BarCamp „Ganztagsschule im Qualitätsdialog“ in Vechta : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Ganz im Zeichen des Austausches stand der „Regionale Fachtag Ganztagsschule 2023“ des Kompetenzzentrums für regionale Lehrkräftefortbildung der Universität Vechta mit dem BarCamp „Ganztagsschule im Qualitätsdialog“.

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© Friedrich Schmidt, Uni Vechta

Kurz und bündig brachte es Jan Heinemann zu Beginn der von rund 90 Interessierten besuchten Veranstaltung „Ganztagsschule im Qualitätsdialog“ auf den Punkt: „Komplexe Entwicklungsschritte sind ausschlaggebend für einen guten Ganztag. Es bedarf guter Konzepte.“

Das Begrüßungsstatement des Dezernenten beim Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Osnabrück, das gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum für regionale Lehrkräftefortbildung der Universität Vechta den niedersächsischen Fachtag veranstaltete, lieferte so etwas wie die – wenn es ihrer denn überhaupt bedurft hätte – Begründung für das Format und für die Themenwahl zu diesem „endlich wieder in Präsenz stattfindenden Fachtag“.

Die Chancen vor Ort nutzen

Dem schloss sich André Kolley, seit 2022 Referent für Ganztagsschulen im Niedersächsischen Kultusministerium und zuvor Dezernent im Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Hannover und in der Niedersächsischen Landesschulbehörde, ausdrücklich an. Er verwies darauf, dass der Ganztagserlass des Landes Niedersachsen „Die Arbeit in der Ganztagsschule“ viel Raum für die Entwicklung der einzelnen Schule biete, ihr die Gelegenheit eröffne, „Antworten auf die eigene Frage zu geben, welche Schwerpunkte sie setzen möchte“. Die im Erlass formulierten Qualitätsmerkmale dienten dabei der Orientierung.

Kolley ermunterte die Anwesenden – Schulleitungen, Lehrkräfte und weitere pädagogische Fachkräfte von Ganztagsschulen –, das Angebot zu nutzen. Der niedersächsische Erlass und Fachtage wie dieser seien das, was „wir Ihnen an die Hand geben können, um das Beste umzusetzen“. Wenn es um die Qualität der Ganztagsangebote gehe, könne es hilfreich sein, sich mit anderen auszutauschen: „Denn Sie sind nicht alleine mit Ihren Fragen, wenn es darum geht, das Beste aus der Schulzeit für die Kinder und Jugendlichen zu machen. Reden Sie miteinander. Hier beim Fachtag, aber auch darüber hinaus.“

Im Gespräch mit unserer Redaktion fügte er hinzu: „Die größte Herausforderung ist es, zu erkennen, welche Chancen sich vor Ort bieten, und diese Möglichkeiten auch umzusetzen.“ Das Land wolle die eigenverantwortliche Schule weiter stärken, zumal in einem Flächenland wie Niedersachsen jede Schule vor unterschiedlichen Voraussetzungen stehe. Er betonte: „Wir möchten den Raum für die Gestaltung möglichst frei lassen und gleichzeitig schauen, wo wir eventuell noch offener werden können.“

Aller Anfang ist schwer

Die Veranstalter hatten für den regionalen Fachtag das Format des „BarCamp“ gewählt, ein offenes Format, bei dem alle Teilnehmenden eingeladen sind, ihr jeweiliges Thema einzubringen und sich darüber mit anderen auszutauschen. Zuvor lieferte dafür Dr. Stephan Kielblock vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), der zuletzt auch Koordinator der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG war, eine wertvolle Grundlage.

Die häufigste an ihn gerichtete Frage von Schulen, die den Ganztag vorantreiben möchten, laute, so Kielblock: „Wo fange ich eigentlich an?“ Mögliche Antworten biete der vor zwei Jahren ebenfalls vom BMBF geförderte „Wissenschaftsgeleitete Qualitätsdialog“,in dem zahlreiche Mitarbeitende aus der Praxis, das heißt, aus Ganztagsschulen, der Jugendhilfe, Stadtverwaltungen, Bildungsbüros, Vereinen, Eltern und Serviceagenturen mitgewirkt haben. Der Qualitätsdialog habe relevantes Wissen in Handreichungen zu sechs Handlungsfeldern (Steuerung, Zusammenarbeit, Ganztag-Konzept, Angebotskonzept, Angebotsdurchführung, soziale Beziehungen) gebündelt.

