Ganztagsschule Neunkirchen: Lernen mit allen Sinnen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Unsere Tage sind lang, aber auch schön“, sagen drei Schüler. Ein größeres Kompliment kann es für die Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen mit Lernzentrum und Waldklassenzimmer kaum geben.

Es wird ruhiger auf dem Gelände der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen. In diesen Tagen ist das Baugerüst abgebaut worden. Es war für den Einbau eines Aufzugs und damit für den nächsten Schritt der Barrierefreiheit erforderlich gewesen. Wer den Aufzug künftig nutzt, erreicht das Herzstück dieser rund 1.000 Schülerinnen und Schüler zählenden Schule: das Lernzentrum. 

Sein Standort ist nach reformpädagogischen Überlegungen der Montessori-Pädagogik gewählt worden: Die Konzeption dieses Raumes orientiert sich an der sogenannten „vorbereiteten Umgebung“ nach Maria Montessori. Nach Fächern geordnet werden Lernmaterialien zur Verfügung gestellt, die thematisch abgestimmt mit den einzelnen Themen der Unterrichtsfächer dort in Einzel- bzw. Partnerarbeit bearbeitet werden können.

Das 2019 eröffnete Lernzentrum zentral zwischen den beiden Gebäudekomplexen der Schule mit gebundenem Ganztag. 1,8 Millionen Euro ließ sich die Stadt kosten, was der Gemeinschaftsschule Neunkirchen wichtig war. Einen Ort, an dem sich im Wesentlichen die Fünftklässlerinnen und Fünftklässler in Kleingruppen in spannende Inhalte selbstständig vertiefen können. Schulleiter Clemens Wilhelm und die Koordinatorin des Lernzentrums Sandra Hau wissen um den Wert dieses unterirdisch gelegenen, durch bauliche Maßnahmen (Fenster an zwei Seiten, Freiflächen rund um das Lernzentrum) unglaublich hellen und farbenfrohen Raums, zu schätzen: „Er ist nicht nur didaktisch wertvoll. Er ist einfach schön. Schöne Atmosphäre öffnet die Köpfe und erleichtert das Lernen.“

Mit dem „Laufzettel“ ins Lernzentrum

Raumaufteilung
Die „vorbereitete Umgebung“ des Lernzentrums ist didaktisch wertvoll. © Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen

Bevor die Schülerinnen und Schüler den Raum nutzen dürfen, absolvieren sie den „Lernzentrumsführerschein“: Wie kommt man hinein? Wie ist er gestaltet? Wo findet man was? Welche Regeln herrschen hier? Sie erfahren dabei, dass es farblich gegliederte Bereiche gibt: einen blauen Bereich für Mathematik, einen grünen für Naturwissenschaften, einen gelben für Deutsch, Englisch und Französisch und einen orangen für die Gesellschaftswissenschaften. 

40 bis 50 Schülerinnen und Schüler finden gleichzeitig Platz. Ausgestattet mit einem „Laufzettel“ dürfen sie ihren Klassenraum, in dem sie stark selbstgesteuert, jeder individuell an seinem Lernplan arbeiten, verlassen. Der Laufzettel dient als Information für die beiden sie begleitenden Montessori-Lehrerinnen Stefanie Sandmeier und Ina von Wulfen, welchen Inhalten sich die Schülerinnen und Schüler annehmen. 

Schulleiter Wilhelm: „Ein gewollter Nebeneffekt ist, dass die Klassen dann für eine geraume Zeit deutlich kleiner sind.“ Eine Schülerin (14) verrät, was sie am Lernzentrum so schätzt: „Da ist es immer ruhig und ich kann mit Dingen arbeiten, die ich leichter verstehe. Bei mir gilt das besonders für Mathe.“ Bei schönem Wetter dürfen sich die Wissbegierigen auch an Tische und Bänke im Außengelände zurückziehen. 

Einen großen Vorteil sieht Sandra Hau darin, dass das gesamte im Lernzentrum zur Verfügung stehende Material digitalisiert vorliegt. „So kann sich jede und jeder ständig einen Eindruck verschaffen, was es gibt.“ Der Schulleiter ergänzt: „Allerdings müssen wir, die wir für die Arbeit an einer Regelschule ausgebildet sind, immer wieder einmal nachhaken, wie die Materialien der Montessori-Pädagogik eingesetzt werden.“ Auch da hilft das regelmäßige Briefing, in dessen Genuss alle Kolleginnen und Kollegen kommen.

