A-E-G Oettingen: Lernkonzept mit Lernlandschaft : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im Albrecht-Ernst-Gymnasium Oettingen heißt Bildung frei nach Humboldt, soviel Welt, als möglich zu ergreifen. Dazu gehören ein in Bayern einmaliges Konzept der Lernlandschaft und die Digitalisierung.

Blick in ein Klassenzimmer des Gymnasiums Oettingen
© Gymnasium Oettingen

Wenn so das Lernen der Zukunft aussieht, dann hat im Albrecht-Ernst-Gymnasium in Oettingen die Zukunft schon länger begonnen. Wer das Gymnasium  im schwäbischen Landkreis Donau-Ries während der Unterrichtszeit besucht, der erlebt, wie die Lernlandschaften, die vom Bayerischen Kultusministerium als „pädagogisches Alleinstellungsmerkmal“ im Freistaat bestätigt worden sind, von den Schülerinnen und Schülern in der ersten und der zweiten Etage bis buchstäblich in den letzten Winkel genutzt werden.

Hier steht eine Gruppe von Siebtklässlern, die zusammen ein Referat vorbereiten und dazu immer mal wieder auf einen Laptop-Bildschirm linsen, mit ihren Vortragskarten in der Hand. Dort sitzen Neuntklässler zusammen, die gemeinsam einen lateinischen Text interpretieren. Da liegen Sechstklässler sogar auf dem Boden: Sie fertigen eine Bücherkiste, mit der sie den Inhalt eines Romans visualisieren, den sie gelesen haben – die Utensilien wie zum Beispiel ein Halstuch, Maiskörner, Playmobil-Figuren oder ein Seil haben sie von zu Hause mitgebracht. Im Klassenraum hinter der Glasscheibe sitzen Achtklässler im Physikunterricht und lauschen dem Lehrer. Und im Klassenzimmer der Zehntklässler ist es ganz still, die Schülerinnen und Schüler schreiben einen Test.

„Freies Lernen heißt nicht Beliebigkeit“

In den Lernlandschaften haben die Räume keine Türen mehr, verwinkelte Eingänge sorgen dafür, dass der Schall von innen und außen sich dort fängt und die Lärmbelastung gering gehalten wird. In den Klassenräumen können die Tische flexibel aufgestellt werden. Das Arbeitsmaterial lagert nicht nur dort, sondern vor allem im offenen Raum zwischen den vier Klassenräumen. In den Nischen stehen Regale für Bücher, Arbeitsblätter und Schautafeln, die die Schule extra von Handwerkern hat anfertigen lassen.

Überall gibt es unterschiedliche Sitzmöglichkeiten und Sichtschutze, die mit den aufsteigenden Jahrgängen immer wichtiger für die Jugendlichen werden. So stehen bei den Zehntklässlern futuristisch anmutende „Sitzkapseln“, in die sich bis zu sieben Schülerinnen und Schüler zurückziehen können. Die einzelnen Lernlandschaften sind in ihrer Architektur also jeweils unterschiedlich, der jeweiligen Altersstufe entsprechend, gestaltet.

Christian Heinz in einem Klassenzimmer
Christian Heinz: „Die Lernerfahrung muss immer im Mittelpunkt stehen.“ © Gymnasium Oettingen

Christian Heinz, der stellvertretende Schulleiter, der durch das Gebäude führt, weist darauf hin, dass sich mit den Lernlandschaften die Lehrerrolle verändert hat: „Die Kolleginnen und Kollegen bewegen sich innerhalb und außerhalb der Klassenräume und sind jederzeit für die Schülerinnen und Schüler ansprechbar, wenn sie Fragen haben. Und die Schüler haben keine Scheu zu fragen. Als wir die Lernlandschaften eingeführt haben, befürchteten manche im Kollegium, dass das Chaos ausbrechen würde. Das ist nicht so gekommen, aber so freies Arbeiten braucht auch einen Rahmen durch eine sehr gute Vorbereitung und eine feste Struktur. Freies Lernen heißt nicht Beliebigkeit.“