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© Friedrich Schmidt, Uni Vechta

„Es ging uns darum“, so der Erziehungswissenschaftler, nach 15 Jahren StEG-Ganztagsschulforschung die Frage zu beantworten, wie es für die Entwicklung der Ganztagsschulen weitergehen sollte. Denn wir mussten feststellen, dass die unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse zu wenig Berücksichtigung in der pädagogisch-praktischen und administrativen Arbeit gefunden haben.“

Der Grund dafür sei offensichtlich: „Unsere Erkenntnisse waren für die Praxis wohl nicht entscheidend.“ Die „Basis“ wünsche sich konkrete Handlungshinweise für die sie täglich drängenden Überlegungen. Stephan Kielblock empfahl daher, bevor er die einzelnen Bereiche des Qualitätsdialogs präsentierte: „Picken Sie sich die Rosinen heraus.“

„Kleine Handgriffe“, die den Alltag erleichtern

Die Inhalte waren vielen der Zuhörenden gewiss bekannt, doch Kielblock nutzte die Zeit, um konkrete Beispiele aus Ganztagsschulen vorzustellen. So zitierte er die Leiterin der Hupfeldschule in Kassel mit Blick auf die Steuerung des Ganztags: „Eltern sowie Vertreterinnen und Vertreter aus dem Kollegium, den kooperierenden Horten und der Jugendarbeit bilden unsere Steuerungsgruppe. In den zahlreichen Diskussionen mit den vielen unterschiedlichen Meinungen konnten wir schulübergreifende Ziele formulieren und letztendlich ein gemeinsames Verständnis für einen guten Ganztag schaffen.“

Die Treffen der Steuerungsgruppe hätten eine Vielzahl an Chancen und Hürden erst sichtbar gemacht. Die Erfahrung der Hupfeldschule zeige jedoch, dass Menschen, die bereits reich an Erfahrung in der Ganztagsentwicklung sind, sich auch in der Koordination bündeln sollten. Kielblock berichtete, dass sich die Steuerungsgruppe der Hupfeldschule jeden Mittwoch treffe: „Die Devise lautet dort, keine Entscheidung wird vor Mittwoch getroffen.“

Es seien solche kleinen Handgriffe, die den Alltag erleichtern. Zur Zusammenarbeit im Team erinnerte er daran, dass „Vertrauen sich nicht von alleine herstellt.“ Er schlug vor, sich immer wieder zu hinterfragen, ob man beispielsweise alle pädagogisch Mitarbeitenden an seiner Schule kenne. Sein Tipp, zum Kennenlernen eine gemeinsame Weihnachtsfeier oder ein Sommerfest auszurichten, wirke vielleicht etwas banal. „Aber solche Momente, bei denen sie gemeinsam feiern und lachen und Gesichter kennenlernen, haben große Effekte und erleichtern die Zusammenarbeit“, versicherte er.

Spannend fielen auch seine Gedanken zu den sozialen Beziehungen in der Ganztagsschule und zur Beteiligung der Schülerinnen und Schüler aus. Den Kindern Gehör zu verschaffen, sei das zentrale Anliegen und es sei „erstaunlich, welche klugen Beiträge schon Grundschülerinnen und -schüler zur Stundenplangestaltung leisten können.“ Er erinnerte auch daran, dass „die Kinder mitbekommen, wenn wir uns als Erwachsene nicht grün sind“. Im Klartext: „Was wir von den Kindern im Umgang miteinander erwarten, müssen wir auch vorleben.“

Austausch, Austausch und noch einmal Austausch

Mit dem sich anschließenden BarCamp fanden die Veranstalter eine Form, unter dem Motto „Von A wie Angebot bis Z wie Zusammenarbeit“ sowohl die von ihnen „gesetzten“ Themen als auch die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wichtigen Inhalte aufzugreifen. Die Themenpalette reichte von Überlegungen zu der Frage „Wie entwickle ich eine gemeinsame Haltung, dass Schule nicht um 13 Uhr endet?“ über die Gestaltung von Lernzeiten oder die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams bis zu Möglichkeiten der Evaluation des Ganztags.

