Ganztag in der Südvorstadt: „Stunde der Möglichkeiten“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Drinnen modernste Ausstattung, draußen der immer mehr ergrünende Schulhof. Die Kurt-Masur-Grundschule in der Leipziger Südvorstadt sieht sich mit Musik und Demokratie ihrem Namensgeber verpflichtet.

Kurt-Masur-Schule Leipzig
In der Südvorstadt beträgt das Durchschnittalter 36,5 Jahre © Kurt-Masur-Schule Leipzig

„Man müsste doch mal...“ Dieser Satz elektrisiert Christiane Dubiel. „Aus diesem Satz entstehen Ideen für Schulentwicklung“, hat die stellvertretende Schulleiterin und Ganztagskoordinatorin der Kurt-Masur-Grundschule erlebt. Und Schulentwicklung ist ein fester Bestandteil der Grundschule in der Leipziger Südvorstadt, an der rund 500 Schülerinnen und Schüler lernen und die von Heike Hentschel seit vielen Jahren erfolgreich geleitet wird. 2020 hat die Grundschule den Sächsischen Schulpreis erhalten.

Seit Februar 2021 treffen sich Eltern, Erzieherinnen, Lehrkräfte und die Sozialarbeiterin Sandra Schmitt regelmäßig in der „Zukunftswerkstatt“. Die Gruppe ist offen, jeder kann zu jedem Zeitpunkt einsteigen und sich einbringen. „Ausgangspunkt der Arbeit sind die Vorstellungen unserer Schülerinnen und Schüler, wie die Schule der Zukunft aussehen kann, und die Visionen von uns Erwachsenen‟, berichtet Christiane Dubiel. Analog zu den drei Schwerpunkten der Kurt-Masur-Schule – Miteinander, Möglichkeiten und Medien – plus „Unsere Schule soll grüner werden“ haben sich vier Arbeitsgruppen gebildet, die die Ideen konkretisieren sollen, um sie dann umzusetzen.

Schulentwicklung für den ganzen Tag

Eine konkrete Idee wird nun mit dem „Frei Day“ im neuen Schuljahr 2021/2022 nach den Herbstferien realisiert. Der „Frei Day“ ist ein Lernformat von mindestens vier Stunden in der Kernunterrichtszeit an einem Tag, in dem sich die Schülerinnen und Schüler in Projektarbeit mit Zukunftsfragen beschäftigen, in Teams eigene Lösungen für Herausforderungen unserer Zeit erarbeiten und diese dann in der Schule oder im Stadtteil umsetzen.

Fragen stellen, selber machen, mitbestimmen und etwas bewirken, das sind die Leitplanken dieses Lernformats. Der Impuls dazu kam von den Schülerinnen und Schülern selbst, deren Ideen und Wünsche nach mehr selbstständigem Lernen die Zukunftswerkstatt diskutiert hatte. In der Beschäftigung mit den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung sollen sie selbstorganisiert lernen und ihre Medienkompetenzen erweitern. Dazu gehören Medienkunde, Medienkritik und Mediengestaltung. Sie lernen, sich analoge oder digitale Informationen zu beschaffen, diese auszuwerten und zu präsentieren und auch, sich alleine oder in Gruppen zu organisieren.

„Ich bin stolz, dass wir alle zusammenarbeiten, um Schulentwicklung für den ganzen Tag zu verwirklichen“, freut sich Christiane Dubiel. Eine Erfahrung, die die Pädagogin aber auch kennt: „Prozesse der Schulentwicklung führen auch mal ins Tal. Man braucht jemand Externen, der da berät und moderiert.“ Beim Schulentwicklungsprozess im Ganztag „Sei Ganz“ ist das zum Beispiel Dr. Stephan Bloße von der Fachstelle Ganztag der TU Dresden gewesen. Bloße hat seit 2006 die sächsischen Ganztagsangebote wissenschaftlich begleitet.

