Gebundener Ganztag als Alleinstellungsmerkmal : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Gut Ding will Weile haben – weiß man an der Marienschule Saarbrücken. Das Gymnasium in Trägerschaft des Bistums Trier bietet seit diesem Schuljahr auch eine gebundene Ganztagsklasse an.

Mit ihrer gebundenen Ganztagsklasse nimmt die Marienschule eine gewisse Sonderstellung in Saarbrücken ein. Kein anderes Gymnasium der Stadt verfügt über Vergleichbares. Der Startschuss dazu fiel bereits vor fünf Jahren. Damals, so erinnern sich Schulleiter Peter Jochum und die Koordinatorin für die Schulentwicklung und die Ganztagsklasse, Brigitte Niederweis, erging vom Schulträger der Auftrag, die beiden großen bischöflichen Gymnasien mögen ihre Schulprofile schärfen. Sie seien ja kaum auseinanderzuhalten. 

Schnell besannen sich die mit eben jenem Auftrag betrauten Arbeitskreise zweier Dinge. Zum einen diente dazu die Historie der Schule. Gegründet worden war sie 1950 als reines Mädchengymnasium mit angegliedertem Internat. Hier fanden Mütter, deren Männer im Krieg gefallen waren, einen Platz für ihre Mädchen, der es ihnen ermöglichte, einem Beruf nachzugehen. Peter Jochum: „Ohne, dass man es damals so formuliert hätte, stellte es doch so etwas wie eine Ganztagsschule dar.“

© Peter Jochum

Zum anderen war und ist da das christliche Leitbild der Schule. Es beinhaltet, den ganzen Menschen zu bilden und dies nicht auf den Unterricht zu reduzieren. Jochum und Niederweis sind überzeugt: „Eine Vorlage für den Ganztag, der uns für die Erfüllung dieses Auftrags einfach mehr Zeit und Raum bietet.“

An einem Strang ziehen

Allen wurde bewusst, dass hier die besondere Chance lag, ein Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten. Folgerichtig wurde beschlossen, den freiwilligen Ganztag, den es seit 2013 in einer kurzen (täglich bis 15.20 Uhr) und einer langen Version (täglich bis 17 Uhr) gibt, um eine gebundene Ganztagsklasse zu erweitern. Betroffen sind die Jahrgangsstufen 5 bis 7. „Denn ab Klasse 8 haben die Schülerinnen und Schüler so viel Unterricht, dass dies faktisch dem Ganztag entspricht“, erläutert der Schulleiter. Ob das Saarland vom G8 zum Abi nach neun Jahren zurückkehrt, ist politisch noch nicht entschieden.

Das Kollegium – Jochum: „Sicher gab es einige, die nicht von Anfang an begeistert waren.“ – schloss sich dem Vorhaben an. Eine, die wenn nötig Überzeugungsarbeit leistete, hieß Brigitte Niederweis, selbst einst Schülerin der Marienschule. Als Alleinerziehende wusste sie um die Bedeutung des Ganztags, doch sie war und ist bis heute auch vom pädagogischen Nutzen überzeugt. Sie und ihr Schulleiter betonen aber auch: „Wenn man den Ganztag einführen möchte, müssen alle bereit sein, sich in ihm und für ihn zu engagieren und dürfen ihn nicht komplett ablehnen.“ Peter Jochum ergänzt: „Auf keinen Fall darf es zu einer Spaltung des Kollegiums kommen.“

© Peter Jochum

Man setzte auf Freiwilligkeit, wenn es darum ging, schon in dieser ersten Ganztagsklasse als Lehrerin oder Lehrer aktiv zu werden. Zehn Kolleginnen und Kollegen meldeten sich spontan. Brigitte Niederweis ist selbstverständlich eine von ihnen. Sechs Stunden engagiert sie sich wöchentlich dort – drei in ihrem Fach, den Naturwissenschaften, die neben den sprachlichen Fächern den zweiten Schwerpunkt der Schule darstellen. Darüber hinaus bietet sie eine Arbeitsgemeinschaft Umwelt an. Und in der Mensa isst sie das selbstgekochte Mittagessen gemeinsam mit den Fünftklässlern. „Es ist ein Ort der Kommunikation“, den sie wichtig findet, wie sie sagt. Anschließend steht den Schülerinnen und Schülern für eine Stunde in der für alle verpflichtenden Lernzeit beratend zur Verfügung.

Struktur des Lernens vermitteln

Diese Organisation hat sich nach Ansicht der Schulleitung mehr als bewährt. Hier lernen die Kinder frühzeitig, sich ihre Zeit einzuteilen und zu entscheiden, welche Prioritäten sie bei der Nutzung der „freien“ Lernzeit setzen müssen und wollen. Kurz: Ihnen wird die Struktur des Lernens vermittelt. Dass dazu manchmal ein wenig Unterstützung erforderlich ist, wird nicht verschwiegen. 

