Koordinieren im Ganztag will gelernt sein : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Hamburg bildet seit einiger Zeit seine Ganztagskoordinatorinnen und -koordinatoren fort – professioneller und systematischer in halb- oder ganztägigen Modulen. Die Resonanz ist „außerordentlich positiv“.

Dr. Arne Offermanns
Dr. Arne Offermanns vom Hamburger Ganztagsreferat © privat

Im Frühjahr 2020 hat das Ganztagsreferat der Hamburger Schulbehörde damit begonnen, neue Ganztagskoordinatorinnen und -koordinatoren systematisch für ihre Aufgaben zu schulen. Bis dahin wurden eher vereinzelt halbtägige Fortbildungen über die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ angeboten. Parallel dazu wurden seit über zehn Jahren einschlägige Erfahrungen aus der Praxis meist über Netzwerke geteilt. Nun sollten die Fortbildungen professionalisiert und verstetigt werden. 

„Unser Ziel war, dass wir uns der Ganztagskoordination konzentrierter und systematischer annehmen“, erklärt Dr. Arne Offermanns, Leiter des Sachgebiets Inhaltliche Gestaltung und Kooperationen im Ganztagsreferat der Hamburger Schulbehörde. Die Fortbildungen bestehen aus drei halb- oder ganztägigen Modulen, je nach Schulform. Die erste Runde endete im Herbst 2020, die zweite Runde wurde kurz vor den Sommerferien abgeschlossen. „Insgesamt haben wir über 50 neue Ganztagskoordinatoren und -koordinatorinnen für ihre Aufgabe fit gemacht“, so Offermanns.   

„Ganztagsschulpädagogik bedeutet, eine neue Perspektive einzunehmen“

Hamburg führte die ganztägige Betreuung bereits vor zehn Jahren flächendeckend ein, rund 87 Prozent aller Schülerinnen und Schüler der staatlichen Schulen nehmen am Ganztag teil. Dennoch sei der Entwicklungsprozess von der Halb- zur Ganztagsschule noch lange nicht abgeschlossen, vor allem „in den Köpfen“. Schulungsleiter Detlef Peglow, der selbst als Ganztagskoordinator an einer Ganztagsschule arbeitet und seit 2011 die Netzwerke betreut: „Das ist ein zäher Prozess nach über 100 Jahren Halbtagsschule.“

Er kennt sich bestens aus in der Hamburger Ganztagsszene. „Ganztagsschulpädagogik bedeutet, eine neue Perspektive auf die Bedeutung von Schule für Kinder in der Gesellschaft einzunehmen. Viele Akteure im Schulumfeld blicken noch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Halbtagsschulkindheit auf Sinn und Aufgaben von Schule“, so Peglow. Hier Veränderungen der Vorstellungen und Erwartungen zu bewirken, brauche Geduld und Beharrlichkeit. Und mittendrin säßen die Ganztagskoordinatorinnen und -koordinatoren. Peglow: „Aus diesem Grund machen wir diese Qualifizierung. Wir stärken sie, damit sie Impulse geben können, wie Schule ein Lebensumfeld mit vielen Lerngelegenheiten werden kann, und zwar über das hinaus, was im Unterricht stattfindet.“

 Für die Ganztagskoordination gibt es in Hamburg keine fest definierten Funktionszeiten. Bei einer mittelgroßen Ganztagsschule nach Rahmenkonzept, dem sogenannten GTS-Modell, bewegen sich diese oft zwischen acht und zwölf Wochenstunden, an manchen Schulen durchaus auch mal bis zu 20 Stunden. Die Schulen bestimmen selbst, in welchem Umfang die Kinder zur Teilnahme am Ganztagsprogramm von 8 bis 16 Uhr verpflichtet sind, es gibt sie in der offenen, gebundenen oder teilgebundenen Form. An ihnen gestaltet die Schule das Ganztagsangebot in eigener Verantwortung, sodass für Koordination eine Menge zu tun ist. 

