„Gefühlter Konflikt“: Ganztagsschule und Brandschutz : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Ganztagsschulen benötigen viel Platz. Ist Brandschutz eine Hürde für Lernlandschaften und die Nutzung von Fluren? Nein, sagt der Architekt und Sachverständige Andreas Flock, der auch Ganztagsschulen berät.

Online-Redaktion: Ein Satz von Ihnen ist überliefert: „Brandschutz macht Spaß.“ Wie oft müssen Sie diese Aussage erläutern?

Andreas Flock: Dafür ernte ich in meinen Vorträgen und Seminaren tatsächlich häufig ungläubige Blicke. Für viele Schulen stellt der Brandschutz im ersten Moment einfach nur eine Hürde bei der Umsetzung ihrer pädagogischen Überlegungen dar. Sie sehen natürlich seine Bedeutung und Berechtigung. Doch zugleich wissen Schulen, die nicht das Glück eines Umbaus oder gar Neubaus haben, insbesondere jene in älteren, vor vielen Jahren gebauten Schulen oft nicht, wie sie mit wachsenden Zahlen von Schülerinnen und Schülern bei gleichzeitigem Wunsch nach modernen Unterrichtsmethoden umgehen sollen. Es gibt auch noch Schulen, die Lernlandschaften, Lern- und Teamhäuser für Utopien halten und sich dann gern auf den „Brandschutz“ berufen. Doch ich kann versichern: Auch der Brandschutz bietet Möglichkeiten, die manch einer nicht ahnt. Diese auszuloten und gemeinsam mit den zuständigen Behörden umzusetzen, macht tatsächlich sogar Spaß.

Online-Redaktion: Wie erreiche ich das „Spaß“-Ziel?

Flock: Ich muss vorwegschicken: Es gibt keine Patentrezepte. Man muss sich jede einzelne Schule, die existierenden Vorschriften, aber auch die Potenziale, die der Brandschutz parat hält, anschauen. Brandschutz kann so etwas wie ein Möglichmacher sein. Mit entscheidend ist, dass sich Schulen überlegen, wohin ihre pädagogische Reise gehen soll. Dabei empfehlen wir, auch wirklich alle, die zu einer Schule gehören, einzubeziehen, in erster Linie sind das natürlich die Schülerinnen und Schüler.

Manchmal ist es gut, wenn die Feuerwehr schon dabei ist
Manchmal ist es gut, wenn die Feuerwehr schon dabei ist © Grundschule Medelby

Online-Redaktion: Schulbauexpertinnen und -experten sprechen von einer Phase Null, dem Dialog während der Planungen. Was ist wichtig?

Flock: Kommunikation, Kommunikation und noch einmal Kommunikation. Und zwar nicht nach der Phase Null, sondern während und bereits vor ihr. Der Austausch mit Fachkundigen offenbart die natürlichen Konfliktsituationen zwischen Wünschen der Schule und gewissen Notwendigkeiten, die der Brandschutz mit sich bringt. Wir raten ausdrücklich dazu, nicht direkt zu den Genehmigungsbehörden zu rennen und dort möglicherweise durch Ahnungslosigkeit zu glänzen. Fachlich gute Konzepte vorzulegen, erhöht auf jeden Fall die Chance, dass diese anschließend auch umgesetzt werden können. Das gilt übrigens sowohl, wenn Schulen neu oder umgebaut werden, als auch, wenn es sich um die Nutzung bestehender Schulgebäude handelt.

Online-Redaktion: Wo finde ich die von Ihnen erwähnten Fachkundigen?

Flock: An erster Stelle würde ich, wenn es sich um Ganztagsschulen handelt, die Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ nennen. Sie haben im Laufe der vielen Jahre unglaublich wertvolle Netzwerke aufgebaut, haben Erfahrung und kennen die entsprechenden Expertinnen und Experten sowie die konkreten Stellen, an die man sich in der Region wenden kann. Zu den Fachkundigen zählen mit Sicherheit auch die Architektenkammern vor Ort, die aufgrund ihres reichhaltigen Fundus an Erfahrungen bestens beraten können.

Online-Redaktion: Warum sind die Netzwerke so wichtig?

Flock: Sie bieten nicht nur den Austausch über Wege, die andere gegangen sind, sie haben auch den Charme, einen spüren zu lassen, dass man mit seinem Problem nicht alleine ist. Die Gespräche zeigen dann auch deutlich, dass die Suche nach Lösungen statt der Frage, was nicht geht, im Vordergrund stehen sollte. Und sie zeigen, was möglich ist, ohne illegal unterwegs zu sein. Wir raten Schulen immer wieder, unbedingt andere Schulen zu besuchen und sich ein Bild davon zu machen, wie andere den gefühlten Konflikt zwischen Brandschutz und beispielsweise Flurnutzung gelöst haben.