Kommunikation auf allen Ebenen

Überhaupt: Kommunikation wird an der Gemeinschaftsschule Neunkirchen auf allen Ebenen großgeschrieben. Als feste Regel gilt, dass auf dem Schulgelände Deutsch gesprochen wird. Clemens Wilhelm: „Es geht uns nicht darum, dass Kinder ihre Muttersprache vernachlässigen oder aufgeben. Im Gegenteil. Mehrsprachigkeit ist ein Pfund, mit dem sie wuchern können. Aber wir brauchen eine Kommunikationsebene. Das ist Deutsch.“

Gruppe
Nicht nur die Räume sind farbenfroh. © Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen

Der Austausch mit Schülerinnen, Schülern und Eltern wird besonders intensiv nach dem Halbjahreszeugnis. Dann stehen für alle, außer für die 10. Klassen, Lernentwicklungsgespräche an. 45 Minuten werden jeweils angesetzt. Bei rund 700 Schülerinnen und Schülern der Stufen fünf bis neun ein enormer Aufwand. Für ihn erhalten die Lehrkräfte einen Ausgleichstag. „Damit ist der zeitliche Aufwand oft nur unzureichend abgedeckt, aber wir wissen alle, wofür wir das tun. Man lernt sich kennen, weiß einander einzuschätzen und kann gemeinsam den Plan für die Schulkarriere fortschreiben“, betont Wilhelm.

Dabei geht es durchweg stringent zu. „Wir geben beim Lernen viele Freiheiten, doch es herrschen klare Strukturen und wir erwarten auch, dass sich alle an Abmachungen und Regeln halten.“ Freimütig gesteht er ein, dass die Stringenz ab Klasse 10 durchaus noch ausbaufähig sei. Dann nämlich schließen sich seine Schule, die Galileo-Gemeinschaftsschule Bexbach und die Mühlbachschule Schiffweiler zum Oberstufenverband zusammen. Wilhelm: „Es treffen drei unterschiedliche Ideen von Schule aufeinander. Die gilt es, unter einen Hut zu bringen.“ Leicht schmunzelnd fügt er hinzu: „Vielleicht ist das ja der Beginn eines neuen Schulentwicklungsprozesses.“

Mit der Waldklasse in die Wildnis

Ein solcher ist abgeschlossen und beinhaltet die unterschiedlichen Profilklassen der fünften und sechsten, jeweils fünfzügigen Jahrgänge. Wer Sport wählt, findet dies mit sechs Stunden auf seinem Stundenplan. Die Theatergruppe unter Leitung einer Theaterpädagogin sieht sich in vier Stunden pro Woche. Die Gemeinschaftsschule kooperiert eng mit dem Kinder- und Jugendtheater „Überzwerg“. Eine Theaterklasse wird sogar von einer Schauspielerin des Theaters mit unterrichtet.

Ein halber Tag ist gar für die „Waldklassen“ im Waldprojekt der Unterstufe gebucht. Sie starten einen Unterrichtstag gemeinsam im Outdoor-Klassenzimmer, das Schülerinnen und Schüler im Wald gebaut haben. Mit dem knallgelben amerikanischen Schulbus oder den schuleigenen Fahrrädern gelangen sie zu dem 15 Minuten entfernten Gelände im Wald. Dort erwarten sie Wildnispädagoge Mike Adams, Künstlerin Stephanie Laub, jemand aus dem Kreis der Sozialarbeit sowie derjenigen, die an der Schule ein Freiwilliges Ökologisches Jahr ableisten. Rund ums „Lagerfeuer“ wird beraten, was an diesem Tag ansteht. 

„Es ist enorm wichtig, mit Kindern über ihr Lernen zu sprechen“, betont Schulleiter Clemens Wilhelm. „Sie müssen wissen, warum und wofür sie etwas tun.“ Hier im Wald wird Raum geschaffen, sich auch mit Themen und Inhalten zu beschäftigen, die so nicht ausdrücklich im Lehrplan stehen. Oder, wie es der Schulleiter ausdrückt: „Es ist möglich, mit allen Sinnen Dinge zu begreifen.“ Das wird durch die Erweiterung der Draußenpädagogik um den Bereich Landwirtschaft bald weiter gestärkt werden. Jüngst erhielt die Schule einen 1.500 Quadratmeter großen Acker. Hier sollen sich künftig Sechstklässlerinnen und -klässler betätigen und lernen. Unterstützt wird das Projekt durch den ortsansässigen „Ackerdemie-Verein“. Er wird den großen Kreis der Kooperationspartner bereichern. 

