Ganztagsgrundschule Hude-Süd: Tierisch gut : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Wir sind kein Caterer. Wir sind Bildung“, stellt die Schulleiterin klar. Wissend, dass vieles gut läuft, entwickelt sich die Grundschule Hude-Süd immer weiter, wie bei der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler.

Schulgebäude
© Michael Rosenthal

Ich stehe fast im Wald und fühle mich dennoch nicht verloren. Vogelzwitschern und Kinderstimmen erfreuen das Gemüt, während ich an der Grundschule Hude-Süd ankomme. Die Schule im Landkreis Oldenburg liegt verträumt in einer Siedlung von Einfamilienhäusern, geschützt von Schatten spendenden Bäumen. Schnell entdecke ich am Tor der von 226 Schülerinnen und Schülern besuchten Ganztagsgrundschule Louisa. Die Zehnjährige war mir kurz vor Beginn des Treffens als „Empfangsdame“ angekündigt worden. Schulleiterin Birte Kempers bat um ein Verständnis für ein paar Minuten der Verzögerung: „Wir müssen noch ein Blitzgespräch führen“, ließ sie wissen.

Sie dokumentierte damit bereits ungewollt ein Kennzeichen der Grundschule Hude-Süd: Kleine Probleme werden sofort gelöst, so wie an diesem Tag einige Fragen zum gerade gestarteten Projekt „Individualisiertes Arbeiten“ mit der wunderschönen, irgendwie auf die Nähe zu Tieren hinweisenden Abkürzung IA. Für größere Herausforderungen dagegen wie das Projekt selbst oder auch die Optimierung des Ganztags nimmt man sich Zeit. „Wir kennen unsere Baustellen und wollen an ihnen feilen, wissend, dass viel schon prima läuft. Dazu aber müssen wir alle im Kollegium mitnehmen“, sagt Kempers.

Hund, Echse, Huhn

Schülerin Louisa hat sich gerade verabschiedet. Zuvor hatte sie noch die Rolle der Fremdenführerin übernommen: „Was möchten Sie gerne sehen?“ Ich entscheide mich für die Tierwelt der Grundschule. Im Zimmer der Schulleiterin wacht Rauhaardackel Hanno, ein friedlicher Geselle seiner Zunft. Birte Kempers nimmt ihn gerne mit in ihren Unterricht. „Dann ist es deutlich ruhiger“, erlebt sie und weiß, dass manch ein Kind Hanno schon einmal seine Sorgen anvertraut. Er hört gerne zu, widerspricht nicht.

Rudi, die Haus-Bartagame, versteckt sich gerne, gut getarnt in ihrem Terrarium. Die stellvertretende Schulleiterin Mahssa Dadari weiß um ihre Bedeutung: „Sie spricht eher jene an, die keine ‚Draufgänger’ sind.“ In ihrem Terrarium im Schulgebäude bekommt die hellbraune Echse wenig von Hudes Tierwelt auf dem weitläufigen Außengelände mit Spielgeräten aller Art mit. Während Schülerinnen und Schüler Energie beim eigenen „Auslauf“ tanken, picken in stoischer Ruhe wenige Meter weiter die Schulhühner ihre Leckerbissen vom Boden. Louisa ist begeistert: „Ich finde es toll, dass wir so viele Tiere haben.“

Die Palette der Angebote ist bunt.
Die Palette der Angebote ist bunt. © Michael Rosenthal

Welche Bedeutung sie für die Kinder haben, belegt das Beispiel des inzwischen die 6. Klasse einer weiterführenden Schule besuchenden Schülers. Noch heute kommt René vorbei und füttert die Hühner, die er nicht nur schätzt, sondern auch „erzogen“ hat. Sie fressen ihm aus der Hand und setzen sich gerne auch auf seinen Schoss. Mahssa Dadari bringt es auf den Punkt: „Die Tiere tun den Kindern gut. Sie sind Ansprechpartner, die nicht bewerten.“ Birte Kempers ergänzt: „Gleichzeitig übernehmen die Schülerinnen und Schüler Verantwortung. Eine wichtige Voraussetzung für ihr späteres Leben als Jugendliche und Erwachsene in der Gesellschaft.“

60minütige Lernzeiten

Die Grundschule Hude-Süd sieht sich als Spiegelbild und Querschnitt dieser Gesellschaft. „Deshalb sind wir völlig offen für jede Konfession und für jedes Individuum“, versichert Kempers. Dabei schließt sie auch die Schülerinnen und Schüler des Förderzentrums Vielstedter Straße ein, die wann immer möglich in den Regelunterricht integriert werden. Ebenso selbstverständlich sind die Klassen durchmischt mit Kindern aus unterschiedlichen sozialen Milieus.

