Rheinland-Pfalz: G8 nur mit Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Vom Bayerischen Rundfunk ist es zum Modell „Ruhig Blut“ erklärt worden, Bildungsministerin Doris Ahnen sieht den Sonderweg bestätigt. Rheinland-Pfalz hält am neunjährigen Gymnasium fest, Gymnasien können sich allerdings freiwillig in ein G8 umwandeln – unter einer Bedingung: Sie müssen dies als verpflichtende Ganztagsschule tun.

Wenn am 9. und 10. September 2013 die Schulleitungen der 19 rheinland-pfälzischen Ganztags-G8-Gymnasien auf der Insel Nonnenwerth im Rhein bei Bad Honnef zu ihrem turnusmäßigen Gedankenaustausch mit Barbara Mathea, der Abteilungsleiterin Gymnasien im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (MBWWK), und dem zuständigen Referenten Heinz Willi Räpple zusammentreffen, sind große Kontroversen nicht zu erwarten. Der schrittweise Ausbau der 19 bestehenden G9- zu G8-Gymnasien geht bislang geräuschlos vonstatten. Während in anderen westdeutschen Bundesländern vermeintliche Schreckensmeldungen über das G8 mit vom Leistungsdruck überforderten Schülerinnen und Schülern, Freizeitverlust und Hausaufgaben bis in den Abend hinein bei verunsicherten Eltern die Runde machen, ist es an Rhein und Mosel ruhig geblieben.

„Ruhig Blut“ taufte der Bayerische Rundfunk denn auch eine Reportage über das G8GTS-Modell in Rheinland-Pfalz, das dort seit dem Schuljahr 2008/2009 Jahr für Jahr aufwächst. Offenbar hat sich bewährt, dass sich das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur an die Maxime hielt: „Never change a winning combination“ – was sich einmal bewährt hat, sollte man nicht ändern. Also setzte das Bildungsministerium mit Doris Ahnen an der Spitze 2008 beim Thema „Schulzeitverkürzung bei Gymnasien“ auf die Wahlfreiheit der Schulen. Diese Vorgehensweise, die Einführung eines neuen Systems den Schulen und Schulträgern zu überlassen, hatte sich seit 2001 bereits bei der Etablierung der Ganztagsschulen in Angebotsform in allen Schulartenbewährt.

„Ruhig Blut“ aber auch, weil sich Rheinland-Pfalz mit dem ganzen Prozess der G8-Schulzeitverkürzung Zeit ließ – unter anderem da das Land im Grunde seit dem Schuljahr 1999/2000 bereits eine Art G81/2 verwirklicht hatte. Durch das Vorziehen des Abiturs beenden die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ihre Schulzeit hier bereits im März, so dass sie schon zum Sommersemester ihr Studium – zumindest in nicht-zulassungsbeschränkten Studiengängen – beginnen oder bereits in Praktika oder andere berufsvorbereitende Maßnahmen einsteigen können.

Gleitender Anfang und Stillarbeit

Die Diskussionen und die Erfahrungen über G8, die andere westdeutsche Länder machten, wartete Rheinland-Pfalz ab, bevor die Entscheidung zur Wahlfreiheit fiel – „nach allen Erfahrungen war klar, dass der achtjährige Weg zum Abitur für manche Schülerinnen und Schüler gut und fördernd ist, aber eben nicht für alle“, so Heinz Willi Räpple. Doch das Bildungsministerium koppelte die Einführung des G8 mit einer Bedingung: Die Gymnasien mussten verpflichtende Ganztagsschulen werden.

Dieser Verknüpfung lag die Überlegung zu Grunde, dass ein verdichteter, längerer Schultag ein neues Konzept des Lehrens und Lernens erfordert. An den G8GTS-Gymnasien soll der Schultag so rhythmisiert sein, dass Phasen der Anstrengung und Entspannung abwechseln, sich Wissenserwerb und Übungen ergänzen und eine Mittagspause eingeplant ist. Die Zeit von 8.00 bis 16 Uhr steht dafür zur Verfügung, und es steht den Gymnasien offen, mit welchen  Zeiteinheiten diese gefüllt  werden.

