Digitaler Mai der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen : Datum:

Mit dem „Digitalen Themenmonat“ geht die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ auch neue Wege des Austausches zwischen Bildungsforschung und Ganztagspraxis. Im Mai stand das „Leben und Lernen im Ganztag“ im Mittelpunkt.

Manchmal wirkt es wie eine abgedroschene Phrase. Doch dass in Krisen und außergewöhnlichen Zeiten auch eine Chance liegen kann, Neues zu wagen, auszuprobieren und am Ende für gut zu befinden, beweist eine Veränderung in der Ganztagsschullandschaft Hessens. Konkret in einer Initiative der Serviceagentur „Ganztägig lernen“, die von Ganztagsschulen und allen dort Mitwirkenden sichtlich mit offenen Armen aufgenommen wurde. Worum es konkret geht, beschreibt der Leiter der Serviceagentur Michael Schmitt: Wir haben im vergangenen Jahr begonnen, die großen Fachtagungen aufgrund der Pandemie zu Online-Veranstaltungen zu entwickeln. Daraus wurde der Digitale Mai als Themenmonat mit vielfältigen digitalen Angeboten.“

Für 2022 stellten die Organisatoren den Themenmonat unter das Motto „Leben und Lernen im Ganztag“. Dabei galt es insbesondere, die Vielfalt in den Blick zu nehmen, die sich im Ganztag wiederfindet. Schmitt: „Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Zusammenarbeit mit vielen Partnern wider, die gemeinsam mit uns die Veranstaltungen im Mai durchführen.“ So reicht die Themenpalette vom Sport über kulturelle Bildung bis zu Partizipation.

„Ein wichtiger Aspekt, der auch beim Auftakt thematisiert wird, ist, dass Ganztagsangebote an Schulen gerade durch die zusätzliche Zeit viele Möglichkeiten bieten, andere Professionen, Themen und Formate zu integrieren. Prof. Dr. El-Mafaalani hat das eindrücklich in seinem Buch „Mythos Bildung. Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft“ beschrieben. Er ist Verfechter des Ganztags, weil er der Überzeugung ist, dass das klassische Modell der Halbtagsschule nicht mehr den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht wird“, sagt Schmitt. Er unterstreicht damit, warum der erste „Aufschlag“ im Themenmonat Mai dem Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani, der an der Universität Osnabrück Professor für Erziehungswissenschaft ist, gebührte.

„Pyramide der Bildung“ mit Schattenseiten

Dieser nutzte die Gelegenheit, um noch einmal nachdrücklich auf die Veränderungen in der Gesellschaft hinzuweisen. Seinen Blick richtete er auch auf den in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbreiterten Zugang zur Bildung, vor allem in den weiterführenden Schulen und zum Abitur. Dabei wählte er gut verständliche Bilder: „Jetzt sitzen mehr am Tisch, und alle wollen ein Stück vom Kuchen. Aber wir müssen uns fragen, ob die Rezeptur des Kuchens noch die richtige ist.“ Er machte deutlich, dass sich die „Pyramide der Bildung“ verändert habe.

Früher habe man auch mit einem einfachen Bildungsabschluss immer zumindest zum Durchschnitt gezählt und sich so fühlen dürfen, selbst wenn man dem unteren Drittel der nach oben spitzen Pyramide angehört habe. Inzwischen habe sich diese umgekehrt – auch dank verbesserter Zugänge zu Bildung („Nur durch Bildung kommt man an den Tisch“). Bedauerlicherweise habe diese eigentlich positive Entwicklung also auch ihre Schattenseiten. Wer sich jetzt in der Mitte oder erst recht am unteren Ende der nun nach unten spitz zulaufenden Pyramide befinde, fühle sich häufig abgehängt. Die Folgen seien gravierend: Resignation, Perspektivlosigkeit, häufig auch Respektlosigkeit machten sich breit.

Neue Aufgaben für Ganztagsschulen

Folgerichtig spannte El-Mafaalani den Bogen zu den Schulen: „Sie können nicht mehr voraussetzen, dass alle Eltern ihre Kinder begleiten, fördern und unterstützen können.“ Auf der einen Seite seien Kinder und Jugendliche, die wohlbehütet aufwachsen, auf der andere die, die mehr oder weniger alleine zurechtkommen müssen. Das stelle Schulen, aber auch Kitas vor neue Aufgaben. Er plädierte dafür, dass der Ausbau der Ganztagsangebote stärker als bisher von Fragen der Bildung als von Fragen der Arbeitsmarktpolitik geprägt werde.

