Fachforen - Runde I
Fachforum 1: Ergebnisse des wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialogs zum Ganztag – Umsetzung in die Praxis
Dr. Stephan Kielblock | Koordinator des Arbeitsbereiches Bildungsstrukturen und Reformen im DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Für das Aufwachsen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist ein qualitativ hochwertiger Ganztag besonders wichtig. Wie gelingt die Weichenstellung, die zu einem qualitätsvollen Ganztag führt? Dieser Frage ging Dr. Stephan Kielblock – Ganztagsschulexperte am DIPF in Frankfurt a. M. – in seinem Fachforum nach. Im Fokus lagen die sechs praxisnahen Arbeitsfelder, die das DIPF im Rahmen des wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialoges gemeinsam mit allen Akteuren der Ganztagsbildung entwickelt hat. Er stellte sechs Arbeitshilfen vor, die Schulentwicklung für den Ganztag unterstützen und die Qualität der Umsetzung sichern sollen.
Im Gespräch wurden einzelne Aspekte vertieft diskutiert. Angesprochen wurde das Thema Sozialraumorientierung als ein wichtiges Feld, in dem den Teilnehmenden aber Inspiration für die Umsetzung und Verankerung in der Praxis fehlte. Intensiv wurde über die Aufgabe der Konzeptentwicklung und Konzeptumsetzung nachgedacht: Wie entstehen lebendige Konzepte, die sich weiterentwickeln, reflektiert und in der Praxis nutzbar sind? Wie gelingt die Verbindung von Didaktik und Praxiswissen von nicht-pädagogischen Kooperationspartnern? Wie können Freiräume geplant werden, ohne sie zu verplanen? Für den schulischen Bereich ist die Arbeit mit Konzepten ein ungewohntes Feld, das erst langsam in den Fokus kommt. Für die Qualität von Konzepten und Angeboten sei entscheidend, dass alle Akteure (pädagogisches und nicht-pädagogisches Personal, Kooperationspartner, Eltern) sich über die Grundsätze ihres pädagogischen Handelns verständigen und in der Umsetzung keine Widersprüche entstehen.
(Autorin: Barbara Rehbehn, BMFSFJ)
Weiterführend auf www.ganztagsschulen.org:
Qualitätsdialog
Fachforum 2: Guter Ganztag aus Kindersicht und Implikationen für das Leitungshandeln
Carolin Genkinger | Senior Project Manager Bildung, Robert Bosch Stiftung
Arne Halle | Senior Project Manager Bildung und Next Generation, Bertelsmann Stiftung
Dr. habil. Hanna Pfänder | Leiterin Wissenschaftliche Analysen und impaktlab, Wübben Stiftung
Dr. Dirk Zorn | Director Bildung und Next Generation, Bertelsmann Stiftung

Was wünschen sich eigentlich diejenigen, über die aus so vielen verschiedenen Perspektiven gesprochen wird? Was ist für unsere Kinder ein „guter“ Ganztag? Wo sehen sie die Herausforderungen und was könnte als Erwachsenenhandeln folgen? Diesen Fragen ist das Fachforum 2: Guter Ganztag aus Kindersicht und Implikationen für das Leitungshandeln nachgegangen. Als Quintessenz zeigt sich, dass ein konsequenter Blick auf die Bedarfe der Kinder bei der Maßnahmenplanung in den Mittelpunkt gehört.
Eine Grundlage für die Diskussion war die Studie um die Autoren B. Walter, I. Nentwig-Gesemann und F. Fried (2021): Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter. Mithilfe ihrer qualitativen Befragung konnten die Wissenschaftler/innen zeigen, dass vier Qualitätsebenen für Kinder besonders wichtig sind:
- die Gestaltung positiver pädagogischer Beziehungen (Kinderrechte berücksichtigen und achten- z.B. respektvoll, geschützt, mitbestimmt, fair, verständnisvoll),
- die Gestaltung positiver Peer-Kultur (Freundschaften finden, freie Orte schaffen, die sich die Kinder zu eignen machen dürfen, Raum für Austausch),
- die produktive Bearbeitung von Themen und Tätigkeiten (Raum für Unterhaltung, praktische Tätigkeiten) sowie
- die Erweiterung des Bildungsraumes in der Natur.
