Lebensmittel im Ganztag: Jeder Schritt zählt : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Der verantwortungsvolle Umgang mit Lebensmitteln und Rohstoffen ist aktueller denn je. Wie er in der Schulverpflegung der Ganztagsschule gelingen kann, erfuhren die Teilnehmenden einer Online-Fortbildung in Hessen.

Nicht erst, aber spätestens seit der aktuellen ernsthaften politischen Krise, ausgelöst durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, schärft sich das Bewusstsein vieler Menschen für den Umgang mit wertvollen Ressourcen. Wasser, so erkennen die meisten, ist ein unschätzbares Gut, Energie gibt es nicht im Überfluss. In einigen Ländern verschärfen sich die ohnehin katastrophalen Ernährungslagen. Das lässt – zum Glück – immer mehr Menschen innehalten und sich eines bewussteren Umgangs mit Lebensmitteln besinnen.

Viel passender hätte da eine Online-Fortbildung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ und der Vernetzungsstelle Schulverpflegung Hessen nicht kommen können. Ihr wohl gewählter Titel: „Schulverpflegung im Ganztag: Lebensmittelwertschätzung und Praxis“. Um es vorweg festzuhalten: Impulse und der Einblick in die Praxis der Engelbert-Humperdinck-Grundschule in Frankfurt am Main hinterließen bei den Teilnehmenden nachhaltigen Eindruck. Einen, den man mit den Worten festhalten könnte: „Wann, wenn nicht jetzt, sollten sich Ganztagsschulen auf den Weg machen, den Schülerinnen und Schülern einen zusätzlichen Impuls zu nachhaltigem und verantwortungsbewussten Handeln zu geben.“

Ein Thema für Unterricht und Arbeitsgemeinschaften

Davon jedenfalls ist Nina Carryer überzeugt. Sie ist Bildungsreferentin beim Berliner Verein „Restlos glücklich“. Dieser engagiert sich für mehr Wertschätzung und den bewussten Konsum von Lebensmitteln. Der Verein hat umfangreiche Unterrichtsmaterialien für Schulen, aber auch Konzepte für Kindertagesstätten entwickelt und ist selbst „buchbar“ für die Aufklärungstätigkeit an Schulen. Gleich zu Beginn ihrer Ausführungen verdeutlichte Carryer die Bedeutung des Themas: „Jedes Jahr landen in Deutschland 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Dadurch werden Klima und Umwelt enorm belastet.“ Und sie unterstrich, dass über die Hälfte dieser weggeworfenen Lebensmittel noch genießbar wäre. „Unfassbar“, möchte man mit Blick auf Hunger und Unterernährung auf dieser Welt hinzufügen. 

Die engagierte Referentin holte ihre „Gäste“ da ab, wo sie im Schulalltag nun einmal stehen. „Wichtig ist, dass unsere Unterrichtsvorschläge und -materialien so konzipiert wurden, dass sie Anknüpfung an die Lehrpläne ermöglichen“, betonte sie. Und das ist durchaus anspruchsvoll. Schließlich unterscheiden sich die Pläne von Bundesland zu Bundesland. Doch Carryer verdeutlichte, dass es nur ein wenig Kreativität bedarf, um das Thema Ernährung, Konsum oder Lebensmittelwertschätzung im Unterricht zu platzieren. Ihre Beispiele überzeugen. Da wäre die im Kunstunterricht erarbeitete Ausstellung mit Zeichnungen der „schönsten krummen Banane oder Gurke“.

Schülerinnen und Schüler kochen in der Schule
© Britta Hüning

Oder: Warum soll die Aufgabe in der Mathematikstunde nicht lauten, auszurechnen, wie viele Kilometer eine Kiwi oder Avocado durch die Welt reist beziehungsweise fliegt, damit wir sie verzehren können – oder aber, um beim Thema zu bleiben, nicht mehr essen möchten, weil sie optisch nicht mehr perfekt aussieht. Genau für Letzteres möchte „Restlos glücklich“ besonders die Sinne schärfen und bietet daher auch die mit einer Urkunde abschließende „Ausbildung zur Lebensmittelretterin/Lebensmittelretter“ an. „Eines unserer Ziele ist es, dass Schülerinnen und Schüler dieses Gedankengut und die Haltung auch in ihre Familie tragen“, erläutert Carryer.

