In Hamburg wird der Ganztag genau beobachtet : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Das Pilotprojekt „Ganztagsbeobachterinnen und Ganztagsbeobachter“ in Hamburg soll ab 2023 fester Bestandteil der Schulinspektion werden – mit Expertise aus der Praxis. Bislang wurden 67 Freiwillige geschult.

Schachclub, Holzwerkstatt, Garten-AG oder Schulaufgabenbetreuung – seit elf Jahren sind alle Schulen Hamburgs Ganztagsschulen. Die Qualitätskriterien für die Betreuungsangebote am Nachmittag sind seit 2019 im „Orientierungsrahmen Schulqualität“ verankert. Die Schulinspektion hat gemeinsam mit Lehrkräften und Wissenschaftlern Beobachtungsfragen entwickelt, die Aufschluss über die Qualität der Ganztagsangebote geben sollen.

Diese Fragen wurden im vergangenen Schuljahr erstmals mit Kolleginnen und Kollegen aus der Ganztagspraxis, den sogenannten Ganztagsbeobachterinnen und Ganztagsbeobachtern, bei Schulinspektionen erprobt. Das Feedback zeigte: Die Fragen eignen sich, um eine Qualitätseinschätzung zu den beobachteten Angeboten geben zu können. Nach der erfolgreichen Pilotphase soll das Verfahren jetzt verstetigt werden. Ab Februar 2023 werden Ganztagsbeobachterinnen und Ganztagsbeobachter fester Bestandteil der Schulinspektion sein.

Auch den Ganztag anschauen

„Als der Orientierungsrahmen Schulqualität vor drei Jahren überarbeitet wurde, sind erstmals auch Bereiche für die Angebotsqualität des Ganztags aufgenommen worden“, erläutert Dr. Andrea Albers, stellvertretende Leiterin der Schulinspektion im Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ). Das Institut liefert der Schulbehörde eine Fülle von wissenschaftlichen Daten beispielsweise zu Schul- und Unterrichtsqualität sowie zu Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern durch regelmäßige Lernstandserhebungen.

Dr. Andrea Albers, stellvertretende Leiterin der Schulinspektion im IfBQ
Dr. Andrea Albers, stellvertretende Leiterin der Schulinspektion im IfBQ © Claudia Pittelkow

„Wir haben damals den Auftrag bekommen, uns bei den Schulinspektionen künftig auch den Ganztag mit anzuschauen, nicht nur den Unterricht“, so Albers. Das war eine gute Entwicklung, findet sie. Denn oft seien sie von den Erzieherinnen und Erziehern gefragt worden, warum sich die Schulinspekteure nur eine Facette der Schule anschauen würden. Der Ganztag gehöre doch dazu, schließlich seien in Hamburg alle Schulen Ganztagschulen.

„Womit sie recht hatten“, so die stellvertretende Leiterin der Schulinspektion. „Für uns war es zentral, auch hier die Expertise aus der Praxis mitzunehmen“, so Albers weiter. „So haben wir das früher im Unterricht auch immer gemacht. Wir haben immer Lehrpersonen mitgenommen, die den Unterricht mitbeobachtet haben.“ Entsprechend könnten nun weitere Professionen mit dabei sein, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Fachberaterinnen und Fachberater der Träger des Ganztags – all jene, die die außerunterrichtlichen Angebote gestalten.

Verändertes Image der Schulinspektion: Teil des Unterstützungssystems

Dazu gehören beispielsweise Esther Ende, Fachberaterin für Kinder- und Jugendhilfe beim Deutschen Rotes Kreuz, und Andrea Gabriel, Ganztagskoordinatorin an der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg (ATW) in Hamburg-Dulsberg. Beide haben in der Pilotphase als Ganztagsbeobachterinnen an Schulinspektionen teilgenommen.

„Für mich war es eine tolle Erfahrung, einen anderen Standort zu sehen“, berichtet Andrea Gabriel. Die Lehrerin der ATW war an der Nelson-Mandela-Schule im Einsatz, einer teilgebundenen weiterführenden Ganztagsschule im Stadtteil Kirchdorf. Am Anfang sei sie sehr aufgeregt gewesen in ihrer neuen Rolle als Teil der Schulinspektion. „Doch es herrschte eine angenehme Atmosphäre, die Zusammenarbeit war wertschätzend und alle waren sehr offen uns gegenüber“, so Gabriel.

