Online-Café Ganztag: Demokratiebildung im Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Der Ganztagsschulverband Sachsen widmete sein jüngstes „Online-Café Ganztag“ einem besonders aktuellen und wichtigen Thema: der Demokratiebildung in Ganztagsangeboten. Drei Projekte stellten sich vor.

Demokratie heißt auch, miteinander zu sprechen
Demokratie heißt auch, miteinander zu sprechen © Britta Hüning

Ein Markenzeichen des beliebten und über die Grenzen von Sachsen hinaus besuchten „Online-Café Ganztag“ sind die kurzen prägnanten Inputs und ein stets nahezu auf die Minute eingehaltener Zeitplan. Das erleichtert den Teilnehmenden eine präzise Kalkulation ihrer zeitlichen Ressourcen. Entsprechend hielt sich auch diesmal Moderator Christoph Bülau nicht mit langen Vorreden auf. Erfrischend, kurz und dennoch pointiert führte der Vorsitzende des sächsischen Ganztagsschulverbandes in das Thema „Demokratiebildung im Ganztag“ ein. In wenigen Worten verdeutlichte er die derzeitigen Sorgen um die Demokratie, auch im eigenen Bundesland. Um so wichtiger scheint es, die Chancen für Demokratiebildung zu reflektieren.

Demokratiebildung schon in der Grundschule

Vertiefende Impulse erhielten die Teilnehmenden im Anschluss. Den Auftakt bildeten Judith Durand und Leo Birnbacher vom Deutschen Jugendinstitut München. Sie stellen ihre gegenwärtig laufende empirische Studie „Demokratiebildung im Ganztag“ vor, skizzierten deren Anlage und gaben Einblicke in die Ziele der Untersuchung. Die im Februar 2023 begonnene Studie, finanziert im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird im Dezember 2024 abgeschlossen sein.

Die Vortragenden betonten eingangs, dass angesichts der vielfältigen Debatten um den Zustand des gesellschaftlichen Zusammenhalts verstärkt Maßnahmen zur Stärkung und Förderung der Demokratie formuliert und initiiert werden. Leo Birnbacher: „Mit dem Ganztag hat sich strukturell ein Bildungsort mit vielfältigen Potenzialen entwickelt. Die Erreichbarkeit junger Menschen auch für die Demokratiebildung ist hier besonders hoch.“

Auch das Zusammenwirken der multiprofessionellen Teams habe Auswirkungen auf die Demokratiebildung, da unterschiedliche Perspektiven eingebracht würden. Obwohl die Potenziale für Demokratiebildung im Ganztag deutlich seien, wisse man noch zu wenig, was in der Praxis des Ganztags konkret an Demokratiebildung geschieht. Die qualitative Studie in insgesamt neun Schulen verschiedener Schulformen der Bundesländer Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt soll dem entgegenwirken.

Judith Durand wies auf die Bedeutung der frühen Jahre für die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung hin. Darum komme auch schon Kitas und Grundschulen eine besondere Bedeutung bei der Demokratiebildung zu. Sie unterstrich: „Für die Demokratiebildung sind konkrete Interaktionen wichtig. Die Schülerinnen und Schüler müssen erleben, dass sich Beteiligung lohnt. Scheinpartizipation muss vermieden werden. Darum ist es wichtig, immer auch die Grenzen der Mitbestimmung transparent zu machen.“

„Demokratie GANZtags“

Demokratie ganztags
© Demokratie GANZtags

Dem schlossen sich zwei konkrete Beispiele zur Demokratiebildung an. Sachsen ist – mit Thüringen – seit Jahren bundesweiter Vorreiter bei den Ganztagsgrundschulen: 99,5 Prozent aller Grundschulen verfügen dort über Ganztagsangebote (GTA). Lisa Huttenlocher und Lutz Richter stellten das Projekt „Demokratie GANZtags“ des 1993 in Dresden gegründeten Jugendvereins und Jugendhilfeträgers Roter Baum e.V. vor. Das Projekt hat sich zur Aufgabe gemacht, Ganztagsangebote in sächsischen Schulen als Raum für außerschulische politische Bildungsarbeit bereitzustellen. Schülerinnen und Schüler sollen mit spielerischen Methoden über ein ganzes Schuljahr über demokratische Werte ins Gespräch kommen und couragierte Haltungen erwerben. Das Ganztagsangebot soll vor allem die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler fördern.