Veränderung der Schulkultur

Für Schulleiter Günther Schmalisch sieht so das schülerzentrierte Lernen aus, das dem Kollegium  des „A-E-G“ einst vorschwebte, als sie sich vor rund zehn Jahren daranmachten, ihre in den 1970er Jahren gebaute Flurschule sukzessive umzugestalten. „Die Schülerinnen und Schüler sollen ins eigene Tun kommen. Sie sollen selbstständig forschen, recherchieren, Projekte, Referate und Präsentationen vorbereiten und durchführen“, erläutert Schmalisch. „Wir brauchen Schülerinnen und Schüler, die Lust am Ausprobieren haben, die gerne forschen, kreativ sind, im Team arbeiten, hinterfragen lernen und keine Angst vor Fehlern haben. Die Schülerinnen und Schüler sollen selbst erleben, das Lernen was Tolles ist.“

Schüler sitzen als Lerngruppe zusammen
© Gymnasium Oettingen

Früher, in Zeiten der 45-Minuten-Stunde, sei das viel zu kurz gekommen: „Da war man als Lehrer 15 Minuten mit Begrüßung und Hausaufgabenkontrolle beschäftigt, dann hast du 20 Minuten die neuen Inhalte vermittelt, und wenn es gut lief, blieben noch zehn Minuten, um das Gelernte anzuwenden. Man sah die Schülerinnen und Schüler fast gar nicht dabei, wie sie gelernt haben.“ Schmalisch nennt Untersuchungen für den Fremdsprachenunterricht, die das Phänomen belegt haben. „Das Lernen soll aber in der Schule stattfinden und nicht nach Hause ausgelagert werden.“

Die Einführung des Doppelstundenprinzips war, so verrät sein Stellvertreter  Christian Heinz, eine der umstritteneren Maßnahmen unter den insgesamt 70 Kolleginnen und Kollegen. „Es war klar, dass sich der Unterricht der Lehrerinnen und Lehrer verändern musste, wenn sie 90 Minuten mit den Schülerinnen und Schülern verbringen würden. Wichtig war, Bedenken ernst zu nehmen und darüber zu diskutieren“. Doch alle anfänglichen Befürchtungen sind verflogen.

Die Lehrkräfte sehen den Vorteil der Zeiteinheiten, die den Schülerinnen und Schüler besser ermöglichen, „soviel Welt als möglich zu ergreifen, und so eng, wie sie nur können, mit sich zu verbinden.“ Das Zitat aus der „Theorie der Bildung des Menschen“ von Wilhelm von Humboldt steht über dem Lernkonzept der Schule. In der Schulkonferenz wurde später der Antrag auf Ausweitung der Lernlandschaften bis in die 12. Jahrgangsstufe einstimmig angenommen.

Ganztag in eigenem Gebäude

Über 800 Schülerinnen und Schüler lernen am A-E-G. Die Veränderungen der Lern- und Unterrichtskultur gingen sukzessive vonstatten. „Wir sind erstmal nur mit den 5. Klassen gestartet und mit Kolleginnen und Kollegen, die Lust hatten, etwas Neues anzupacken“, erinnert sich Christian Heinz. „Das war genau der richtige Weg. Denn so sprach sich herum, wie gut das Arbeiten in der Lernlandschaft funktionierte. Wenn wir alle Jahrgangsstufen auf einmal umgestellt hätten, hätten wir uns alle überfordert.“

Blick in die Flure der Schule
Offener Raum zwischen den Klassenzimmern © Gymnasium Oettingen

Die Art der Zusammenarbeit zwischen den Lehrerinnen und Lehrer habe sich parallel dazu ebenfalls sehr verändert, wie Marco Hüttinger, Lehrer für Englisch und Geschichte, berichtet: „Heute ist die Kommunikation untereinander viel enger. Wir sprechen uns in Jahrgangsstufenteams ab, bereiten Unterricht vor und entwerfen zusammen Klausuren.“ Der Schwierigkeitsgrad einer Klausur hängt im Albrecht-Ernst-Gymnasium nicht mehr davon ab, welche Lehrkraft gerade die Aufgaben stellt.

Nicht nur in der Unterrichtsentwicklung ist das Team des Albrecht-Ernst-Gymnasiums progressiv – die Schule war seinerzeit die erste in der Region, die Mittel aus dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) nutzte. Es entstand ein neuer Gebäudeteil für den offenen Ganztag. „Uns war wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler am Nachmittag eine andere Lernumgebung vorfinden“, erläutert Schulleiter Schmalisch.