Rhythmisiert in den Nachmittag

Team Kurt Masur
Team der Kurt-Masur-Schule © Kurt-Masur-Schule Leipzig

Auch im „täglichen Betrieb“ arbeiten die Erzieherinnen des Horts und die Lehrkräfte zusammen, ob in der Steuergruppe oder im Ganztagsteam. Jede Woche beginnt mit einer Besprechung der Schulleitung mit Hortleitung, Hausmeister und Schulsozialarbeiterin. Christiane Dubiel räumt ein, dass „so sehr wir versuchen, bestmöglich zusammenzuarbeiten“, es schwierig ist, immer alles unter einen Hut zu bekommen, weil insgesamt in Schulen noch zu wenig Zeiten für Absprachen vorgesehen seien. Das Team müsse sich „auch mal sehen können“. Feste feiern sei daher ganz wichtig.

Die Südvorstadt ist der bevölkerungsreichste Stadtteil von Leipzig mit vielen jungen Familien, und die Kurt-Masur-Schule mit ihren Ganztagsangeboten erlebt hier einen großen Zulauf. 97 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Kurt-Masur-Schule sind im Hort und damit für die GTA, wie sie in Sachsen kurz heißen, angemeldet. Der Hort befindet sich im Schulgebäude. Das besteht aus einem sanierten Altbau und einem Neubau, der inzwischen schon wieder zu klein ist.

Der rhythmisierte Vormittag – nach dem Frühhort ab 6 Uhr – ist bis 14 Uhr in Unterrichtsblöcken organisiert. Nach der Mittagspause in der Mensa können die Kinder die Hausaufgabenbetreuung besuchen, begleitet von drei pensionierten Lehrerinnen und Lehrern der Schule, die noch immer Lust auf die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern haben und ein Team bilden. Unterstützung erhalten die Kinder auch im einstündigen Förderblock am Donnerstag, der laut Christiane Dubiel „alle Schülerinnen und Schüler mitnimmt, auch das Mittelfeld“.

Die „Stunde der Möglichkeiten“

Später am Nachmittag gibt es keine unterrichtsförmigen Förderangebote mehr, denn da seien die Kinder nicht mehr aufnahmefähig. An allen fünf Wochentagen folgt vielmehr ein äußerst reichhaltiges AG-Programm. Ob Basketball, Gitarre, Cajon (Kistentrommel), die Hortzeitung, die „Computerfüchse“ oder Keramik mit einem eigenen Brennofen, Siebdruckwerkstatt, Filzwerkstatt oder ein Artistikatelier, das der Verein „Artistik Schulprojekt e. V. – Initiative für Bewegungsförderung“ im Rahmen von „Artistik im Ganztag“ anbietet, die GTA sind eine Förderung anderer Art.

Plakat Schule der Zukunft
© Kurt-Masur-Schule Leipzig

Ein besonderes Nachmittagsangebot ist „die Stunde der Möglichkeiten“, bei der es laut Christiane Dubiel „eine Ehre ist, dabei zu sein“. Hier geht es darum, etwas für die Schulgemeinschaft zu tun: So produzieren Schülerinnen und Schüler in Zusammenarbeit mit der HUP, der Hörfunk- und Projektwerkstatt Leipzig e.V., das Schulradio, dessen Beiträge jeden Morgen um 7:55 Uhr über die schuleigene Hausanlage und sogar vom regionalen Sender „Radio Blau“ ausgestrahlt werden.

Acht Kinder der Trickfilm-AG gewannen 2020 mit dem Film „Ich wünsche mir ...“ einen Hauptpreis bei der Visionale Leipzig/, Sachsens ältestem Medienwettbewerb für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, und beim Sächsischen Schülerfilmfestival „film ab!“. Das 2020 erarbeitete Kurt-Masur-Musical wartet coronabedingt derzeit auf seine Premiere. Auch Sportangebote gehören dazu, in denen die Kinder sich auf Wettkämpfe in Ballspielen und im Turnen vorbereiten.

Drinnen digital, draußen grün

Modernste Technik hat ebenfalls Einzug gehalten in der Kurt-Masur-Schule. „Der Digitalpakt ist abgeschlossen‟, formuliert es Christiane Dubiel. Beamer, digitales TV, Tablets und interaktive Tafeln im ganzen Schulgebäude zeugen davon. Seit August 2020 kooperiert die Grundschule im Projekt „Digital macht Schule“ der Ralf-Rangnick-Stiftung mit dem Medienpädagogen Kai-Thorsten Buchele vom Leipziger Institut für Demokratie und Medienkompetenz. Mit ihm haben Christiane Dubiels „hoch motivierte Kolleginnen und Kollegen“ ein Medienkonzept erarbeitet, das neben der Schulcloud LernSax eine Vielzahl von Apps und Lernprogrammen in den Schulalltag integriert. Kein Wunder, dass die Schule nun „Pilotschule Medienbildung“ ist.

