Ganztagsschulkongress Mecklenburg-Vorpommern 2014 : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Erstmals fand in Mecklenburg-Vorpommern der Ganztagsschulkongress gemeinsam mit der Landeskulturkonferenz statt. "Partnerschaften gestalten" hieß folgerichtig die Veranstaltung am 15. November 2014 in der Universität Rostock.

Gitarrist und Sänger einer Schulband
© Britta Hüning

Vor rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sprach Dr. Michael Körner zur Begrüßung im Audimax der Universität Rostock von einem „ganz besonderen Tag“: „Zwei bedeutende Fachveranstaltungen fließen zu einem gemeinsamen Austausch zusammen.“ Die Idee sei entstanden, als klar wurde, dass beide Tagungen in diesem Jahr das Thema „Kulturelle Bildung“ vorsahen. „Nun kommen Künstler und Lehrer endlich in einem so großen Rahmen unmittelbar in Kontakt“, freute sich der Vorsitzende des Landeskulturrats.

Allerdings könne die Tagung nur ein Anfang sein: „Wir brauchen Nachfolgeveranstaltungen in den einzelnen Regionen, um die unmittelbare Begegnung vor Ort zu fördern. Denn beide Partner sind noch sehr unterschiedlich, sodass es noch viel Arbeit erfordert, bis Kultur und Schule erfolgreich kooperieren“, befand Körner.

Kooperationspartner gewinnen

Bildungsminister Mathias Brodkorb schloss sich in seiner Eröffnungsrede „dem Urteil an, dass eine Ganztagsschule etwas Anderes sein muss als nicht enden wollender Unterricht“. Er bezog sich auf die inzwischen oft zitierten Studien des Neuseeländers John Hattie („Visible Learning“, 2009): Hattie habe unter anderem Effekte der Erlebnispädagogik auf das Lernen nachgewiesen. „Ganztagsschulen können die Erlebnispädagogik besonders gut in den Schultag integrieren“, so der Minister weiter. Dazu brauche es allerdings Kooperationspartner, und auch die Rahmenbedingungen müssten stimmen.

Brodkorb skizzierte Erreichtes und noch Ausstehendes in der Ganztagsschulpolitik des Landes. „Seit diesem Schuljahr haben Schulen die Möglichkeit, freie Lehrerwochenstunden, die für die Gestaltung von Ganztagsangeboten vorgesehen sind, in finanzielle Mittel umzuwandeln. Die Schulen können interessierte Anbieter für die Gestaltung von Ganztagsangeboten gewinnen, sodass sich Musikschulen und Kulturvereine in das Schulleben einbringen können.“

Auf dem Bildungsserver Mecklenburg-Vorpommern werde es künftig einer Übersicht aller Ganztagsschulen geben, damit die Kooperationspartner ihre Ansprechpartner aus der Region schnell auf einen Blick erfassen könnten, was die Kontaktaufnahme erleichtern werde. „Ja, Kooperation kann anstrengend sein, aber sehen Sie den Annäherungsprozess als Bereicherung“, bat der Bildungsminister die Schulleitungen.

Künstlerische Bildung integrieren

Zum Ganztagsschulausbau erklärte Brodkorb: „In den letzten Jahren haben wir keine Anträge mehr genehmigt. Wir hätten Stunden für die sonderpädagogische Förderung zugunsten von Ganztagsschulstunden streichen müssen, was wir als Landesregierung nicht wollten.“ Derzeit liegen dem Ministerium sieben Anträge auf Umwandlung in eine Ganztagsschule vor. „Ich hoffe, dass wir in zwei Jahren das Thema Ausbau vom Tisch haben, genauso wie das Thema Anrechnungsstunden für den Ganztag, die ich vor zwei Jahren auf dem Ganztagsschulkongress in Neustrelitz versprochen hatte und die in diesem Schuljahr eingeführt worden sind. Diese Maßnahme kostet das Land sechs Millionen Euro.“

Auch Maren Wichmann, die Leiterin des Begleitprogramms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ ist der Ansicht, dass es „ohne Kooperation für Ganztagsschulen nicht geht“. Der Mehrwert von Kooperationen liege insbesondere im Austausch von Ideen. Allerdings könnte die Situation nach zehn Jahren Ganztagsschulausbau auf diesem Feld besser aussehen: „Es gibt Fortschritte, aber wir sind noch nicht da, wo wir sein sollten.“ Bei kulturellen Kooperationen gehe es um die Prozesshaftigkeit des Lernens, die auch Experimente einschließe. Ein Ziel müsse es sein, künstlerische Bildung in alle Fächer zu integrieren.

Mehrwert Kulturelle Bildung

Bezüglich der durch die Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ hauptsächlich durch Netzwerkarbeit geleistete Unterstützung von Ganztagsschulen konnte die Programmleiterin eine gute Botschaft verkünden: Das Begleitprogramm wird nach einer Einigung der Länder und des Bundes auch im Jahr 2015 fortgeführt, sodass die Serviceagenturen ihre Arbeit fortsetzen werden. Die Bundesregierung investiert hierfür nochmals 1,9 Millionen Euro.