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© Friedrich Schmidt, Uni Vechta

Auf die zentrale Bedeutung der Partizipation der Schülerinnen und Schüler wiesen beispielsweise Andrea Rutemöller von der Antoniusschule Georgsmarienhütte, Dr. Simon Reuter von der Erna-de-Vries-Schule Lathen und Michael Sieve vom Gymnasium Damme hin, die als Lehrkräfte im Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Osnabrück auch die Schülervertretungen beraten.

„Die Kinder und Jugendlichen sollten in die Gestaltung der Ganztagsangebote frühzeitig, also bevor die Konzepte fertig sind, eingebunden werden“, betonte Reuter. Der Ganztag müsse die Impulse aus ihrer Lebenswelt berücksichtigen. Doch: „Man muss natürlich die Erwartungen der Realität anpassen. Aber nichts ist negativer, als die Schülerinnen und Schüler zu fragen und dann nicht darauf zu reagieren. Dann fühlen sie sich zu Recht nicht ernst genommen.“ Andrea Rutemöller: „Natürlich kann eine Schule keinen Ponyhof einrichten, aber vielleicht einmal einen Reitverein dafür gewinnen, mit einem Pony in die Schule zu kommen.“

Gesa Kipsieker von der Vernetzungsstelle Schulverpflegung Niedersachsen diskutierte in ihrer „Session“ die Bedeutung des Schulessens für die Ernährungs- und Gesundheitsbildung, aber auch der Mensa als Raum der Kommunikation. „Es gibt so viele Aspekte, die über die reine Nahrungsaufnahme hinausgehen. Dazu gehört beispielsweise die Partizipation, wenn gefragt wird, was Schülerinnen und Schüler essen wollen.“ Es wäre nur richtig, wenn das Thema bei der Planung des Ganztags stärker berücksichtigt werde.

Für Madú Hasekamp und René Nienhuis vom Graf-Stauffenberg-Gymnasium Osnabrück bedarf es für die freie Gestaltung des Ganztagsangebotes, von der André Kolley eingangs gesprochen hatte, an ihrer Schule auch der entsprechenden personellen wie finanziellen Ressourcen. „Wir würden gerne eine zusätzliche Kraft für die Gestaltung unseres Ganztags einstellen. Doch dafür fehlt uns das Geld“, bedauerten sie.

Gemeinsam, nicht allein, geht Ganztag

Während sich die Teilnehmenden angereichert mit neuen Kontakten und Ideen sahen, zog Dr. Niels Logemann als Veranstalter ein Fazit des Tages. „Die Ganztagsschule ist kein neues Konzept, sie erfährt aber mit dem ab 2026 geltenden Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz wieder neue Aufmerksamkeit, insbesondere in Grundschulen.“ Insofern habe ihn das große Interesse am BarCamp „Ganztagschule im Qualitätsdialog“ nicht verwundert, meinte der für die Lehrkräftefortbildung Verantwortliche am Kompetenzzentrum für regionale Lehrkräftefortbildung Vechta.

Der häufig auch „Unkonferenz“ genannte BarCamp habe anhand der zahlreichen Sessions zum einen die Vielfalt des Themas Ganztag, zum anderen aber auch die damit zusammenhängenden Herausforderungen in Zeiten von Fachkräftemangel und inklusiver Schule sowie den großen Gesprächsbedarf der Teilnehmenden gezeigt. Logemann betonte, dass der Fachtag sicherlich keine fertigen Antworten auf die vielen drängenden Fragen geben konnte, dafür aber zahlreiche Anregungen und Möglichkeiten, den Ganztag zu gestalten. „Und vor allem die Erkenntnis, dass es viele Beispiele gibt und ebenso viele Menschen mit den gleichen Fragen. Gemeinsam, nicht allein, geht Ganztag.“

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