Die Eltern können ihre Kinder flexibel für das Ganztagsangebot anmelden, auch für einzelne Tage. „Es ist auch kein Problem, wenn ein Schüler, der nicht für den Ganztag angemeldet ist, mal spontan am Nachmittag bleibt“, erzählt Günther Schmalisch. An allen vier Wochentagen nehmen rund 90 Schülerinnen und Schüler am Ganztag teil. Nach dem Mittagessen in der Schulmensa, in der vor Ort frisch gekocht wird, gehört dazu die Lernzeitbetreuung, durchgeführt von Lehrkräften, aber auch von Schülertutoren aus den 9. Klassen.

Zum offenen Ganztagsangebot gehören schließlich für alle Schülerinnen und Schüler die Arbeitsgemeinschaften. Die meisten AGs werden von Lehrerinnen und Lehrern angeboten, sie reichen von der Spanisch- und Italienisch-AG über „Kreatives Gestalten“ oder Tischtennis bis zum „Kochen und Backen“. Ein kleines Filmatelier lädt ein, beispielsweise einen Schattentheaterfilm zu kreieren. Außerschulische Partner bieten die Gitarren-AG und die Karate-AG an. Schon zum 14. Mal in Folge ist die Streicherklasse gestartet. Das A-E-G hat sogar für die Landesarbeitsgemeinschaft „Schulorchester in Bayern“ Kolleginnen und Kollegen anderer Schulen fortgebildet. Eine Vision des Schulleiters ist, dass es irgendwann einmal einen gebundenen Ganztag für alle Schülerinnen und Schüler geben wird – mit noch mehr Zeit und Raum zum Lernen.

„Digitalisierung fängt in den Köpfen an“

Zwei Schülerinnen sitzen in einer Sitzkapsel
Sitzkapseln zum konzentrierten Arbeiten © Gymnasium Oettingen

Längst angekommen ist im A-E-G die Digitalisierung. Schon 2006 war das Gymnasium BayernOnline Preisträger. Digitalisierung bedeutet für Christian Heinz allerdings nicht, dass „Texte statt auf dem Papier nun auf dem Tablet geschrieben“ oder dass „statt Arbeitsblätter zu verteilen, nun PDF-Dateien verschickt werden“. Heinz, der gemeinsam mit dem Systembetreuer für die Digitalisierung zuständig ist und für seine Kolleginnen und Kollegen Fortbildungen anbietet, betont, dass beim Einsatz von digitalen Medien „immer die Lernerfahrung im Mittelpunkt stehen muss.“

Die Schülerinnen und Schülern sollen nicht nur, aber auch mit mobilen Endgeräten arbeiten können und produktiv-kreativ Apps nutzen. In jeder Lernlandschaft gibt es mindestens zehn Tablets, ebenso in den Fachräumen, in den höheren Jahrgängen auch Laptops. Das erfordere klare pädagogische Konzepte, ein engagiertes Kollegium, das bereit sei, sich kontinuierlich fortzubilden, und eben eine ständige Schul- und Unterrichtsentwicklung. „Gelder zu investieren in WLAN und Ausstattung ist wichtig“, so Heinz. „Digitalisierung fängt aber schon viel früher an, nämlich in den Köpfen der Kollegen.“ Dabei sei es nachvollziehbar, dass einige Lehrerinnen und Lehrer sich in diesem Bereich leichter tun oder offener zeigen als andere.

„Der Einsatz mobiler Endgeräte passt hervorragend zu unserem pädagogischen Konzept“, findet auch Schulleiter Günther Schmalisch. „Sie unterstützen das differenzierte Arbeiten. Die Kolleginnen und Kollegen können kreative Aufgaben stellen. Und die Schülerinnen und Schüler arbeiten mit Geräten, die sie aus ihrer Lebenswelt sowieso kennen.“

Das Albrecht-Ernst-Gymnasium hat den Bezug zur „Lebenswirklichkeit“ ohnehin zum Schwerpunkt seines Schulkonzepts erklärt. Gerade kürzlich, am 1. März, wurde die Schule, die immer wieder Preise bei Schulwettbewerben gewinnt, als „Fairtrade School“ ausgezeichnet. Die Schulhomepage enthält auch ein Zitat von Alexander S. Neill: „Die Schule sollte kindgerecht gemacht werden und nicht die Kinder schulgerecht!“

 

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