Ein Name als Programm: Stephen-Hawking-Schule Neckargemünd : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Umgekehrte Inklusion im gebundenen Ganztag – an der Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd lernen Schülerinnen und Schüler mit und ohne motorische Einschränkungen. Der Schulname ist Programm.

Außenansicht der SRH Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd
© Stephen-Hawking-Schule

Wenn von Inklusion die Rede ist, dann denkt man für gewöhnlich an Schulen, die sich für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen öffnen. In der Stephen-Hawking-Schule ist es genau umgekehrt, denn sie nimmt schon seit 1995 auch Schülerinnen und Schüler ohne motorische Einschränkungen auf. „Umgekehrte Inklusion“ nennt die Schule das. Aktuell lernen hier rund 850 Schülerinnen und Schüler, und so divers wie die Schülerschaft, so breitgefächert ist auch das Angebot.

Nicht weniger als elf Bildungsgänge von der Grundschule bis zum Abitur hält die staatlich anerkannte Privatschule bereit: Grundschule, Förderschule, Werkrealschule, Realschule, Wirtschaftsschule, Allgemeinbildendes Gymnasium, Sozialwissenschaftliches Gymnasium, Wirtschaftsgymnasium, Vorqualifizierungsjahr Beruf/Arbeit, Berufseinstiegsjahr und die Sonderberufsfachschule Gesundheit und Ernährung. Für jeden Schüler und jede Schülerin soll der bestmögliche Schulabschluss möglich sein, wirbt die Ganztagsschule. Die Bildungsgänge sind dabei so durchlässig wie möglich gestaltet.

Angebote brauchen den Ganztag

Die Schülerinnen und Schüler der Stephen-Hawking-Schule kommen aus ganz Deutschland, daher gibt es auch ein Internat mit 220 Plätzen. Alles in allem rund 500 Personen arbeiten in dem weitläufigen Gebäudekomplex aus den 1970er Jahren: Neben Lehrkräften und Verwaltungsangestellten sind das Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Psychologen, Heilerziehungskräfte, Krankenpfleger und Erzieherinnen und Erzieher. Die Lehrerinnen und Lehrer des Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung unterstützen außerdem Schülerinnen und Schüler in 19 Außenklassen an Kooperationsgrundschulen in der Umgebung im Rhein-Neckar-Kreis.

Thomas Bohnert und Christoph Klingele im Gespräch
Schulleiter Thomas Bohnert (r.) und Christoph Klingele, Abteilungsleiter Berufsvorbereitung © Stephen-Hawking-Schule

Der Mann, der an der Spitze den Überblick behält, ist Thomas Bohnert. „Wir sind seit Gründung der Schule gebundene Ganztagsschule. Wir wollen das sein, und wir müssen das sein. Die vielfältigen unverzichtbaren Zusatzangebote für unsere Schülerinnen und Schüler brauchen den Ganztag“, erklärt der Schulleiter. Dieser dauert an vier Tagen der Woche bis 16.10 Uhr. „Als Ganztagsschule ist uns nicht nur der schulische Erfolg der Schülerinnen und Schüler wichtig, sondern auch die Persönlichkeitsbildung“, betont der Schulleiter.

„Es bleibt über den rhythmisierten Tagesablauf genügend Zeit sowohl zum Vertiefen des Unterrichts als auch zur Erholung und Entspannung.“ Das gemeinsame Lernen und viele gemeinschaftliche Aktivitäten in altersgemischten und schulartübergreifenden Gruppen fördern das soziale Miteinander und stärken die sozialen Kompetenzen. Eine umfangreiche pädagogische Unterstützung und individuelle Pflege gehören zum Konzept.

„Rolling Chocolates“, Stephen Hawking, MINT-EC-Schule

Dann gibt es noch die Arbeitsgemeinschaften – zum Beispiel Bogenschießen, Yoga, Klettern oder Erlebnispädagogik, ebenso Werkstätten und die Schulbands „Nevermind“ und „Label 6“, die regelmäßig Konzerte geben wie zuletzt im Alten E-Werk von Neckargemünd. Die „Rolling Chocolates“ sind eines der bundesweit besten Rollstuhlbasketball-Teams und gewannen im Februar das Landesfinale in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle gegen das Team der Margarete-Steiff-Schule.

„Das hat unsere Schülerinnen und Schüler sehr beflügelt“, erzählt Bohnert. Auch im Schwimmen und Tischtennis sind die Schülerinnen und Schüler erfolgreich. Das Ganztagskonzept unterstützt der 2015 als „Schulhof der Zukunft“ preisgekrönte Schulhof – ohne viele Spielgeräte, aber dank seiner Gestaltung mit einem hohen Aktivierungsgrad. „Der hat uns geholfen, viel Ruhe reinzubringen“, berichtet Volker Moessinger, der stellvertretende Schulleiter.

Schülerin, Schüler und Lehrer mit einem Mikroskop
© Stephen-Hawking-Schule

„Der Name ist Programm“, heißt es auf der Homepage der Stephen-Hawking-Schule, „wir wollen allen unseren Schülern ermöglichen, ihre Talente zu entfalten und ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Leben zu leisten.“ Namensgeber der Schule ist der britische Astrophysiker Stephen Hawking (1942-2018) von der Universität Cambridge, der seit seinem 26. Lebensjahr auf einen Rollstuhl angewiesen war. Berühmt wurde er durch seine bahnbrechenden Theorien über Schwarze Löcher, „die er so genial einfach darstellen konnte, dass auch Kinder sie verstehen“, wie die Schule betont.

