3. Transferforum: Inklusion braucht guten Unterricht : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

"Jedes Kind ist einzigartig. Und wenn das so ist, dann arbeitet jede Schule schon jetzt inklusiv". Mit diesen Worten ermunterte der englische Bildungsforscher Prof. Alan Dyson die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 3. Transferforum in Bremen (22. März 2012), den Weg inklusiver Schulen optimistisch weiterzugehen.

An Hand einiger weniger Zahlen machte Dyson im Eröffnungsvortrag seine Position deutlich. So besuchten in Norwegen 0,3 Prozent aller Kinder eine Förderschule, in England täten dies 1,2 Prozent und bei in Deutschland sind es 4,8 Prozent. Mit dem ihm eigenen Humor schaute er in die Runde und betonte: "Sie können natürlich sagen, norwegische Kinder sind ja anders. Ich glaube nicht, dass Kinder in unterschiedlichen Gegenden so anders sind. Es ist eine Frage des Systems. Es sind politische Entscheidungen." Kinder, die in Deutschland oder England nicht in die Regelschule können, täten dies selbstverständlich in Norwegen.

Er zeigte am Beispiel Englands auch, dass selbst von Schulaufsichtsbezirk zu Schulaufsichtsbezirk die Quoten der an Förderschulen eingeschulten Kinder erheblich variieren. Zugleich verwies er auf ein europaweit es Phänomen: "Oft werden diese Schulen von Kindern aus armen Familien und solchen mit Migrationshintergrund überflutet." Und er fügte hinzu: "Das ist ein europäischer Skandal."

Kein Geheimrezept inklusiver Schulen

Der Bildungsforscher stellte die Frage in den Raum, was erfolgreiche inklusive Schulen ausmache und verriet das Ergebnis seiner langjährigen Analysen: "Wir haben kein Geheimrezept gefunden. Jede Schule hatte ihr eigenes Konzept." Eines aber eine sie alle: die Qualität des Unterrichts sowie Lehrerinnen und Lehrer, die sagen: "Diese Kinder sind an unserer Schule und wir tun unser Bestes für sie." In diesem Zusammenhang übte er deutliche Kritik an rigiden Lehrplänen und Bewertungssystemen. "Wenn beides nicht auf unterschiedliche Niveaus zugeschnitten werden kann, dann ist Inklusion schwer", fürchtete er.

Prof. Alan Dyson bei seinem Vortrag
Prof. Alan Dyson © Alexander Janetzko

Dass sie nur gelingen könne, wenn die in Regelschulen arbeitenden Lehrkräfte entsprechend aus- oder fortgebildet worden seien, bestritt Dyson gegenüber dem Plenum, dessen Austausch an diesem Tag der Inklusion gewidmet war. "Man braucht keine Kurse, sondern Hospitation in anderen Klassen und bei inklusiv arbeitenden Kollegen", meinte er und ergänzte: "Es bedarf nur einer Prise Spezialwissen. Entscheidend ist, dass man flexibel ist." Inklusiv arbeitende Schulen setzten auf die Arbeit in Groß- und Kleingruppen und auf Einzelarbeit, die durchaus schon einmal außerhalb des Klassenzimmers stattfinde. "Die aber gebe es nicht nur für jene mit sonderpädagogischem Förderbedarf", berichtete er. Während er eine spezielle Ausbildung für nicht notwendig hält, so sehr plädierte er für eine Unterstützung der Schulen und ihrer Pädagoginnen und Pädagogen. Und das nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht. Nur dann sei es möglich, multiprofessionelle Teams in die Klassen zu schicken. Sein Fazit zu diesem Komplex: "Inklusion gelingt mit sinnvoller Organisation und gutem Unterricht."

Vernetzung der Institutionen und Programme

Der Hauptvortrag des britischen Bildungsforschers fand nicht zuletzt auch wegen seiner präzisen Aussagen den lang anhaltenden Beifall der Zuhörerinnen und Zuhörer. So fragte er leicht nachvollziehbar: "Was also brauchen wir für eine Schule und was brauchen wir für Kinder, die im Schulsystem nicht erfolgreich sind?" Seine Antworten waren ebenso klar:

"Wir brauchen flexible pädagogische Ansätze. Kinder sind schließlich keine Lernroboter. Wir brauchen den Blick auf das Kind, um mit ihm ganzheitlich arbeiten zu können. Im Umgang mit vermeintlich ,schwierigen` Kindern brauchen wir eine Abkehr vom früher praktizierten Weg, sie in Förderschulen zu stecken, denn dort werden sie ja nicht weniger schwierig Wir brauchen die Arbeit und das Zusammenwirken mit den Eltern. Wir brauchen die Arbeit mit dem Umfeld der Kinder. Wenn da, wo Kinder leben, das Lernen nicht dazu gehört, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie nicht erfolgreich sind."

Als Beispiel für eine gelungene Vernetzung von Institutionen und Programmen führte er die Harlem Children`s Zone von New York an. Der New Yorker Stadtteil war in den 1970er Jahren bekannt für große Armut mit den damit verbundenen negativen Folgen für die Bildung und Entwicklung der Kinder. Erst seitdem hier alle Unterstützungssysteme für die Kinder koordiniert werden, man schon vor der Geburt auf die Familien zugeht, die Übergänge zwischen den Schulstufen im Blick sind und entsprechende materielle Ressourcen der Community zur Verfügung gestellt werden, hat sich die Situation der Kinder zum Positiven gewandelt. Dyson appellierte in diesem Zusammenhang: "Das System muss Schulen in die Lage versetzen, Inklusion umzusetzen."

Inklusion ist eine gesellschaftliche Frage

In seinen Schlussworten sprach der Bildungsforscher zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Forum aus der Seele, als er betonte: "Inklusion in der Schule ist wichtig. Aber man darf sie nicht isoliert sehen. Es geht um den Blick auf jedes einzelne Kind, auf jeden einzelnen Menschen und damit auch auf die Gesellschaft insgesamt." Inklusion sei nicht nur eine Frage des Umgangs mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und auch nicht nur eine Frage des Lernens. "Es geht, wenn ich das so sagen darf, um die Chance auf ein gutes Leben und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft", betonte er.

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