Soziale Kompetenzen und demokratische Schule : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Soziale Kompetenzen zählen zu den so genannten "soft skills" (weiche Kompetenzen). Sind sie damit Kompetenzen zweiten Ranges, wie manch einer immer noch glauben mag? Spätestens wenn PISA 2009 auch den Bereich der sozialen Kompetenzen erfassen wird, könnte sich das als folgenreiches Vorurteil erweisen. Mit der Fachtagung "Soziale Kompetenz - Für erfolgreiches Lernen und demokratisches Handeln" am 22. November 2005 in Berlin blickte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in die gar nicht so ferne Zukunft.

Sind soziale Kompetenzen eigentlich Frauensache? Man konnte diesen Eindruck leicht gewinnen, denn Frauen waren auf der Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in so starker Überzahl vertreten, dass eine Teilnehmerin schon mal nachhakte: "Warum sind so wenige Männer hier?" Wenn nicht wenigstens zwei Dutzend Männer die Veranstaltung besucht hätten, dann spätestens hätte man mit Fug und Recht die männlichen Vorurteile zum Thema Soziale Kompetenzen problematisieren können.

Soziale Kompetenzen sind Schlüsselkompetenzen der Zukunft, sie sind weder weiblich noch männlich. Dafür stehen auch 22 Berliner Schulen, die seit 2002 an dem Bund-Länder-Programm "Demokratie leben und lernen" mit einer ansehnlichen Zahl von Projekten teilnehmen, die da heißen "Demokratische Strukturen in der Klasse", "Förderung von Mädchen und ihrer gleichberechtigten Teilhabe", "Gewaltprävention an Schulen", "Einübung von Kommunikation" oder "Soziale Sensibilisierung und Förderung von Migranten im Quartiersmanagement".

"Schule ist ein Sozialraum, in dem tagtäglich ein geteiltes Miteinander von Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern stattfindet", sagte Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin in seiner Eröffnungsrede. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem besseren Miteinander leiste die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe.

"Demokratie ist kein Luxus"

Berlin gehört zusammen mit Brandenburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern zu den Vorreitern in Sachen Soziale Kompetenzen. Davon zeugen nicht nur das neue Berliner Schulgesetz von 2004, sondern auch die neuen Rahmenlehrpläne, die die Entwicklung von Sozialen Kompetenzen in Verbindung mit Fach-, Methoden- und Personalkompetenzen in den Schulen verankern wollen. Auf der Berliner Agenda steht insbesondere die Förderung einer demokratischen Schulkultur. Diese Botschaft hat sich offensichtlich auch bei den Berliner Lehrerinnen und Lehrern herumgesprochen. Lange vor Beginn war die Fachtagung völlig ausgebucht.

Soziale Kompetenzen und die Förderung demokratischen Handelns an den Schulen sind zwei Seiten einer Medaille. In seinem 30-minütigen Hauptvortrag entwickelte Prof. Dr. Wolfgang Edelstein die These, dass demokratische Werte und Kompetenzen für eine zukunftsfähige Schule unverzichtbar sind: "Die Schule der Demokratie ist kein Luxus. Demokratie in der Schule ist der Ernstfall", so der frühere Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, der sich nicht nur als Initiator und Nestor des BLK-Programms "Demokratie lernen und leben" seit vielen Jahren unermüdlich für die Demokratiepädagogik engagiert.

Schule demokratiefähig machen

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie kann laut Edelstein unter Umständen gefährdet werden. Gerade an den Schulen muss Demokratie über die Einzelnen aktiv hergestellt und gelebt werden. Vor diesem Hintergrund wurde das bundesweite BLK-Programm "Demokratie lernen und leben" seinerzeit aus der Taufe gehoben. Für Wolfgang Edelstein hat Schule die zentrale Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vorzubereiten.