Die Kinder kämen mit extrem unterschiedlichen Voraussetzungen in die Grundschule. Dem soll „IA – Individualisiertes Arbeiten“ Rechnung tragen, betonen unsere Gesprächspartnerinnen. Dem Mathematik- und Deutschunterricht wurden pro Doppelstunde zehn Minuten „gestohlen“. Die „Beute“ wird zu einer 60minütigen Lernzeit zusammengeführt. In ihr können die Schülerinnen und Schüler aktuelle Lerninhalte und Lernmethoden trainieren. Derzeit widmen sie sich beispielsweise der Multiplikation und dem Satzanfang.

In Zukunft, so wird überlegt, sollen sie in der Lernzeit noch mehr Freiheit erhalten, sich selbst gewählten Inhalten zu widmen, in denen sie eigene Schwächen oder besonderes Interesse entdeckt haben. Birte Kempers: „Wir möchten ihnen mehr Zeit geben, an einem einzelnen Thema exemplarisch zu arbeiten.“ Ihre Stellvertreterin Mahssa Dadari wünscht sich, dass „sie nicht nur mit Stift und Zettel an Vorgegebenem agieren, sondern ins eigenständige Handeln und Interagieren kommen.“ Lehrerin Finja Balzerkiewitz, Mitglied des Ganztagsteams, findet: „Sie sollen einfach Lust haben, zu lernen.“

Das Kollegium ist sich seiner Stärken bewusst
Das Kollegium ist sich seiner Stärken bewusst © Michael Rosenthal

Vorgänger der aus Sicht der Schule hoffentlich irgendwann für alle eingerichteten Lernzeit ist die von Lehrkräften begleitete Hausaufgabenbetreuung im Rahmen des Ganztags. Übereinstimmend finden unsere drei Gesprächspartnerinnen: „Das ist so ein Punkt an dem wir arbeiten möchten. Wir sind keine Befürworterinnen klassischer Hausaufgaben. Außerdem sind die Gruppen aktuell zu groß.“

„Wir sind keine Caterer – wir sind Bildung“

Der Startschuss zum Ganztag fiel exakt vor einem Jahrzehnt, als die Grundschule Hude-Süd ihr eigenständiges Konzept umzusetzen begann. Die Eltern von 30 Kindern sagten damals „ja“ dazu. Heute sind es vier Mal so viele Schülerinnen und Schüler, die sich im Ganztag anmelden . Birte Kempers macht daher all jenen Mut, die sich auch auf den Weg begeben wollen. „Fangen sie an. Wachsen Sie Stück für Stück und überprüfen sie regelmäßig ihr Konzept.“

Die Organisation des Ganztags möchte die Schule nicht aus ihren Händen geben. Eng kooperiert sie als sportfreundliche Schule mit dem TV Hude, mit dem sie sich auch regelmäßig austauscht. Lehrkräfte, pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie zwei FSJler füllen das Programm. Sie bieten die unterschiedlichsten Angebote an. Wer welches nutzt, entscheiden die Kinder selbst. Dann treffen sie sich mit Finja Balzerkiewitz an der großen Tafel im Foyer, schauen, was ihnen gefällt. „Sie sollen das weitgehend frei wählen, auch wenn wir manchmal ein wenig regulierend eingreifen“, sagt die Lehrerin.

Um Frust zu vermeiden, dass es mit der Lieblings-AG dieses Mal nicht geklappt hat, wird quartalsweise gewechselt. Die Palette der Angebote ist bunt. Sport und Musik sind vertreten, ebenso wie solche, die widerspiegeln, dass sich die Schule auf dem Weg zur Umweltschule befindet. Gerne schließen sich die Kinder zum Beispiel der Hausmeister-AG ihrer Schulleiterin an, ölen die schuleigenen Catcars oder zupfen Unkraut. Derzeit wird erwogen, der jüngsten IGLU-Studie Rechnung zu tragen und eine zusätzliche AG Lesezeit zu etablieren.

