"Rhythmisierung in Ganztagsschulen" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das 2014 erschienene Buch „Rhythmisierung in Ganztagsschulen“ von Ilse Kamski und Saskia Koltermann zeigt den Zusammenhang von Zeitorganisation und Lernkultur auf.

Rhythmisierung gilt als Schlüsselbegriff ganztägig arbeitender Schulen. Er kann sich auf die Schulebene, die Unterrichtsebene oder die individuelle Ebene beziehen. Doch was genau ist Rhythmisierung und wo ist der Begriff im Rahmen der (Ganztags-)Schulentwicklung zu verorten? Welche Aufgabenfelder eröffnen sich für Schulen, welche Praxisbeispiele lassen sich abbilden? Welche pädagogischen und organisatorischen Konsequenzen ergeben sich für Förderung im Zusammenhang mit dem Fachunterricht und außerunterrichtlichen Angeboten?

Buchcover
© Debus-Verlag

Diese Fragen stellt das Buch „Rhythmisierung in Ganztagsschulen – Erprobte Praxis, funktionierende Modelle“ von Ilse Kamski und Saskia Koltermann. Ilse Kamski hat sich während ihrer Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Technischen Universität Dortmund mit dem Thema der Rhythmisierung an Ganztagsschulen beschäftigt. Derzeit arbeitet sie im Projekt „Ganz In – Mit Ganztag mehr Zukunft. Das neue Ganztagsgymnasium NRW“ mit. Saskia Koltermann war Lehrerin an einer gebundenen Ganztagsschule im Aufbau, bevor sie am IFS und im Zentrum für Lehrerbildung tätig war.

Die Autorinnen haben ihr Buch in zwei Teile gegliedert: einen kürzeren zur Theorie und einen längeren zur Praxis. Der Theorieteil besteht aus zwei Kapiteln. Im ersten wird eine Begriffsbestimmung des Begriffes „Rhythmisierung“ vorgenommen; im zweiten weitet Ilse Kamski den Blick auf die „Ordnungsgrößen für Ganztagsschulentwicklungsprozesse“. Der zweite Praxisteil besteht aus drei Kapiteln. In den ersten beiden diskutiert Ilse Kamski Zeitstrukturmodelle und Konsequenzen für die (unterrichtliche) Praxis. Im dritten Praxiskapitel untersucht Saskia Koltermann den Zusammenhang von Rhythmisierung und außerschulischen Angeboten. Den Band zeichnet eine konstante Einbindung von Stimmen von Lehrkräften, außerschulischen Partnern und Schulleitungen sowie von Beispielen von Stundenplangestaltungen, Stundentafeln und Tabellen aus.

Unter Rhythmisierung versteht jeder etwas Anderes

Unter Rhythmisierung versteht jeder etwas Anderes. Ilse Kamski unternimmt daher zu Beginn des Buches eine Begriffsbestimmung, denn fehlende begriffliche Klärungen, mangelnde systematische Abgrenzungen verschiedener Ebenen und ungenügende Vorschläge für Begriffserklärungen behindern aus ihrer Sicht schulische Entwicklungsprozesse, aber auch wissenschaftliche Diskussionen. „Erschwerend wirkt zudem die reformpädagogisch geprägte Unterstellung im deutschen Diskurs, dass es die Aufgabe von Ganztagsschulen sei, den Schultag in einer am 'natürlichen' Rhythmus des Kindes orientierten Art und Weise zu gestalten. Die Argumentation dafür, was als kind- und lerngerechter Rhythmus definiert wird, bleibt dabei oftmals äußerst vage“, gibt die Forscherin zu bedenken (S.24). Entsprechende Studien über physiologische Leistungskurven stammten eher aus dem medizinischen Bereich denn aus dem pädagogischen Kontext.

Die Autorin bettet den Begriff historisch ein und zeigt die Entwicklung des Schulstundenrhythmus seit der Einführung der 45-Minuten-Stunde in deutschen Schulen zu Beginn der 1890er Jahre. Sie definiert drei Ebenen der Rhythmisierung: die äußere, innere und individuelle. Die äußere Rhythmisierung bezieht sich der Wissenschaftlerin zufolge auf „grundlegende pädagogische Entscheidungen wie die Einteilung des Tages in unterrichtliche und außerunterrichtliche Blöcke und Pausen, die Dauer der Blöcke bzw. das Minutenmodell, die Setzung von Entspannungspausen im Tagesablauf – Entscheidungen, die über den Unterricht hinausgehen.“

Die „innere Rhythmisierung“ findet auf der Unterrichtsebene statt, beispielsweise im Wechsel der Lehr- und Lernformen, zu denen etwa Stationenlernen oder Wochenplanunterricht gehören können. „Es geht aber auch um die Festlegung bestimmter Abschnitte innerhalb eines Unterrichtsblockes, beispielsweise um gelenkte Unterrichtsphasen mit Instruktion und Klassengespräch, ungelenkte Phasen selbstständiger und freier Arbeit oder die Festlegung von An- und Entspannungsphasen“ (S.20).

