Ganztag mit Aufwind in Berlin : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

An der Paul-Löbe-Schule in Berlin-Reinickendorf sorgen Schülerfirmen für eine ausgezeichnete Berufsorientierung, in Kooperation von Lehrkräften und Schulsozialarbeit. Im Ganztag greift ein Rädchen ins andere.

Deko & Design. Möbel & Design. Paper & Co. Foto Factory. Was sich wie die Auflistung mittelständischer Unternehmen liest, findet sich tatsächlich unter dem Dach einer Schule in Berlin-Reinickendorf. Die Paul-Löbe-Schule, eine Integrierte Sekundarschule mit teilgebundenem Ganztag, beeindruckt mit der großen Anzahl von Schülerfirmen, die Teil des „Gesamtpakets“ Berufsorientierung sind. Diese steht unter dem Motto „Kein Abschluss ohne Anschluss“ und ist mehrfach preisgekrönt: Unter anderem stand die ISS schon 2017 im Wettbewerb „Starke Schule“ ganz oben auf dem Treppchen, erhielt 2019 das Berliner „Qualitätssiegel für exzellente berufliche Orientierung“ und im September 2020 die Auszeichnung als Botschafter-Schule von „Partner, Schule, Wirtschaft“, der Service- und Koordinierungsstelle für Berufliche Orientierung in Berlin.

Vorbereitung der Ausstellung „Notizen gegen das Vergessen“ © Maxi Hirthe / Aufwind e.V.

„Wie in vielen Schulen fing alles einst mit einer Cafeteria an. Denn Hunger haben Schüler immer“, erzählt Schulleiterin Elke Rimpau. „Dann kamen die Foto Factory und Paper & Co. hinzu.“ Zunächst waren die Schülerfirmen Arbeitsgemeinschaften. Akzeptanz und Nachfrage stiegen, und so starteten drei weitere Firmen und der Dachverband PLOBS – Paul-Löbe-Oberschule-Berliner-Schülerfirmen –, der nun mit eigenem Logo, Werbeplakaten, einer Website und einheitlichem Briefpapier nach außen in Erscheinung trat. Als nächster Schritt folgte die Einbindung der Schülerfirmen in den Fachunterricht Wirtschaft-Arbeit-Technik (WAT) in der 9. und 10. Jahrgangsstufe, der mit einer Wochenstunde verstärkt wurde.

Die Schülerinnen und Schüler wählen am Schuljahresbeginn eine Schülerfirma, in der sie mitwirken wollen. Durch die Rotation auf verschiedenen Funktionen erhalten alle – handlungsorientiert – Kenntnisse betrieblicher Abläufe und gewinnen Kompetenzen, zu denen auch Pünktlichkeit, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit und das Einhalten von Terminen gehören.

Von „Pauls Fahrradwerkstatt“ bis zum „Löbe Store“

In der Cafeteria organisieren die Jugendlichen eigenständig den Einkauf und bereiten belegte Brötchen und Salate vor, die sie in den Hofpausen an die Schulgemeinschaft verkaufen. In „Möbel & Design“ stellen die Schülerinnen und Schüler verschiedene Produkte aus Holz wie Stelzen, Schrankmodule, Wippen, das Musikinstrument Cachon, Schneidebretter oder Schreibbretter her. In „Paper & Co.“ verwalten Jugendliche die Schulbücherei mit ihren 40.000 Titeln. Die Schülerinnen und Schüler in „Pauls Fahrradwerkstatt“ reparieren, warten und bauen Fahrräder. 

Die Gartenbau-Schülerfirma wiederum pflegt den parkähnlichen Schulgarten, die Kräuterbeete sowie die Grünflächen des Schulhofs. Geerntet und verarbeitet werden auch Produkte aus dem Schulgarten. Entstanden sind unter anderem eine Baumbank und ein Gartenhaus. An die „Foto Factory“ können sich alle Mitglieder der Schulgemeinschaft, aber auch Privatpersonen, wenden, um fotografiert zu werden, Bewerbungsfotos inklusive. Außerdem werden Veranstaltungen fotografisch begleitet, und in Zusammenarbeit mit dem „Löbe Store“ erstellen die Jugendlichen den jährlichen Fotokalender.

Auszeichnung als „Botschafter-Schule 2020“ mit Elke Rimpau (2.v.l.) © Paul-Löbe-Schule

Der „Löbe Store“ stellt Fanartikel wie T-Shirts oder Schreibblöcke mit eigenem Logo für die Schule her. Ein schuleigener Kunde des „Löbe Store“ ist die Schülerfirma „Pauls Skikeller“. Dort verleihen die Schülerinnen und Schüler Ski, Skistiefel, -stöcke und -helme für die üblicherweise im Dezember stattfindende Schulskifahrt nach Saalbach-Hinterglemm, aber auch an externe Skifreunde. Für die Schulskifahrt entwerfen sie die Motive für Erinnerungs-T-Shirts und Hoodies, die im „Löbe Store“ bedruckt werden können.

