DFG Saarbrücken: Respekt vor dem Anderen als Normalität : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Das französische und das deutsche Schulsystem vereinigen sich im Deutsch-Französischen Gymnasium Saarbrücken. Im DFG mit 1.100 Schülerinnen und Schülern aus dem Grenzgebiet ist Europa „ein Stück Normalität“.

Jules-Verne-Abend im Deutsch-Französischen Gymnasium Saarbrücken
Jules-Verne-Abend © DFG Saarbrücken

In Europa werden aktuell einmal mehr Möglichkeiten des Gemeinsamen ausgelotet, die trotzdem Eigenes ermöglichen. Die deutsch-französische Freundschaft, 1963 mit dem Elysée-Vertrag besiegelt, bleibt davon unberührt. Was auf europäischer Ebene immer wieder einmal neu verhandelt werden muss, gelingt im Deutsch-Französischen Gymnasium Saarbrücken: Kollegien zweier Nationen, Eltern, Schülerinnen und Schüler von Diesseits und Jenseits der Grenze suchten nach einem pädagogischen, didaktischen und vor allem auch menschlichen Konzept. Sie fanden eines, das für alle mehr ist als ein Kompromiss.

Integration zweier Schulsysteme

Hans Bächle leitet die deutsche „Abteilung“ des Lycée franco-allemand. Eben hat ihn seine französische Kollegin Michelle Krill angesprochen. Es gilt, ein kleines zwischenmenschliches Problem zwischen zwei Schülern zu erörtern. Die Unterhaltung erfolgt auf Französisch. Nicht, weil es die Regeln der Schule so vorsehen oder Madame Krill des Deutschen nicht mächtig wäre. Hans Bächle „fällt“ nach eigenem Bekunden immer wieder in die französische Sprache. Er liebt und lebt für die Nähe der beiden Staaten, sucht die Gemeinsamkeiten. Möchte diese als ein Stück Normalität und Selbstverständlichkeit verstanden wissen. Darum kann er über eine Forderung im jüngsten Wahlkampf nach einer Deutsch-Englischen Schule in Saarbrücken nur lächeln: „Wir haben doch gar keine Engländer hier.“

Schulleiter Hans Bächle vom Deutsch-Französischen Gymnasium Saarbrücken
Schulleiter Hans Bächle © DFG Saarbrücken

Dafür bietet das DFG nach Ansicht des Schulleiters ein „geradezu perfektes Potenzial für einen Versöhnungsprozess“ zwischen zwei Ländern, die sich an kaum einem anderen geografischen Ort so nahekommen wie hier. Das wirkt sich auch auf die Schülerprofile in den unterschiedlichen Eingangsklassen aus. Hier das saarländische Kind, das in Saarbrücken wohnt, dort das deutsche Kind, das im Département Moselle wohnt, zuhause Deutsch spricht, aber eine französische Grundschule besuchte. Hier das Kind bikultureller Eltern, die die im Gebäude beheimatete École francaise besuchten, dort die francophonen Kinder, die noch kein Deutsch sprechen. Sie alle vereint das DFG. Für das Kollegium steht fest: „Die tägliche Arbeit ist geprägt vom gezielten und individuellen Blick auf jedes Kind.“

Es gehört zum Prinzip des Deutsch-Französischen Gymnasiums, den Schulsystemen beider Länder Rechnung zu tragen. Will heißen: Kinder aus deutschen Grundschulen werden nach dem dortigen vierten Schuljahr in deutschen Klassenverbänden drei Jahre lang durch die Sekundarstufe I geführt. Schülerinnen und Schüler, die zuvor die École primaire besucht haben, lernen zwei Jahre in französischen Klassenverbänden. Gemeinsam treffen sie sich zu integrierten Lerngruppen in Englisch, Musik, Sport und Kunst. Bereits in Klasse 6 steht für alle mit Englisch die zweite Fremdsprache auf dem Stundenplan.

Schrittweise zum integrierten Unterricht

Eine gravierende Änderung erwartet die Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8:  Schrittweise wird der integrierte Unterricht eingeführt. Muttersprachliche und integrierte Lerngruppen wechseln sich ab. Mutter- und Partnersprache (Französisch bzw. Deutsch), Mathematik, Physik und Chemie werden in muttersprachlichen Lerngruppen unterrichtet. Integriert geht es beispielsweise in Spanisch, Geschichte und Erdkunde zu. Will heißen: Eine deutsche Lehrkraft vermittelt der aus Franzosen und Deutschen bestehenden Lerngruppe in deutscher Sprache beispielsweise Geschichte, eine französische Muttersprachlerin dafür in ihrer Sprache Erdkunde.

Die Grundlage für einen erfolgreichen Unterricht, den die Lehrkräfte ausnahmslos in ihrer Muttersprache halten, wird bereits in den Eingangsklassen gelegt: Acht Wochenstunden in der jeweiligen Partnersprache garantieren einen raschen sprachlichen Kompetenzaufbau. Oder wie es Hans Bächle formuliert: „Unsere Schülerinnen und Schüler befinden sich sozusagen im täglichen Sprachbad.“ Kinder, die in der Partnersprache noch Probleme haben, können am Nachmittag noch Förderunterricht nutzen. In der Sekundarstufe II müssen beide Sprachen bei allen sitzen. Schließlich werden dort alle Fächer – außer der Muttersprache – integriert unterrichtet.

