Vom allwissenden Lehrer zum Moderator : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Bernd Woidtke von der Europaschule Kerpen erläutert in dem Interview, wie sich der Unterricht und die Rolle der Lehrer mit den Neuen Medien nachhaltig verändern.

Porträtfoto Bernd Woidtke

Online-Redaktion: Sind Sie für den Unterricht mit den Neuen Medien eigentlich vorbereitet worden?

Woidtke: Vorbereitet worden bin ich eigentlich überhaupt nicht, ich habe mir das Know how autodidaktisch zugelegt. Trotzdem merke ich, je mehr ich mich einarbeite, meine Lücken, aber vorbereitet fühle ich mich nicht. Ich habe aber eine große Offenheit gegenüber den neuen Medien und den Prozessen, die sich daraus ergeben.

Vorne zu stehen und mein Wissen vor den neugierigen Schülern auszubreiten, das ist überhaupt nicht mehr angesagt. Die Lehrerrolle definiert sich heute und insbesondere an der Ganztagsschule völlig anders: ich muss kompetent sein im Sinne von mich zurücknehmen können, die Schülerprozesse aufnehmen und natürlich den Unterricht mit den Neuen Medien steuern. Das heißt, ich muss sehr viel mehr reagieren auf diese neue Situation, als dass ich sie klassisch zu Hause vorbereiten könnte. Vorbereiteter Unterricht mit Plan und dem Ergebnis X ist im Unterricht mit den Neuen Medien nicht mehr in erster Linie angesagt. Ich muss den Schülern sehr viel mehr Offenheit zugestehen, das ist eine ganz wesentliche Kompetenz.

Andere Kompetenzen sind die formalen und technischen, d.h. ich muss mit dem Medium umgehen können. Die Schülerinnen und Schüler haben natürlich die Erfahrung, dass Lehrer zum Teil weniger über das Internet und die Computertechnik wissen als sie selber. Das ist für mich aber kein Problem. Ich arbeite mit Schülern zusammen, die mir mal was zeigen und auch mal sagen: Stellen Sie sich nicht so blöd an. Das kratzt mein Selbstbewusstsein nicht an, aber das ist für manche - vielleicht ältere Kollegen - etwas schwierig. Das heißt: ich bin nicht mehr der allwissenden Lehrer, sondern der Lehrer, der mit den Schülern gemeinsam lernt.

Online-Redaktion: Wie kann man sich das Handwerkszeug für die Neuen Medien am besten aneignen?

Woidtke: Ich halte am meisten von kollegiumsinternen Fortbildungen mit externer Hilfe. Wir haben für Fortbildungen über "Mediator", also über ein bestimmtes Präsentationsprogramm und Internetfortbildungen von außen Rat geholt.
"Mediator" ist ein Präsentations- und Animationsprogramm, mit dem man hypertextartig arbeiten kann, d.h. mit Links zu anderen Textstellen und Dateien; es ähnelt deshalb der Struktur des Internets. Kollegiumsinterne Fortbildungen haben den Vorteil, dass man vor Ort - in der eigenen Schule, an den eigenen Rechnern - mit mehreren Kolleginnen und Kollegen lernen und das Gelernte unmittelbar anwenden kann.

Online-Redaktion: Wenn man das Internet als Wissensquelle für den Unterricht einsetzt, wie behält man als Lehrer dabei die Übersicht?

Woidtke: Das Internet ist ja eine Widerspiegelung der Wissensinhalte in der Welt. Das ist aber so komplex, dass es mir darum geht, dieses unglaublich komplexe Wissen zu strukturieren und zu reduzieren. Das ist das, was ich den Schülern vermitteln will, das heißt, wenn ich über eine Suchmaschine Informationen ansteuere, dann muss ich unterscheiden können. 90 Prozent der Informationen sind nicht brauchbar. Das Entscheidende ist, die 10 Prozent oder noch weniger zu finden, die nützlich sind.

Online-Redaktion: Heißt das auch, dass Gruppenarbeit an Ganztagsschulen bedeutsamer wird?

Woidtke: Das bringt die Ganztagsschule ja mit sich. Die Schülergruppe sitzt am Computer und arbeitet selbstständig. Auch die Gruppenarbeit an der Ganztagsschule ist sinnvoll, denn die Schüler bringen unterschiedliche Fähigkeiten mit. Der Eine ist mehr intellektuell-inhaltlich orientiert, der Andere kennt sich besser mit der praktischen Handhabe des Mediums aus, kann HTML-Programmierung machen oder eine Website erstellen. Und diese Ressourcen kann man am besten in Gruppenarbeit nutzen. Da habe ich gute Erfahrungen gemacht, etwa mit Projekten, die in Computer gestützten Präsentationen mündeten.

Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben E-Learning Programme für den Unterricht an Ihrer Schule?

Woidtke: Nach meiner Erfahrung gab es vor drei, vier Jahren einen Boom an E-Learning-Programmen, der aber zur Zeit wieder etwas an Konjunktur verloren hat. Der Grund liegt wohl darin, dass viele Programme zwar grafisch gut aufgebaut, aber inhaltlich eher etwas schwachbrüstig waren und sind. Daher hat sich die PC-gestützte Arbeit in der Schule, zumindest bei uns, eher auf Internet-Recherche und die Präsentation der Ergebnisse konzentriert. Allerdings halte ich es für sinnvoll, E-Learning-Programme weiter zu entwickeln und vor allem zu evaluieren.

Online-Redaktion: Wie haben Sie die Eltern eingebunden?

Woidtke: Die Eltern haben sich selber angeboten, indem sie uns Equipment geliefert haben, entweder ausrangierte Rechner oder die Hard- und Software selbst installiert haben. Allerdings spielt das im alltäglichen Unterrichtsbetrieb keine so große Rolle.

Wir haben eine Organisation von ehemaligen Schülern, das sind Leute im Studium oder im Beruf, und die bieten uns beispielsweise Zusammenarbeit in Projekten oder Kontakte zu Firmen, in denen sie selber arbeiten. Das sind übrigens Leute, die im Bereich der Neuen Medien arbeiten.

Online-Redaktion: Sind die Räume und die Technik an Ihrer Schule für den Unterricht mit den Neuen Medien geeignet?

Woidtke: Wir sind ein Sonderfall, weil wir eine sehr große Schule mit 1700 Schülerinnen und Schülern sind. Dafür sind wir auch entsprechend ausgestattet: Wir haben drei Interneträume mit jeweils 15 bis 20 Rechnern und Einzelarbeitsplätze in der Bibliothek und an anderen Orten. Was ich wichtig finde, ist, dass es nicht nur Einzelrechner, sondern auch Räume gibt, wo eine ganze Klasse und ein ganzer Oberstufenkurs selbstständig arbeiten können. Jeder Schüler oder zumindest partnerweise sollte einen Rechner zur Verfügung haben. Und das auch nicht nur zu Unterrichtszeiten.

Diese Schule existiert seit fünfunddreißig Jahren. Da war also noch nicht an Neuen Medien zu denken, d.h. wir haben Räume genutzt, die schon da waren, wie Klassenräume. Ursprünglich hatten wir einen Internetraum, der fensterlos war, weil wir dachten, die Leute gucken auf den Bildschirm, aber das war nicht so gut.

Eine Ganztagsschule bringt es ja mit sich, dass die Schülerinnen und Schüler mehr Freiräume und freie Zeit haben, in denen sie selbstständig dort arbeiten können. Man hat auch mehr Variationsmöglichkeiten: Wir haben bei uns prinzipiell keine Einzelstunde, also keine 45 Minuteneinheit, sondern Doppelstunden, da kann man natürlich sehr viel mehr selbstständige Arbeitsphasen einbauen.

Ganz wichtig für mich an der Ganztagsschule ist der Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern. Der Kontakt ist nicht nur auf den Unterricht bezogen, sondern auch auf das Mittagessen und die freie Zeit.

Online-Redaktion: Macht Ihnen der Unterricht mit den Neuen Medien mehr Spaß als der herkömmliche?

Woidtke: Ja, absolut: Meine Rolle als Lehrer hat sich für mich entspannt. Dieser Zwang den ganzen Tag vor der Klasse zu stehen, klug sein zu müssen, hat sich völlig abgebaut, ich arbeite mit den Schülerinnen und Schülern zusammen und werde als jemand akzeptiert, der Fragen hat. Ich schicke Schülern e-mails, krieg e-mails zurück, das ist eine sehr viel entspanntere Atmosphäre - sowohl persönlich, als auch als Lehrer.

Bernd Woidtke
geboren 1951, Studium: Sozialwissenschaften, Geschichte an der Universität Köln.Schule: Fachvorsitzender Sozialwissenschaften, Pressebeauftragter, Administrator der Schulhomepage. Projekte: Herausragend war die Teilnahme am Junior-Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft vor zwei Jahren: Schüler und Schülerinnen gründeten ein Unternehmen und verkauften ein Jahr lang erfolgreich Dienstleistungen (Websites für Kerpener Geschäfte). Privat: 13 Jahre Geschäftsführer von zwei freien Theatern in Köln: Theater im Bauturm (1991-1998), Rose-Theegarten-Ensemble (seit 1998)

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