Die „Textilwerkstatt“ versorgt vor allem die Werkstätten und die Küche mit selbstgenähten Schürzen, stellt daneben aber auch Taschen aus recycelten Lebensmittelpackungen, Türstopper und Windfänger, Nadelkissen und Schlüsselanhänger und inzwischen natürlich auch Mund-Nasen-Bedeckungen her.

„Die Berufsorientierung zieht sich wie ein roter Faden durch die Jahrgänge“, erklärt Elke Rimpau. „Da kommt uns zugute, dass wir als ehemalige Hauptschule über Räume wie eine Metallwerkstatt, eine Holzwerkstatt, eine Küche und eine Fahrradwerkstatt verfügen.“

Teilgebundender Ganztag mit Aufwind

500 Schülerinnen und Schüler lernen an der fünfzügigen Ganztagsschule. Die Schülerzahl hat sich in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. „Wir haben bewusst unterschiedliche Schwerpunkte in unserem Schulprogramm gesetzt, denn wir wollen einfach allen Schülerinnen und Schülern mit ihren sehr unterschiedlichen Lernbedürfnissen gerecht werden“, erläutert die Schulleiterin. „Wir trennen auch nicht künstlich Fachunterricht, Ganztagsangebote und Schulsozialarbeit – es sind ja dieselben Jugendlichen.“

Schon seit 2010 ist die Paul-Löbe-Schule eine teilgebundene Ganztagsschule. Die 70 Lehrerinnen und Lehrer kooperieren mit den Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Schulsozialarbeit von Aufwind e.V., die von Montag bis Freitag an der Schule präsent sind. Dort verfügen sie über eigene Büro- und Beratungsräume im Schulgebäude und sogar einen eigenen Pavillon. Neben der Hausaufgabenbetreuung und mehreren Schülerfirmen organisiert Aufwind e.V. viele Arbeitsgemeinschaften: von „Kochen und Backen“ über „Billard“, die „Mädchenrunde“ bis zu „Berlin entdecken“ und „Stolpersteine“.

Theater
„Richard Reloaded III“-Aufführung © Paul-Löbe-Schule

Einen großen Stellenwert hat auch die Kunst – wie etwa die „Theater“-AG mit dem Sänger Fabian Martino und der Theaterpädagogin Julia Orama und die „Kostüm und Bühne“-AG mit der Berliner Bühnenbildnerin Friederike Meese. 2019 haben Sieben- und Achtklässler die Shakespeare-Adaption „Richard Reloaded III“ Premiere („Ein Königreich für ein Pferd“) aufgeführt, die Geschichte um Machtstreben und Intrigen, die nach moralischen Werten in der Gesellschaft fragt: „Wie weit würdest du gehen, um deine Ziele zu verwirklichen? Und auf wessen Kosten?“

Schulklima und soziale Kompetenzen fördern

Aufwind bietet aber auch unterrichtsbegleitende Angebote, Einzel- und Kleingruppenförderung sowie projektbezogene Arbeit. Diplom-Sozialpädagogin Kerstin Miemel erklärt: „Wir sind ziemlich autonom, aber im engen Gespräch mit der Schulleitung und dem Kollegium. So entwickeln wir die Angebote die Jugendlichen und für die Lehrkräfte. Beim regelmäßigen Jour Fixe beraten wir uns mit Sonderpädagogen, Vertretern des Jugendamtes, des Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrums (SIBUZ) und der Schulleitung in einem multiprofessionellen Team über einzelne Schülerinnen und Schüler. Das finde ich bemerkenswert. Außergewöhnlich ist auch, dass ich zum Mitglied der Erweiterten Schulleitung gewählt worden bin.“

„Wir führen Elterngespräche, begleiten die Klassenräte und führen in den 7. und 8. Klassen alle zwei Wochen ein zweistündiges Soziales Training durch“, erläutert Kerstin Miemel. „Wir möchten da unter anderem ein positives Klassenklima erreichen und soziale Kompetenzen entwickeln. Die Jugendlichen befassen sich in den zwei Jahren mit Kommunikation, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Teamfähigkeit und dem Umgang mit Gefühlen.“

