Carl-Zeiss-Gymnasium Jena: MINT den ganzen Tag : Datum: Autor: Autor/in: Stepahn Lüke

Eine außergewöhnliche MINT-Förderung erhalten die Schülerinnen und Schüler des Carl-Zeiss-Gymnasiums am Hightech-Standort Jena. „Es gefällt den Jugendlichen, sich Herausforderungen zu stellen“, sagt Lehrerin Franziska Handloike.

60-jährige Geschichte: Carl-Zeiss-Gymnasium Jena
60-jährige Geschichte: Carl-Zeiss-Gymnasium Jena © Julius Stammler / Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

Nika ist 18 Jahre alt. Schon als Grundschülerin begeisterte sie sich für naturwissenschaftliche Phänomene. Sie nahm an „Jugend forscht“ teil und möchte nach dem Abitur Medizin studieren. Auf das, was im Studium und bei wissenschaftlicher Arbeit auf sie zukommt, fühlt sie sich bestens vorbereitet. Ihre Eltern unterstützten ihren frühen Wunsch, nach der Grundschule auf das Carl-Zeiss-Gymnasium zu wechseln. „Sie drängelten mich nicht, sie sagten mir aber, dass sie diesen Wunsch gut nachvollziehen können“, erzählt Nika.

Jenas Medizin und Medizintechnik sind überregional berühmt, auch dank des aus Weimar stammenden „Universitätsmechanikus“ Carl Zeiss, der hier 1846 eine feinmechanisch-optische Werkstatt eröffnete. Heute ist die Universitätsstadt Jena ein Standort der Wissenschaft und Forschung. Dazu zählt auch das Carl-Zeiss-Gymnasium mit Spezialklassen in Thüringen. Hier dreht sich (fast) alles um die sogenannten MINT-Fächer. Das ist ganz in Nikas Sinne. „Sprachen sind weniger mein Ding“, schmunzelt sie und weiß: „Die erforderliche Allgemeinbildung bekomme ich hier auch.“ An Englisch kommt sie ohnehin nicht vorbei.

Nun, kurz vor dem Abitur blickt sie auf eine Oberstufe zurück, in der jede Woche im Zeichen von MINT stand. Sechs Stunden Mathematik wöchentlich. werden durch 13 weitere Stunden in drei Naturwissenschaften ergänzt. Am Ende des Schuljahres steht verpflichtend eine mindestens 15-seitige Seminarfacharbeit an. Nika entschied sich für das Thema „Prävention von Diabetes mellitus Typ II und die Auswirkung von sportlicher Aktivität sowie von Koffein auf den Langzeitzucker und die Blutfettwerte“. Zwei Jahre lang prägte die Arbeit ihren Schulalltag und häufig auch die Freizeit.

Wissenschaftliche Vorbildung im „Seminarfach“

Mit wissenschaftlicher Methodik, einem sogenannten Kontrollgruppendesign, begleitete Nika vier Gruppen von Probanden: Manche änderten ihr Verhalten nicht, andere nahmen Koffein zu sich oder trieben Sport, während die vierte Vergleichsgruppe beides tat. Nika sagt ehrlich: „Es ist schon ein enormer Stress, diese Arbeit neben dem normalen Unterricht zu erstellen. Im Grunde ist es schon wie eine Bachelorarbeit. Doch es lohnt sich. Auf wissenschaftliches Arbeiten bin ich jedenfalls bestens vorbereitet.“

„Hier dreht sich (fast) alles um MINT“
„Hier dreht sich (fast) alles um MINT“ © Julius Stammler / Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

Ihre Mitschülerinnen entschieden sich für ebenso anspruchsvolle Arbeiten. „Grundlagenforschung zum Psilocybin und dessen Wirkung und pharmazeutischen Nutzen“ oder „Genexpressanalyse – Alterungsprozesse anhand von Mausmodellen analysieren“ stand etwa auf den Deckblättern anderer Arbeiten. Dass Schülerinnen und Schüler dabei sogar ein bislang unbekanntes Gen entdecken konnten, löste mehr als zustimmendes Gemurmel aus. Dass Schülerinnen und Schüler dabei sogar bedeutende Erkenntnisse zur Expression für die Alterung relevanter Gene lieferten, löste mehr als zustimmendes Gemurmel aus.

