Rheinland-Pfalz: „Guter Ganztag ist ein Entwicklungsprozess“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Dass Schule und Jugendhilfe mit dem Fokus Ganztag enger zusammenrücken, ist für Tobias Klag „der größte zu hebende Schatz“. Der stellvertretende Abteilungsleiter im Bildungsministerium Rheinland-Pfalz im Interview.

Klag
Tobias Klag © Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz

Online-Redaktion: Herr Klag, welche Bedeutung haben für Sie die bundesweiten Ganztagskongresse des BMBF und des BMFSFJ?

Tobais Klag: Ein gelingender Ganztag ist eine so wichtige Aufgabe, dass sie von der gesamten Gesellschaft angegangen werden muss. Die Ganztagskongresse bieten eine sehr gute Möglichkeit, alle Verantwortungsträger zu wichtigen Themen wie „Gelingender Ganztag“ oder „Bildungsgerechtigkeit“ länder- und ebenenübergreifend miteinander in den Austausch zu bringen. Ich verstehe den Bund und die Länder zusammen mit den Schulen und Tageseinrichtungen, den Kommunen und freien Trägern als zentrale Akteure, deren Perspektiven ebenso zu berücksichtigen sind wie die der Kinder und der Eltern.

Die Ganztagskongresse bilden diese Multidimensionalität, die der Ganztag auf Akteursebene mit sich bringt, und die der unterschiedlichen Perspektiven, die mitzudenken sind, sehr gut ab. Für mich bieten die Kongresse eine gute Gelegenheit, die Themen, zu denen wir landesintern mit den Verantwortungsträgern in Rheinland-Pfalz im Austausch sind, überregional zu diskutieren und in den Austausch einzubringen. Gleichzeitig kann ich wichtige Impulse aus den Kongressen mit in die landesinternen Umsetzungsprozesse tragen. Die Ganztagskongresse leisten so für mich nach dem Motto „Gemeinsam voneinander und miteinander lernen“ einen wichtigen Beitrag zu einem guten Ganztag.

Online-Redaktion: Rheinland-Pfalz hat schon 2002 den Ganztag eingeführt. Wie kommt er heute an, sei es bei Eltern, sei es bei Lehrkräften und pädagogischem Personal?

Klag: Als „Land der Ganztagsschulen“ hat sich Rheinland-Pfalz seit Beginn des Ausbauprogramms der Ganztagsschulen im Jahr 2002 dafür eingesetzt, die Qualität der Bildung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den Ausbau von schulischen Ganztagsangeboten zu stärken. Ganztagsangebote für Schülerinnen und Schüler sind in Rheinland-Pfalz ebenso wie in anderen Bundesländern ein unverzichtbarer Bestandteil des Bildungsangebots, weil der erweiterte Zeitrahmen vielfältige Möglichkeiten zur individuellen Förderung und zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung aller Kinder eröffnet. Ich mache die Erfahrung, dass diese Potenziale auch von den Eltern und dem pädagogischen Personal gesehen werden.

Mir ist es dabei wichtig, dass der Ganztag als „ganzer Schultag“ verstanden wird. Die Verzahnung mit dem Pflichtunterricht nach Stundentafel ist eine Voraussetzung dafür, dass die Bildungspotenziale des erweiterten Zeitrahmens auch zur Schul- und Unterrichtsentwicklung beitragen. Dazu zählt für mich auch die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team. Solche Entwicklungsprozesse sind für die Lehrkräfte und das pädagogische Personal auch mit Herausforderungen verbunden. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir für die Ganztagsschulen auf Ebene des Bildungsministeriums, der Schulbehörde und des Pädagogischen Landesinstitutes umfassende Unterstützungsmöglichkeiten haben.

Online-Redaktion: Kommt das auch bei den Eltern und Familien an?

Team der Seebachschule Osthofen mit Wanduhr „Zeit für mehr“
Team der Seebachschule Osthofen mit Wanduhr „Zeit für mehr“ © Online-Redaktion

 Klag: Mit Blick auf die Eltern nehme ich in Gesprächen immer wieder wahr, dass sich an einigen Stellen ein Spannungsfeld zwischen der familienpolitischen Dimension des Ganztags – der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter dem Aspekt der individuellen Betreuungsbedarfe der Familien – und der bildungspolitischen Dimension – der Förderung der Kinder – auftut. Doch der Auftrag zur individuellen Förderung im Ganztag braucht Zeit und auch ein Stück weit die verlässliche Anwesenheit. Der Blick der Eltern auf den Ganztag wird zudem stark von der konkreten pädagogischen Umsetzung vor Ort beeinflusst.