Sportfest
© Paul-Löbe-Schule

Seit dem Schuljahr 2019/2020 arbeitet der Psychologe Ali Çoruh mit einer festen Stelle an der Paul-Löbe-Schule. Er bietet unter anderem Supervisionen für Lehrkräfte und für das Sozialarbeiterteam an, aber auch Einzelberatungen für Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und sogar für Eltern. „Die Supervision und das Coaching von Lehrkräften ist der Wunsch von Elke Rimpau gewesen“, erzählt Ali Çoruh. „Das Angebot ist freiwillig und hat sich schnell etabliert. Die Kolleginnen und Kollegen finden das sinnvoll, über ihren Beruf zu reflektieren und sich dafür Raum und Zeit zu nehmen. 40 Stunden die Woche habe ich gut zu tun.“ Alle neuen Lehrkräfte erhalten vier bis fünf „Kennenlern-Sitzungen“.

Aufwind e. V. begleitet auch die Austauschreisen zu den Partnerschulen in Kopenhagen, Malmö und Numancia de la Sagra. Eine besondere Reise führt regelmäßig in die Gedenkstätte Auschwitz. Zehntklässler, die an der Gedenkstättenfahrt teilnehmen wollen, müssen in einem Motivationsschreiben begründen, warum sie mitfahren wollen, und an zwei Vorbereitungs-Workshops teilnehmen. Ihre Eindrücke arbeiten sie zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern auf. Diplom-Sozialpädagogin Kerstin Miemel hat beobachtet, „dass die Jugendlichen in dieser Zeit extrem reifen. Das ist spannend mitzuerleben“.

„Auf Tour“ in Richtung Beruf

Auch in die Berufsorientierung ist die Schulsozialarbeit involviert. Ein enger Kontakt besteht zur Berufseinstiegsbegleiterin Andrea Preuße, die regelmäßig Schüler und Schülerinnen individuell ab der 9. Klasse für zwei Jahre berät. Bei regelmäßigen Treffen des BSO-Teams (Berufs- und Studienorientierung) werden Schüler und Schülerinnen individuell ab der 9. Klasse für zwei Jahre beraten. „Wir helfen auch beim Verfassen von Bewerbungen und Lebensläufen und üben Bewerbungsgespräche“, erzählt Kerstin Miemel, die mit ihrem Team eng verzahnt mit dem BSO-Team kooperiert und vor allem sozial benachteiligte Jugendliche unterstützt. „Und am Ende der 10. Klasse befragen wir Schülerinnen und Schüler nach ihren Zukunftsvorstellungen und eventuellem weiteren Unterstützungsbedarf.“

Ausbildungsplatzmesse
Ausbildungsmesse © Paul-Löbe-Schule

Die Berufsorientierung an der Paul-Löbe-Schule beginnt in der 7. Klasse mit dem Sozialen Training, dem Berufswahlpass und den WAT-Werkstätten. Alle Achtklässler nehmen am Projekt „Komm auf Tour“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Bundesagentur für Arbeit teil. In 90 Minuten durchlaufen die Jugendlichen in einer Halle in Wittenau vier Stationen mit Aufgaben, dazu gehören das Aufräumen einer Wohnung, Improvisationstheater und ein Labyrinth. Lehrkräfte beobachten die „Tour“, schätzen Stärken ein, diskutieren mit den Schülerinnen und Schülern und fühlen schon mal vor, in welche berufliche Richtung es gehen könnte. „Den Jugendlichen macht das Spaß, und wir entdecken manchmal Stärken, die man im Schulalltag so nicht mitbekommt“, berichtet Elke Rimpau.

Es folgen bis in die 10. Jahrgangsstufe regelmäßige Betriebsbesichtigungen, zwei dreiwöchige Praktika und Berufsfelderkundungen. Besonders stolz ist die Schulleiterin auf die seit zwei Jahren bestehende schuleigene Ausbildungsmesse. Das Team der Berufsorientierung – Lehrkräfte des Oberstufenzentrums Ernährung und Lebensmitteltechnik Emil-Fischer-Schule und eine Mitarbeiterin der Arbeitsagentur – „bereitet das hervorragend vor“, wie Elke Rimpau betont.

„Die Schülerinnen und Schüler können hier ganz gezielt im voraus angemeldete Gespräche mit über 20 Ausbildungsbetrieben aus unserer Region führen. Das bringt mehr, als wenn sie auf den großen Messen durch die Gänge wuseln und hauptsächlich Kugelschreiber einsammeln.“ Und wer sorgt auf der Messe für die Beköstigung? Natürlich die „Catering“-Schülerfirma. Und auch die „Foto Factory“ ist direkt zur Stelle – denn Bewerbungsfotos werden gebraucht.

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