Holtappels: "Hausaufgaben häufig ein Elend" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Ganztagsschulen bieten die Chance, Hausaufgaben sinnvoller zu nutzen. Davon ist der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Heinz Günter Holtappels überzeugt. "Derzeit sind sie häufig eher ein Elend", sagte er anlässlich des von der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Baden Württemberg organisierten Fachtags "Ganztagsschule gestalten - Qualität weiterentwickeln" am 17. Oktober 2011 in Stuttgart.

Nach Einschätzung des Wissenschaftlers machen Hausaufgaben nur Sinn, wenn sie kontrolliert werden können und die Schülerinnen und Schüler, aber auch ihre Eltern ein Feedback zu den Ergebnissen erhalten. In der Halbtagsschule sei das allein schon aus zeitlichen Gründen gar nicht leistbar. Häufig diene das, womit sich Kinder und Jugendliche also daheim beschäftigen, dem Nacharbeiten des Schulstoffes sowie dem Aufarbeiten dessen, was im Unterricht nicht geschafft wurde.
"Die Ganztagsschulen haben die große Chance, daran etwas zu ändern", erklärte Holtappels, der am Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund arbeitet. Den 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Stuttgarter Fachtags, der sich in erster Linie an neue Ganztagsschulen richtete, empfahl er, die Hausaufgabenbetreuung von Fachpersonal übernehmen zu lassen. Wenn die Hausaufgaben von anderen Professionen als den Lehkräften beteut würden, könne das nur gelingen, wenn Unterrichts- und Ganztagselemente stark miteinander verzahnt seien und die Professionen kooperierten. Da gebe es aber durchaus noch Verbesserungsbedarf.
Den sieht Holtappels auch bei der inhaltlichen Ausrichtung von Hausaufgaben. "Es ist falsch, dass alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Aufgaben erhalten. Erforderlich sind in Art, im Zugang und im Niveau unterschiedliche Anforderungen", verlangt er. Der Ganztag biete mehr Zeit und Raum, um dieser Herausforderung gerecht zu werden, betreute Selbstlernzeiten einzurichten und individuelle Förderung zu realisieren.
Schulen, die sich auf den Weg zur Ganztagsschule machen, empfahl der Erziehungswissenschaftler eine intensive gedankliche Auseinandersetzung mit der Rhythmisierung, das heißt mit neuen Zeitstrukturmodellen des Schulalltags. "Erfolgreiche Schule setzt eine lerngerechte Schulorganisation voraus", erläuterte er und verwies auf Ergebnisse der Hirnforschung. Früh morgens um 8 Uhr seien erwiesenermaßen wenige Kinder und Jugendliche am leistungsfähigsten. Der erste Höhepunkt sei um 10 Uhr festzustellen. "Doch da ist dummerweise große Pause", schmunzelte Holtappels. Das Mittagsloch erwische die Schülerinnen und Schüler zumeist etwa um 13 Uhr und "da läuft dummerweise die sechste Stunde".
Er appellierte an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: "Entwickeln Sie Tagesabläufe, die einen Wechsel aus Lernen und Bewegen beinhalten und gehen Sie weg von der starren 45-Minuten-Unterrichtsstunde." Längere Blöcke ermöglichten, sich intensiver und individueller mit Schülern und Stoff zu beschäftigen. "Im Offenen Ganztag ist das nicht ganz so leicht zu realisieren", betonte eine Fachtagsteilnehmerin gegenüber www.ganztagsschulen.org und fügte hinzu: "Den Unterrichtsstoff müssen wir ja durchziehen, solange alle da sind." Optimistisch fügte sie hinzu: "Dennoch werde ich meinem Kollegium und den Eltern vorschlagen, den Stundenablauf bis mittags so zu verändern, dass er dem Lernen der Kinder entgegenkommt."
Auch in Zukunft wird es in Baden-Württemberg beim Recht der Eltern bleiben, sich für oder gegen Ganztagsangebote zu entscheiden. "Das Wahlrecht steht nicht zur Disposition", versicherte der bekennende Verfechter des gebundenen Ganztags Manfred Hahl, Abteilungsleiter im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. Mit Blick in die Vergangenheit räumte er ein, dass das Land länger als andere gebraucht habe, sich der Idee Ganztag zu öffnen. Zum Glück sei das aber geschehen und dazu sei vom "Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) ein gewaltiger Impuls ausgegangen. In Kürze werde auch in Baden-Württemberg die Ganztagsschule im Schulgesetz verankert.
Dass Ganztagsschule mehr ist als nur ein Betreuungsangebot machte Cathrin Michael-Koser von der Serviceagentur "Ganztägig lernen" deutlich. Sie fügte hinzu: "Wir wollen gute Ganztagsschulen, in denen sich die Kinder und Jugendlichen wohl fühlen und erfolgreich lernen können." Dies weiter zu unterstützen war auch Anliegen des Fachtags, der vielfältige Ideen und Möglichkeiten zur qualitativen Weiterentwicklung von Ganztagsangeboten lieferte. Davon zeigten sich die Teilnehmer überzeugt. "Wir kehren hoch motiviert und mit vielen Anregungen in unsere Schule zurück. Diese Form von Transfer ist hilfreich", verabschiedete sich eine Schulleiterin.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Lernkultur und Unterrichtsentwicklung
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