Wenn einer eine Reise tut... : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. 50 Ganztagsschulen aus ganz Deutschland können das bestätigen. Sie arbeiteten zwei Jahre lang in sechs Netzwerken zusammen, besuchten sich, schauten sich gegenseitig in die "Bildungskochtöpfe", ließen sich inspirieren und lernten von- und miteinander. In der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin zogen sie am Freitag (15. Juni 2012) Bilanz.

Links Dr. Heike Kahl, rechts die Podiumsdiskussion
Dr. Heike Kahl, Geschäftsführerin der DKJS; Podiumsdiskussion © www.derfotografberlin.de im Auftrag der DKJS

Wer mit den Vertretern der Schulen bei diesem (vorläufigen) Abschlusstreffen ins Gespräch kam, spürte die Wirkung der Netzwerkarbeit. "Die Bereitschaft, sich zu öffnen und über alternative Konzepte nachzudenken, hat unser gesamtes Kollegium erfasst", freuten sich gleich mehrere Schulleiterinnen und Schulleiter fast wortgleich gegenüber www.ganztagsschulen.org.

"Das von- und miteinander Lernen ist das wirksamste Mittel, sich weiter zu entwickeln und die Qualität von Ganztagsschulen zu steigern", sagte die Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), Dr. Heike Kahl. Die Stiftung setzt seit 2004 das Programm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" um. Dafür, dass in diesem Rahmen auch die intensive Netzwerkarbeit möglich gemacht wurde, dankte Kahl dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das das Gesamtprogramm jährlich mit 4,5 Mio. Euro fördert. Der Aufwand habe sich gelohnt, schließlich sei der Wissenstransfer zwischen den Schulen gelungen. Kahl wörtlich: "Die sechs Netzwerke haben für die Ganztagsschulen in Deutschland ein Könnens-Bewusstsein geschaffen. Sie sind so etwas wie die Kraft des Anfangs."

50 Ganztagsschulen in sechs Netzwerken

Für das BMBF gab Referatsleiterin Bettina Bundszus den Dank an die Stiftung zurück. Mit Blick auf die Ergebnisse der Netzwerkarbeit meinte sie: "Das sind die Früchte erfolgreicher Arbeit. Gute Ideen sollten nicht an Ländergrenzen halt machen." Das Miteinander der 50 Schulen bezeichnete sie als "den Geist der Schulentwicklung erweiternde Arbeit". In diesen Tagen müsse sie beim Stichwort "Netz" auch an Fußball denken. Sie erinnerte an Lothar Matthäus. Er habe einmal gesagt: "Es ist wichtig, dass man neunzig Minuten mit voller Konzentration an das nächste Spiel denkt." Und so fragten sich schon während dieses Abschlusstreffens viele, wie es mit den schulischen Netzwerken weitergehen wird. Bundszus: "Ich hoffe, dass diejenigen, die heute anwesend sind, ihre Erfahrungen und Ideen in die Breite tragen." Zugleich kündigte sie an, dass man auch in der nächsten Programmphase vielen Schulen die Möglichkeiten bieten werde, in Netzwerken Schulentwicklung zu betreiben.

Die Schulen, die sich in den bisherigen Netzwerken mit den Themen "Veränderte Lernkultur", "Zeiten im Ganztag" sowie "Veränderungsmanagement" beschäftigten, zogen allesamt ein positives Fazit ihres "über den Tellerrand Schauens". "Wir haben eine beeindruckende Vielfalt von Schule kennen gelernt", bestätigte Sabine Zülka (Grundschule Landsberger Straße in Herford). Ihr Kollege Werner Leber (Schule Eigeltingen, Baden-Württemberg) fügte hinzu: "Es war beruhigend zu hören, dass es im Kern überall um das Gleiche geht." Er mahnte: "Bei Veränderung müssen alle an Schule Beteiligten einbezogen werden. Auch die Schüler. Die Schülermitverwaltung ist für mehr da, als Partys zu organisieren." Die Schulleiterin der sächsischen Mittelschule Beilrode machte deutlich, dass es für sie und ihr Team wichtig und wertvoll gewesen sei, "als kleine Schule einmal einer deutlich größeren Einrichtung über die Schulter geguckt haben zu können".

Erfahrungen anderer Bundesländer nutzen

Für den Ganztagsschul-Referatsleiter im hessischen Kultusministerium, Wolf Schwarz, bietet das gemeinsame Programm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen." die Chance, anzuschauen, was andere Bundesländer machten. "Als Referatsleiter kann man Ideen mit ins Land nehmen. Etwas Spielraum haben wir ja", meinte er. Auch darüber, dass der Ausbau der Ganztagsangebote in Deutschland kontinuierlich, begleitet vom Erfahrungsaustausch über Bundesländergrenzen hinweg, weitergehen muss, herrscht in der Akademie der Künste Einigkeit. Angela Reimers vom niedersächsischen Kultusministerium betonte mit Blick auf ihr Land: "Die Zahl der Ganztagsschulen ist sehr schnell gewachsen. Jetzt geht es darum, die Qualitätsentwicklung in den Blick zu nehmen." Der vom Land entwickelte Qualitätsrahmen biete dafür wertvolle Orientierungshilfe. Dass die länderübergreifenden Netzwerke "grenzenloses Lernen" ermöglichen, hob die Programmleiterin bei der DKJS, Maren Wichmann, als besonders wertvoll hervor: "Die Unterschiedlichkeit macht es möglich, auf den Kern von Unterrichtsentwicklung zurückzukommen." Netzwerkarbeit trage dann Früchte, wenn das, was dort entstehe, schließlich auch im Alltag der Schulen ankomme.

Karsten Speck: "Es ist viel geschehen, aber es gibt noch Baustellen"

Aus wissenschaftlicher Sicht ist in den vergangenen Jahren schon einiges in den deutschen Ganztagsschulen angekommen. Davon zeigte sich Prof. Dr. Karsten Speck (Universität Oldenburg) beim Abschlusstreffen überzeugt. Er nannte den quantitativen Ausbau, die Öffnung nach außen, das inzwischen viel breitere und vielfältige Angebot für Schülerinnen und Schüler und die Schaffung von Ruckzugsräumen für sie sowie die Verringerung der Klassenwiederholungen. Erfreulich sei auch, dass nach den Forschungsbefunden der Ganztag - z. B. durch die Kooperation mit weiterem pädagogischem Personal - die Lehrkräfte nicht mehr belaste, sondern im Gegenteil sogar entlaste.

Aber, so mahnte Speck, es gebe auch noch einige Baustellen. So mangele es häufig noch an einer Verständigung über die pädagogischen Ziele des Ganztags, an einer ausreichenden Rhythmisierung des Schulalltags und an der sozialräumlichen Vernetzung. Auch die wechselseitige Anerkennung zwischen Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie außerschulischen Kooperationspartnern und die umfassende Beteiligung an Entscheidungen seien noch verbesserungsbedürftig. Mit Blick auf den Unterricht seien Konzepte für die Verknüpfung aller Angebote, eine stärkere Binnendifferenzierung und mehr individuelle Förderung notwendig. Und schließlich erinnerte er daran, dass "nicht von oben festgelegte Vorgaben, sondern die Einstellung und Bereitschaft, sich zu verändern, die Impulse für Schulentwicklung sind."

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