Peter Jochum erinnert sich gut an einen Schüler, der zu Beginn der Lernzeit eher ratlos auf einen Stapel Bücher aus unterschiedlichen Fächern blickte und gestand, er wisse nicht, womit er beginnen solle. Der Pädagoge entschied: „Nimm heute Englisch und morgen vielleicht Mathe.“ Eine einfache Anleitung, aber sie zeigte Wirkung. Der Schüler verstand: Das ist für mich am Wichtigsten, morgen widme ich mich jenem… Der Grundstein für selbstständiges Lernen war gelegt. 

Doch nicht immer fordern die gemeinsam mit den Mitarbeitern der Caritas als Träger des Ganztags in der Lernzeit anwesenden Lehrkräfte nur „Lernen“ ein. Manchmal gestehen sie den jungen Schülerinnen und Schülern auch zu, sich einfach auszuruhen. „Viele sind nach dem Fachunterricht bis 13.20 Uhr einfach fertig“, weiß Brigitte Niederweis. Unter Druck, ihre „Hausaufgaben“ während der Lernzeit zu erledigen, stehen die Schülerinnen und Schüler ohnehin nicht. Peter Jochum: „Die Umstellung auf das Doppelstundenprinzip ermöglicht uns, im Unterricht die wesentlichen Vertiefungsaufgaben zu platzieren.“

Ganztag immer gefragter

© Peter Jochum

24 Kinder wurden für diese erste Ganztagsklasse angenommen. Ob es künftig mehr sein werden, wissen Peter Jochum und Brigitte Niederweis (noch) nicht. Sie befürworten eine Ausweitung, auch die Ausdehnung auf die Jahrgangsstufen 7 und 8. Gleichzeitig ist ihnen bewusst, dass auch ihr Bistum rückläufige Kirchensteuereinnahmen zu verkraften hat und die Entscheidung darüber auch eine finanzielle Frage sein wird. 

Gleichzeitig spürt die Marienschule den „Druck“ von unten. Schließlich ist inzwischen rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die hierher wechseln, aus der Grundschulzeit den Ganztag gewöhnt. Und nicht nur sie, sondern auch ihre Eltern. Zudem wissen sie um die „Mehrarbeit“ fürs gesamte Kollegium. Denn der Organisationsaufwand für eine Schule mit herkömmlicher Stundenzahl, freiwilligem und gebundenem Ganztag ist enorm. 

Rund 100 Kinder nutzen den freiwilligen Ganztag. Entsprechend wünscht sich Brigitte Niederweis: „Wir müssen noch viel stärker als bisher im Team zusammenarbeiten, unsere Erfahrungen zusammenwerfen und gemeinsames Unterrichtsmaterial erarbeiten.“ Und das alles mit dem Anspruch auf größtmögliche Individualisierung. Denn, so stellt der Schulleiter fest: „Im Gleichschritt lernen setzt homogene Klassen voraus. Aber die Heterogenität nimmt zu. Man kann nicht einfach den Schalter umlegen und alles ist individualisiert. Daran arbeiten wir.“

Bewährtes und Neues 

© Marienschule Saarbrücken

Dieser selbstformulierte Anspruch auf Weiterentwicklung gilt laut Peter Jochum und Brigitte Niederweis auch für die Arbeitsgemeinschaften: „Hier könnten wir uns noch deutlich für die Kooperation nach außen öffnen.“ So wie es die Marienschule im Bereich der Oberstufe vor vielen Jahren bereits getan hat. Dank der Zusammenarbeit mit dem Ludwigsgymnasium und dem Gymnasium am Schloss ist die Angebotspalette von Kursen deutlich gestiegen. Die Schülerinnen und Schüler pendeln einfach zu dem an ihrer Schule eben nicht zu belegenden Kursus. 

Die Kooperation mit „Externen“ gilt zudem als Erfolgsgarant für die ausgeprägte und vielfältige Berufsvorbereitung der Schülerinnen und Schüler. Bei allem Neuen, wie etwa der bereits fest etablierten Arbeit mit digitalen Medien, setzt die Marienschule stark auf Bewährtes. Seien es die Bläserklasse oder die Teilnahme am Geschichtswettbewerb „So geht’s nicht weiter. Krise, Umbruch, Aufbruch“ des Bundespräsidenten, den die Schule in diesem Jahr gewann. 

Das christliche Leitbild befördert die ganzheitliche Bildung und Erziehung, die sich auch an „KULT“ festmacht: Zehnwöchige Projekte aus den Bereichen Kultur, Umfeld, Leben, Technik, die ebenso fester Bestandteil der „Karriere“ in dieser Schule sind wie auch das Engagement für ein Krankenhaus in Ghana. Jährlich kommen durch den Verkauf selbstgebastelter Dinge, Aufführungen und „Essenstationen“ rund 15.000 Euro zusammen. Ausgerechnet in diesem Jahr, zum 70. Geburtstag der Schule, ist dies coronabedingt gefährdet. „Aber auch da werden wir uns etwas einfallen lassen“, versprechen Peter Jochum und Brigitte Niederweis. 

 

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