Sommer in Hamburg: Ganztags in die Kinderstadt! : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Ende Juli öffnete in der Hamburger HafenCity zum zweiten Mal die „Kinderstadt“ – mit großem Erfolg. Stephan Kufeke, Mitorganisator und Vorstandsmitglied des Hamburger Ganztagsschulverbands, im Interview.

Vom 11. bis 22. Juli öffnete in der Hamburger HafenCity die „Kinderstadt“. Das Sommerferienangebot nach dem Münchener Vorbild fand bereits zum zweiten Mal statt – mit großem Erfolg. Mit dem Mini-Hamburg wurde ein pädagogisch anspruchsvolles Programm geschaffen, in dem Kinder und Jugendliche ihr Stadtleben gestalten und dabei selbstbestimmt und spielend lernen. Sie können arbeiten, studieren, Geld verdienen, konsumieren, bauen, Freunde treffen, Zeitung oder Politik machen. Erwachsene haben keinen Zutritt! Stephan Kufeke, Vorstandsmitglied des Hamburger Ganztagsschulverband und Mitglied im Beirats der Patriotischen Gesellschaft Hamburg, die gemeinsam mit Förderpartnern die „Kinderstadt“ ermöglichte, ist einer der Mit-Organisatoren. Im Interview erklärt er, wie die Kinderstadt funktioniert.  

Online-Redaktion: Herr Kufeke, Sie waren in diesem Jahr zum zweiten Mal einer der Organisatoren der „Kinderstadt Hamburg“. Wie ist es gelaufen? 

Stephan Kufeke: Es war großartig! Ich bin wirklich begeistert, was für tolle Sachen die 7- bis 15-Jährigen in den zwölf Tagen wieder auf die Beine gestellt haben. Pro Tag haben bis zu 400 Kinder und Jugendliche die Kinderstadt besucht, bei zumeist strahlendem Sonnenschein, geregnet hat es nur ein einziges Mal. Insgesamt haben wir rund 3.400 Teilnehmende gezählt, womit sich die Besucherzahl im Vergleich zum Vorjahr glatt verdoppelt hat. 2021 hatte ja alles noch unter erschwerten Corona-Bedingungen stattgefunden.

Online-Redaktion: Wie haben Sie es denn geschafft, ein völlig neues Projekt wie die Kinderstadt innerhalb so kurzer Zeit bekannt zu machen und die Besucherzahlen sogar zu verdoppeln?  

Stephan Kufeke: Letztes Jahr haben wir die Kinderstadt vor allem über den Hamburger Ferienpass bekannt gemacht, dort sind alle Ferienangebote der Stadt aufgelistet. In diesem Jahr haben wir eine richtige Werbekampagne gestartet und sind in der Neustadt und der Hafencity von Schule zu Schule gegangen. Dadurch, dass ich ein alter Schulhase bin – ich war ja lange Jahre Schulleiter und Vorsitzender des Hamburger Schulleiterverbands –, habe ich außerdem meine guten Kontakte im Ganztagsschulverband und im Netzwerk Ganztagsschulen genutzt. Bereits im letzten Jahr sind zahlreiche Ganztagsschulen darauf angesprungen und haben im Rahmen des Ferienangebots Ausflüge in die Kinderstadt gemacht. Das haben wir in diesem Jahr noch ausgebaut und außerdem Feedback eingeholt. Diesmal waren erneut viele Schulgruppen aus der Ganztagsbetreuung vor Ort, die Ganztagsschulen haben sich also als Reservoir bewährt.

Check-In
© Stephan Kufeke

Online-Redaktion: Auf rund 4.000 Quadratmetern können Kinder ihre eigene Stadt gestalten und dabei lernen, wie eine Stadt funktioniert. Was treiben die Kinder und Jugendlichen dort den ganzen Tag?

Stephan Kufeke: Das ist sehr unterschiedlich! Es werden zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten: Wir haben unter anderem eine Stadtzeitung, eine tägliche Stadtversammlung, die Kinderuniversität „Space Academy“, ein Theater, Werkstätten, eine Bücherhalle, einen Fashion-Kiosk oder eine Waffelbäckerei. Und es gibt die Bewegungsangebote der „Falkenflitzer“, des Spielmobils der Hamburger Falken. Denn es ist wichtig, dass die Kinder zwischendurch auch mal toben können. Sehr interessant finden viele Kinder die Beschäftigung im Arbeitsamt oder in einer Bank – sie lieben es, mit Geld zu hantieren. Und sie lieben es, mit dem Fahrrad mit Anhänger herumzufahren und Müll zu sammeln. In diesem Jahr haben es die Kinder ohne die Hilfe der Stadtreinigung geschafft, das Areal sauber zu halten, nirgendwo lag Müll herum!