Einen „guten Ganztag“ verstehe ich als Entwicklungsprozess. Und auch wenn wir den in Rheinland-Pfalz seit über 20 Jahren konsequent verfolgen und schon viel erreicht haben, wird die Weiterentwicklung für uns alle eine Daueraufgabe bleiben. Und ich freue mich sehr darauf, diese Entwicklungsprozesse zusammen mit allen, die sich für einen guten Ganztag einsetzen, zu begleiten.

Online-Redaktion: Was ändert sich durch den geplanten Rechtsanspruch?

Klag: Rein rechtlich gesehen ändert sich erst einmal, dass die anspruchsberechtigten Kinder einen individuellen Rechtsanspruch an Werktagen über acht Stunden täglich haben. Angesichts des Umstands, dass im SGB VIII bereits seit vielen Jahren festgelegt ist, dass die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe ein bedarfsgerechtes Angebot für Kinder im schulpflichtigen Alter vorhalten müssen, könnte man die Frage auf den ersten Blick mit „Es ändert sich gar nicht so viel“ beantworten.

Aber das wäre nicht zutreffend: Der Ganztag rückt in der öffentlichen Diskussion und auf allen Ebenen und bei allen Verantwortungsträgern noch mehr in den Fokus. Das begrüße ich sehr. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass die Länder in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet schon sehr engagiert waren und sind. Die Zahl der in der Statistik der Kultusministerkonferenz und der Kinder- und Jugendhilfe-Statistik gemeldeten Ganztagskinder hat sich zwischen 2005/2006 und 2021/2022 nahezu verdreifacht. Durch den Rechtsanspruch erfährt der quantitative und qualitative Ausbau des Ganztags nun eine zusätzliche Dynamik. Das gilt insbesondere auch für den Qualitätsaspekt.

Online-Redaktion: Haben Sie vielleicht ein Beispiel?

Garten-AG und Naturforscher-AG in Konz
Garten-AG und Naturforscher-AG in Konz © Alexander Kalmar

Klag: Ja, ich will das an folgenden Beispielen festmachen: Die Kultusministerkonferenz hat im Oktober 2023 mit zwölf Empfehlungen erstmals benannt, was die pädagogische Qualität in Ganztagsangeboten für Kinder im Grundschulalter umfasst. Und einen Tag später haben sich die Kultusministerkonferenz und die Jugend- und Familienministerkonferenz in ihrer ersten gemeinsamen Sitzung unter anderem mit dem Rechtsanspruch befasst. Das was dort auf Ebene der Fachministerkonferenzen passiert, kann ich auf allen Verwaltungsebenen beobachten.

Eine intensivierte Zusammenarbeit der für den Rechtsanspruch verantwortlichen Landesressorts gibt es auch mit den beiden federführenden Bundesministerien, dem BMFSFJ und dem BMBF. Landesintern sind wir zum Thema Ganztag in regelmäßigem Austausch mit anderen Ressorts, den Jugendämtern, den Schulverwaltungen und freien Trägern. Und auf Einrichtungsebene kann ich im Land beobachten, dass Schulen, Schulträger und Jugendämter in regelmäßigem und engem Austausch zur Umsetzung des Rechtsanspruches sind. Dabei geht es um Fragen des investiven Ausbaus, aber insbesondere auch um Fragen der Qualität.

Für mich ist es ein gutes Signal für die Kinder und die Familien im Land, wenn Schule und Jugendhilfe mit dem Fokus Ganztag enger zusammenrücken, denn beide Systeme leisten einen wichtigen Beitrag für die Bildung und die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen. Neben den vielen gesellschaftspolitischen Potenzialen des Rechtsanspruches ist für mich persönlich der größte zu hebende Schatz vor diesem Hintergrund die engere Kooperation von Schule und Jugendhilfe.

Online-Redaktion: 2023 haben Sie mit Blick auf ländliche Regionen von der „Spannbreite des Ganztags“ in einem Flächenland gesprochen. Worin besteht diese?