Das Gymnasium Nonnenwerth, an dem im September das Treffen der G8GTS-Gymnasien stattfinden wird, hat beispielsweise den Schultag folgendermaßen gegliedert: Die Schülerinnen und Schüler der Orientierungsstufen 5 und 6, beginnen mit dem gleitenden Einstieg. Die Jugendlichen können hier unerledigte Schulaufgaben fertig stellen – klassische Hausaufgaben gibt es in  G8GTS nicht mehr – oder in den Leseraum, in den Spieleraum oder auf den Schulhof gehen. Dann folgt die erste gemeinsame Arbeitsphase von mindestens 25 Minuten, die als freie Stillarbeit erledigt wird. Diese Arbeitsform ist an die Hauptfächer gebunden, und die entsprechende Lehrkraft ist jeweils anwesend, um Hilfe zu leisten oder Fragen zu beantworten. Übungsphasen sind in den Unterricht integriert; jedes Fach bekommt dafür zusätzliche Zeit eingeräumt. Für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf gibt es vier zusätzliche Unterrichtsstunden. Die Mittagspause ist 55 Minuten lang. Die Jugendlichen essen zu Mittag in der Cafeteria, toben, spielen oder ruhen sich aus. Danach folgen frei wählbare Mittagsangebote bzw. Unterricht.

Durchlässigkeit gewährleistet

Durch Maßnahmen wie beispielsweise Lernbegleiter-Hefte, die von den Eltern abgezeichnet werden, sorgen die Schulen dafür, dass die Eltern auch im Ganztagsgymnasium darüber informiert sind, was in den einzelnen Fächern gelernt und in Leistungsnachweisen erwartet wird und Anteil an den Lernfortschritten ihrer Kinder nehmen können.

Um die Durchlässigkeit zu anderen Schularten in der Orientierungsstufe zu gewährleisten, gibt es in der Orientierungsstufe mit 30 Wochenstunden keinen Unterschied zwischen den Stundentafeln der G8- und der G9-Gymnasien. Zu diesen 30 Stunden kommen insgesamt zwölf Wochenstunden Lernzeit hinzu. Die Stundentafeln für die Gymnasien und die der anderen weiterführenden Schularten sind in der Orientierungsstufe so aufeinander abgestimmt, dass am Ende der Orientierungsstufe Schülerinnen und Schüler anderer Schularten auf das neunjährige wie auf das achtjährige Gymnasium wechseln können.

Von Klasse 7 bis 9 verändern sich die Schultage durch weitere Fächer. Die Stillarbeit folgt hier auf die Mittagspause. Montags und mittwochs finden am Nachmittag auch Unterrichtseinheiten statt, während dienstags und donnerstags Arbeitsgemeinschaften auf dem Plan stehen. Freitags dauert der Unterricht bis 13 Uhr. Für die Klassenstufen 7 bis 9 sieht die rheinland-pfälzische Kontingentstundentafel dabei eine Wochenstundenzahl von 102, also durchschnittlich 34 Wochenstunden pro Klassenstufe, vor. Zu dieser Mindeststundenzahl kommen acht Stunden Lernzeit für individuelle Förderung, Freiarbeit, Übungen, Projektarbeit und anderes hinzu. Ab der 10. Klasse findet der Unterricht im Kurssystem statt. Die derzeitige Struktur der gymnasialen Oberstufe bleibt auch in G8 erhalten und wird nur an den veränderten zeitlichen Rahmen angepasst: Die gymnasiale Oberstufe umfasst hier drei volle Schuljahre, wobei die Jahrgangsstufe 10 die Einführungsphase, die Jahrgangsstufen 11 und 12 die Qualifikationsphase bilden.

„Das Ganze gibt es nicht für umsonst“

Um die Genehmigung als G8GTS zu erlangen, mussten das Gymnasium Nonnenwerth und die weiteren 18 Gymnasien – wie die Ganztagsschulen in Angebotsform – ein Konzept unter Beteiligung aller Gremien in Schule und Kommune entwickeln. Dieses Konzept bildet dann die Grundlage für den bis zum 31. Mai einzureichenden gemeinsamen Antrag von Schule und Schulträger an die Schulaufsicht. Neben der Bewertung des Konzeptes ist für den Zuschlag zum G8-Standort auch entscheidend, ob ein G9-Gymnasium in zumutbarer Entfernung vorhanden ist. Die Optionsvergabe durch das Ministerium erfolgt jeweils im November, so dass die Schulen ausreichend Planungssicherheit für das kommende Schuljahr haben.