Musikklasse beim Trommeln
© Britta Hüning

Prof. Wolfgang Weiß von der Universität Bremen ordnete das Verhältnis von Schule und Kultur in seinem Vortrag „Kulturelle Bildung in der Praxis“ ein. Dass „Musik schlau macht“, wie es oft heißt, also die Schulleistungen befördert, habe man wissenschaftlich bislang nicht belegen können, so der Bildungswissenschaftler. Es sei aber auch nicht Aufgabe der Kultur, Schulnoten zu verbessern. „Kultur muss in ihrem Mehrwert angenommen werden“, führte Weiß an. „Es geht um Perspektivwechsel, Motivation, soziales Lernen, Ausdauer und Persönlichkeitsentwicklung. Es ist erwiesen, dass Kunst und Kultur Interessen, Identität und Sozialverhalten beeinflussen können. Und dies sollten Schulen nutzen.“

Positive Bilanz bei den hessischen „KulturSchulen“

Wie die kulturelle Bildung Schulen konkret verändern kann, belegte Michael Retzar vom Institut für Schulpädagogik der Philipps-Universität Marburg in einem der acht Foren an Vor- und Nachmittag. Im Forum „Kulturelle Bildung in der Ganztagsschule – wie verändert sich die Schule, wie bereiten wir uns vor?“ stellte er Ergebnisse eines hessischen Forschungsprojekts vor. Mit einem Methodenmix aus Dokumentenanalyse, qualitativen Interviews und teilnehmenden Beobachtungen sowie einer quantitativen Erhebung hatten Retzar und sein Team im Schuljahr 2013/14 elf Schulen untersucht, die seit 2008 beziehungsweise 2011 am Hessischen Landesprogramm „KulturSchule“ teilnahmen. Bei diesem Programm, das die Unterstützung langfristiger kultureller Schulentwicklung zum Ziel hat, können Schulen Fortbildungen, Stundendeputate und eine Zertifizierung als „KulturSchule“ erhalten. Als Voraussetzungen müssen sie alle Fächer für die kulturelle Bildung zugänglich machen, Kooperationen eingehen, Raum, Zeit und Curriculum verändern.

Die Bilanzierung dieser Schulentwicklung durch die Schulen fiel positiv aus. „Es gab eine hohe Zufriedenheit in den Kollegien mit der neuen Ausrichtung der Schule“, führte Retzar aus. „Im Laufe der Zeit erhöhte sich die Zahl der Befürworter von kultureller Bildung noch.“ Man erlebte die Schülerinnen und Schüler als selbstständiger. „Einst abgehängte“ Schülerinnen und Schüler wurden neu motiviert. „Die Lehrkräfte empfanden eine höhere Berufszufriedenheit und einen neuen Blick auf ihre Schülerinnen und Schüler. Allerdings sei dies auch mit einem erhöhten Arbeitsaufwand verbunden gewesen.“

Aus Sicht der Schulpädagogik hielt Michael Retzar fest, dass die kulturelle Bildung „gravierende Veränderungen von Schulorganisation und Bildungsverständnis bei gleichzeitigem laufenden Schulbetrieb“ brachte. Das Zusammenwachsen mit Schulumfeld und Kooperationspartnern sei ebenso zu konstatieren wie die innerschulische Zusammenarbeit als Notwendigkeit und Bereicherung. Teilweise habe es Zielkonflikte in Kollegien gegeben, insgesamt sei die Innovationsbereitschaft aber groß. Zum Teil seien Begeisterung und hohe Identifikation mit kultureller Bildung vorhanden gewesen. „Für nicht-gymnasiale Schulen im ländlichen Raum bietet das Konzept der Kulturschule besonders große Entwicklungspotenziale“, resümierte Retzar.

Ostsee-Schule Wismar: Schülerinnen und Schüler werden aktiv

Aus der Studie ließen sich auch Handlungsanweisungen ableiten: Kooperationen von Einzelpersonen sollten durch Verträge verbindlich gestaltet werden. Ziele sollte man gemeinsam entwickeln und eine Transparenz über die Notwendigkeiten und Sachzwänge der Partner herbeiführen. Die Angebote sollten auch wirklich gemeinsam durchgeführt und feste Ansprechpartner für die außerschulischen Partner in den Schulen benannt werden.

Aus Unzufriedenheit mit der Situation an ihrer Schule führte die Ostsee-Schule in Wismar, eine Regionale Schule, im vergangenen Jahr ein neues Konzept ein, das Schulleiterin Beate Brindle auf dem Kongress vorstellte: „Es musste etwas passieren. Statt Unterricht über die Köpfe der Kinder hinweg wollten wir, dass alle Schülerinnen und Schüler etwas tun.“

Sämtliche Fächer werden nun in 70-Minuten-Blöcken unterrichtet, es gibt keine Hausaufgaben mehr, dafür zweimal die Woche Selbstorganisiertes Lernen (SOL) in fächerübergreifendem Projektunterricht in festen Schülerteams. In den Klassen 9 und 10 sind es sogar drei SOL-Blöcke wöchentlich.

Die Arbeitsergebnisse werden der Schulgemeinschaft und den Eltern präsentiert. Am Nachmittag finden in der offenen Ganztagsschule Wahlpflichtkurse und Arbeitsgemeinschaften gemischt statt. „Ich bin zufrieden“, meinte Schulleiterin Brindle, „weil sich unser neues System schon etabliert hat. Die Kinder und Jugendlichen fangen an, sich selbstsicherer zu präsentieren und selbstständiger zu arbeiten.“

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