Klag: Bei der Umsetzung des Rechtsanspruches denken wir in Rheinland-Pfalz von den Vorgaben des Ganztagsförderungsgesetzes, dem Qualitätsanspruch an den Ganztag und von den im Land vorhandenen Strukturen. Mit dem Ausbauprogramm für Ganztagsschulen hat Rheinland-Pfalz den Fokus darauf gelegt, den erweiterten Zeitrahmen des Ganztags für ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot mit schulischem Bildungs- und Erziehungsauftrag zu nutzen. Die Ganztagsschule ist damit eine Schulentwicklungsaufgabe, die nicht isoliert, sondern zusammen mit dem Unterricht nach Stundentafel zu denken ist und die auch Auswirkungen auf die gesamte Lern- und Unterrichtskultur hat.

Es geht jedoch nicht um eine reine Fortführung der Inhalte des Pflichtunterrichtes. Kinder brauchen im Ganztag auch anderes. In ihrem pädagogischen Konzept berücksichtigen die Ganztagsschulen vier verbindlich vorgegebene Gestaltungselemente, nämlich unterrichtsbezogene Ergänzungen, Förderung, themenbezogene Projekte und Freizeitangebote. Im Sinne eines weiten Bildungsbegriffs stehen diese Elemente gleichwertig nebeneinander und sind in einem ausgewogenen Verhältnis zu berücksichtigen.

Dabei stehen die Neigungen, Interessen, Wünsche und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt. Um ein differenziertes Angebot, das zum Beispiel auch entsprechende Freizeit- und Projektangebote umfasst, anbieten zu können, braucht es eine gewisse Mindestteilnehmendenzahl. Sonst läuft diese Grundidee von Ganztagsschule an dieser Stelle ein Stück weit ins Leere.

Waldjugendspiele mit dem Förster
Waldjugendspiele mit dem Förster © Helene-Pagés-Schule

Online-Redaktion: Inwiefern?

Klag: Gleichzeitig sind wir ja ein Flächenland mit rund 1.100 Grund- und Förderschulen. Bei einem Drittel unserer Grundschulen handelt es sich um kleine Systeme mit 100 oder weniger Schülerinnen und Schülern. Diese sollen getreu dem Motto „kurze Beine, kurze Wege“ aus Sicht des Landes auch erhalten bleiben. Da Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, wegen der Inanspruchnahme der Ganztagsschule den Schulbezirk zu wechseln, und wegen der zunehmenden Betreuungsbedarfe der Familien, wird ein Ganztagsangebot gleichzeitig zu einem zunehmend wichtigen Standortfaktor.

Es ist deshalb erklärtes Ziel, kleinen Schulen auch künftig die Ausbildung eines Ganztagsprofils zu ermöglichen, damit sie nicht Gefahr laufen, auszubluten. Und genau da tut sich dann bei der Frage, wie angesichts der bestehenden Ganztagsschulen auch an kleineren Schulsystemen im ländlichen Bereich ein gutes Ganztagsangebot angeboten werden kann, ein Spannungsfeld auf. Das wird uns – so meine Einschätzung –mit dem bildungspolitischen Anspruch, den wir an einen guten Ganztag in Rheinland-Pfalz seit langem haben, auch in den kommenden Jahren weiterbeschäftigen.

Online-Redaktion: Dazu gehört das Stichwort Kooperationsqualität. Was sind die Herausforderungen?

Klag: Die Kooperation mit Partnern im Sozialraum ist für uns in Rheinland-Pfalz ein Markenkern von guter Ganztagsschule. Der Ganztag leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Öffnung von Schule. Von dem daraus resultierenden multiprofessionellen Ansatz profitieren alle – die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und das pädagogische Personal an den Schulen ebenso wie die Kooperationspartner selbst. Und das ist gut und wichtig und zwar nicht nur mit dem Blick auf den erweiterten Zeitrahmen des Ganztags, sondern auf Schule als Ganzes. Denn die gesellschaftlichen Herausforderungen, denen Bildung und Erziehung der Kinder gerecht werden muss, haben zugenommen. Deshalb ist es wichtig, dass alle, die einen Beitrag zur guten Entwicklung junger Menschen leisten können, zusammen an einem Strang ziehen.

Dabei gibt es zahlreiche Herausforderungen, von denen ich beispielhaft zwei nennen will:

Die Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team im Sinne einer „echten Teamarbeit auf Augenhöhe“ ist mitnichten alleine damit gegeben, dass Personen aus verschiedenen Professionen an einer Einrichtung tätig sind. Die Potenziale im Zusammenwirken der unterschiedlichen Professionen wirksam zu machen, ist eine Entwicklungsaufgabe und zwar eine, die dauerhafte Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse erforderlich macht. Daraus erwächst dann Vertrauen und das hilft auch bei möglichen Konflikten, die meiner Erfahrung nach in den unterschiedlichen Sichtweisen, die die unterschiedlichen Professionen mitbringen, begründet sind. Ich will den Begriff „Konflikt“ hier auch gar nicht negativ besetzt sehen, sondern positiv im Sinne einer wertvollen Auseinandersetzung mit dem fachlichen Blick der unterschiedlichen Professionen. Genau diese Auseinandersetzung ist wichtig für das Zusammenwirken im multiprofessionellen Team und die Entwicklung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses.