Das Land trägt die Kosten für das an Ganztagsschulen eingesetzte Personal wie Lehrkräfte, Pädagogische Fachkräfte und sonstiges Personal zu 100 Prozent. Die Kosten für den Einsatz werden über Lehrerwochenstundenzuweisung gedeckt. So enthält auch ein G8-Gymnasium zum Beispiel für jede Schülerin und Schüler ca. eine halbe Lehrerwochenstunde zusätzlich. Den Schulen ist es freigestellt, diese Lehrerwochenstunden für Lehrkräfte einzusetzen, Dienstleistungs- oder Kooperationsverträge mit Rahmenvertragspartnern abzuschließen oder für Honorarverträge zu kapitalisieren. Eine Lehrerwochenstunde entspricht dabei 1.280 Euro. Zur Vertragsabwicklung und Kostenkontrolle wurde schon 2003 ein eigenes Portal eingerichtet.

„Das Ganze ist nicht ganz billig“, meint Heinz Willi Räpple; „denn es kommt neben den erhöhten Lehrerwochenstunden ja auch der Bedarf nach neuen Räumlichkeiten wie Mensen und Klassenräumen für Differenzierung hinzu. Wir müssen an G8GTS-Gymnasien einfach von anderen Schülerzahldimensionen als an Ganztagsschulen in Angebotsform  ausgehen. An manchen Standorten ist für über zehn Millionen Euro gebaut worden, woran sich die Schulträger mit mindestens 30 Prozent  beteiligt haben.“

Neue Wahlpflichtfächer in den 8. und 9. Klassen

Jedem G8-Gymnasium wird zudem eine Pauschale von 5.000 Euro vom Land für Beschaffungen wie Einrichtungsgegenstände, für Teamräume oder eine Teeküche eingeräumt. Alle G8-Gymnasien erhalten darüber hinaus nach ihrer Genehmigung ein zusätzliches Budget für schulinterne Fortbildung in Höhe von 1.500 Euro. Das Pädagogische Landesinstitut und die Schulaufsicht stellen daneben Materialien sowie Beratung und Fortbildung zu den anfallenden pädagogischen und organisatorischen Fragestellungen zur Verfügung. Halbjährliche Treffen von Schulleitungen und Steuergruppenmitgliedern der G8GTS-Gymnasien mit Vertretern der Schulaufsicht und des Ministeriums zum Erfahrungsaustausch und zur Weiterentwicklung gehören ebenfalls zur inhaltlichen Unterstützung des Landes.

„Zwischen zwei und vier Personen kommen von jeder Schule; das gastgebende Gymnasium ist natürlich mit mehr Verantwortlichen vertreten“, berichtet Heinz Willi Räpple. „Wir tauschen uns zu vorher abgestimmten Themen aus. Bei unseren ersten Sitzungen ging es noch um Rhythmisierung und dann um die vier neuen Wahlpflichtfächer für die 8. und 9. Klassen.“ Bei diesen Fächern stehen die dritte Fremdsprache,  Naturwissenschaften, Informatik und Kultur zur Auswahl. Letzteres umfasst den musisch-künstlerischen Bereich und hat es laut Räpple in dieser Form noch nicht gegeben. Dazu wird auch ein ganz neuer Lehrplan entwickelt“, erklärt der Referent in der Gymnasialabteilung.

Aktuell sind die als erste an den Start gegangenen Gymnasien in der 9. Jahrgangsstufe angekommen. Momentan werden zu diesen 19 G8GTS – insgesamt gibt es 149 Gymnasien in Rheinland-Pfalz – keine weiteren hinzukommen. Für Räpple kein Grund zur Beunruhigung: „Das richtet sich ja auch nach der Nachfrage der Eltern, und wenn die Nachfrage jetzt erstmal befriedigt ist, soll es auch gut sein.“ Ihm ist wichtig, dass die bisherigen G8-Ganztagsgymnasien gut arbeiten – und das sei so: „Es sind alles Schulen, die im Schulentwicklungsprozess vorne mitmischen und die man ohne Zögern als Modell- oder Vorzeigeschulen einsetzen könnte“, meint der Referent mit gewissem Stolz.

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