Schüler im Deutsch-Französischen Gymnasium Saarbrücken
© DFG Saarbrücken

Das Thema Sprache macht angesichts der bunten Mischung von Lehrkräften und Eltern auch vor Konferenzen und Elternabenden nicht halt. Schulleiter Bächle und seine französische Stellvertreterin moderieren die Konferenzen mal in Deutsch, mal in Französisch  während im Hintergrund die Übersetzung als Powerpoint läuft. Damit sind auch feinste Details für alle verständlich nachzuvollziehen. Für Hans Bächle eine Selbstverständlichkeit: „Selbst wenn alle im Kollegium Deutsch perfekt sprechen würden, erfordert es der Respekt, die andere Muttersprache und Identität der anderen zu schätzen.“ Dies gilt beispielsweise auch, wenn es um die Rolle der Schulleitung geht. Hans Bächle unterrichtet wöchentlich noch sechs Stunden. Seine Kollegin nimmt eher die Rolle der Schulmanagerin ein. Mit dem für sie schönen Effekt, dass sie anders als ihr deutsches Pendant frei wählen kann, welche Lehrkraft sie einstellen möchte.

Deutsch-französische Freundschaftsverträge

Deutsche Eltern, die ihr Kind auf eines der drei Deutsch-Französischen Gymnasien in Saarbrücken, Freiburg oder Buc schicken, müssen Abschied nehmen von ihnen möglicherweise vertrauten Vorstellungen über die Oberstufe. Die drei Gymnasien gründen sich eigens auf den Elysée-Vertrag und dessen Nachfolgegipfel, das sogenannte Schweriner Abkommen von 2002. Er stellt nichts anderes als eine Mischform der unterschiedlichen Systemtraditionen dar. Unter anderem betrifft dies auch die Abiturordnung. Während sich die Abiturnote in Deutschland aus den Leistungen der gesamten Sekundarstufe II zusammensetzt, hängt sie Frankreich allein von der Prüfungsleistung ab. Der Kompromiss am DFG sieht vor: Die Vornote beeinflusst den Numerus clausus zu 25 Prozent, die Abiturarbeiten zu 75 Prozent.

Doch der Ausgleich folgt auf dem Fuß: Schülerinnen und Schüler, die fakultative Fächer im Nachmittagsband der freiwilligen Ganztagsschule belegen, profitieren bei ihrer Abschlussnote von den dort erworbenen Punkten. „Das kann dann schon einmal ein paar Zehntel ausmachen“, berichtet der Schulleiter. Zugleich weist er auf ein „Problem“ für seine französischen Kolleginnen und Kollegen hin. An Schulen ihres Heimatlandes vergeben diese während der letzten drei Schuljahre gerne schon einmal eine schlechte Note – sozusagen als Hinweis, dass noch Verbesserungsbedarf besteht. Sie können dies tun, weil die Note keinen Einfluss auf den späteren NC hat. Am DFG aber wirkt sie sich auf die Gesamtnote aus.

Trimester und zehn Noten

Es gibt weitere gravierende Unterschiede zum deutschen Gymnasium. Die Aufteilung des Schuljahres in Trimester sowie Noten von eins bis zehn beispielsweise. Beides wird von den Eltern begrüßt. „Die Trimester ermöglichen eine häufigere und strukturell festgelegte Rückmeldung, die größere Zahl an Noten eine bessere Differenzierung“, berichtet Bächle. Er verschweigt nicht, dass Trimester, mehr Noten, die erforderliche noch stärkere Kommunikation zwischen Kollegien aus zwei Traditionen sowie die Tatsache, dass Vorschläge für die Abiturarbeiten an den Deutsch-Französischen Gymnasien noch selbst erarbeitet werden, auch deutliche Mehrarbeit mit sich bringen.

Schulband des Deutsch-Französischen Gymnasiums Saarbrücken auf der Bühne
Schulband © DFG Saarbrücken

Eine pfiffige Lösung hat sich das DFG für den freiwilligen Ganztag einfallen lassen. Hans Bächle, eine Mutter und ein Externer als Geschäftsführer gründeten eine Mini-GmbH. Diese „gemeinnützige Unternehmergruppe“ agiert als Träger des Ganztags. „So sind wir von keinem anderen Träger abhängig, können alles selbst managen“, erläutert der Schulleiter. Rund 300 der 1.100 Schülerinnen und Schüler nutzen das Angebot. Für alle aber gilt: Dienstags und donnerstags endet der verbindliche Unterricht um 15.30 Uhr. Hinzu kommen zwei Samstage bis 13.15 Uhr.

Allesamt Rahmenbedingungen, die nach Einschätzung von Hans Bächle alle schätzen – Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen und Schüler. „Denn sie wissen alle um die große Chance, Europa als Alltag zu erleben – sprachlich und interkulturell.“

 

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000