In der Ganztagsschule bestens aufgehoben

Doch es geht nicht nur um den Einsatz gegen die Wegwerfmentalität. Kinder und Jugendliche sollen erfahren, wie man Lebensmittel im Kühlschrank richtig lagert, dass manche Frucht außerhalb des Kühlgeräts besser aufgehoben ist (Tomaten beispielsweise verlieren in der Kälte ihr Aroma und ihren Geschmack). Sie sollen verstehen, warum Äpfel aufgrund ihrer Reifegase am besten gesondert gelagert werden, damit sie den Reifungsprozess anderen Obstes nicht unnötig beschleunigen. Und sie sollen vielleicht „Stop“ rufen, wenn das Möhrengrün daheim in den Müll zu wandern droht. Denn es eignet sich perfekt als Basis für ein Pesto.

Die Referentin, die ihre Abwesenheitsnachricht im Mailprogramm humorvoll formuliert („Nina Carryer ist restlos glücklich in den Urlaub gefahren“) weiß, dass sich jede Schule dieses bedeutsamen Themenfeldes annehmen kann. Doch die Ganztagsschule bietet ihrer Einschätzung nach besondere Möglichkeiten. Im Unterricht, aber eben auch in den zusätzlichen Angeboten. „Schülerinnen und Schüler befinden sich hier die meiste Zeit des Tages, frühstücken und essen gemeinsam zu Mittag und snacken. Die Ganztagsschule bietet Zeit und Raum, Neues auszuprobieren. Im optimalen Fall durch eine Verknüpfung des Fachunterrichts und der außerunterrichtlichen Angebote“, hebt sie hervor.

Fakten, Fakten, Fakten

Wenn das noch argumentativer Unterstützung bedurft hätte, wären die Fakten, die anschließend Brigitte Molter, Referentin für Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, lieferte dafür bestens geeignet. Sie fasste Erkenntnisse des UN-Welternährungsbericht 2021 zusammen:

  • Die Zahl der Hungernden ist weiter auf 828 Millionen Menschen gestiegen (>10
    Prozent der Weltbevölkerung)
  • Prognosen zufolge werden im Jahr 2030 immer noch fast 670 Millionen Menschen
    von Hunger betroffen sein (8 Prozent der Weltbevölkerung, genauso viel wie 2015)
  • Fast 3,1 Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung
    leisten (knapp 39 Prozent der Weltbevölkerung). Hauptgrund ist die Inflation der
    Lebensmittelpreise infolge der Covid-Pandemie.
  • Die Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine und der Aneignung bzw. Verhinderung von deren Getreideexporten sind von dem Report noch nicht erfasst.
Beim Pausenbrot fängt es an

Unter dem Motto „Bewusst mit Genuss – und gegen die Verschwendung“ beschäftigten sich 45 Kinder der Klassen 1 bis 4 der Engelbert-Humperdinck-Schule während der vergangenen Herbstferien mit der Thematik. Die Schülerinnen und Schüler besuchten unter anderem einen Bio-Lebensmittelladen, untersuchten dort Bio-Siegel und besichtigten einen Erzeugermarkt. Die gekauften Lebensmittel wurden gemeinsam verwertet und probiert. Inka Schlund, Leiterin des Ganztagsbüros der Schule, formulierte im Gespräch mit der Vernetzungsstelle Schulverpflegung den Sinn der Aktion: „Essen ist kostbar. Wir müssen bewusst damit haushalten und umgehen. Das fängt beim Pausenbrot an und hört beim warmen Essen in der Mensa auf.“

Köchin beim Brotschneiden in der Küche
© Britta Hüning

Folgerichtig kommt der Ernährungsbildung an der Schule ein hoher Stellenwert zu. Ein Mensakreis berät regelmäßig über Konzepte und Speisen. Die Meinung der Schülerinnen und Schüler ist ebenso gefragt wie die des stets eingebundenen Caterers. „Wichtig ist, dass es allen schmeckt“, lautet die Devise. Und natürlich, dass es im Bewusstsein des Wertes von Lebensmitteln geschieht. Schlund: „Für unsere Salate verwenden wir ausschließlich frische Kräuter aus unserem Schulgarten, die von unserer Garten-AG angepflanzt und gepflegt werden. Die Schülerinnen und Schüler erlangen somit einen Bezug zu ihrem Essen und wissen, wie viel Arbeit und Pflege für das Anbauen von Lebensmitteln notwendig ist, was zur Wertschätzung von Lebensmitteln beiträgt.“

Sorge von Teilnehmenden vor der „Größe“ der Aufgabe zerstreut Inka Schlund: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die kleinen Schritte zählen. Alles, auch ein solches Projekt, muss wachsen. Es muss nicht von Beginn an perfekt sein – jeder Schritt, ist er auch noch so klein, baut auf dem anderen auf und bringt uns dem Ziel ein Stück näher.“

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