Rhythmisierung nicht ohne Pädagogik

Bei der „individuellen Rhythmisierung“ geht es schließlich „um den eigenen Rhythmus jedes Schülers und die daraus resultierende Steuerung der Lernprozesse jedes einzelnen Kindes, beispielsweise, wie sie Kontakt zu Mitschülern aufnehmen und wie von jedem einzelnen Kind Lernstrategien entwickelt, Lernhilfen wahrgenommen, aber auch wie Entspannungsphasen individuell bewusst und unbewusst gestaltet werden“ (S.21).

Schülerinnen und Schüler stehen vor dem Eingang
© Britta Hüning

Erst durch eine ausführliche Differenzierung, Definition der Begrifflichkeit und Übereinkunft hinsichtlich der einzelnen pädagogischen Gestaltungsbereiche vor Ort beziehungsweise des Kollegiums könne eine Systematisierung als strukturierende Vorlage und somit als hilfsreiches Entwicklungsinstrument Verwendung finden.

Anschließend wird herausgearbeitet, dass die Rhythmisierung sich nicht trennen lässt von den pädagogischen Gestaltungsbereichen einer Ganztagsschule. Die zeitliche Organisation werde bedingt durch Faktoren wie die Partizipation von Schülerinnen und Schülern, Spiel- und Freizeitangebote, erweiterte Lerngelegenheiten und die Lernkultur. Dabei seien wiederum Organisationsmerkmale wie die Raumorganisation und -gestaltung, die Mahlzeiten, die Partizipation von Eltern, die Kooperation mit außerschulischen Partnern zu berücksichtigen.

Veränderte Zeitstrukturmodelle

Der Praxisteil des Buches stellt Zeitstrukturmodelle vor und unterbreitet Alternativen zur 45-Minuten-Stunde, deren Vorzüge und Nachteile allesamt dargestellt und mit Stundenplanbeispielen unterfüttert werden. Auch hier kommt es der Autorin zufolge auf die Einzelschule und ihre pädagogische Ausrichtung an. Die Gegebenheiten vor Ort entschieden mit über gelingende Entwicklungsprozesse. „Die größte Herausforderung im Rahmen sich verändernder Zeitstrukturmodelle zeigt sich in der Konzeptionierung eines zielgerichteten Entwicklungsprozesses. Dafür sind jedoch auch ausreichend personelle Ressourcen wie etwa für Konzeptionsarbeit in Teilarbeitsgruppen oder Ansprechpersonen für außerschulische Partner erforderlich.“ (S. 98)

Ist eine Abkehr vom traditionellen 45-Minuten-Rhythmus vorgesehen, ergeben sich Konsequenzen für die Praxis, die Ilse Kamski in einem Kapitel einzeln vorstellt. So stellt sich die Frage nach dem Ende der traditionellen Hausaufgaben, nach Förderformaten und -konzepten in Abstimmung mit dem Fachunterricht. „Durch veränderte Zeitstrukturmodelle und damit verbundene größere zusammenhängende Unterrichtszeiten können Übungsphasen in den Unterricht zurückgeholt werden“, befindet die Forscherin (S.145). „Mit der Vielfalt der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich einer fachlichen und übenden Unterstützung umzugehen, erfolgt über Formen der inneren und äußeren Differenzierung, der Lernbegleitung und der Beratung. Es geht nicht darum, sich auf einem mittleren Level einzupendeln, sondern das höchstmögliche Niveau für alle Schülerinnen und Schüler anzustreben“, so Kamski (S.146).

Guter Überblick über die Facetten von Rhythmisierung

Im abschließenden Kapitel widmet sich Saskia Koltermann „außerunterrichtlichen Angeboten“. Hier arbeitet sie heraus, dass „bezogen auf die zeitliche und organisatorische Strukturierung neben dem Unterricht der Fokus auf der professionellen Ausgestaltung der unterrichtsfreien Tageszeit der Ganztagsschule liegen muss“ (S.175).

„Rhythmisierung in Ganztagsschulen“ wendet sich hauptsächlich an die in Ganztagsschulen Beschäftigten und deren Unterstützungssysteme, aber auch an die Bildungsadministrationen und Ministerien. Die zahlreichen Tabellen, Schaubilder und Originalzitate aus der Praxis sorgen tatsächlich für die im Titel versprochene Vermittlung von Praxisbeispielen und für eine abwechslungsreiche Lektüre.

Die Fazits und Zusammenfassungen der fünf einzelnen Kapitel sowie Einschubkästen, in denen auf besonders wichtige Punkte und bedenkenswerte Fallstricke hingewiesen wird, erleichtern den Zugang zu den verschiedenen Themen noch zusätzlich. Das Buch verschafft einen guten Überblick über die einzelnen Facetten des Themas und könnte eine gute Grundlage bilden, um Rhythmisierung innerhalb der konkreten Rahmenbedingungen vor Ort umsetzen zu können.

I. Kamski & S. Koltermann (2014): Rhythmisierung in Ganztagsschulen. Erprobte Praxis – funktionierende Modelle. Schwalbach/Ts.: Debus Pädagogik Verlag.

Kategorien: Service - Tipps

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000