Kleine Probleme werden sofort gelöst...
Kleine Probleme werden sofort gelöst... © Michael Rosenthal

Dem Wunsch mancher Eltern, ihr Kind nach dem Mittagessen abzuholen, mag die Schule allerdings nicht nachkommen, wissend, dass Eltern erweiterte Öffnungszeiten durch die Kita gewöhnt sind. Birte Kempers: „Wir sind kein Caterer. Wir sind Bildung.“ Ebenso muss „nein“ gesagt werden, wenn Eltern flexible Abholzeiten einfordern. Eine OGS braucht verlässliche Abläufe.

Gespannt blickt man der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung entgegen. „Dann werden die Karten ohnehin neu gemischt“, glaubt die Schulleiterin. Sie wünscht sich vor allem, dass jetzt schon Zertifizierungskurse für jene angeboten, die später das Ganztagsteam ergänzen werden.

Demokratische Werte werden gelebt

Das Kollegium ist sich der Stärken seiner Grundschule bewusst. Dazu zählt, dass den Kinder etwas zugemutet und Leistung erwartet wird. „Aber bei allen so, wie sie es können“, sagt Mahssa Dadari. Zu den Pluspunkten zählen sie das Leben demokratischer Werte. Schülerinnen und Schüler tragen Verantwortung. Sie füttern die Tiere, markieren regelmäßig an der Magnetwand, wo sie sich aufhalten und übernehmen es, morgens die Ankommenden zu begrüßen.

Und sie dürfen mitentscheiden. Etwa, wenn es um die Wahl neuer Spiele geht. Sie akzeptieren, dass die Schule das letzte Wort hat, auch weil diese schauen muss, was das Budget hergibt. Was für die Jüngsten gilt, trifft auf alle an der Schule Tätigen zu. Sie werden eingebunden, informiert. Ein Handout mit den wichtigsten Regeln und Zielen der Schule ist für alle obligatorisch. Es gibt feste Ansprechpartnerinnen und -partner für Ehrenamtliche und FSJler.

Immer verantwortlich

Geht es um die Gestaltung des Ganztags, insbesondere am Nachmittag, brauche es jedoch noch mehr Möglichkeiten und eine Struktur, um die Qualitätskontrolle für die Angebote zu gewährleisten und auch mehr Anleitung für das Personal. „Wir müssen an einem Strang ziehen, wissen, was wer wie macht“, hebt Schulleiterin Birte Kempers hervor. Lehrerin Finja Balzerkiewitz weiß: „Wir Lehrkräfte kennen jedes Kind, wissen, was es benötigt, haben eine Beziehung zu ihm. Darum fühlen wir uns auch dann verantwortlich, wenn wir beispielsweise am Nachmittag nicht dabei sind.“

„Hier ist eigentlich alles klasse"
„Hier ist eigentlich alles klasse" © Michael Rosenthal

Wie noch bessere kollegiale Zusammenarbeit gelingen kann und wie sich die Schule insgesamt weiterentwickelt, daran soll intensiv weitergearbeitet werden. Auch an der Überlegung, eines Tages den teilgebundenen Ganztag anzubieten. Auf dem Weg dorthin steht Wilfried Steinert an der Seite der Schule. Der frühere Leiter der Waldhofschule Templin, Integrations- und Schulentwicklungsexperte, begleitet die kommenden Schritte. Er betont: „Wichtig ist, alle Beteiligten immer wieder einzubinden.“

Die Schülerinnen und Schüler gehören dazu. Louisa dürfte eine wertvolle Gesprächspartnerin für Wilfried Steinert sein. Sie kann benennen, was ihr und ihren Altersgenossen gut gefällt, was sie zum Lernen motiviert, warum sie gerne in die Schule kommen. Uns sagt sie: „Hier ist eigentlich alles klasse, auch die vielen Veranstaltungen wie unser Sport- und Spielefest.“ Ihr Kompliment wird die Erwachsenen freuen, aber nicht dazu führen, sich auf dem Erreichten auszuruhen.

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