Ganztag in Emstek: „Hier wird in Bildung investiert“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Ein ausgefeiltes Übergangsmanagement, mehr Zeit zum individuellen Lernen und ein intensiver Blick auf alle Schülerinnen und Schüler kennzeichnen die Oberschule Emstek. Kooperationen ebnen den Weg in die Ausbildung.

„Schwächen schwächen und Stärken stärken“ – dieses Motto hat sich die Oberschule Emstek im Landkreis Cloppenburg  auf ihre Fahnen geschrieben. Papier ist geduldig, mag man sagen. Also schauen wir hinter die Kulissen, erforschen, wie die Schule im malerischen Ort ihren Anspruch mit Leben füllt.

Schulleiterin Kerstin Bocklage, ihre Stellvertreterin Tanja Döbbeler und die didaktische Leiterin Heike Kloster halten nicht viel davon, um den heißen Brei herumzureden, das spürt man. Beispielsweise, wenn es darum geht, zu erläutern, wie sie der heterogenen Schülerschaft mit ihren höchst unterschiedlichen Voraussetzungen gerecht werden wollen. Heike Kloster mag es dementsprechend nicht bei ihrem einleitenden Statement „Bevor wir fachlich arbeiten können, müssen wir uns persönlich aufstellen“ belassen. Sie und ihre beiden Mitstreiterinnen wollen erläutern, was das konkret bedeutet.

Es gelte herauszufinden, welche Kinder von den umliegenden Grundschulen zu ihnen kommen, was sie mitbringen, welchen Rucksack sie vielleicht auch zu tragen haben, wie sie „ticken“. „Denn nur, wenn wir das wissen, können wir den Schülerinnen und Schülern die Unterstützung bieten, die sie benötigen“, erläutert die Schulleiterin. Die Oberschule mit teilgebundenem und offenem Ganztag, die seit Jahren rund 50 Prozent aller Kinder der benachbarten Grundschulen aufnimmt, hat daher ein ausgefeiltes Übergangsmanagement konzipiert.

Ein erstes Bild entsteht

Schule mit teilgebundenem und offenem Ganztag
Schule mit teilgebundenem und offenem Ganztag © Thomas Vorwerk

Mitte des vierten Schuljahres schnuppern die Grundschülerinnen und Grundschüler erstmals Oberschulluft. Gemeinsam mit den ihnen vertrauten Klassenlehrkräften lernen sie Menschen und Gebäude kennen. Ihre Eltern werden umfangreich aufgeklärt („Man sollte laut darüber sprechen, was man bietet“). Wenige Monate später dürfen sie in Kleingruppen die Schwerpunkte der Schule sowie die Naturwissenschaften in Workshops kennenlernen. In diesem Zeitraum erhalten die Eltern bei Kaffee und Kuchen alle wichtigen Informationen. Wer in den Wochen danach Fragen hat, seien es Kinder oder Eltern, findet jederzeit ein offenes Ohr.

So entsteht ein erstes Bild. Dieses wird bereichert durch die sogenannte „Übergabekonferenz“. Zu ihr treffen sich, sobald feststeht, wer an die Oberschule wechselt, die abgebenden und künftigen Klassenlehrerinnen und -lehrer. Mit am Tisch sitzen dann auch die sozialpädagogischen und die sonderpädagogischen Fachkräfte. Sie sprechen über jedes einzelne Kind, checken gemeinsam die geplante Zusammensetzung der künftigen fünften Klassen, korrigieren, wenn erforderlich, sammeln Eindrücke.

„So gewinnen wir bereits wertvolle Erkenntnisse, können diese in unsere Überlegungen für die individuelle Förderung einfließen lassen“, berichtet Tanja Döbbeler. Abgesichert und abgeglichen werden diese Erkenntnisse rund ein halbes Jahr später. Dann trifft sich die Runde erneut zur Feedbackkonferenz. Dabei staunen sie mitunter nicht schlecht über die Entwicklung Einzelner. „Da können wir beispielsweise von Kindern berichten, die vorher als schüchtern galten, und jetzt extrem aufblühen“, berichtet Kerstin Bocklage.

Zusatzunterricht und soziales Lernen

Der Ganztag leistet dazu seinen Beitrag. Das Trio ist sich einig, dass die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen seiner positiven Effekte darstellt. Doch andere Aspekte werden an dieser Oberschule in den Vordergrund gerückt. Beispielsweise die Chance auf mehr effektive Lernzeit. Vier Stunden Zusatzunterricht sind in die zwei Nachmittage des teilgebundenen Ganztags integriert. Zwei sind für den musisch-kreativen Bereich reserviert. Die Fünft- und Sechstklässler beschäftigen sich dann in dem von ihnen gewählten Schwerpunkt (Textil, Kunst, Musik, Werken) intensiv mit Inhalten, die über den herkömmlichen Lehrplan hinausgehen. Stolz ist man da beispielsweise besonders auf die Schülerband „1st Class Rock“. In ihr probieren sich alle an allen Instrumenten, dürfen diese auch daheim nutzen.