Fußball, Fußball und Lernen…

Theatergruppe
„Vielfalt rockt“ © Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen

Mit einer Portion Stolz verweist Clemens Wilhelm auf die 25 Professionen, die die Schule unterstützen und keine Lehrkräfte sind. Sei es der Grafiker, die Fotografin oder der Filmproduzent. Sie gehören zu jenen, die die insgesamt rund 40 Arbeitsgemeinschaften anbieten. Alle AGs liegen im rhythmisierten Schulalltag und sind Bestandteil des Stundenplans. Auch dort kommt das Thema Ausgrenzung zur Sprache. Schließlich trägt die Schule seit 2003 den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. 2019 feierte darum die ganze Schule unter dem Motto „Vielfalt rockt“ eine langjährige, von Peter Balnis ins Leben gerufene, Tradition. Das Konzert wurde von der AG „Schule ohne Rassismus“ unter der Leitung der Schulsozialarbeit und in Zusammenarbeit mit dem Jugendforum Neunkirchen organisiert.

Für die Schule ist es selbstverständlich, in Unterricht und AG‘s das Thema Nachhaltigkeit aufzugreifen. Besonders intensiv setzten sich die älteren Schülerinnen und Schüler damit bei der schuleigenen Klimakonferenz im September auseinander. 

Ihre nachdenklichen Gedanken hielten sie auf der Schulhomepage fest: „Wer ist schuld an der Klimakrise – Konzerne, Politik oder der Endverbraucher? Können wir nur überleben, wenn alle Menschen sich vegan ernähren? Brauchen wir Aufklärung oder doch Verbote aus der Politik? Woher kommt die Kleidung, die wir tragen? Wie viel Regenwald wird täglich zu welchen Zwecken von wem gerodet? Was kann jeder einzelne tun um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken? Und hat man eigentlich ein Grundrecht darauf, im Supermarkt geschälte und in Plastik eingeschweißte Bananen kaufen zu können? Welche Städte verschwinden im Meer, wenn die Menschheit weiterhin ,Business as usual` baut, und was kann das flächenmäßig kleine Deutschland mit seinen 83 Mio. Menschen überhaupt ausrichten, wenn in China immer noch neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen?“

Träumen von Juve und ManU

Für jene Jungen und Mädchen, von denen einige in der Jungendnationalmannschaft spielen, und die eine besondere Stärke und Leidenschaft beim Fußballspielen entwickeln, stehen die AGs dennoch nicht zur Wahl. Denn die GGS Neunkirchen ist auch „Sportbewegte Schule“ und „Eliteschule“ des Deutschen Fußballbundes. Und so dürfen die Fußballer und Fußballerinnen in dieser Zeit Extra-Unterricht genießen, um auszugleichen, was sie aufgrund von Training, Sichtungen und Lehrgängen verpassen. Timo Kriegshäuser, selbst früher aktiv beim FK Pirmasens, kümmert sich als Sportkoordinator auch um die 40 jungen Spieler, von denen drei vor dem Sprung in die Jugendnationalmannschaft stehen. Kooperationspartner ist der Regionalligist SV Elversberg. Er holt die Spieler mit dem Vereinsbus zum Training ab. 

Schule, Hausaufgaben, Fußball – eine ordentliche Belastung. Bestätigen die 14jährigen Silvano, Tyler und Lionel, als sie gerade vom Training kommen. Zumeist verlassen sie das Elternhaus gegen 7 Uhr und kehren gegen 20, manchmal 21 Uhr zurück. Doch sie wissen, wofür sie es tun: „Wir wollen Profis werden.“ Silvano und Tyler zieht es zu Juventus Turin, Lionel dagegen zu Manchester United. „Unsere Tage sind lang, aber auch schön“, sagen alle drei übereinstimmend.

Schulleiter Wilhelm ist es recht. Er gibt den Talenten aber mit auf den Weg: „Dann macht weiter so wie bisher und strengt euch im Unterricht an.“ Die Schule unterstützt die Schülerinnen und Schüler gerne.“ Wilhelm fügt hinzu: „Die Jungs sind, auch was die Noten angeht, gut.“ 

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