"Viele Erwachsene vermuten, dass junge Menschen zu so etwas gar nicht fähig sind." : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Wenn die Schülervertretung nicht recht in die Gänge kommt oder die Gestaltungsspielräume von den Schülerinnen und Schülern nicht genutzt werden, kann das auch an einem Mangel an Wissen über ihre Mitwirkungsmöglichkeiten liegen. Mathias Labisch, Schüler-Mitwirkungsmoderator und frisch gebackener Abiturient im Interview.

Matthias Labisch
Matthias Labisch

Online-Redaktion: Was bedeutet für Sie eigentlich Partizipation?

Labisch: Für mich besteht ein zentraler Aspekt von Partizipation darin, möglichst viele Schülerinnen und Schüler zur Mitwirkung und Gestaltung von Schule anzuregen. Wichtig ist, dass sie ihre eigenen Ideen einbringen und auch umsetzen können.

Dafür bedarf es eines gemeinsamen Treffpunkts oder Ortes, an dem die verschiedenen Meinungen diskutiert und ausgewertet werden können. Die meisten Schülerinnen und Schüler kennen weder ihre Rechte noch ihre Pflichten.

Online-Redaktion: Warum sind Sie in der Schülervertretung aktiv geworden?

Labisch: Als ich zum Klassensprecher gewählt wurde, fiel mir auf, dass die Schülervertretung nicht besonders gut funktionierte. Obwohl der Schülerrat einiges bewegte, blieben die Aktivitäten an meinem Gymnasium doch vereinzelt und es bildete sich auch kein Teamgeist heraus. Mir wurde klar, dass man sich dafür stärker engagieren muss.

Allerdings gab es an der Schule bereits Mitwirkungsmoderatoren, die mich darauf aufmerksam gemacht haben, dass man als Schülervertreter eine  Ausbildung absolvieren kann. Ich habe daraufhin mit dem Projektleiter dieser Ausbildung, Peter Bienwald, Kontakt aufgenommen und dann eine Mail mit den wichtigsten Informationen hierzu erhalten.

Es gibt aber auch andere Wege. Die meisten Mitwirkungsmoderatoren kommen zu dem Projekt durch die Einladung des Schülerrates zu den alljährlichen Infotagen, die in verschiedenen Städten in ganz Sachsen stattfinden - dieses Jahr in der Woche vom 22. bis 27. September. Genauere Informationen findet man auf der Website des Projekts www.schuelermitwirkung.de.

Dort berichten bereits ausgebildete Moderatoren von ihren Erfahrungen. Jeder kann die Ausbildung machen, der mindestens 14 Jahre alt ist. Es gibt keine Grundvoraussetzungen. Seit ich Mitwirkungsmoderator geworden bin, halte ich nun an den interessierten Schulen Seminare, die die Schülerinnen und Schüler auf die Schülervertretung vorbereiten.

Online-Redaktion: Welche Methoden und Inhalte der Moderation kommen bei den Schülerinnen und Schülern gut an?

Labisch: Das hängt von der Zusammensetzung des Schülerrats ab. Manchmal bewährt sich freieres Arbeiten mit der Methode "World-Cafe". Wir schaffen dabei eine Kaffeehaus-Atmosphäre, mit einem Flip-Chart-Papier in der Mitte. Auf dieser "Tischdecke" ist ein Begriff notiert, beispielsweise "Demokratie an Schule" oder "effektiver Schülerrat", über den die Schüler schriftlich diskutieren. Diese Methode ist bei den Schülerinnen und Schülern sehr beliebt, weil sie locker ist und wenig Gemeinsamkeit mit dem Frontalunterricht hat.

Zum Seminarbeginn reden wir über die Beteiligungsmöglichkeiten von Schülern. Die Rechte und Pflichten lassen sich auch mit Rollenspielen gut erklären. Bewährt hat sich auch das Partnerinterview. Es kommt beispielsweise bei der Ausbildung für den Schülerrat zur Anwendung und sieht vor, dass sich die Partner zuerst in Zweiergruppen zusammenfinden und  gegenseitig interviewen. Nach dem kurzen Kennenlernen erzählen sie über den Partner eine kurze Geschichte, die den anderen die Person näher bringt.

Online-Redaktion: Wie wurden Sie auf die Praxis vorbereitet?