2016/2017 gegründet: Schülerfirma „Just fresh“
2016/2017 gegründet: Schülerfirma „Just fresh“ © Heike Kloster

Doch nicht nur für sie gilt: Aus allen Fachrichtungen werden die Ergebnisse einmal im Jahr vor breitem Publikum präsentiert. Kerstin Bocklage: „Die Präsentation bringt viel. Für die Kinder, die lernen, vor Publikum aufzutreten, eine Ausstellung vorzubereiten und im Team zu agieren.“ Die didaktische Leiterin Heike Kloster ergänzt: „Außerdem kommen Eltern zu uns in die Schule und wir können mit ihnen ins Gespräch kommen. Ganz nebenbei.“ In den höheren Jahrgangsklassen werden diese zwei Stunden fürs Lernbüro (Jg. 9/10 Prüfungsvorbereitung), soziales Lernen oder auch als zusätzliche Mathe- oder Deutschstunde genutzt.

Ganztag: Vorbereitung auf die Lebensgestaltung

Die zwei übrigen zusätzlichen, dem Unterricht zugerechneten Stunden sind in den Klassen 5 und 6 grundsätzlich dem sozialen Lernen gewidmet. Es geht um Streitkultur, gemeinsame Regeln, den Klassen- und Schülerrat, aber auch um konkrete Themen der Prävention, etwa zum Thema  Drogenkonsum, gleichgültig welcher Art, aber auch zum verantwortungsvollen Umgang mit Digitalem. Zu Letzterem steht zudem eine weitere Stunde Informatik in Klasse 5 auf dem Stundenplan dieser digital hervorragend ausgestatteten Schule.

„Man kann schon fast von einem eigenen Präventionscurriculum sprechen“, meint die Schulleiterin. Sie denkt dabei auch an die Einbindung der Eltern. Denn zu jedem Thema werden Elternabende angeboten. Der Schwierigkeit, Mütter und Väter dorthin zu locken, ist sich das Kollegium bewusst. „Aber wenn nur eine Handvoll kommt, haben wir schon etwas erreicht“, sagt Heike Kloster.

„Etwas erreichen“ darf als weiteres Motto des Ganztags in Emstek gelten. „Wir möchten die Schülerinnen und Schüler auf ihre spätere Lebensgestaltung vorbereiten“, heißt es. Darum werden die Zusatzstunden, aber auch die Arbeitsgemeinschaften und die Hausaufgabenbetreuung im Offenen Ganztag als Weg dorthin angesehen. „Bei uns bekommen die Kinder und Jugendlichen einen Strauß von Möglichkeiten. Immer getreu der Devise: Je mehr ich kennenlerne, umso mehr Möglichkeiten habe ich später, daran anzuknüpfen“, versichert die Schulleiterin.

Enge Kooperationen mit Unternehmen

In diesem Sinne versteht die Schule auch ihre umfangreichen Bewegungsangebote. Wenn es beispielsweise auf die freiwillige Skifahrt geht, dreht es sich nicht nur um das Sausen durch die weiße Pracht. Schülerinnen und Schüler lernen sich zu organisieren (z. B. Koffer packen) und vorzubereiten (z. B. Gymnastik). Ähnlich kann man den Nutzen der Lernbüros interpretieren. Hier geht es eben nicht nur darum, Inhalte zu verinnerlichen. Sie dienen auch dazu, die Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten zu stärken. Worauf natürlich auch im täglichen „normalen“, meist als Doppelstunden in Klassen- wie in zahlreichen modernen Fachräumen konzipierten Unterricht Wert gelegt wird.

„Waldeinsatz“ an den Ahlhorner Fischteichen
„Waldeinsatz“ an den Ahlhorner Fischteichen © Heike Kloster

Dem Zufall wird an dieser als Umweltschule ausgezeichneten Schule nichts überlassen. Auch nicht, wenn es um die Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler geht. Kerstin Bocklage hält es für selbstverständlich, dass „wir tun, was alle anderen auch anbieten.“ Sie denkt dabei an die Praktika, die Ausbildungsmessen oder die Gespräche mit den Mitarbeitenden der Berufsberatung. Für jedes der angebotenen Profile (Sprache, Technik, Wirtschaft, Gesundheit/Soziales) wuchs im Laufe der Jahre die Zahl der kooperierenden Unternehmen in der Region.