Häufig entstehen die Seminarfacharbeiten auch mit Unterstützung der Friedrich-Schiller-Universität, zum Beispiel eines der Institute der Physikalisch-Astronomische Fakultät, oder einer der zahlreichen anderen Einrichtungen in der Region. Die Schülerinnen und Schüler sind dort gerne gesehene Forschungsgäste. Franziska Handloike und Tom Fleischhauer gehören dem Lehrkräfteteam für das Seminarfach an, das die Schülerinnen und Schüler ab Klasse 10 bei dieser Seminarfacharbeit begleiten, manchmal auch beraten. Sie wissen um die Anforderungen. „Ganz klar, hier wird Leistung eingefordert“, sagen die jungen Lehrkräfte.

60 Jahre Spitzenförderung

Das Carl-Zeiss-Gymnasium ist mit seinen Spezialklassen neben dem Albert-Schweitzer-Gymnasium Erfurt und der Goetheschule Ilmenau eines der drei staatlichen Gymnasien im Land Thüringen, die sich seit 1991 der besonderen Förderung mathematischer und naturwissenschaftlicher Talente verschrieben haben. Doch die Tradition der Spitzen- und Begabungsförderung in Spezialklassen reicht noch länger zurück, bis in das Jahr 1963. Im vorigen Jahr feierte die Schule ihr 60. Bestehen.

An die Tradition der Begabungsförderung knüpfte der Freistaat Thüringen bewusst an, als er 1991 Spezialgymnasien mit musikalischer, sprachlicher und sportlicher Ausrichtung in Trägerschaft des Landes weiterführte – von der sprachenorientierten Salzmannschule Schnepfenthal über die Musikgymnasien in Weimar und Gera bis zum Sportgymnasium und Olympiastützpunkt Oberhof. Die Schulen haben von der Konzeption her ein landesweites Einzugsgebiet. Dafür stehen vor Ort Internate zur Verfügung.

Nach Klasse 8 erfolgt die Aufnahme in die Spezialklassen
Nach Klasse 8 erfolgt die Aufnahme in die Spezialklassen © Julius Stammler / Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

Das Carl-Zeiss-Gymnasium nimmt Schülerinnen und Schüler ab Klasse 5 auf – nicht ohne zuvor regelmäßig in den Grundschulen, die in Thüringen alle offene Ganztagsschulen sind, ausgiebig seine Angebote bekannt zu machen. Nicht alle bleiben bis zum Abitur im MINT-Zug. Manche Lernende spüren sehr deutlich die hohen Anforderungen, obwohl die Lehrkräfte keinen Druck ausüben. Manche erkennen, dass ihr Interesse doch woanders liegt. Nach Klasse 8 entscheidet eine Eignungsprüfung in Mathematik, Biologie, Chemie, Informatik und Physik, wer die rund 66 Plätze der drei Spezialklassen ab Klasse 9 belegen kann, darunter auch Schülerinnen und Schüler anderer Schulen im Land.

Förderung von Talenten im Land

„Natürlich ist es nicht schön, manchen absagen zu müssen. Aber diejenigen, die von außen hinzukommen, sind für uns auch eine Bereicherung“, berichtet Lehrer Tom Fleischhauer, der wie Franziska Handloike Geschichte unterrichtet. Seine weiteren Fächer sind Sozialkunde und Geografie, seine Kollegin gibt Deutsch. Franziska Handloike ist überzeugt: „Es gefällt den Jugendlichen, sich Herausforderungen zu stellen.“ Wer in den Spezialklassen gelernt hat, nimmt auf jeden Fall etwas für sein Leben mit.

Nicht alle Schulen im Land sind von der Idee des „Leistungszentrums MINT“ begeistert. Manche bedauern, dass so ihre leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler abwandern. Eine alte Diskussion, die es in Ostdeutschland schon immer gegeben hat. Tom Fleischhauer hat dafür durchaus Verständnis, sagt aber zugleich: „Es geht uns allen doch um die Förderung von Talenten.“ Das Landesmodell lässt sich auch als Versuch verstehen, allen Schülerinnen und Schülern die Förderung, die der internationale Hightech-Standort Jena mit seiner traditionsreichen und forschungsstarken Friedrich-Schiller-Universität zu bieten hat, zu ermöglichen.

Eine, die das in jüngster Vergangenheit besonders eindrucksvoll unterstrich, ist Luise Köhler. Sie qualifizierte sich in verschiedenen Wettbewerben auf Stadt-, Kreis- und Landesebene für das zu 33 Prozent von Mädchen besuchte MINT-Gymnasium mit Spezialklassen. Folgerichtig gehörte sie zu jenen deutschen MINT-Hoffnungen, die erfolgreich an der internationalen Physik-, der Astronomie-Olympiade oder der European Olympiad for Experimental Science teilnahmen. Die Schule feierte das Triple, das Deutschlands führender Fußball-Bundesligist Bayern München so gerne wieder erreichen würde.

