Ganztag im Netzwerk: Eine Frage des Vertrauens  : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Vor rund 15 Jahren wurde das Hamburger Ganztagsschulnetzwerk gegründet. Aus einem kleinen Forum von ehemals acht Koordinatorinnen und Koordinatoren ist ein großes Netzwerk von rund 250 Beteiligten geworden. 

Vor rund 15 Jahren, als das Ganztagsschulprogramm des Bundes langsam Fahrt aufnahm, wurde auf Initiative des Ganztagskoordinators einer Hamburger Stadtteilschule das erste Ganztagsschulnetzwerk der Hansestadt gegründet. Das damals noch recht kleine Netzwerkforum, bestehend aus gerade mal acht Koordinatoren, ist inzwischen auf rund 250 Mitglieder angewachsen. „Ich bin erstaunt und erfreut über die langfristige Nachfrage“, so Detlef Peglow, Netzwerkmanager und Ganztagsreferent der Schulbehörde.

Passend zum Konzept der selbstverantworteten Schule war das Hamburger Netzwerk von Anfang an als offener Zusammenschluss konzipiert, in dem sich am Ganztag Beteiligte treffen, austauschen und informieren können. Koordinatoren von rund 100 Schulen nehmen jährlich an den Netzwerktreffen teil. Peglow: „Es hat sich offenbar herumgesprochen, dass der Austausch im Netzwerk der eigenen Arbeit guttut.“

Peer-to-Peer-Lernen: Geben und nehmen

Alle Beteiligten haben ein gemeinsames Ziel: Schülerinnen und Schüler über den ganzen Tag optimal zu fördern. Um herauszufinden, wie das am besten geht, ist Offenheit angesagt. Denn bei der Netzwerkarbeit geht es nicht darum, sich möglichst gut darzustellen, sondern darum, Probleme zu benennen. Peglow: „Vertrauen ist hierfür immens wichtig, denn nur dann kann man ganz frei über die eigenen Fehler sprechen und offen darüber berichten, was an der eigenen Schule gerade schwierig ist.“

Netzwerkmanager Detlef Peglow: „... erfreut über die langfristige Nachfrage“
Netzwerkmanager Detlef Peglow: „... erfreut über die langfristige Nachfrage“ © Claudia Pittelkow

Das Netzwerk folgt einem besonderen Hamburg-spezifischen Konzept, das den beteiligten Schulen einen offenen Rahmen bietet, innerhalb dessen die Schulen die Themen selbst bestimmen und ihre konkreten Probleme und Entwicklungsfragen miteinander lösen können. „Dieses Peer-to-Peer-Lernen macht die besondere Attraktivität dieses Beratungs- und Fortbildungsangebots aus“, erläutert Peglow. Die wachsenden und beständigen Teilnehmerzahlen an den regelmäßigen Treffen würden beweisen, dass diese partizipativen Netzwerke sinnvoll seien. „Hier treffen sich Ganztagsschulexpertinnen und -experten. Sie erhalten und geben Beratung ganz nah an den Stolpersteinen des Alltags“, so der Ganztagsreferent.

Mit den Jahren hat sich das Hamburger Ganztagsschulnetzwerk zu einem ausdifferenzierten Trio entwickelt: einem schulformübergreifenden Netzwerk für Ganztagskoordination, dem Netzwerk für GBS-Schulen – einem Kooperationsmodell für Ganztagsgrundschulen – und dem Netzwerk für Ganztagsgymnasien. Die Netzwerke befassen sich mit allen Schwerpunktthemen der Ganztagsschulpädagogik, entwickeln in Arbeitsgruppen die Rahmenbedingungen guter Koordinationsarbeit und setzen sich mit Veränderungen und Entwicklungen im Ganztagsschulwesen auseinander.

Hohe Teilnahmequoten, „die niemand vorausgesehen hat“

„Diese so breit aufgestellte Entwicklungsarbeit über einen so langen Zeitraum ist etwas Besonderes in Hamburgs Schullandschaft“, so Uta Köhne, die als Abteilungsleiterin der Hamburger Schulbehörde unter anderem für den Bereich Ganztag zuständig ist. Köhne erinnert daran, dass sich in den vergangenen 15 Jahren nicht nur das Netzwerk, sondern auch die Ganztagsangebote rasant entwickelt haben. „Anfangs ging man von einer Teilnahmequote von 40 Prozent aus“, erinnert sie sich. Später hätte man die Prognose vorsichtig auf 50 Prozent erhöht.