Lehrer mit Schülergruppe
© Britta Hüning

„Denn der Ganztag kann präventiv wirken. Schließlich sehen mehr Professionen mehr und vor allem aus unterschiedlichen Blickwinkeln“, sagte der Erziehungswissenschaftler. El-Mafaalani verwies auf die erforderliche Qualität: „Man benötigt viele gut Qualifizierte von außen – auch Ehrenamtliche.“

Er zeigte sich optimistisch, dass der Generationswechsel in der Lehrerschaft eine Chance für Veränderungen und neue Wege, eben auch im Ganztag, sei. Dabei legte er die Messlatte für einen aus seiner Sicht guten Ganztag auf: „Entscheidend ist, dass alle Kinder alles erleben, was Gesellschaft zu bieten hat.“ Dazu gehöre alles, von der Botanik bis zum Handwerk, vom Lernen eines Instruments bis zum Sport.

Zusammenarbeit im Ganztag: Aufgabe des nächsten Jahrzehnts

Die Ausführungen des Erziehungswissenschaftlers passten nach Überzeugung von Michael Schmitt bestens ins Konzept der Serviceagentur. „Was den Themenmonat angeht, war es uns wichtig, mit diesem Auftakt deutlich zu machen, welche Ziele Ganztagsangebote an Schulen über den Aspekt der Betreuung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch haben“, erklärte er. Dazu gehörten dann auch gesellschaftspolitische Aspekte, wie sie Prof. El-Mafaalani beschrieben habe, aber eben auch die Pädagogik, die sich mit der Öffnung der Schule, durch Kooperationen und multiprofessionelle Arbeit verändert habe.

Das Thema mag nicht neu sein, „weil wir darüber schon vor zehn oder fünfzehn Jahren gesprochen haben“, aber die Anfragen, die das Team der Serviceagentur erreichten, zeigten immer wieder, wie oft Schule und Betreuung als additive Elemente, als nebeneinander existierend verstanden werden. Schmitt: „Damit bleibt der große Mehrwert der Zusammenarbeit im Ganztag aus. Für die Grundschulen ist das die große Aufgabe des nächsten Jahrzehnts.“

Die weiteren Angebote des Themenmonats, vor allem der gemeinsame Fachtag „Ganztag in Hessen – Gemeinsam Zukunft gestalten“ mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen am 5. Mai 2022 stehen ebenfalls in diesem Kontext: „Öffnung, Kooperation und Erweiterung des Angebots, um das gesamte Angebot der Gesellschaft in die Schule zu bringen.“ Hier stellte unter anderem die Stadt Frankfurt am Main ihr „Das Gesamtkonzept Ganztag“, Darmstadt seinen „Darmstädter Weg – Modell Halb3+“ und die Sophie-Scholl-Schule Wetterau ihren „Inklusiven Ganztag in der Praxis“ vor.

Schmitt blickt nach vorne: „Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, vor allem bei den Grundschulen, die jetzt Konzepte entwickeln. Auch Schulen, die lange keine eigene Motivation hatten, in den Ganztag zu gehen, werden dies in den nächsten Jahren tun.“

Programm der Serviceagentur: Online und vor Ort

Die Schulen brauchten dabei Unterstützung und dazu brauche es konkrete Formate. „Unser Themenmonat ist dabei eher als Anregung gedacht, neue Themen zu finden. Ergänzt wird das um Angebote, die sich spezifisch der qualitativen Weiterentwicklung widmen“, kündigte er an. Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ plant weiterhin Online-Workshops, bei denen sie eher auf informative Veranstaltungen, Vorträge, Impulse etc. setzt.

Was die Motivation der Teilnehmenden bei Online-Veranstaltungen angeht, haben sein Team ganz unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Das Format erleichtere den Einstieg, aber natürlich auch den Ausstieg. Schmitt: „Hier gilt nicht, etwas absitzen zu müssen, wenn der Inhalt für einen nicht passt.“ Er habe jedoch beobachtet, dass am Ende der meisten Veranstaltungen fast genauso viele Teilnehmende da gewesen seien wie zu Beginn. „Wir haben mit den Angeboten im Mai insgesamt über 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht. Damit sind wir mehr als zufrieden“, bilanzierte er.

Dennoch: „Netzwerke, Austausch und Workshops werden wir mehr und mehr auch wieder in Präsenz durchführen. Und vor allem die Schulhospitationen, die wir jetzt lange nicht mehr anbieten konnten, sollen fortgesetzt werden“, kündigte er an. Mit ihrer Reihe der regelmäßigen Schulhospitationen an Ganztagsschulen verschiedener Schulformen und verschiedener Ganztagsprofile war die Serviceagentur in den vergangenen fünfzehn Jahren bundesweit ein Vorreiter gewesen. Der praktische Austausch vor Ort ist halt durch nichts wirklich zu ersetzen. Betonen alle, die ihn „genießen“ konnten.

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