Dabei wurde die Verschränkung von informellen und formalen Bildungsorten und Freizeitwelten hervorgehoben. Die Bildungsverantwortlichen sollten einen Lebensort schaffen, an dem Bildungsprozesse, Wohlbefinden und Glück des Kindes im Zentrum stehen. Als Beispiel für diesen Versuch der kindorientierten Ganztagsbildung wurde das Projekt „Ganztag gemeinsam gestalten“ der Wübben Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Land Berlin vorgestellt. Hier werden Leitungsteams in den Schulen professionell unterstützt ihre Ganztagsschule weiterzuentwickeln.
Schlussendlich wurden nach einer Gruppenphase unter der Fragestellung „Wie kann ein flächendeckend bedarfs- und kinderorientierter Ganztag gelingen?“ drei zentrale Forderungen an die Politik hervorgehoben: Konsequente Beteiligung der Kinder (Partizipation), Fördermittel an dem Vorhandensein von Kinderperspektiven knüpfen und mehr gute Bespiele in die Fläche tragen.
(Autorin: Dr. Prisca Menz, BMBF)
Weiterführend auf www.ganztagsschulen.org:
Ganztag aus der Perspektive von Grundschulkindern
Diakonie Hamburg: Ganztag mit Qualitätsmanagement
Sozialraum Ganztagsschule: „Die Sicht der Kinder ist eine eigene“
Fachforum 3: Sozialraumorientierung – ein passender Ansatz für Grundschulen?
Prof. Dr. Felix Manuel Nuss | Fachwissenschaft Soziale Arbeit, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster

Im 3. Fachforum zum Thema „Sozialraumorientierung“ wurde das große Potenzial für ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote deutlich. Schulische Rahmenbedingungen können im Wege einer Sozialraumöffnung mit den individuellen Bedürfnissen und Handlungslogiken der Schülerinnen und Schüler verbunden und deren Partizipation gestärkt werden. Die Öffnung der Schule in den Sozialraum ermöglicht eine flexible, informelle Kommunikation zwischen den Kindern und gibt ihnen Gelegenheit, habituelle Perspektiven miteinander in Verbindung zu setzen. Kinder können hierüber erlernen, besser und selbstbestimmter in schwierigen Lebenslagen zurechtzukommen und auch Demokratiefähigkeit einüben.
(Autorin: Stella Hornbostel, BMBF)
Weiterführend auf www.ganztagsschulen.org:
Schulsozialarbeit im Ganztag: Brücke zur Kommune
Gemeinsam in Ganztag und Sozialraum: Jugendhilfe und Schule
Sozialraum Ganztagsschule: „Die Sicht der Kinder ist eine eigene“
Fachforum 4: Raumkonzepte für gelingenden Ganztag
Andrea Rokuß | Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft
Die Referentin stellte das Projekt der Montag-Stiftung „Ganztag und Raum“ vor, welches Schulen dabei unterstützt, integrierte Nutzungskonzepte für ihre Räume zu entwickeln. Erklärtes Projektziel ist es, übertragbare Lösungen zu finden, die andere Schulen auch nutzen können. Um verschiedene Nutzungskonzepte für Schulen zu verdeutlichen, fand sie das Bild der Schule als „Wohnung“: Bei einer „Einraumwohnung“ steht jedes Klassenzimmer für sich. Es gibt kaum räumliche Synergien zwischen den Räumen – so etwa bei der „Flurschule“, der vorherrschenden Grundrissorganisation seit dem 19. Jahrhundert. Im Bild der Schule als „Wohngemeinschaft“ haben die einzelnen Lerngruppen ihren eigenen Raum als Rückzugspunkt, und darüber hinaus werden weitere Räume abwechselnd oder gemeinsam genutzt. In der „Wohnung“ werden den Räumen bestimmte Funktionen zugeordnet, z.B. ein „Leise-Raum und ein Laut-Raum“, ein „Instruktionen-Raum“, ein „Themenraum“ etc., und diese Räume werden gemeinschaftlich genutzt.