Online-Redaktion: Woher wissen die Kinder denn überhaupt, welche Angebote es gibt und was sie alles machen können?  

Stephan Kufeke: Manche Kinder kommen schon mit genauen Vorstellungen, andere wissen noch gar nicht, was sie tun wollen. Jedes Kind bekommt zunächst einen Stadtpass. Dann gucken sie sich um. Wenn sie etwas finden, was ihnen auf Anhieb gefällt, bleiben sie und machen gleich mit. Oder sie gehen zum „Arbeitsamt“, da gibt es weitere Jobs. Wenn die Kinder dann mindestens eine Stunde irgendwo gearbeitet haben, gibt es einen Lohnscheck. Nach ein paar Tagen und geleisteten Stunden werden sie offizielle Bürgerinnen und Bürger, vorher sind sie das auf Probe. Als Bürger oder Bürgerin kann man mit dem Pass, in dem steht, was man erarbeitet hat, abzüglich der Steuer, zur Bank gehen und sich Geld auszahlen lassen. Pro Stunde gibt es fünf Kometen, die Währung der Kinderstadt. Ein Komet geht immer als Steuer direkt an die Stadtverwaltung, die also so vom ersten Tag an Geld zur Verfügung hat. Von ihrem Lohn können sich die Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel Waffeln kaufen, ins Theater gehen oder Bücher ausleihen. Oder sich beruflich weiterentwickeln.

Online-Redaktion: Beruflich weiterentwickeln, wie geht das denn? Können Sie das einmal erläutern?

Stephan Kufeke: Ein Mädchen kam beispielsweise am ersten Tag und wollte unbedingt in die Fahrradwerkstatt. Dort hat sie erst ein Fahrrad repariert, dann eines aus Einzelteilen neu gebaut und später einen Eis-Anhänger entworfen, mit dem sie übers Gelände gefahren ist und Eis verkauft hat. Sie hat also ein „laufendes Geschäft“ aus Fahrradteilen entwickelt. Wir Erwachsenen haben nur dafür gesorgt, dass genügend Eis zum Weiterverkauf bereitstand. Die Kinderstadt ist im Grunde ein Simulationsspiel, bei dem man als Organisator auf die Ideen der Kinder eingeht und die nötigen Maßnahmen treffen muss, damit es weitergehen kann.

Redaktion: Hat sie ein Bürger oder eine Bürgerin der Kinderstadt besonders beeindruckt?

Stephan Kufeke: Es gab im letzten Jahr einen Jungen, etwa 13 Jahre alt, der hatte immer eine Box mit Erdnüssen dabei und trug witzigerweise immer einen Strohhut mit Taubenfeder. Nach ein paar Tagen bei der Stadtreinigung wurde ihm das zu langweilig. Er begann, seine Erdnüsse zu verkaufen. Das fand er so einträglich, dass er jeden Tag mehr Erdnüsse mitbrachte und jeden Tag mehr Einnahmen hatte. In der Tischlerei hat er sich schließlich einen Verkaufsstand aus Paletten und Holz bauen lassen, später auch noch den Wasserverkauf übernommen und noch jemanden „eingestellt“. Die Stadtverwaltung forderte irgendwann Miete für das Grundstück, auf dem sein Laden stand, woraufhin er beschloss, das Grundstück zu kaufen. Dafür hat die Stadtverwaltung ein Grundbuchamt eröffnet, und die Bank hat einen Kredit vergeben.

Politik
© Stephan Kufeke

Online-Redaktion: In der Kinderstadt tun Kinder und Jugendliche auch das, was normalerweise Erwachsene machen: eine Stadt regieren. Es gibt eine Stadtversammlung, den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin und Gesetze. Was sind die wichtigsten Themen, wenn Kinder das Sagen haben?

Stephan Kufeke: Grundsätzlich sind die Themen so vielfältig wie die täglich wechselnden Kinder. In der Stadtpolitik wollen immer sehr viele Kinder mitmachen. In den Sitzungen geht es beispielsweise um Umweltfragen oder den Ausbau der Stadtstruktur. Oder auch um die Löhne, ganz wichtig. Letztes Jahr wurde entschieden, einen „Einheitslohn“ einzuführen. Pro Stunde Arbeit werden sechs Komet gezahlt, von denen fünf ausgezahlt wurden und einer sofort in die Steuerkasse geht. Dadurch steht der Stadtverwaltung sofort Geld zur Verfügung.