Wolle sie diesem Anspruch gerecht werden, müsse sie drei Funktionen erfüllen. Erstens: Demokratie lernen bedeutet, die Schülerinnen und Schüler zu einem bewussten demokratischen Handeln zu befähigen. Zweitens: Demokratie leben bedeutet, an einer demokratischen Community teilzuhaben und einen demokratischen Habitus zu erwerben. Drittens: Demokratie als Lebensform beinhaltet erst die Fähigkeit, eine demokratische Gesellschaft mitzugestalten.

Diverse Szenarien zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen, wie sie zum Beispiel die Delphi-Studien des BMBF aus den 90er Jahren oder Analysen über die wirtschaftliche Entwicklung der OECD entwarfen, untermauerten die Notwendigkeit, die Schülerinnen und Schüler für ein Leben in modernen, in hohem Maße desintegrierten Gesellschaften vorzubereiten. Auch deshalb seien soziale Kompetenzen von elementarer Bedeutung: "Ohne soziale Kompetenzen keine Kooperation, keine Verantwortungsübernahme, keine Partizipation, ohne diese Qualifikation der Individuen keine Demokratie", so der Bildungsforscher.

Soziale Kompetenzen sind Schlüsselkompetenzen

Soziale Kompetenzen sind laut OECD Schlüsselkompetenzen, die sich aus drei Kernkompetenzen zusammensetzen:
· Erfolgreich selbstständig handeln können (Stichwort: Zivilgesellschaftliches Engagement);
· Werkzeuge konstruktiv nutzen können (Stichwort: Arbeit in Projekten);
· in heterogenen Gruppen erfolgreich miteinander handeln können (Stichwort: Soziale Kompetenzen).

Die Förderung sozialer Kompetenzen und demokratischer Werte orientiere sich dabei an den geltenden Menschenrechten und Kinderrechten. Edelstein warnte: In Frankreich könne man beispielhaft sehen, was eine desintegrierte Gesellschaft bedeutet, z. B. wenn sie sich von ihrem Anspruch entfernt, Minderheiten zu integrieren. Schule sei hingegen per se ein Integrationsort. "Schule nimmt alle auf", erinnerte er. Deshalb müsse Schule ein Ort der demokratischen Teilhabe sein, der die Übertragung von Verantwortung, die Erprobung von Führung oder die Duldung von begründetem Widerspruch zulasse. Ein Raum der Anerkennung und Inklusion.

Wie soziale Kompetenzen unterrichtsreif werden

Wie die sozialen Kompetenzen für die Grundschulen in Form gegossen wurden, erläuterte Mascha Kleinschmidt-Bräutigam vom Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) Berlin genauer. "Rahmenlehrpläne entsprechen nicht der Unterrichtspraxis". Dennoch sei in Berlin mehr als ein Anfang gewagt worden, denn "heute sprechen wir von einem erweiterten Lernbegriff, zu dem neben der fachlichen und methodischen auch die personale und soziale Dimension gehören. Ziel ist die Entwicklung von Handlungskompetenz, die Fach-, Methoden-, personale und soziale Kompetenzen umfasst."

Mit den neuen Rahmenlehrplänen sind alle Fächer der Kompetenzentwicklung verpflichtet. "Kompetenz ist eine ,Ich-kann-Formulierung' und damit immer auf zukünftige Handlungsfähigkeit bezogen", ergänzte die Referentin. Die neuen Rahmenlehrpläne würden dem gerecht werden. Eine mehr als wünschenswerte Konsequenz für die Unterrichtsgestaltung wäre die Individualisierung des Lernens. Die neuen Rahmenlehrpläne schafften ebenfalls Raum für eine Rhythmisierung des Schultages, für die Entwicklung eines schulinternen Curriculums sowie für demokratische Umgangsformen.

Soziale Kompetenzen und Demokratie üben

Wenn ein Veranstalter Workshops anbietet, kann er damit unterschiedliche Zielen und Aufgaben verfolgen. Da die Fachtagung auch als Lehrerfortbildung anerkannt wurde, kam den sechs eingerichteten Workshops in diesem Fall eine sehr pragmatische Aufgabe zu. Sie dienten in erster Linie als Übungsfeld für das Thema soziale Kompetenzen an Beispielen: Learning by doing.