Am Beispiel der Martin-Schaffner-Schule in Ulm gab die Referentin Einblicke in einen Prozess, an dem sich die Schulgemeinschaft – Lehrkräfte und pädagogisch tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Schulleitung, Schülerinnen und Schüler –, aber auch das Staatliche Schulamt, das Gebäudemanagement oder Schulpolitikerinnen und Schulpolitiker beteiligten. Was als ein vorsichtiges Herantasten an das Thema Raumnutzung begann, wurde dann sehr dynamisch: Im Laufe des Prozesses entschieden sich die Beteiligten dafür, einen umfangreichen Prozess der Schulentwicklung zu starten, in welchem auch das Bildungsverständnis, die multiprofessionelle Zusammenarbeit und die Zeitstrukturen des Schultages thematisiert wurde. Spannend war für die Teilnehmenden, ganz bildlich das Vorher-Nachher der Schule auf Fotos zu sehen: Wo vorher einzelne Klassenräume waren, fanden sich später „Themenräume“, das „Lehrerzimmer“ wurde zu einem Teamzimmer für alle Mitarbeitenden, das Außengelände wurde der öffentlichen Nutzung zugänglich gemacht.
Als Gelingensbedingungen für solche Prozesse formulierte die Referentin abschließend, dass es personelle und finanzielle Ressourcen, Verbindlichkeit, eine agile Haltung, eine Steuergruppe, Workshops, die Partizipation der Kinder sowie Interviews mit Schlüsselpersonen braucht.
Diskutiert wurde im Anschluss die Frage, ob sich mit Räumen aktuelle Probleme von Schulen lösen lassen. Hier war das Fazit: Räume alleine lösen keine Probleme, denn man müsse vorher wissen, was man mit den Räumen machen will (Phase 0). Gleichzeitig sollte der Raum mit Blick auf seine tatsächliche Nutzung später evaluiert werden: Wie wird er denn wirklich genutzt (Phase 10)? Weitere Diskussionspunkte berührten die gemeinschaftliche Nutzung von Räumen und Außenflächen der Schule in der Stadtteilgemeinschaft und die –teilweise schwierig umzusetzende- Anforderung, dass geöffnete Räume sicher und sauber bleiben. Lebhaft wurden auch die Unterschiede in den Ländern hinsichtlich einem Vorhandensein und der Nutzung von Lehrküchen und Mensen ausgetauscht.
(Autorin: Dr. Thea Jenner, BMBF)
Weiterführend auf www.ganztagsschulen.org:
Schulbau und Schularchitektur
Fachforum 5: Die Perspektive der freien Träger bei der Ausgestaltung vielfältiger Angebote im Ganztag
Dr. Judith Adamczyk | Referentin für Bildung und Erziehung, Tageseinrichtungen für Kinder beim AWO Bundesverband e.V.
Carsten Saremba | Referent für Tageseinrichtungen für Kinder, Familienzentren, Jugendhilfe in Schule bei der Diakonie Deutschland

Das Fachforum beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit den Voraussetzungen für gelungene Kooperationen von freien Trägern mit Ganztagsgrundschulen.
Der ab dem Schuljahr 2026/27 in Kraft tretende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter ist im Sozialgesetzbuch VIII geregelt. Nach § 1 des SGB VIII hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Mit dem Rechtsanspruch werden als Ziele die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die Förderung von Bildungs- und Teilhabechancen sowie die Ermöglichung der Erwerbsbeteiligung der Eltern verbunden. Die Perspektive der Kinder bzw. was Kinder sich für den Ganztag wünschen, sollte Ausgangspunkt aller Überlegungen sein. Hierbei wurde auf die Studie von Frau Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann u.a. „Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter“ aus dem Jahr 2021 verwiesen.