Gute Ausstattung mit ganztägigen Angeboten

Der Anteil der Schülerinnen beträgt 33 Prozent
Der Anteil der Schülerinnen beträgt 33 Prozent © Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

„Das alles ist natürlich nur durch unsere gute Ausstattung, die hohe Fachlichkeit unseres Kollegiums, die Wissbegier der Schülerinnen und Schüler und unsere zahlreichen Vertiefungskurse möglich“, betont Tom Fleischhauer. Auch die Möglichkeit, die Klassen von maximal 23 Schülerinnen und Schülern für Laborversuche oder Experimente zu teilen, trägt aus Sicht der Lehrkräfte zum Lernerfolg bei. Der Blick auf das allgemeine Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler bleibt in der Schule selbstverständlich nicht auf der Strecke, betont Franziska Handloike. Sie stimmt aber auch Tom Fleischhauer zu, der glaubt, dass auch ein Gymnasium wie ihres die Unterstützung durch Schulsozialarbeit braucht.

Das Carl-Zeiss-Gymnasium, das rund 500 Schülerinnen und Schülern besuchen, ist eine Schule mit teilgebundenem Ganztag. Besonders den Fünft- und Sechstklässlern bietet der Ganztag die Gelegenheit, die Hausaufgaben bereits in der Schule abhaken zu können. Sie können wählen: Sport in der „Kids-Freetime“ oder Aufgaben bearbeiten, die ihnen die Lehrkräfte mit auf den Weg gegeben haben. Als selbstverständlich empfindet das Kollegium das regelmäßige und von Eltern sowie den Schülerinnen und Schülern geschätzte Ferienangebot.

„Ihr seid der Kern unserer Motivation“

Ab Klasse 7 erstreckt sich der Fachunterricht täglich bis 15.45 Uhr, allerdings ist der Unterrichtstag rhythmisiert: Unterricht, weitere Lernangebote, Pausen und Erholungsphasen sind über den gesamten Tag verteilt und in den Tagesablauf integriert. Die Arbeitsgemeinschaften reichen von zusätzlichen MINT-Angeboten über die AG Pressearbeit, die Schulband und natürlich Sport-AGs bis zur Politik-AG. Hinzu kommt das Engagement in der erfolgreichen und beliebten Schülerfirma „mint“ im ehemaligen Schulclub, bei der die Lernenden gerne einkaufen. Das von Lehrer Kevin Cebulski begleitete Team aus Schülerinnen und Schülern der 7. bis 12. Klasse sorgt für eine abwechslungsreiche Pausenversorgung und bietet auch einen Catering-Service an, beispielsweise für Tagungen und Fortbildungen regionaler Firmen.

Dem Ehrgeiz ihrer Schülerinnen und Schüler steht das Kollegium in nichts nach. Seit 2018 beteiligt sich das Carl-Zeiss-Gymnasium am Bund-Länder-Programm „Leistung macht Schule“ (LemaS)“ und kann dafür seine langjährigen Erfahrungen weitergeben. Zugleich blickt das Kollegium immer wieder selbstkritisch auf das Vorhandene und versucht, behutsam neue Wege einzuschlagen. Tom Fleischhauer nennt das „neue Impulse setzen“. Franziska Handloike ergänzt: „Wir möchten offen und flexibel für Veränderungen sein.“ Dabei fallen ihr zwei Dinge auf Anhieb ein: „Das selbstorganisierte Lernen könnte intensiviert werden und die Arbeit mit digitalen Medien der Realität der Schülerinnen und Schüler angepasst werden.“

Der Nachwuchs wird in den Grundschulen geworben
Der Nachwuchs wird in den Grundschulen geworben © Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

Nachwuchsprobleme hat das Carl-Zeiss-Gymnasium bisher nicht – im Gegenteil: Der Platz reicht kaum aus, wenn die Viertklässlerinnen und Viertklässler der Grundschulen aus Jena und Umgebung eingeladen werden, um mit dem „Carlchen-Check“ ihr MINT-Interesse zu testen. Großer Andrang herrscht auch, wie kürzlich im Januar, bei der „Funzelführung“, wenn die Kinder aufgerufen sind, mit ihren Taschenlampen am Abend die Unterrichtsräume und Labore „zum Leuchten zu bringen“, wie es in der Einladung hieß. Die Schülerinnen und Schüler sind das A und O des Gymnasiums, wie 2023 die Rede von Schulleiter Kai Rodeck für die Abschlussklassen belegte: „Ihr seid der Grund, warum diese Schule existiert. Ihr seid der Kern unserer Motivation.“

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