Die Workshops hießen: "Kooperation von Schule und Jugendhilfe", "Schulinterne Fortbildung", "Trainieren von personaler und sozialer Kompetenz", "Schülerinnen, Schüler, Lehrkräfte und Eltern werden zu einem Team", "Demokratisch lernen und leben", "Handlungsorientierte Kooperationsübungen zur Unterstützung der rhetorischen Kompetenz".

Jedem Workshop wurde auf der Fachtagung eine bestimmte Schulform zugeordnet. So widmete sich z. B. der Workshop "Demokratisch lernen und leben" verschiedenen Methoden sozialen Trainings in den Realschulklassen 5 und 10. Ingrid von Einsiedel stellte ihren Ansatz vor. Klassenreisen mit der 5. Klasse nutze sie gerne, um ein Wohlfühltraining durchzuführen: "Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung sind eine wichtige Voraussetzung für das Lernen."

Zum Trainingsprogramm gehören Rollenspiele, Kennenlernspiele (Personensuche), Entspannungsübungen, Feedbackrunden etc. Sehr gefragt ist das "Lobdöschen", das ist ein kleiner Glasbehälter, in dem die Kinder Eindrücke, die sie im Lauf des Trainings voneinander gewonnen haben, auf Zetteln notieren. Abends, wenn die Glasbehälter geleert werden, können die Kinder das Feedback kaum abwarten. Lob und Anerkennung sind Grundnahrungsmittel der Seele. Ähnlich elementar ist aber auch das Zulassen von Affekten und Emotionen, also die Fähigkeit, nein zu sagen, Angst und Traurigkeit zu zeigen. Gefühle des Beleidigtseins werden in Rollenspielen geklärt.

Demokratische gesinnte Generationen entwickeln

Einen Ausschnitt aus dem Trainingsprogramm durften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dem überfüllten Workshop übrigens selber ausprobieren. Das Ergebnis war ziemlich beeindruckend: Wo vorher Zurückhaltung und Distanz dominierten, waren auf einmal Neugier, Kommunikation und Freude hautnah erfahrbar. "Wir wollen mit dem sozialen Training ein wertschätzendes Miteinander und Demokratie üben", sagte die Workshopleiterin Helga Neumann.

Soziales Training lockert innere Lernblockierungen: "Die Kinder lieben das Training und sie drängeln während des Schuljahres auf Wiederholung." Dennoch gilt auch hier: Nur ein steter Tropfen höhlt den Stein. Soziales Training bedarf auch der Akzeptanz im Kollegium. Außerdem braucht es einen offiziellen Status, wie ihn das neue Berliner Schulgesetz 2004 geschaffen hat.

Man sollte sich aber davor hüten, sich in die Methoden zu verlieben: "Die Methoden alleine schaffen keine demokratische Schule. Es kommt auf die Intention an, aus der Schule einen Sozialraum zu machen, der demokratisches Handeln fördert", so Edelstein. Zum Abschluss der Tagung setzte sich der Bildungsforscher in der von Sascha Wenzel moderierten "Fischbowl" engagiert dafür ein, Dialog und Verantwortung zu institutionalisieren. "Das Wichtigste ist, Schule als einen Lernort für demokratisches Handeln zu verstehen. Denn die Schule ist der Ort, wo eine neue Generation entwickelt wird".

"Fischbowl" hieß ein Arrangement, das Raum für ein demokratisches Gespräch schuf. Ein Stuhl in der Gesprächsrunde wurde freigehalten für überraschende Stimmen aus dem Plenum, für Menschen, die den Mut zur eigenen Meinung aufbrachten, eben den Mut, die eigenen sozialen Kompetenzen vor einem großen Plenum einzubringen.

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