Labisch: Die Ausbildung zum Mitwirkungsmoderator umfasst drei Teile. In den Herbstferien fand an fünf Tagen die inhaltliche Ausbildung statt. Darauf folgte ein Wochenende, in dem wir mit Präsentations- und Moderationsmethoden auf unser erstes Seminar vorbereitet wurden.

Anschließend hielten wir unser erstes Seminar, das aber von einem erfahrenen Moderator begleitet wurde. Zum Abschluss trafen wir uns wieder an einem Wochenende im Dezember, um unser Seminar auszuwerten: Wir wurden gefragt, was gut oder schlecht gelaufen ist und wo noch Verbesserungsbedarf besteht.

Online-Redaktion: Wie ist denn ein Mitwirkungsseminar inhaltlich aufgebaut?

Labisch: Es ist in vier Phasen unterteilt. Die erste Phase dient dem Kennenlernen. Sie geht vom Ist-Stand aus. Daran schließt die Orientierungsphase an, in der die ersten Lernprozesse in der Gruppe stattfinden. In der Arbeitsphase bearbeiten Gruppen einzelne Themen, oder es werden Gedanken gesammelt. Schließlich beenden wir das Seminar mit einem Ausblick, was die Schüler in der nächsten Zeit an ihrer Schule verändern können.

Am Ende gibt es ein Blitzlicht mit der Auswertung des Tages. Dabei hat es sich bewährt, Spiele einzubauen, um die Schülerinnen und Schüler zu motivieren. Sie dienen als Ice-breaker, lockern die Stimmung in der Gruppe auf und vermitteln  gleichzeitig Inhalte.

Die Seminare dauern in der Regel vier bis fünf Stunden, können aber auch bis zu acht Stunden gehen. Es gibt nämlich die Möglichkeit, zwei Basisseminare mit einem Aufbauseminar zu verbinden, um spezielle Themen, wie etwa das Thema Schülerzeitung zu vertiefen. Ferner gibt es Seminare, die ein ganzes Wochenende in Anspruch nehmen, etwa, wenn sich ein Klassenrat besonders intensiv mit dem Thema Schülervertretung auseinandersetzt.

Ansonsten finden die Seminare an den Schulen statt, die uns buchen. Wir bekommen dafür einen Klassenraum oder eine Aula zur Verfügung gestellt. Da sind wir aber sehr flexibel.

Online-Redaktion: Wie funktioniert die Netzwerkarbeit und welchen Stellenwert hat die Fortbildung?

Labisch: Wir haben regelmäßige Treffen. So gab es kürzlich ein Kooperationstreffen mit den Peer-to-Peer-Trainern. Das ist ebenfalls ein Projekt der Deutschen Kinder und Jugendstiftung (DKJS). Peer-to-Peer ist ein Ansatz gegen Rassismus und für mehr Toleranz. Das Projekt widmet sich speziell der Arbeit mit Schulklassen und hilft das Miteinander in den Klassen zu verbessern.

Während des Treffens haben wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen unseren Projekten herausgearbeitet und uns Gedanken gemacht, wie wir unsere Projekte verbessern können. In das Treffen war eine Fortbildung zum Thema Rhetorik integriert.

Es gibt auch Weiterbildungen zum Thema Projektmanagement oder zur effektiven Schülerratsarbeit. Dabei geht es darum, wie man eine Schülerratssitzung richtig einberuft, ein Protokoll anfertigt, Diskussionen richtig lenkt etc. All diese Themen, die auf den neuesten Stand gehalten werden, vermitteln wir auch in unseren Seminaren.

Aus meiner Sicht ist es schon faszinierend, wie die Aktivität und Motivation der Schülerinnen und Schüler durch eine solche Fortbildung angeregt wird. Am Anfang eines Seminars kommt es häufig vor, dass gar nichts geschieht. Oft kriegen die Schülerinnen und Schüler erstmal gar nichts auf die Beine gestellt.

Doch im Laufe des Seminars entwickeln sie viele Ideen, die sie natürlich umsetzen möchten. Und am Ende der Fortbildung steht dann oft ein Aha-Effekt. Sie freuen sich darüber, dass Schülerarbeit so viel Spaß macht. Solche positiven Erlebnisse motivieren dazu, sich an der eigenen Schule stärker zu engagieren.

Online-Redaktion: Wie wirkt sich denn Ihr Engagement auf die Lernleistungen aus?

Labisch: Meine Leistungen sind konstant geblieben. Wie das bei anderen Schülerinnen und Schülern ist, kann ich schlecht einschätzen, da ich bislang keinen Vergleich habe.