Aktuell nehmen über 87,6 Prozent aller Hamburger Grundschulkinder neben dem Unterricht an den Angeboten rund um Bewegung, Spiel und Bildung teil – und das, obwohl die Teilnahme am Ganztag freiwillig ist. „Das ist eine enorme Zahl, die niemand so vorausgesehen hat“, betonte Köhne.  Diese sei zunächst ein typisches Großstadt-Phänomen, doch könne man daran die „Speerspitze einer Entwicklung“ beobachten.

Köhne: „Die Gesellschaft ändert sich, Familien ändern sich.“ Immer häufiger sind beide Elternteile voll berufstätig, die Ganztagsschule biete eine professionelle und zugewandte Betreuung an, die Eltern mit gutem Gefühl annehmen können. Das 15-jährige Bestehen des Netzwerks zeige, so Köhne, dass Hamburgs Schulen nicht nur Vorgaben umsetzen, sondern gute ganztägige Bedingungen für die Bildungs- und Entwicklungschancen ihrer Schülerinnen und Schüler wollen und diese beständig entwickeln.

Ganztagsschule in Hamburg – Ort für Bildung

Prof. Dr. Falk Radisch: „Schule in ihrer Ganzheit wahrnehmen“
Prof. Dr. Falk Radisch: „Schule in ihrer Ganzheit wahrnehmen“ © Claudia Pittelkow

Denn die größte Aufgabe bleibe: die Ganztagsschule auch in Sachen Bildung zu einem Erfolgsmodell zu machen. „Das passiert nicht von alleine“, so Köhne. „Dafür brauchen wir vor allem diejenigen, die direkt vor Ort, an den Schulen, täglich daran arbeiten, aus einem Konzept funktionierende Wirklichkeit zu machen.“ Nach dem Hamburger Vorbild soll es bundesweit ab dem Jahr 2029 einen vergleichbaren Rechtsanspruch auch in den anderen Bundesländern geben.

Der renommierte Bildungsforscher Professor Dr. Falk Radisch, Leiter des Instituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung an der Universität Rostock, hat an der Studie „Mehr Schule wagen“ (2017) mitgearbeitet. Für die Studie im Auftrag von vier Bildungsstiftungen waren zehn Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises oder des Jakob-Muth-Preises, befragt worden, was eine gute Ganztagsschule ausmacht.

Nach Auswertung der Studie gaben die Bildungsexperten folgenden Rat: Mehr Unterricht an Ganztagsschulen, dafür die Hausaufgaben abschaffen. Radisch: „Empfohlen wird eine wöchentliche Mindestöffnungszeit von acht Stunden an fünf Tagen mit unterschiedlicher Teilnahmepflicht.“ Kurz: die „40-Stunden-Woche“ für Schülerinnen und Schüler. Die Gestaltung der Öffnungszeit sei dabei als Aufgabe der einzelnen Schule zu verstehen.

Schülerinnen und Schüler profitieren

Das „Wagnis“ besteht für Radisch darin, Schule wieder in ihrer Ganzheit wahrzunehmen – als einen Ort mit weitem Bildungsbegriff und Lernzielen, die über die Kompetenzen in Deutsch und Mathe hinausgehen. „Der Ganztag bietet hierfür den Rahmen, den alle Schulen bräuchten“, so der Bildungsforscher.

In einem Vortrag anlässlich einer Veranstaltung zum Thema Ganztag in Hamburg ging Radisch auch auf das Thema Netzwerk ein. „Der Ganztag bietet ideale Möglichkeiten für Netzwerkarbeit“, zeigte er sich überzeugt. Es gebe deutschlandweit vielfältige Formen von Netzwerken, zudem sei ein rasanter Ausbau von Schulnetzwerken zu beobachten. Dennoch existiere aktuell noch wenig Expertise zur Wirksamkeit und zu Qualitätsmerkmalen von Netzwerkarbeit.

Wie schon Ganztagsreferent Peglow betonte auch Falk Radisch, wie wichtig Vertrauen und Wertschätzung für das Gelingen von Netzwerkarbeit ist. Gehe es doch darum, Probleme zu benennen und Erfahrungen auszutauschen, um voneinander zu lernen und Veränderungsansätze zu verwirklichen. Neben dem Rückhalt von Kollegien und Schulleitung seien regelmäßige Treffen und die Transparenz der Entwicklungen weitere wichtige Merkmale einer gelungenen Netzwerkarbeit. In Hamburg gehen die Beteiligten seit 15 Jahren genauso vor. Uta Köhne: „Unsere Schülerinnen und Schüler profitieren von dieser Arbeit.“

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000