Planung
Gute Kommunikation und Arbeit an der Kooperation sind wichtig. © Britta Hünig

Neben dem GTS-Modell existiert in Hamburg noch ein anderes Ganztagsmodell, das GBS-Modell, bei dem von 8 bis 13 Uhr „ganz normaler“ Unterricht stattfindet und ein Jugendhilfeträger die Betreuung am Nachmittag gestaltet. Arne Offermanns: „Hier stehen für die Koordination in der Regel nur zwei bis vier Stunden für ihre Arbeit zur Verfügung.“ Es fällt weniger Organisationsarbeit an, dafür sind gute Kommunikation und Arbeit an der Kooperation umso wichtiger. Entsprechend zeitlich unterschiedlich wurden die Fortbildungen gestaltet: Für Lehrkräfte an GTS-Schulen drei volle Tage, für Lehrkräfte an GBS-Schulen drei halbe Tage. 

Ressourcen, Rechtliches und Qualität

Während Detlef Peglow die ganztägigen Schulungen zur GTS-Koordination – 30 im ersten, 20 im zweiten Durchlauf – geleitet hat, stellte Arne Offermanns für die Lehrkräfte an GBS-Schulen eine eigene, in der ersten Runde deutlich kleinere Fortbildung auf die Beine: „In diesem Frühjahr haben wir in einem Pilotprojekt die ersten sieben GBS-Koordinatorinnen und -koordinatoren geschult.“ Allerdings ist auch das Feld der GBS-Schulen deutlich kleiner: Von den rund 350 allgemeinbildenden Schulen sind 126 GBS-Schulen. Nicht alle mit eigenem Ganztagskoordinator, insbesondere an kleineren GBS-Schulen kümmert sich vielfach die Schulleitung selbst um die Arbeit. 

Beide Fortbildungen sind inhaltlich ähnlich aufgebaut: Im ersten Modul geht es um die Rahmenbedingungen, die Rolle der Ganztagskoordinatorin, auch um Ressourcen und Rechtliches, etwa Honorarverträge oder Aufsichtsrechtsfragen. Im zweiten Modul steht die Praxis im Vordergrund: die Koordination von Kursen, Angeboten und Betreuung, also das Alltagsgeschäft. In Modul 3 stehen konzeptionelle Fragen an: Was möchte eigentlich der Ganztag? Was ist ein guter Ganztag? Peglow: „Qualität ist ein wichtiger Bestandteil, und wir haben hier die Zeit, das Thema zu vertiefen.“ 

In der GBS-Schulung wiederum geht es am letzten (halben) Tag vor allem um die Gestaltung guter Kooperationen. Offermanns: „Da wir weniger Zeit zur Verfügung hatten, haben wir den Austausch teilweise ausgelagert und den Teilnehmenden aufgetragen, sich zwischen den Fortbildungsmodulen in Tandems mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen.“ Das habe gut geklappt. Auf diese Weise seien Austausch und Gespräche darüber, was gut laufe an der Schule und was weniger gut, nicht zu kurz gekommen.

Welche Priorität hat der Ganztag bei der Schulleitung?  

Wo gibt es im Ganztag die meisten Probleme? Weniger bei der Organisation, der Struktur oder bei personellen Ressourcen, hier sei man in Hamburg gut aufgestellt, betont Detlef Peglow. Stattdessen gehe es immer wieder um das Aushandeln von Freiräumen, die eine Ganztagsschule brauche, um gute Angebote machen zu können. Peglow: „Wie flexibel ist die Schule zeitlich und räumlich? Können beispielsweise Zeiten verschoben werden? Steht die Sporthalle für die Mittagspause zur Verfügung oder ist sie durchgebucht?“ Die Ganztagskoordinatorinnen und -koordinatoren seien hier ganz auf die Entscheidung der Schulleitung angewiesen. Die Frage sei immer: Welche Priorität hat der Ganztag bei der Schulleitung? „Die Antwort darauf erleichtert die Entwicklung des Ganztags – oder erschwert sie!“

Detlef Peglow
Ganztagskoordinator und Schulungsleiter Detlef Peglow © Claudia Pittelkow

Beide Schulungsleiter sind sich einig, dass neben der Vermittlung von Wissen und dem Austausch auch die persönliche Entwicklung sehr wichtig sei: Die Teilnehmenden sollen in der Fortbildung Sicherheit und Rollenklarheit erfahren. Als neue Ganztagskoordinatorin rutscht eine Lehrerin ein wenig „nach oben“ im Kollegium, obwohl sie keine dienstrechtlichen Befugnisse hat. Detlef Peglow weiß: „Es ist zunächst schwierig, aus dem Team heraus plötzlich parallel eine Leitungsaufgabe zu erfüllen.“ 