Für Teamarbeit braucht es feste Strukturen
Für Teamarbeit braucht es feste Strukturen © Britta Hüning

Für eine gute Zusammenarbeit braucht es also feste Strukturen wie zum Beispiel Teamtreffen und gemeinsame Konferenzen oder anlassbezogene Besprechungen. Und hier komme ich zur zweiten Herausforderung. Nicht alles, was aus pädagogischer Sicht wichtig und richtig ist, kann rechtskonform ohne weiteres umgesetzt werden. Denn ich stelle fest, dass arbeitsrechtliche Vorgaben, die nicht in der gesetzgeberischen Verantwortung der Länder liegen, oder auch die Auslegung dieser rechtlichen Vorgaben in den vergangenen Jahren die multiprofessionelle Kooperation an einigen Stellen erheblich erschweren. Stichworte wie Scheinselbständigkeit und unerlaubte Arbeitsnehmerüberlassung treiben nicht nur die Schulen und die Kooperationspartner, sondern auch die Schulbehörde und uns selbst immer wieder um. Und angesichts der Tatsache, dass die Teilnahme an gemeinsamen Teambesprechungen als Eingliederung in den Schulbetrieb zu werten ist, eröffnet sich hier ein entsprechendes Spanungsfeld für die Kooperationsqualität.

Online-Redaktion:  Rheinland-Pfalz hat eine Fachkräftekampagne zur Gewinnung von Erzieherinnen und Erziehern initiiert. Welche Schwerpunkte hat sie und wie erfolgreich ist sie bisher?

Klag: Die Fachkräftekampagne „Werde Erzieherin oder Erzieher“ vernetzt sich seit einem Jahr erfolgreich in Rheinland-Pfalz mit dem Ziel, junge Menschen, aber auch Quereinsteigende für pädagogische Berufsbilder zu gewinnen und so die Einrichtungsträger bei der Fachkräftesicherung und -gewinnung zu unterstützen. Dabei ist uns sehr bewusst, dass der Bedarf an pädagogischen Fachkräften nicht nur im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder und dem Ganztag hoch ist. Mir ist deshalb der Hinweis wichtig, dass wir bei unserer Kampagne alle Tätigkeitsfelder mitdenken.

Im Rahmen der Kampagne setzen wir zum Beispiel auf Plakat- und Kinowerbung, Messen und Veranstaltungen, eine Website nebst Social Media und die Zusammenarbeit mit starken Partnern: von den Fachkräften und Kita-Kindern, welche die Kampagne authentisch zeigt, über die Verantwortungsträger im Kita-Bereich, die Eltern bis hin zu den Fußballvereinen 1. FSV Mainz 05 und 1. FC Kaiserslautern, die für eine hohe Reichweite sorgen.

Online-Redaktion: Das klingt sehr alltagsnah...

Klag: Das Tolle an der Kampagne ist, dass sie mit Akteurinnen und Akteuren aus „dem Feld“ entwickelt wurde. Auch die Bilder wurden in Einrichtungen in verschiedenen Landesteilen mit den Kindern und den Menschen die dort tätig sind, aufgenommen. Auch das Bild auf unserem Aufsteller beim diesjährigen Ganztagskongress stammt im Übrigen von unserer Kampagne. Die Kampagne ergänzt somit öffentlichkeitswirksam weitere Maßnahmen des Landes zur Fachkräftesicherung und -gewinnung.

Beispielhaft nenne ich den Ausbau der Ausbildungskapazitäten, die Öffnung der Kita für andere Professionen durch eine neue Fachkräftevereinbarung oder gemeinsam mit der Verantwortungsgemeinschaft Kita in einem sogenannten Aktionsforum entwickelte Handlungsvorschläge, die auf allen Ebenen umgesetzt werden. Erfreulicherweise sehen wir auch einen positiven Trend bei den Ausbildungszahlen und konnten gegenüber dem Vorjahr knapp 1.500 pädagogische Fachkräfte mehr verzeichnen. Das zeigt uns, dass unsere Maßnahmen Wirkung zeigen.