Mit Sorge registrieren Huttenlocher und Richter ansteigende Tendenzen von Demokratiefeindlichkeit auch in Schulen. Ihr Projekt „Demokratie GANZtags“ hat dazu verschiedenste Konzepte entwickelt, angefangen vom Planspiel „Werkstadt – Basteln für die Zukunft“ über das Projekt „My digital me“, das Schülerinnen und Schüler befähigt, sich im Internet zu schützen (beide ab Klasse 3), die „Spiele-Schmiede Fake News“ ab Klasse 4, Filme ab Klasse 6, eine „Comic-Werkstatt“ ab Klasse 7 bis hin zum Ganztagsangebot „Get Real“ für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 9.

Seit März 2020 arbeitet das Team an dem ebenfalls im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sowie durch „Weltoffenes Sachsen“ geförderten Projekt. Die Vortragenden betonten, was ihre Ganztagsangebote auszeichne, etwa die Beteiligung der Teilnehmenden an allen Entscheidungsprozessen innerhalb des Ganztagsangebots, die Verwendung aktueller digitaler Medien, die Unterstützung bei der Umsetzung eigener Ideen und vieles mehr. Lisa Huttenlocher: „Wir möchten mit unserem Modellprojekt Kinder und Jugendliche ermutigen und befähigen, ihre Um- und Mitwelt aktiv zu gestalten. Demokratie soll statt eines bloßen Gesprächsthemas im Unterricht erlebbar werden.“ Das Projekt setzt räumlich bewusst an dem Ort an, an dem alle Kinder und Jugendliche ungeachtet ihres sozialen Umfeldes oder ihres Bildungsstandes zusammenkommen.

Peers gegen Hassrede

Goodbye Hatespeech
© Aktion Zivilcourage e.V.

Spannend und konkret wurde es auch im letzten Vortrag. Marie-Theres Ueberlein von der Aktion Zivilcourage e.V. stellte das preisgekrönte Projekt „Goodbye Hatespeech“ aus Pirna vor. Sie betonte, dass sich nach der JIM-Studie „Jugend, Information, Medien“ zum Medienumgang der 12- bis 19-Jährigen inzwischen Jugendliche immer häufiger mit extremistischen Inhalten im Netz konfrontiert sähen und dass dies den Zusammenhalt in der modernen Netzkultur gefährde.

Mit der Jugendausbildung „Goodbye Hate Speech“ möchte der Verein Aktion Zivilcourage e. V. Jugendliche befähigen, als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Diskussionen in der Schule zu diesen Themen anzuleiten und einen kritisch-reflektierten Umgang mit diesen zu finden, sodass Schülerinnen und Schüler sich durch digitale Zivilcourage für ein tolerantes Netz einsetzen können. Das Projekt verfolgt dabei den sogenannten Peer-to-Peer-Ansatz, das heißt die Vermittlung von Wissen unter Gleichaltrigen. Pro Jahr bietet der Verein drei bis sechs Peerausbildungen an. Ueberlein: „Darüber hinaus fördern wir den Austausch der Peers in Netzwerken.“ 

2023 wurde das Projekt mit dem Medienpädagogischen Preis der Sächsischen Landesmedienanstalt und des Sächsischen Kultusministeriums ausgezeichnet. Ein Satz aus der Laudatio unterstrich den Effekt: „Goodbye Hate Speech setzt an, wo Jugendliche unterwegs sind und Hassrede an der Tagesordnung ist.“ Das Peer-Projekt soll daher Schülerinnen und Schüler befähigen, beispielsweise zu erkennen, was eine Hassrede und wer davon besonders betroffen ist. Marie-Theres Ueberlein: „Natürlich vermitteln wir auch, wie man sich davor schützen kann.“

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