Ein jedes lernen die potenziellen künftigen Auszubildenden in Jahrgang 9 intensiv kennen, wenn sie dort, je nach den Vorgaben der Unternehmen, mal für einen Tag, mal für sechs Wochen in möglichst alle Bereiche hineinschnuppern. Dabei kommen sie gezielt ins Gespräch mit Ausbilderinnen und Ausbildern, aber auch mit jungen Menschen, die vor ihnen den gleichen Weg gegangen sind und anschließend ihre Ausbildung begonnen haben. Tanja Döbbeler weiß: „Durch den Blick in so viele Ausbildungsberufe lernen unsere Schülerinnen und Schüler auch außergewöhnliche Berufsbilder kennen.“

Heike Kloster, die gemeinsam mit Kollegin Wiebke Neelen die logistische Meisterleistung vollbringt, diese Praxisanteile in den Schulalttag zu integrieren, fügt hinzu: „Unser Konzept trägt dazu bei, die Angstschwelle vor etwas Fremden zu nehmen.“ Die Unternehmen sind dankbar. Viele finden so jährlich ihre Auszubildenden.

Deutschlands bestes Schulrestaurant

Vielleicht landet der eine oder andere später ja einmal in sozialen Berufen. Denn durch das Projekt „Generationenbrücke“, das im Profil Gesundheit und Soziales verortet ist, schnuppern die Jugendlichen auch in diese hinein. Sie sammeln Erfahrungen, wenn sie in Jahrgangsstufe 9 im Rahmen von Kooperationen mit älteren Menschen singen, spielen und ihnen vorlesen oder mit Jüngeren spielen.

Möglicherweise aber landet auch jemand im Berufsfeld als Koch oder Mitarbeitender in einer Kantine. Denn alle haben einen Bezug zu „ihrer“ Mensa und „ihren Mensafrauen“. Einen sehr persönlichen. Dieser Ort der Verpflegung, der nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern vielmehr auch der Bewusstseinsförderung für gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit dient, ist ausgezeichnet. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das Deutsche Netzwerk Schulverpflegung kürte die Mensa 2022 zum besten Schulrestaurant Deutschlands. Der goldene Teller wurde kürzlich überreicht.

Die Gemeinde als Schulträger finanziert das Schulessen mit.
Die Gemeinde als Schulträger finanziert das Schulessen mit. © Thomas Vorwerk

Er würdigt das Gesamtkonzept und die Bemühungen zum Thema Gesundheit durch gesunde Ernährung und Bewegung. Und sicher fiel positiv die Schülerfirma „Just fresh“ des Jahrgangs 10 ins Gewicht. Sie liefert der Mensa zu (z.B. Apfelmus, Gemüsebrühe, Ketchup), sorgt regelmäßig für das gesunde Frühstück im Schulkiosk und übernimmt das Catering bei Schulveranstaltungen sowie der Gemeinde (Unternehmerabend). Mit Blick auf die Mensa ist der goldene Teller auch eine „Belohnung“ für die hohe Flexibilität (morgens bestellen – mittags essen), vor allem aber für die Qualität des Essens. Aus sechs verschiedenen Gerichten kann täglich gewählt werden, Vegetarisches und Veganes inklusive.

Das Warten in der täglichen Schlange wird mit einem „Gruß aus der Küche“ versüßt. Eine Gelegenheit, auch einmal vielleicht bislang unbekannte Produkte auszuprobieren. Schon manch einen überzeugte ein so gereichter Grünkohlsmoothie oder ein Snack aus Steckrüben davon, dass auch diese für die Gaumen von Kindern und Jugendlichen eher unbekannten Geschmäcke durchaus munden. Und weil Ernährung auch in den Unterricht (Hauswirtschaft) einfließt und Fünftklässler mit den Mensafrauen kochen dürfen, wird Ernährung eine runde alltägliche Sache. Eine erschwingliche dazu: 2,90 Euro kostet das Menü maximal, nicht zuletzt, weil die Gemeinde es als Schulträger mitfinanziert.

All das lässt Schulleiterin Kerstin Bocklage zu dem Schluss kommen: „Hier wird wirklich in jeder Hinsicht in Bildung investiert.“ Das wiederum trägt dazu bei, dass diese Oberschule ihrem Leitbild folgen kann, das da lautet: „Wir möchten allen Schülerinnen und Schülern eine möglichst große Lernkompetenz im persönlichen, sozialen und fachlichen Bereich mit auf den Lebensweg geben.“

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