Hawking, der mit seiner „Kurzen Geschichte der Zeit“ weltweit ein Millionenpublikum erreichte, hat der Namensgebung in einem Brief persönlich zugestimmt, und es versteht sich von selbst, dass er mit seiner unermüdlichen Energie, sich auch von schwerer Krankheit als Mensch und Wissenschaftler nicht unterkriegen zu lassen, ein Vorbild für die Schülerinnen und Schüler ist. Der Leistungsgedanke spiegelt sich denn unter anderem im MINT-Schwerpunkt des Gymnasiums, das als MINT-EC-Schule zertifiziert ist.

Schülermitverantwortung als Demokratieerziehung

Das soziale Lernen zeigt sich wiederum in der Mitgliedschaft im Netzwerk der UNESCO-Projektschulen, das sich dem globalen Nachhaltigkeitsziel der „Bildungsagenda 2030“ verpflichtet hat: „inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen“ für alle. „Die nachhaltige Bildung ist eine Klammer für viele Unterrichtsinhalte und Projekte und erzeugt bei allen Kindern und Jugendlichen ein Wir-Gefühl“, sagt Schulleiter Thomas Bohnert. Alle zwei Jahre findet die UNESCO-Projektwoche statt, die in einem Schulfest mündet, auf dem die Schülerinnen und Schüler die Nachhaltigkeitsziele bei Mitmachaktionen und Spielen kreativ umsetzen. In diesem Jahr stand das Schulfest unter dem Motto „Brennpunkt Zukunft: Wie wollen wir leben?“

Die Juniorfirma der Stephen-Hawking-Schule (JUFIS) ist ein anerkanntes Projekt der UNESCO. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Berufsvorbereitungsjahrs und die Förderschule produzieren im Praxisunterricht Holzkisten, Bastelartikel, Gemälde und vieles mehr. Diese werden im JUFI-Verkaufsladen, betrieben von Schülerinnen und Schülern dreier Bildungsgänge, verkauft. Die Wirtschaftsschule übernimmt die gesamte kaufmännische Verwaltung: Marketing, Einkauf, Verkauf und Rechnungswesen. Hier kann auch der „UNESCO-Partnerschaftskaffee“ erworben werden.

Schülerinnen und Schüler der Schulband mit Mikrofonen und Querflöte
© Stephen-Hawking-Schule

Ein weiteres wichtiges Feld ist die Demokratieerziehung. Die Schule schreibt die Schülermitverantwortung (SMV) groß. Die SMV vertritt die Interessen aller Schülerinnen und Schüler über die verschiedenen Bildungsgänge hinweg. Gemeinsam wird an Themen und Projekten wie dem Menschenrechtstag oder dem Sporttag gearbeitet. Auch der Schulalltag soll immer besser werden: Viermal im Jahr treffen sich alle Schülerinnen und Schüler in der Schulversammlung und die Schülersprecher mit der Schulleitung.

„Wir lernen für das Leben gern“ – und modern

Das Leistungsspektrum der Schülerinnen und Schüler ist bei so vielen Bildungsgängen natürlich groß. „Wir schätzen die Vielfalt als Bereicherung und Chance und nehmen die Schülerinnen und Schüler in ihrer Individualität wahr“, erläutert Thomas Bohnert das Konzept der Schule. Im Unterricht werden differenzierte Aufgaben in Portfolios eingesetzt. Die Förderteams, die zum Beispiel aus den Klassenlehrkräften, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Betreuungskräften bestehen, erarbeiten die Förderpläne. Jeweils eine Wochenstunde steht den Teams für Absprachen zur Verfügung.

Moderne Medien unterstützen die Lernprozesse. „Jedes Klassenzimmer ist mit einem Smartboard ausgestattet“, berichtet Volker Moessinger. „Schülerinnen und Schüler, die nicht mitschreiben können, können sich das Original des Lehrers auf ihre Computer laden. Es gibt eine Moodle-Lernplattform mit Arbeitsblättern.“ In den höheren Jahrgängen probiert die Schule gerade den Einsatz von Tablets aus. Im Beruflichen Gymnasium gibt es bereits eine Notebook-Klasse mit WLAN, das an der ganzen Schule ausgebaut werden soll. „Das moderne Lernen treibt uns um“, bekennt Moessinger. „Wie kann der Campus in zehn Jahren aussehen? Wir denken schon jetzt nicht mehr in Klassenzimmern, sondern auch in selbstorganisiertem Lernen, Still- und Teamarbeit.“ Das Motto: „Wir lernen für das Leben gern.“

Schülerin entspannt mit einem Hund auf einer Matte
© Stephen-Hawking-Schule

Die Stundenplangestaltung ist naturgemäß bei einem so großen Kollegium noch aufwendiger als üblich. Sie sei manchmal, so Schulleiter Bohnert, ein bisschen „die Quadratur des Kreises, die uns aber gut gelingt“. Doch er ist überzeugt, dass „unsere Stärke die vielen Kompetenzen unserer unterschiedlichen Professionen sind“, die – und das ist beim Thema Inklusion wichtig – auch der Förderung der Schülerinnen und Schüler ohne motorische Beeinträchtigungen zugutekommt. Gabriele Roselieb, die Leiterin der Tagesschülerbetreuung, empfindet gerade die interdisziplinäre Arbeit, bei der jeder unterschiedliche Sichtweisen kennenlernen kann, als „besonders bereichernd“. Derzeit probiert das Team in einer Pilotphase das kollegiale Feedback aus.

„Aufgabe der Schulleitung ist es, solche Rahmenbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen zu schaffen, dass die Schulentwicklung für alle gut zu bewältigen ist. Es ist spannend, immer wieder ein Angebot zu schaffen, das bei den Eltern besteht.“

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