Online-Redaktion: Aber es gibt Herausforderungen, vor die Schulen mit dem Ganztagsbetrieb beim Brandschutz gestellt sind?

Flock: Es liegt in der Natur der Sache, dass Ganztagsschulen mehr Platz benötigen. Doch viele Schulen verfügen nur über begrenzte Räumlichkeiten. Also ist Kreativität gefragt. Oft folgt der traurige Blick auf Flure, die vermeintlich ungenutzt als Fläche verschenkt werden. Ich kann bestens nachvollziehen, dass Lehrkräfte und pädagogisches Personal, aber auch die Schülerinnen und Schüler sehnsüchtig auf diese Flächen blicken und sich wünschen, diese als Rückzugs- und Ruheräume, für Einzel- oder Gruppenarbeit nutzen zu können.

Spieleraum
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Dann kommt das „böse“ Argument Brandschutz?

Flock: Oft geradezu reflexhaft, aber ebenso häufig ohne Kenntnis der Fakten und unbegründet. Es kommt darauf an, Spielräume, die der Brandschutz bietet, zu erkennen und zu nutzen.

Online-Redaktion: Dann betätigen Sie sich doch bitte einmal als Mutmacher und zeigen Spielräume auf.

Flock: Dazu muss ich fachlich werden und auf Paragrafen verweisen. Die Ideen zur Möblierung notwendiger Rettungswege – und das sind eben die Flure auch – werden oft mit dem Hinweis auf die Rechtslage abgewiesen. Doch diese Haltung lässt sich aus der Bauordnung nicht ableiten. Darin wird allein die ausreichend lange Nutzbarkeit notwendiger Flure gefordert. Man könnte es so ausdrücken: Die Einbeziehung eines Flures in den pädagogischen Tagesablauf ist möglich, solange nachgewiesen werden kann, dass die Sicherheit nicht gefährdet ist. Dies kann anhand von Kriterien abgeprüft werden: Rettungswegbreiten, mögliche Unfall- und Verletzungsgefahren, Gefahr einer Brandausbreitung in den Flur oder einer Brandentstehung im – meist hölzernen – Einbau.

Online-Redaktion: Von Laien wird häufig vorgeschlagen, die Flure mit beweglichen und wegklappbaren Mobiliar auszustatten. Eine ratsame Maßnahme?

Flock: Für eine flexible Nutzung der Fläche mag das eine sinnvolle Überlegung darstellen. Für den Brandschutz und die Sicherheit allerdings nicht. Wer bitte soll den Tisch oder Stuhl wegklappen, wenn es brennt? Dann heißt es doch nur, nach draußen zu kommen. Was im Weg steht, steht im Weg. Wichtig sind Lösungen, die dafür sorgen, dass sich ein Brand nicht schnell auf den Fluren ausbreiten kann. Dazu gehört dann beispielsweise die Wahl des richtigen Materials. Nicht Brennbares und Vollholz gehören dazu, schwer Entflammbares dagegen weniger, da es im Ernstfall zu viel Rauch entwickelt.

Online-Redaktion: Wieviel Fläche muss als Fluchtweg freigehalten werden?

Flock: Wichtig ist, dass klar festgelegt ist, welche Gänge und Treppenhäuser Fluchtwege sind. Diese müssen erreichbar sein. Es gibt Gebäude, da hilft nur eine Außentreppe als Rettungsweg. In den Fluren ist meist die Mindestbreite von 1,50 Meter ausreichend. Erst bei sehr hohen Personenzahlen werden die Breiten nach der Versammlungsstätten-Verordnung bemessen. Dabei ist wichtig, das jeweilige Landesrecht zu beachten! Eines wird übrigens gerne vergessen: Klassentüren dürfen gern nach innen aufschlagen. Denn nach außen aufschlagende Türen können schon im Normalbetrieb eine Unfallgefahr sein.

Zur Person:

Andreas Flock, ist Dipl.-Ing. Architekt und Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz. Nach dem Studium der Architektur an der TU Berlin war er in Architekturbüros tätig. Von 2000 bis 2013 war er Prüfer im Sachverständigenbüro Technische Prüfgesellschaft mbH in Berlin im Fachgebiet vorbeugender Brandschutz. Seit 2002 ist er geprüfter Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz im bundesweiten Weiterbildungsnetzwerk für das Bauwesen EIPOS. 2013 gründete er sein eigenes Büro „brandkontrolle“.

Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Schulen, Universitäten und Kultureinrichtungen. Er entwickelt Brandschutzkonzepte für Bildungsbauten und Konzepte für die Nutzung von Fluren in Schulen, erstellt Plandokumente zum Brandschutz (wie Feuerwehrpläne, Flucht- und Rettungspläne) sowie Möblierungspläne. Er berät Ganztagsschulen u.a. in Kooperation mit der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin und „Bauereignis“ Berlin und führt Fortbildungen, Seminare und Exkursionen durch.

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