Weil die Fahrzeuge immer mitten durchs Gelände fahren, wird das Geld in Verkehrsregelung und Straßen investiert. Mit Spraydosen markieren die Kinder zweispurige Straßen mit Abbiegepfeilen. Das Stadtwesen wird also aus dem Bedarf heraus begründet. Übrigens: Der erwähnte Jung-Unternehmer mit den Erdnüssen hat später eine Partei gegründet, die „Deutsche Kleinunternehmer- und Umweltpartei“ DKU. Dann suchte er sich Unterstützer und stellte sich zur Wahl. Und wurde dann doch nicht Bürgermeister! Zwei Mädchen hatten die Nase vorn, haben aber seine politischen Ideen teilweise übernommen.  

Online-Redaktion: Normalerweise liegen die Interessen von 7-Jährigen und 15-Jährigen weit auseinander. Wie kriegen Sie das in der Kinderstadt unter einen Hut?

Stephan Kufeke: Siebenjährige sind eher nicht im Stadtparlament. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich einzubringen, da ist für alle Altersklassen etwas dabei. Im letzten Jahr haben die Kleinen begeistert Teig geknetet und Pizza verkauft. Und dafür einen Kiosk eingerichtet. In diesem Jahr war der blühende Garten der Renner, die Pflanzen wurden gehegt und gepflegt und auch verkauft. Es gibt allerdings Angebote, die allen gefallen. So sorgte diesmal an den heißen Tagen ein Wasserschwenker für einen Heidenspaß unter den Teilnehmern, egal ob sie 7 Jahre oder 15 Jahre alt waren.   

Online-Redaktion: Was genau lernen die Kinder in den zwei Wochen, was nehmen sie mit?

Stephan Kufeke: In allererster Linie lernen sie: Stadt kann Spaß machen. Aber natürlich wird immer und überall gelernt. Es gibt Seminare in der Kinderuniversität, Arbeitsplätze, die als eine frühe Berufsorientierung wirken können, und praktische Lernerfahrungen im Handwerk und in den Dienstleistungen. Wir haben auch ein „Krankenhaus“. Insgesamt haben wir über 30 Stadtmodule. Im Hintergrund sind uns besonders die Lernbereiche Soziales Lernen, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und selbstbestimmtes Leben und Arbeiten wichtig. Natürlich sind politisches Handeln, gemeinsames Planen und Umsetzen in Gruppen unsere Wunschlernziele für die frühe Beteiligung von Kindern im Stadtentwicklungsprozess.

Online-Redaktion: Im letzten Jahr hat die Kinderstadt mit rund 250 Teilnehmenden Premiere gefeiert, in diesem Jahr waren es schon bis zu 400 täglich. Wie geht es weiter?

Bauwagen
© Stephan Kufeke

Stephan Kufeke: In der Münchener Kinderstadt, die in den 1970er Jahren entstanden ist, läuft es inzwischen mit 2.000 Kindern pro Tag. Allerdings haben die eine ganz andere Struktur, sie haben einen Verein gegründet und werden weitgehend von der Behörde finanziert. In Hamburg wollen wir künftig alle zwei Jahre eine Kinderstadt für rund 500 Kinder täglich auf die Beine stellen. Dafür werden rund 350.000 Euro benötigt. Stiftungen sowie die Unterstützung der Behörden helfen beträchtlich dabei, unser wegweisendes Projekt umzusetzen. Die Hafencitygesellschaft hat uns in diesem Jahr den Platz am Lohsepark als Spielort faktisch erst ermöglicht. Unsere Patriotische Gesellschaft von 1765 ist sehr stolz auf diese tolle Unterstützung. Möglich wird alles aber erst durch das Engagement der vielen kleinen und großen Partner, die die Arbeit vor Ort mit den Kindern gestalten helfen.

Zur Person:

Stephan Kufeke ist seit 2021 Mitorganisator der „Kinderstadt Hamburg“. Er ist Vorstandsmitglied des Hamburger Ganztagsschulverbands. Nach dem Lehrerstudium und dem Referendariat war er zunächst als Sozialpädagoge und Leiter einer Jugendbildungswerkstatt tätig. In den 1990er Jahren wurde er Englisch- und Sportlehrer an der damaligen Hauptschule Am Altonaer Volkspark und 2003 Beratungslehrer an der Schule Neu-Rahlstedt. Von 2011 bis 2015 war er Schulleiter der Grundschule Großlohering, einer teilgebundenen Ganztagsgrundschule. Er war Vorsitzender des Verbandes Hamburger Schulleitungen und gehört seit 2016 dem Beirat der überkonfessionellen und überparteilichen Patriotischen Gesellschaft Hamburg an. Als Vorsitzender des Vereins „Förderung Rahlstedter Kinder und Jugendlicher“ (FRKJ) konnte er im April 2022 für den Verein den Umwelt- und Sozialpreis des SPD-Regionalausschusses Rahlstedt entgegennehmen.

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