Aber auch draußen spielt die Musik an der Kurt-Masur-Schule: So gärtnern Schülerinnen und Schüler im Schulgarten, pflanzen, ernten, gewinnen Samen und kompostieren. Seit dem letzten Schuljahr unterstützt die GemüseAckerdemie e.V. die Lehrerinnen und Lehrer mit Schulungen für den Gemüseanbau oder in Pflanz- und Ernteworkshops mit den Schulgartenklassen. Das Schulgelände hat bereits Wildblumenwiesen, Rankpflanzen, Hoch- und Baumscheibenbeete mit Gewürzpflanzen und sogar Erdbeeren. Das grüne Engagement ist von der Stadt Leipzig im Juli 2021 mit dem Kinder- und Jugendumweltpreis honoriert worden. Im gleichen Monat präsentierte die Kurt-Masur-Schule ihren Schulhof per Vortrag auf der Veranstaltung „Zehn grüne Schulhöfe für Thüringen – Schulhöfe bewegen – wir handeln!“ der Deutschen Umwelthilfe in Erfurt.

Kletterspinne
Für die Kletterspinne auf dem Schulhof hat der Kinderrat votiert. © Kurt-Masur-Schule Leipzig

In die Planung des Schulgeländes haben sich die Schülerinnen und Schüler aktiv eingebracht. Denn der Kinderrat, der unter anderem für eine Kletterspinne auf dem Schulhof votierte, bestimmt das Schulgeschehen überall mit. Er beteiligte sich auch an der Planung des Pausenkonzepts und der „Wohlfühlwoche“ 2020 und war beim Leipziger Kinderkongress dabei. Demnächst wollen Drittklässler für die Erstklässler einen Film über den Klassenrat drehen.

Kurt Masur: Musik und Demokratie

Der Namensgeber der Schule ist in der Schule selbstverständlich immer präsent, nicht nur musikalisch. „Wir sind keine Musikschule, aber wir stehen für Toleranz und wollen wertschätzend miteinander leben“, hatte Schulleiterin Heike Hentschel anlässlich der Namensverleihung 2017 betont. An Kurt Masur erinnert daher vor allem die „Säule der Demokratie“ im Foyer. Die Schülerinnen und Schüler bringen hier Wünsche, Gedanken und Informationen an.

Der Dirigent und Gewandhauskapellmeister Kurt Masur (1927-2015) hatte zur Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 den Aufruf „Keine Gewalt!“, der über Lautsprecher verbreitet wurde, mitverfasst und sich mit öffentlichen Diskussionsrunden im Gewandhaus für die Demokratie eingesetzt. „Wir versuchen den Kindern das Kribbeln jener Zeit und den demokratischen Gedanken zu vermitteln“, erläutert Christiane Dubiel. „Zeitzeugen sind toll, und aus der Nachbarschaft erhalten wir immer noch Geschenke, die mit Kurt Masur zu tun haben.“

Jährlich am 19. Dezember veranstaltet die Schule einen Gedenktag. Die Schülerinnen und Schüler singen dann Masurs Lieblingslieder, und die Schulleitung legt einen Kranz an dem Leipziger Ehrengrab ab. Zu Besuch waren schon Tochter Carolin Masur, Opernsängerin, und Sohn Ken-David, der als Dirigent in den USA lebt. Masurs Ehefrau, die Bratschistin und Sopranistin Tomoko Masur, die Christiane Dubiel zufolge „einen echten Draht zu den Kindern hat“, ist in der Kurt-Masur-Schule „immer mittendrin“. Sie hat ihnen auch erzählt, dass „Kurt als Kind schüchtern war. ‚Aber er hat davon geträumt, Dirigent zu werden und hat um diesen Traum gekämpft.“ Wenn das keine Ermutigung ist, die „Stunde der Möglichkeiten“ zu nutzen!

 

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