Offenbar hat sich das Image der Schulinspektion in den letzten Jahren verändert. Schulinspektionsleiterin Albers erklärt, woran das liegen könnte: „Wir haben immer schon Schulleitungen von anderen Schulen als Schulformexperten bei jedem Besuch mitgenommen und in die Inspektion integriert. Das gleiche haben wir dann mit den Beobachterinnen und Beobachtern für den Unterricht gemacht und jetzt mit den Beobachterinnen und Beobachtern für den Ganztag.“

Dadurch würden immer mehr Netzwerke entstehen, und die Schulen würden merken, dass Inspekteure gar nicht dem Klischee der „grauen Männer“ entsprächen, die aus ihrem Elfenbeinturm auf die Praxis herunterguckten. Vielmehr hätten die Inspekteure ein großes Interesse daran, den jeweiligen Standort kennenzulernen und eine Rückmeldung zu geben, wie die Schule von außen zu sehen ist. Das Ergebnis soll Anstoß geben für die schulische Weiterentwicklung, sei es im Ganztag, im Unterricht oder in der Organisationsentwicklung. Albers: „Wir als Schulinspektion sind Teil des Unterstützungssystems, wir wollen, dass die Schulen sich weiterentwickeln.“

Respekt und Anregung für beide Seiten

Kinder der Grundschule Stockflethweg
© Sophia Pasternack

Auch DRK-Fachberaterin Esther Ende war an ihrem ersten Tag als Ganztagsbeobachterin etwas nervös. „Als wir in der Fortbildung auf unseren ersten Einsatz vorbereitet wurden, dachte ich angesichts der vielen Unterlagen: oje, das soll ich alles beachten? Und dann noch den Ganztag beobachten?“

Drei Tage vor ihrem Einsatz habe sie von ihrem Einsatzort, der Ganztagsgrundschule Barlsheide in Hamburg-Osdorf, das Programm zugeschickt bekommen. Vor Ort habe sie die Pausensituation im Spielehaus beobachten können, war bei einer Lernzeit dabei und habe sich mehrere Nachmittagsangebote angeschaut.

„Es war sehr spannend, dabei zuzugucken, wie andere Schulen ihren Ganztag organisieren und die unterschiedlichen Akteure des Ganztags zusammen mit den Koordinatoren zu erleben. Auf Netzwerktreffen, wo man sich auch austauscht, wird ja immer nur berichtet. Hier konnte ich das mit eigenen Augen verfolgen“, so Ende. Eigentlich müsste man sich viel mehr auf diese Weise austauschen, findet sie.

Ähnlich sieht es Andrea Gabriel: „Wenn man selbst mit Kindern arbeitet, hat man nochmal einen ganz anderen Respekt davor, wenn etwas gut läuft. Ich war auf dem Pausenhof und habe freies Spielen beobachtet, mich hingesetzt und einfach zugeguckt. Das war so spannend! Es hat super funktioniert, die Kinder haben Fußball gespielt, ganz ohne Streit, obwohl kein Betreuer zu sehen war. Offenbar gab es im Hintergrund eine Struktur, die funktioniert“, so Gabriel.

Es sei oft schwierig, den Ganztag unter den gegebenen Bedingungen so zu gestalten, dass er hochwertig sei, weiß die ATW-Ganztagskoordinatorin. „Da ist es schön zu sehen, dass andere Schulen die gleichen Baustellen haben, und zu beobachten, wie die damit umgehen.“ Beide Ganztagsbeobachterinnen sind sich einig, dass sie auch selbst viele Anregungen bekommen hätten, wie vor Ort Probleme gelöst werden, die sie an ihrer Schule auch selber kennen.

Ab 2023 im Regelverfahren

Schulinspektorin Andrea Albers: „Diese positive Resonanz haben wir von sehr vielen Ganztagsbeobachterinnen aus der Pilotphase bekommen. Das war auch ein wesentlicher Grund, warum entschieden wurde, das Verfahren zu verstetigen.“ In der Pilotphase wurde das Verfahren von Herbst 2021 bis Frühjahr 2022 an 24 Schulen ausprobiert. Nach Auswertung der Daten wurde das Instrumentarium noch einmal weiter geschärft und soll nun ab 2023 im Regelverfahren eingesetzt werden.

Die Beobachtungsbereiche enthalten sechs zentrale Aspekte: Gruppenmanagement, Autonomieunterstützung, Interaktionen, Umgang mit heterogenen Lernbedürfnissen, Rhythmisierung und Raumnutzung. Die Schulinspektion nutzt die gesammelten Daten für die Qualitätseinschätzung. Gleichzeitig können Lehrkräfte, die sich als Ganztagsbeobachterin oder Ganztagsbeobachter zur Verfügung stellen, die Fragen auch untereinander nutzen, etwa für kollegiale Hospitationen.

Die Vorbereitung erfolgt über einen Online-Kurs und einen Präsenzworkshop, anschließend besuchen die frisch ausgebildeten Ganztagsbeobachter eine Schule und beobachten einen Tag lang die Angebote dort. Am Ende des Besuchstags tauschen sie sich mit dem Inspektionsteam über die Beobachtungen aus. Schließlich erfolgt die wichtige Rückmeldung an die beobachtete Schule. Albers: „Die Ergebnisse werden anschließend veröffentlicht.“ Bislang wurden 67 Ganztagsbeobachterinnen und -beobachter ausgebildet.

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