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Mehr Zeit im Ganztag bedeutet mehr Zeit für ganzheitliche Förderung © Britta Hüning

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt das Thema Bildungsgerechtigkeit im Ganztag?

Klag: Kurze Antwort: Eine große Rolle! Ich bin deshalb froh, dass das Thema Bildungsgerechtigkeit im diesjährigen Ganztagskongress mit dem Vortrag von Prof. El-Mafaalani einen zentralen Stellenwert bekommt. Auf Grundlage einer guten Verzahnung mit dem Pflichtunterricht im Sinne einer Lehr- und Lernkultur über den ganzen Tag, den multiprofessionellen Teams, dem Mehr an Zeit und den sich damit eröffnenden Bildungsräumen können Kinder aus Familien mit begrenzten Unterstützungsressourcen natürlich ganz besonders profitieren.

Bildungsgerechtigkeit und Ganztagsschule sind für uns in Rheinland-Pfalz zwei Seiten derselben Medaille. Mir ist es aber sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass alle Kinder von einem qualitativ hochwertigen Ganztag profitieren. Mehr Zeit im schulischen Ganztag bedeutet für alle Kinder mehr Zeit für eine optimale und ganzheitliche Förderung. Der erweiterte Zeitrahmen des Ganztags kann mit wirkungsvollen Lernsettings insbesondere zur Förderung der mathematischen, sprachlichen und emotional-sozialen Basiskompetenzen beitragen. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat in ihrem Gutachten „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“ unter anderem auf die Bildungspotenziale bei einer produktiven Verschränkung von Lern- und Bildungsprozessen im Ganztag hingewiesen.

Online-Redaktion: Sie waren selbst Schulleiter. Was ist für Kinder wichtig?

Klag: Ich habe während meiner Zeit als Leiter einer Ganztagsschule die Erfahrung gemacht, dass viele Kinder für ihre individuelle Lernentwicklung auch Anderes und vor allem mehr davon brauchen. Wenn die Ganztagsschule sich an den Interessen, Neigungen und Bedürfnissen der Kinder orientiert, dann können Kinder, die sich im Unterricht schwertun, bei Angeboten, die ihren Neigungen entsprechen, Erfolgserlebnisse haben. Sie erfahren so Selbstwirksamkeit.

Für mich ist das ein ganz wichtiger Faktor, wenn es um den Bildungserfolg geht. Ich habe dafür ein aussagekräftiges Beispiel: An meiner damaligen Ganztagsschule gab es das Angebot eines Kunstschmieds. Dort haben Kinder mit Esse, Hammer und Amboss einen Zauberstab hergestellt. Die Kinder haben die Erfahrung gemacht, dass sie selbst so ein hartes Material wie Metall formen können. Ich habe erlebt, dass diese Erfahrung die Kinder stärker gemacht hat. Das hat auch einen positiven Einfluss auf den individuellen Lernerfolg.

Gleichzeitig können Lehrkräfte und das pädagogische Personal die Kinder in anderen Settings erleben. Dadurch wird der Aufbau tragfähiger Beziehungen unterstützt. Die Multidimensionalität bildet sich im Ganztag außerdem in der Multiprofessionalität ab. Damit können alle vorhandenen Professionen gemeinsam alle Kinder auf ihrem individuellen Weg zum Bildungserfolg begleiten. Zu guter Letzt erhalten Kinder, die das aus der Lebenswelt ihrer Familien möglicherweise gar nicht oder nur sehr begrenzt kennen, Zugänge zu einem breiten Spektrum kultureller, musischer, sportlicher und lernanregender Angebote.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Tobias Klag, Jg. 1975, verantwortet seit 2021 im Ministerium für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz als stellvertretender Leiter der Abteilung „Frühkindliche Bildung, Ganztag und schulische Unterstützungsangebote“ das Referat für die „Ganztagsschule und Ganztagsbetreuung im schulischen Bereich“. Er kümmert sich in Rheinland-Pfalz landesseitig federführend um die Umsetzung des Rechtsanspruches. Im Bildungsministerium ist er seit 2016 und war zunächst im Grundschulreferat eingesetzt. Nach dem Lehramtsstudium für Grund- und Hauptschulen war er als Lehrer an einer Hauptschule und später neun Jahre als Schulleiter eine Ganztagsgrundschule in sozial herausfordernder Lage tätig.

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