Auch wenn die Ganztagsmodelle in den Ländern vielfältig sind, konnten in dem Fachforum gemeinsame Gelingensbedingungen identifiziert werden. So wurden die Entwicklung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses von Kinder- und Jugendhilfe und Schule im Ganztag sowie gut ausgebildete und genügend Fachkräfte als zentrale Voraussetzungen genannt. Für eine gelingende Kooperation sind entsprechende Regelungen bzw. Finanzierungsmodelle notwendig, damit Fachkräfte kooperieren und Zeit dafür haben. Der Einsatz von pädagogischen Fachkräften am Vor- und Nachmittag wurde als sinnvoll angesehen.
Für eine weitere wissenschaftliche Vertiefung wurde auf die sechs praxisnahen Handreichungen des DIPF, die aus dem Projekt „Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag“ entstanden sind, verwiesen. Im Rahmen einer kleinen Ausstellung wurde verschiedene Beispiele von Kooperationen freier Träger mit Ganztagsschulen aus ganz Deutschland präsentiert.
(Autorin: Nicole Groß, BMBF)
Weiterführend auf www.ganztagsschulen.org:
Malteser in der Ganztagsschule
Diakonie Hamburg: Ganztag mit Qualitätsmanagement
Fachforum 6: Schulträger im ländlichen Raum. Gestaltungsmöglichkeiten des Bildungsbüros im Ganztag
Carmen Dialer | Transferagentur Bayern für Kommunales Bildungsmanagement
Dr. Carolin Jürgens | Landratsamt Mühldorf am Inn, Lernen vor Ort

Beide Referentinnen stellten die aktuelle Lage im ländlichen Raum Bayerns aus der übergeordnet-beratenden Perspektive der Transferagentur und der konkreten Umsetzungsperspektive des Landratsamtes im Landkreis Mühldorf am Inn vor. Aus ihrer Sicht habe sich deutlich gezeigt, wie hilfreich eine Beratungsstruktur ist. Die Transferagentur wird aus Mitteln der Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement des BMBF finanziert. Das Förderprogramm „Lernen vor Ort“ entsprang einer Initiative des BMBF aus dem Jahr 2009, in Kreisen und kreisfreien Städten ein kohärentes kommunales Bildungsmanagement und die Vernetzung von Bildungsorten zu stärken. Im Zusammenhang damit wurden vielerorts Regionale Bildungsbüros gegründet.
Die Transferagentur berichtete, dass derzeit vielerorts zur Vorbereitung des Rechtsanspruchs auf Ganztag für Kinder im Grundschulalter eine Bedarfsermittlung stattfinde. An einigen Orten hat die Verwaltung auch bereichsübergreifende Steuerungsgruppen eingesetzt, um die notwendige Planung zu beginnen. Wo Qualitätsdebatten stattfinden, werde bereichsübergreifend und öffentlich diskutiert. Der Landkreis Mühldorf am Inn hat alle konkreten Fragen schon im Blick und empfiehlt aus der eigenen Erfahrung: die örtlichen Gegebenheiten zu analysieren und Verantwortung zu klären, aber nicht erst loszulegen, wenn alles bis ins Detail geklärt sei, sondern mit den einfachen Dingen zu starten. Außerdem sei der Austausch mit anderen Kommunen sinnvoll, da diese durch den Rechtsanspruch schließlich in der gleichen Lage seien.
Im Verlaufe des Forums arbeiteten die Teilnehmenden drei zentrale Herausforderungen für ländliche Regionen heraus: 1) den schon bestehenden und absehbar noch dringlicher werdenden Fachkräftemangel, 2) die notwendige Infrastruktur, die im ländlichen Raum auch den Schulbus oder den ÖPNV umfasse, um Lernorte zugänglich zu machen sowie 3) die Klarheit der Zielstellung, auf die sich Schulträger und Schulleitungen verständigen müssen. Klar wurde anhand des Beispiels eines anderen Flächenlandes darüber hinaus, dass Vorgaben nicht zu detailliert sein dürfen, weil sonst ggf. langjährige Kooperationspartner für den Ganztag verloren gingen.
(Autorin: Katja Stamm, BMBF)
Weiterführend auf www.ganztagsschulen.org:
Lokale Bildungslandschaften
Fachforum 7: Ganztagsbildung und -betreuung aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe – Chancen und Herausforderungen
Prof. Dr. Markus Sauerwein | Hochschule Nordhausen
Text folgt