit Platz für sieben Kinder aus dem gesamten Stadtgebiet, die zeitweise außerhalb des Klassenverbands fit gemacht werden, um am Unterricht in einer Regelklasse wieder teilzunehmen. Die besondere Haltung aller Beteiligten zur Arbeit mit herausfordernden Kindern und Jugendlichen macht den Spirit dieser Stadtteilschule aus.

Umgang mit Gefahren lernen

Mit der Schule stimmt Frank Thomas einen Jahresplan für handlungsorientierten Unterricht, der vormittags stattfindet, ab. Mehl mahlen, erleben, wie Wolle entsteht oder eine Hütte zu bauen, sind wichtige Erfahrungen fürs Leben, die sich auch gut in die Anforderungen der Lehrpläne integrieren lassen. Am wichtigsten aber ist den Verantwortlichen, dass die Grundschülerinnen und -schüler sich mit der Natur auseinandersetzen, sich unbeaufsichtigt selbst austesten.

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© Geschichtserlebnisraum Roter Hahn e.V.

Frank Thomas: „Sie dürfen bei uns viel selbst entscheiden und lernen gleichzeitig, sich an Regeln zu halten. Dabei schützen wir sie nicht vor allen Gefahren.“ Nicole Völschow fügt hinzu: „Das Gelände ist nicht eingezäunt. Es gibt sogar offenes Feuer. Welche Risiken bestehen, besprechen wir natürlich mit den Eltern und stimmen uns ab. Doch der Umgang mit Gefahren ist schließlich eine Basiskompetenz.“ Die Erfahrung gibt ihr Recht. Bislang verletzte sich niemand schwer.

Die Schulleiterin verhehlt nicht, dass nicht jede Lehrkraft ihren Unterricht auf dem „Baui“ abhalten möchte. „Das ist kein Problem. Hauptsache, wir sprechen darüber. Wir mussten ein paar Mal feiern, um zu wissen, wie wer tickt.“ Für diese Lehrerinnen und Lehrer springt gerne das Team des Geschichtserlebnisraumes ein. Trainiert wurde der Unterricht im Freien an einem Schulentwicklungstag. Völschow: „Auch für mich war es spannend und neu, Feuer zu machen, Steine zu behauen, Ziegel herzustellen und mit mittelalterlichen Werkzeugen zu arbeiten.“

An einem Strang ziehen

Das „Baui“-Team zählt ebenso wie die Vorwerker Diakonie zum Dreigestirn von Kücknitz. Selbst das Curriculum wurde gemeinsam entwickelt. „Natürlich gibt es da auch schon einmal Reibereien und die Notwendigkeit, sich präzise abzustimmen.“ Bei eher Formalem, aber eben auch bei Elementarem wie einheitlichen Regeln, Toleranz und Konsequenzen. Ein Anerkennungssystem für jede Klasse, die maximal 22 Kinder umfasst (einmal mehr zum „Baui“, ein Sporttag und anderes mehr) belohnt soziales Verhalten – für jedes Kind, aber auch für die Gruppe.

Wer Eltern fragt, warum sie ihr Kind am Roten Hahn anmelden, hört viele Antworten: Der Kontakt zur Natur, die Vorbereitung aufs Leben, Fachräume wie das Mathematikzimmer, das Terrarium im Gruppenraum, die vielen Betätigungsmöglichkeiten im Offenen Ganztag und besonders häufig der intensive Kontakt und das Vertrauensverhältnis zu den Kindern. Eine Mutter hebt „die stabilen Beziehungen, die auch nicht davon zerstört werden, dass es Interventionen bei Regelverstößen gibt“, hervor. Sie lobt ausdrücklich das 15 Personen starke Team der OGS um Leiterin Sandra Krüger: „Sie kennen ihre Pappenheimer“, meint die junge Mutter.

Die OGS-Leiterin wiederum ist überzeugt: „Dass wir jedes Kind gut einschätzen und fördern können, liegt auch daran, dass wir sie nicht nur am Nachmittag bei den Hausaufgaben und in unseren zahlreichen Kursen erleben, sondern dass wir im Unterricht als Integrationshelferinnen und -helfer aktiv sind.“ Die gesammelten Eindrücke fließen in die Teamsitzungen und in viele Gespräche, die auf kurzem Weg vereinbart werden, ein.

Und alles geschieht mit dem gemeinsamen Ziel: Kindern die Identifikation mit ihrem „gallischen Dorf“ zu ermöglichen und ihnen zugleich den Weg in die weite Welt jenseits des Lübecker Tunnels zu öffnen. 

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