Online-Redaktion: Werden Sie auch auf die Besonderheit der verschiedenen Schulformen vorbereitet?

Labisch: Sicherlich. Dafür wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Fortbildung ein Video vorgeführt, das die unterschiedlichen Schulkonzepte darstellt. Übrigens sagen wir den Schülerinnen und Schülern nicht, dass der Ganztag das perfekte Konzept zur Realisierung von Schülermitwirkung ist. Das sollen sie schon selbst mitkriegen.

Online-Redaktion: Was verändert sich denn bei den Schülerinnen und Schülern, wenn sie Partizipation lernen?

Labisch: Viele Schülerinnen und Schüler erkennen, dass sie in der Schulkonferenz starken Einfluss erreichen können und den Schulalltag mitgestalten können. Oft wussen sie vorher gar nicht, welche Möglichkeiten sie haben.

Dazu ein Beispiel zur Verdeutlichung: Die wenigsten wissen, dass der Schulleiter in der Schulkonferenz nur die Person ist, der sie einberuft und  dafür zuständig ist, dass alles rechtens abläuft. Die Entscheidungen selbst kommen von den Lehrkräften, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern. Letztere sollen erkennen, dass sie genauso viel Einfluss haben wie die  Lehrer und  Eltern.

Es ist auch kaum bekannt, dass die Schülerinnen und Schüler in der Schulkonferenz die Möglichkeit haben, die Lehrkräfte zu überstimmen, wenn sie gemeinsam mit den Eltern abstimmen. Die Frage ist aber: woher sollen sie es wissen, wenn es ihnen keiner ordentlich erklärt und vermittelt? Hierin sehen wir eine zentrale Aufgabe des Mitwirkungsmoderators.

Online-Redaktion: Sie haben einen Ausschnitt des Methodensets auch auf der Dresdner Fachtagung "Von Rotzlöffeln und meckernden Eltern" mit Erfolg auch vor Erwachsenen vorgestellt. Was waren Ihre Eindrücke?

Labisch: Wir wollten den Teilnehmerinnen und Teilnehmer dort verdeutlichen, wie wir mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten. Uns lag dabei sehr am Herzen, die Anwesenden einzubeziehen. Wir haben uns dabei auf zwei Methoden konzentriert, die wir vor Ort angewendet haben.

Da das Thema zu der Tagung passen sollte, haben wir anhand der Methode des "Positionsbarometers" mit den Lehrern und Eltern über ihre Erfahrungen an ihren Schulen diskutiert. Die Teilnehmer positionieren sich und erfahren, welche Formen der Schülerbeteiligung an anderen Schulen bereits praktiziert werden. Beispielsweise, ob der Klassensprecher geheim gewählt wird, was wünschenswert wäre, aber leider nicht alle Schulen so praktizieren.

Eine weitere Methode, die wir vorgestellt haben, war das Mindmapping. Dabei haben wir das Thema Fördern und Fordern des Schülerrats erörtert. Die Ergebnisse haben wir auf Moderationskarten visualisiert und mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einen sinnvollen Kontext gebracht.

Abschließend gab es noch ein Blitzlicht mit einer Auswertung und einem Feedback durch das Plenum. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren besonders beeindruckt, dass wir so jung und selbstständig waren - ohne eine Hand dahinter, die uns geführt hätte. Viele Erwachsene vermuten, dass junge Menschen zu so etwas gar nicht fähig sind.

Online-Redaktion: Nehmen Sie auch am 5. Ganztagsschulkongress in Berlin teil?

Labisch: Ich habe eine Einladung bekommen, aber zu dem Zeitpunkt bin ich leider schon in der Ausbildung für das "Netzwerk Demokratie und Courage". Dort arbeiten wir ebenfalls mit dem Peer-to-Peer-Ansatz. Da ich dieses Jahr mein Abitur gemacht und von der Schule abgegangen bin, habe ich mich nach Alternativen umgeschaut. Ich kann ja maximal noch ein Jahr in dem Projekt Mitwirkungsmoderator mitwirken.

Online-Redaktion: Welche Perspektiven haben Sie?

Labisch: Die Schülerarbeit interessiert mich weiterhin sehr, wie ürigens auch der politische Anspruch, der damit verbunden ist. Trotzdem möchte ich mich beruflich in Richtung Architektur bewegen.

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