Das unterstützt Christiane von Schachtmeyer, Leiterin des Referats für Personalentwicklung im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI): „Meine Aufgabe ist es, mit den Ganztagskoordinatorinnen und -koordinatoren gemeinsam über ihre neue Stellung in der Organisation Schule nachzudenken“, berichtet sie. Das Überraschende für die Kursteilnehmenden sei häufig, dass ihre neue Aufgabe sich wesentlich von ihrer bisherigen Tätigkeit unterscheide. „Sie haben nämlich eine Aufgabe im mittleren Management übernommen, in der sie lateral führen müssen. Laterale Führung geschieht sozusagen von der Seite aus, es ist keine hierarchische Führung, sondern es geht um Führung durch Überzeugen und Verhandeln.“ Die Position innerhalb des Kollegiums verändere sich dabei deutlich. „Kurz gesagt geht es darum, den neuen Platz zwischen allen Stühlen gut einzurichten“, so von Schachtmeyer.

„Nicht zuständig, alle Probleme zu lösen“

Die Resonanz nach den ersten drei Durchgängen der Schulung sei sehr gut gewesen, berichtet Arne Offermanns. Auch Detlef Peglow spricht von einem „außerordentlich positiven Teilnehmer-Feedback“. Vor allem den Austausch und die persönliche Weiterentwicklung hätten die Teilnehmenden sehr wertgeschätzt. Offermanns: „Eine Teilnehmerin sagte, sie hätte schon immer gewusst, wie sie Dinge machen wolle, aber jetzt könne sie ihrer Schulleitung auch sagen, warum es etwa wichtig ist, auch einmal einen Kaffee mit einem Kollegen des Kooperationspartners zu trinken, um gut im Gespräch zu sein.“

Und was sagen die Fortgebildeten selbst? Cordula Schüch, Ganztagskoordinatorin an der Irena-Sendler-Schule in Hamburg-Wellingsbüttel, einer gebundenen Ganztagsschule (GTS) mit rund 1.300 Schülerinnen und Schülern, findet die Informationen zu den rechtlichen Grundlagen und zu Stundensätzen und Bürostunden sehr wichtig. Sie hält aber auch den Überblick über die Aufgaben der Ganztagskoordination für sehr hilfreich. „Aufgrund der sehr reichhaltigen Informationen kam bei uns der Austausch etwas zu kurz“, resümiert sie. Insgesamt habe sie aber sehr von der Fortbildung profitiert und auch schon einiges im Schulalltag umsetzen können. Schüch: „Generell merke ich, dass ich mehr Sicherheit habe, besonders mit dem nötigen Rechtswissen, um mit Honorarkräften und Verträgen umzugehen. Und es gab Impulse, um den Ganztag weiterzuentwickeln.“ 

Ihre Kollegin Kim Franzen, Ganztagskoordinatorin an der Grundschule Moorflagen in Hamburg-Niendorf, hat durch die Fortbildung gelernt, dass die Aufgaben von Schule zu Schule unterschiedlich ausfallen. Für sie gehöre dazu, für Transparenz zu sorgen, Beziehungsarbeit zu leisten und das Wir-Gefühl an der Schule zu fördern. Für sie war auch hilfreich, „darüber zu sprechen, dass wir nicht dafür zuständig sind, alle Probleme zu lösen“. Wie Cordula Schüch hält auch Kim Franzen den Austausch für sehr wichtig. „Dadurch konnte ich viele Ideen und Erfahrungswerte von anderen Schulen mitnehmen.“ 

Sehr gefallen hat der Ganztagskoordinatorin, dass eine Vernetzung zwischen den Teilnehmenden aus verschiedenen Schulen stattgefunden hat. „Wir haben nun die Möglichkeit, uns auszutauschen und bei Schwierigkeiten beizustehen oder einen Rat zu geben oder zu bekommen“, so Franzen. Für die Zukunft hat sie sich vorgenommen, das Thema Qualitätsentwicklung in den Fokus zu nehmen und zu schauen, wo an ihrer Schule etwas weiterentwickelt oder verbessert werden kann.

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